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DOI: 10.1055/s-0031-1283061
Interview – Forschung in der Chirurgie: "Da fährt der Karren bald an die Wand"
Publication History
Publication Date:
17 June 2011 (online)
Der 1949 geborene Naturwissenschaftler ist seit 2005 Direktor des Instituts für Chirurgische Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) und Lehrstuhlinhaber für Chirurgische Forschung der Universität Witten/Herdecke am Campus Köln-Merheim. Als Nachfolger einer 1960 gegründeten Abteilung für Experimentelle Chirurgie ist das IFOM heute das älteste Institut für chirurgische Forschung in Deutschland. Der gelernte Chemielaborant machte zuerst ein Ingenieur- und ein Chemie-Diplom, bevor er ein Studium der Humanmedizin absolvierte. Neugebauer habilitierte bei Wilfried Lorenz am Institut für Theoretische Chirurgie der Universität Marburg. Für seine Kernforderung "mehr Wissenschaft für die Chirurgie" ficht er auch als Vorstand zahlreicher Fachgesellschaften, darunter etwa beim Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. Neugebauer ist verheiratet und hat 3 Kinder.
? Herr Neugebauer, haben Sie denn heute schon geforscht?
(Lacht) Nein, ich habe heute schon administriert. Als Institutschef und seit 2005 zusätzlich als Forschungsdekan bin ich auch gefordert, organisatorisch tätig zu sein.
? Wie viel Zeit bleibt Ihnen für Forschung?
An die 40 % meiner Arbeitszeit. Das ist zu wenig, zumal ich meist nur nachts und an Wochenenden dazu komme.
? Zum Thema: Sie sprechen generell von einer Krise der Chirurgischen Forschung in Deutschland. Was meinen Sie damit?
Krise ist fast zuwenig, wir haben ein ernstes Strukturproblem.
? Wieso denn das? Es laufen doch viele Studien zur Chirurgie, auch in Deutschland?
Nein, viel zu wenig – bezogen auf die Einwohnerzahl liegt die Chirurgische Forschung in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern Mitteleuropas auf dem vorletzten Platz. Und die Bedingungen für Forschung haben sich in den letzten Jahren in der Chirurgie hierzulande noch erheblich verschlechtert.
? Sorry – aber an jedem Lehrstuhl für Chirurgie gibt es hierzulande doch Labore, forschen Gruppen … von Stammzellen gegen Herzinfarkt bis zur Gewebezucht gegen Knorpelschäden?
Das täuscht. Wer macht denn diese Forschung – das sind doch leider kaum noch Kliniker.
? Denkbar, dass angestellte Biologen oder Physiker die Hauptlast der Forschung tragen. Aber ist das ein Problem?
Ja, denn was wird aus diesen meist nur mit Fristverträgen angestellten, meist hochqualifizierten Wissenschaftlern, wenn der nächste Förderantrag auf ein Projekt nicht durchgeht? Sie müssen gehen und nehmen das Know-how mit: das ist ein unverantwortlicher Umgang mit Personen und Ressourcen im Bereich der Chirurgie. Damit habe ich ein Megaproblem. Der für mich entscheidende Punkt ist aber: Die Chirurgen müssen selber mehr forschen. Und wir haben in Deutschland viel zu wenig institutionalisierte Einrichtungen für Chirurgische Forschung. Es gibt nur wenige gute Beispiele mit Modellcharakter für die zukünftige Entwicklung der Chirurgischen Forschung in Deutschland. Das müssen wir ändern.
? Aber ist Chirurgie im Kern nicht ein Handwerk? Hauptsache, der Chirurg kann gut mit dem Knochenbruch umgehen. Hauptsache der entzündete Blinddarm ist raus. Wichtig ist es, die richtige Naht zu setzen, den richtigen Schnitt … und gut ist.
Damit beschreiben Sie einen fatalen Trend der hiesigen Chirurgie. Auf die Spitze getrieben würde ich sagen: Das kann die Disziplin gerne so halten, sich still und leise wieder zum schlichten Handwerk downzugraden. Es wäre aber ein massiver Schritt zurück. Vor Jahrhunderten gab es die Barber, aus denen sich seit dem letzten Jahrhundert nach und nach eine wissenschaftlich fundierte Chirurgie entwickelt hat. Die erste Studie in klinischer Chirurgie überhaupt machte der Chirurg John Goliger in Großbritannien im Jahr 1963. Heute ist das Feld international gesehen sehr groß geworden und splittet sich längst thematisch auf. Wir haben die experimentelle Forschung, einschließlich molekular- und zellbiologischer Grundlagenforschung, den großen Bereich der klinischen Forschung, sowie zusätzlich die Metaforschung, Stichwort evidenzbasierte Medizin. In jüngster Zeit ist die Versorgungsforschung hinzugekommen, die jetzt immer wichtiger wird. Doch hierzulande entwickelt sich das Fach in der Tat zurück. Zurück zum Handwerk, zum Barber. Ich frage mich nur, nach welchen Prinzipien die heutigen Chirurgen dann in Zukunft noch operieren wollen? Wer soll das Fach weiterentwickeln und neue Maßstäbe setzen?
