Z Orthop Unfall 2011; 149(03): 254
DOI: 10.1055/s-0031-1283064
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Knorpel-Knochenfragmente – Lieber nichts fallen lassen!

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Publication Date:
17 June 2011 (online)

 
 

Ein akzidentell auf den Boden gefallener gelenkbildender und somit nicht unmittelbar ersetzbarer Knochen stellt während einer Operation wohl eines der schlimmsten Situationen dar, die man sich als Operateur vorstellen kann. Mithilfe der vorliegenden Studie wurde nun versucht, in einer 3-phasigen Untersuchung einen intraoperativen Algorithmus zu erarbeiten, wie in einer solchen Situation verfahren werden kann.
Are Dropped Osteoarticular Bone Fragments Safely Reimplantable in Vivo? J Bone Joint Surgery Am. 2011; 93: 430 – 438

Material und Methode

Phase I: Im ersten Abschnitt untersuchten die Autoren die Kontamination von Knorpel-Knochenstücken, die während einer Operation fallen gelassen und für einen Zeitraum von 30 Sekunden auf dem Boden belassen wurden.

Hierzu wurden Knorpel-Knochenfragmente benutzt, die während einer Knie-TEP-Implantation gewonnen werden konnten. Zusätzlich wurden Proben vom Boden des Operationssaales gewonnen, um die Flora des Bodens charakterisieren zu können.

Phase II: Mit den in Phase I erreichten Ergebnissen konnte nunmehr im nächsten Abschnitt eine gezielte Beimpfung von Knorpel-Knochenstücken mit den 3 am häufigsten vorkommenden Bakterien erfolgen. Die so kontaminierten Knochen-Knorpelsegmente wurden in 5 Gruppen eingeteilt: eine Kontrollgruppe mit der nicht weiter verfahren wurde, eine Gruppe, die in 0,9 % Salzlösung gebadet wurde, und 3 weitere Gruppen in denen die Knochen in unterschiedlichen Desinfektionsmitteln (10 % Povidon-Iod-, 4 % Chlorhexidin-, 70 % Isopropylalkohol /2 % Chlorhexidin-Gluconat-Lösungen) gebadet wurden.

Innerhalb dieser Gruppen wurden 2 verschiedene Zeiträume eingehalten, entweder wurde die Knorpel-Knochenfragmente 5 oder 10 Minuten lang gebadet. Danach wurden die Knochen in 0,9 % Salzlösung für eine Minute gebadet oder mit einem Schwamm 1 Minute lang geputzt. Im Anschluss daran erfolgte eine mikrobiologische Untersuchung.

Phase III: Im Schlussteil der Untersuchung wurde die Überlebensfähigkeit der Knorpelzellen nach oben genannten Prozeduren mikroskopisch erfasst.


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Ergebnisse

In allen im Operationssaal genommenen Proben konnten Koagulase-negative Staphylokokken nachgewiesen werden, bei 43 % der Proben fand sich Bacillus- spec., aber auch Pseudomonas aeruginosa, E. coli und andere konnten, wenn auch in niedrige Konzentrationen, nachgewiesen werden.

Von 162 Knochenfragmenten, die "zu Boden fielen", zeigten 70 % eine bakterielle Besiedelung. Von den Besiedelten waren 97 % mit Staphylokokken, 10 % mit Bacillus und 1,7 % mit Corynebacterium besiedelt.

In der Phase II wurden die Fragmente mit diesen 3 Bakterien beimpft. In den Kontrollgruppen wurde eine 100 % Besiedelung gefunden.

In der Gruppe, deren Fragmente in Salzlösung gebadet wurden, fand sich nach dem Bad eine 100%ige Keimbesiedelung. Bei einer mechanischen Reinigung fand sich jedoch keine Besiedlung mehr.

Die Dekontaminationen mit Povidon-Iod und mit Chlorhexidin zeigten einen 100%igen Erfolg, sowohl nach 5- als auch nach 10-minütigem Bad.

Die Behandlung mit Isopropylalkohol/Chlorhexidin-Gluconat zeigte, bei 7 untersuchten Fragmenten, noch bei 4 Knochen-Knorpelfragmenten Wachstum nach 5-minütigem Bad. Nach 10 Minuten waren noch 2 besiedelt, wenn sie nicht zusätzlich mechanisch gereinigt wurden. Nach mechanischer Reinigung zeigte sich bei keiner Gruppe ein Keimwachstum mehr.

Die Überlebensrate der Chondrozyten nach Dekontamination war bei Chlorhexidin mit 3 % am geringsten und bei Povidon-Iod mit 51 % am größten.

Eine mechanische Reinigung senkte die Überlebensrate der Knorpelzellen auf 18 %, während die Proben, die nur gebadet wurden, 61 % überlebende Zellen zeigten.

Dr. med. Patrick Haar
Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock,
Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
E-Mail:
Petzi.petzoldweb.de


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Kommentar

Die Autoren beschäftigten sich mit einer der wohl unangenehmsten Situationen, die einem Operateur während eines Eingriffes passieren kann. Sie zeigten in einer ausführlichen und nahezu umfassenden Klinik nahen Untersuchung einen Algorithmus auf mit dem dieser Situation begegnet werden kann. Nach diesen Empfehlungen ist ein Knochenfragment, das Bodenkontakt hatte und welches unentbehrlich ist, fünf Minuten in Povidon–Iod-Lösung und danach eine Minute lang in 0,9 % Salzlösung zu baden.

Die Autoren selbst bemängelten die fehlende Untersuchung der Einwirkung auf Knochenzellen, sahen aber es als notwendiger an die Zellen, die nicht regenerierbar sind, zu untersuchen. Ob der Knochenanteil des osteochondralen Fragmentes beschädigt wird, bleibt also offen und somit auch die Frage ob das Fragment ungestört einwachsen kann. Also, besser nichts fallen lassen im OP …

Dr. med. Patrick Haar


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