? Als Patient denke ich: Eine Blinddarmoperation ist und bleibt eine Blinddarmoperation. Das steht doch im Lehrbuch?
Oh nein, keineswegs für immer. In 5 Jahren ist 50 % des Wissens veraltet. Das Wissen aus dem Studium reicht heute nicht lange. Es gibt neuere Untersuchungen, die sagen, den entzündeten Blinddarm kann ich auch antibiotisch behandeln. Oder nehmen Sie das Zwölffingerdarmgeschwür, auch das wird inzwischen kaum noch operiert, sondern medikamentös behandelt. Viele Operationsverfahren fallen aufgrund neuer Erkenntnisse weg oder verändern sich und das muss ein guter Chirurg wissen.
? Aber nach dem Stand der Wissenschaft zu behandeln, ist ja etwas anderes, als selber Forschung zu betreiben. Um den Fortschritt umzusetzen, muss der Chirurg sich nur gut fortbilden.
Fortbildung alleine reicht nicht. Auf der Höhe der Zeit bleibt ein Chirurg meiner Meinung nach nur, wenn er selber forscht. Jeder Chirurg braucht ein Verständnis für Wissenschaft, für Forschung als Prozess – um das zu erwerben, sollte man selber forschen oder zumindest während der Weiterbildungszeit geforscht haben.
? Also muss jeder Chirurg Ihrer Ansicht nach in einer Klinik auch noch eigenen Experimenten oder epidemiologischen Studien nachgehen?
Zumindest jeder Chirurg in den Universitätskliniken – Ja. Aufgabe einer Universität ist Lehre und Forschung. Andere, zumal kleinere Häuser haben vorrangig einen Versorgungsauftrag und müssen keine Grundlagenforschung betreiben. Wünschenswert wäre allerdings, dass alle Kliniken bei klinischen Studien mitmachen, um zumindest diesen Teil von Forschung direkt zu sehen und zu verstehen.
? Woher nehmen Sie jetzt aber die These, dass die Chirurgische Forschung hierzulande schlechter geworden ist?
Zunächst einmal daher, dass die hiesigen Strukturen seit Jahrzehnten zunehmend verknöchert sind – es gibt so gut wie keine Bewegung.
? Verknöchert?
In Deutschland hat man es versäumt, die chirurgische Forschung zu institutionalisieren.
? Sie meinen, es gibt nicht genügend Lehrstühle für Chirurgie?
Das ist nicht mein Punkt. Vielmehr erfüllen die meisten Lehrstühle für Chirurgie hierzulande heute nicht ausreichend ihren Forschungsauftrag. Arbeitsverdichtung und ökonomischer Druck lassen kaum mehr Spielräume für Forschung. Chirurgen haben heute viel zu wenig Zeit neben ihrer klinischen Tätigkeit. Bei einer unserer Umfragen dazu, erklärten 94 % der Kliniker, dass sie prinzipiell Interesse an mehr Forschungsaktivitäten hätten, dass ihnen aber zu wenig Zeit dafür neben der klinischen Tätigkeit bleibt. Viele junge Chirurgen gehen sogar noch weiter: Forschung behindere die chirurgische Weiterbildung. Und der Chef des Geschehens ist heute die Ökonomie. Der Chirurg ist Angestellter des Krankenhauses und hat dort primär bestimmte Leistungszahlen zu erzielen.
? Die kaufmännische Spitze des Krankenhauses diktiert das Geschehen?
Ja. Die schreibt den Abteilungen heute ja Fallzahlen vor, die es zu erreichen gilt und viele Chirurgen arbeiten das dann pflichterfüllend ab. Forschung kommt dabei nicht vor. Vor 10 Jahren kamen interessierte Chirurgen noch abends regelmäßig zu uns und haben mit uns zusammen an Projekten gearbeitet. Oder sie haben sich für ein Experiment auch mal freistellen lassen. Mit der Einführung des Arbeitszeitgesetzes und des DRG-Systems ist das extrem schwierig geworden.
? Was tun?
Wir brauchen mehr eigenständige Institute für Chirurgische Forschung. Jede Universität bräuchte ein Institut wie das IFOM oder eine vergleichbare Einrichtung.
? Sie wollen neben den vorhandenen Lehrstühlen für Chirurgie noch mal eine Struktur, eigens für Forschung in der Chirurgie?
Ja, weil so eine professionelle Forschungsinfrastruktur vorgehalten wird, mit der wir auch international konkurrenzfähig bleiben.
? Was machen Sie konkret so Besonderes im IFOM?
Wir haben eine Struktur, die den Chirurgen bei Forschung unterstützt. Dafür haben wir integrierte Arbeitsgruppen aus Klinikern und Wissenschaftlern eingeführt. Die Methodiker kommen aus vielen Fachgebieten, aus der Biologie, der Psychologie bis zur Ökonomie. in diesen Arbeitsgruppen bearbeiten wir Fragestellungen aus der Chirurgie mit wissenschaftlichen Methoden. Konkret suchen wir dabei die Kooperation mit klinisch tätigen Chirurgen, setzen uns mit ihnen zusammen, entwickeln und bearbeiten mit ihnen gemeinsam ein Thema. Wir bieten dem Chirurgen so Infrastruktur und Beratung, damit er mit uns gemeinsam Forschungsprojekte realisieren kann. Zugleich lernen die Methodiker, was der Chirurg eigentlich für Probleme und Fragestellungen hat. Forschung heißt bei uns mittelbare Krankenversorgung, das IFOM hat sich der translationalen Forschung verschrieben.
? Ein Beispiel?
Erst neulich wollten Chirurgen von uns eine Studienberatung zu der Frage, ob man durch eine Magenbypassoperation bei Adipositas einen Diabetes vom Typ 2 heilen kann. Wenn Chirurgen mit solchen Fragen an uns herantreten, recherchieren wir zunächst die Studienlage, was zu der Frage womöglich schon läuft. Es kam dann heraus, dass derzeit weltweit bereits 9 Studien zu dieser Fragestellung unterwegs sind. Ein weiteres Treffen diente dann der Diskussion, ob wir die Voraussetzungen für eine eigene Studie haben, ob sie Sinn macht, und wenn ja, in welcher Form sie Sinn machen könnte. Entscheiden wir uns für eine Studie, dann entwickeln wir zusammen mit dem Chirurgen das Protokoll und führen sie durch. Im konkreten Fall haben wir von einer weiteren Studie übrigens abgeraten, es laufen bereits genügend andere.
? Woher kommt die Finanzierung für Ihre Forschung?
Die Basisfinanzierung stellt die Universität sicher, und dann muss man sich um das Einwerben von Geldern bemühen. Auch hier bieten wir einer Chirurgin oder einem Chirurgen wieder die nötige Unterstützung. Denn auch dazu braucht es Vorbereitung, Recherche und das Schreiben von Förderungsanträgen. Es ist doch keine Frage, dass ein Chirurg, der tagein tagaus mit Operieren beschäftigt ist, davon oft kaum Ahnung hat. Ausbildung in Forschung ist weder Gegenstand des Studiums noch der Weiterbildung. Wir sind dafür Dienstleister. Unsere Aufgabe ist es, einen Chirurgen dabei gut zu unterstützen.
? Wie viele Institute für Chirurgische Forschung gibt es zurzeit?
In Deutschland sind es derzeit gerade mal 6 eigenständige Institute für Chirurgische Forschung in der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Sie sind in Rostock, Witten/Herdecke, alias hier am Campus Köln, in Marburg, München, Homburg/Saar und in Heidelberg. Hinzu kommen 8 Institute dezidiert nur für Forschung in Orthopädie und Unfallchirurgie. Macht in der Summe 14. Und fertig. Nötig wäre aber die doppelte Anzahl, mindestens ein solches Institut an jedem der derzeit 32 Universitätskliniken.
? Etwas wie das IFOM … an jeder Uniklinik?
Ja. Das wäre mein Wunsch. Natürlich hat jede Universität viele wissenschaftliche Institute … für Physiologie, Pharmakologie, Chemie, Physik, Statistik … alles da, damit sich ein aktiver Chirurg Rat für Forschung holen kann. Nur – all diese Institute haben ihre eigenen Programme. Wenn ein Chirurg dort an die Türe klopft, kriegt er vielleicht mal ein Gespräch, aber die fühlen sich für die Chirurgie kaum verantwortlich. Daher müssen wir für Chirurgen schon eine spezielle Infrastruktur, eine eigene Anlaufstelle schaffen, bei der sie oder er zu Forschungsfragen beraten wird und sich eigenständige Forschung betreiben lässt.
? Aber wieso neue Institute? Sehen Sie keine Möglichkeit, diesen Support gleich direkt in den Lehrstühlen für Chirurgie zu verankern?
Doch, das wird ja auch z. T. gemacht. Etwa indem eingeordnete W2-Professuren dafür eingerichtet werden, die aber meist nur eine geringe Ausstattung in den Einzelfächern erhalten. Das Problem ist v. a. die mangelnde Augenhöhe, d. h. die direkte Abhängigkeit solcher untergeordneten Professuren vom Ordinarius sowie das eingeschränkte Spektrum der Forschungsmöglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Dabei sind die methodischen Ansprüche an kompetitive Forschung heute in vielen Bereichen enorm gestiegen. Allein die klinische Forschung ist so komplex geworden, dass sie oft nur in einem größeren Team möglich ist.
? Mit jeder Neubesetzung eines Lehrstuhls für Chirurgie kann sich eine "verknöcherte" Struktur aber rasch ändern?
Theoretisch ja. Ich sehe das aufgrund meiner Erfahrungen aber eher skeptisch. Denn ein neuer Lehrstuhlinhaber müsste dann eben auch teamfähig sein, müsste erkennen, dass er alleine unmöglich weder den Forschungsfortschritt verfolgen noch allein schon aus zeitlichen Gründen einen signifikanten Beitrag leisten kann. Er müsste auch erkennen, dass es keinen Autonomieverlust bedeutet, wenn er die Forschung in seinem Fach zumindest teilweise an ein eigenständiges partnerschaftliches chirurgisches Forschungsinstitut abgibt. Dazu bedarf es Weitsicht gepaart mit einer hohen Verantwortung für das Fach. Eigenständige Institute für Chirurgische Forschung sind viel eher von Anfang an automatisch gezwungen, sich in die Schwerpunkte der Klinik einbringen und ein geplantes und vernetztes Miteinander zu pflegen.
? Ein, zwei weitere wichtige Fragestellungen, wo Sie mehr Studien sehen möchten?
Momentan v. a. in der sog. Metabolischen Chirurgie, der Individualisierung der Karzinomchirurgi , der endoskopischen Chirurgie, der Diagnose und Therapie des schwerverletzten Patienten und der Transplantationschirurgie. Die Einrichtung des Studienzentrums der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (SDGC) an der Universität Heidelberg halte ich übrigens für einen der eher raren Fortschritte in der Chirurgischen Forschung der letzten 10 Jahre hierzulande. Dort werden solche Fragestellungen bearbeitet.
? Mitgetragen wird es von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie …
Ja. Und ergänzt wird es durch die BMBF-geförderte CHIR-Net-Struktur, ein Netzwerk, in dem wir an weiteren Standorten Klinische Studien koordinieren und durchführen können. Was den Bereich klinische Forschung angeht, sind wir über diese Regionalzentren heute in Deutschland schon ganz gut flächendeckend aufgestellt.
? Was ist eigentlich mit der berühmten Frage, ob man einen Blinddarm nun besser laparoskopisch entfernt oder in einer offenen Operation?
Das ist nicht nur beim Blinddarm nach wie vor in vielen Fällen offen. Dass es bei vielen Operationen einen Push in Richtung laparaskopische Verfahren gibt, ist auch das Resultat eines starken Einflusses der Medizinproduktehersteller. Immer noch fehlt es bei der Neueinführung von Methoden und Medizinprodukten an einer methodisch abgesicherten Innovationsführung. Der Grund ist der Erlaubnisvorbehalt in den Kliniken. Motto: Ich probiere mal, dann gehe ich an die Presse und werbe für das Neue. Schlüssellochchirurgie ist ein Beispiel dafür. Die Patienten kommen dann oft automatisch, weil viele Neues gut finden, da Neues scheinbar einen Fortschritt verspricht. Bestenfalls werden von den beteiligten Chirurgen dann die eigenen Fälle gesammelt, ausgewertet und bei brauchbarem Ergebnis als Fallserie publiziert. Treten allerdings Komplikationen auf, werden sie oft nicht publiziert. Das ist Cowboy- und Desperado-Verhalten, wie es selbst verantwortliche Chirurgen beschreiben.
? Was wäre stattdessen nötig?
Nach einem geordneten Schema vorzugehen. Erst Tests im Tierexperiment, dann valide Modelle dafür entwickeln, an denen man übt, bevor der erste Patient behandelt wird. Danach eine saubere klinische Prüfung in Innovationszentren und bei erfolgreicher Prüfung die Überwachung in der Breite der Anwendung durch bspw. Register. Wir wollen ja keine Innovationen verhindern, wohl aber dafür sorgen, dass Patienten keinen Schaden nehmen. Das geht nur, in dem man das systematisch macht. Wir haben einen Algorithmus entwickelt, nach dem sollte man sich verhalten (s. weitere Informationen).
? Zurück zur fehlenden Chirurgischen Forschung hierzulande. Ist die Situation im Ausland besser?
In den USA ist das Ausbildungssystem ein Stück weit anders und in diesem Punkt besser organisiert. Dort ist Forschung eingebaut in die Ausbildungsstrukturen, um Chirurg zu werden. Bei uns ist da Fehlanzeige. Weiterbildung und gute Forschung gehen bei uns nicht gleichzeitig. Ich wollte ein halbes Jahr Forschung als Option in die Musterweiterbildungsordnung einführen, habe dafür bei der BÄK und ihren Vertretern wiederholt geworben. Aber das hat leider nicht geklappt. Nur in wenigen Landesärztekammern, etwa im Saarland, ist es derzeit möglich, auch Forschungsaktivitäten als Teil der Weiterbildung anerkannt zu bekommen.
? Sie möchten generell die Möglichkeit schaffen, dass sich ein Arzt in der Weiterbildung, auch Forschungsaktivität im Leistungskatalog anrechnen lassen kann?
Genau. Zumindest ein halbes Jahr während des "Common Trunks" in den ersten 2 Jahren.
? … das ginge dann womöglich zulasten der handwerklichen chirurgischen Ausbildung, da jemand dann vermutlich dort weniger Operationen nachweisen müsste?
Und so ist im Grunde genommen auch gegen meinen Vorschlag argumentiert worden. Dennoch sage ich: Chirurgische Weiterbildung ohne vertiefende Kenntnisse in Chirurgischer Forschung – das geht gar nicht. Zumal an einer Universitätsklinik. Da muss die Option bestehen, in der Weiterbildung auch Forschung zu honorieren. Wir spüren das hier auch ganz direkt. Die Uni Witten/Herdecke schreibt gerade wieder Rotationsstellen aus für Ärzte in Weiterbildung, die forschen möchten. Wir zahlen dafür sogar den Krankenhäusern, aus denen die kommen, damit die quasi für die Fehlzeit eines Angestellten jemand anderes einstellen können. Doch kommen Kliniker nur selten zu uns, weil sie damit beschäftigt sind, ihren Operationskatalog anderswo voll zu kriegen. Es gibt zum Glück jenes eine Prozent, das weiter denkt, sich bewusst ist, dass man ohne Kenntnis in Forschung auch nicht wirklich gute Patientenversorgung hinbekommt. Aber anrechnen lassen können sich unsere Ärzte diese Zeit für ihre Weiterbildung dann eben nicht. Die legen sie aus freien Stücken drauf. Das müssen wir unbedingt ändern, die Bundesärztekammer weiß das auch, nur tut sich leider nichts.
? Der Gesundheitsforschungsrat hat im Dezember 2010 moniert, dass die Weiterbildungsordnungen derzeit Forschungsaktivitäten nicht honoriert.
Und nicht nur er. Die Kritik an den Strukturen fing bereits mit der DFG-Denkschrift von 1999 zur Situation der Klinischen Forschung [s. auch weitere Informationen] an und zieht sich durch viele Gutachten bis heute. Der Wissenschaftsrat hat ähnlich reagiert. BMBF und DFG haben außerdem zur Versorgungsforschung erste Programme ausgeschrieben. Aber es wird Zeit, diese und andere schöne Pläne auch umzusetzen.
Interview: BE
DFG und Klinische Forschung:
http://www.dfg.de/dfg_profil/gremien/senat/klinische_forschung/index.html
Paper zur Markteinführung von Innovationen:
EAES recommendations on methodology of innovation management in endoscopic surgery
E Neugebauer et.al. Surg Endosc
DOI 10.1007/s00464-009-0818-3
CHIR-Net:
http://www.chir-net.de
SDGC:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Organisation.6170.0.html
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