Z Orthop Unfall 2011; 149(2): 127-129
DOI: 10.1055/s-0031-1277601
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Interview – Geringe Nachfrage nach Sicherheitstraining: "Das wurmt einen schon?..."

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Publikationsdatum:
12. April 2011 (online)

 
Inhaltsübersicht

    Hartmut Siebert, Generalsekretär der DGU, erklärt, warum er Trainingskurse wie Safe-Trac zur präzisen Kommunikation am Unfallort und Schockraum für ganz wichtig hält, und weshalb es sie derzeit trotzdem allenfalls in abgespeckter Form gibt.

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    Professor Dr. med. Hartmut Siebert (Jahrgang 1943) engagiert sich seit den 90er-Jahren in der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), deren Generalsekretär er seit 2006 ist. Ein zentrales Thema ist für ihn die Fehlerminimierung in der Chirurgie. Sei es als Mitglied im Vorstand beim Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), sei es, indem er die Werbetrommel dafür rührt, dass Chirurgen den Sicherheitsgedanken Tag für Tag neu trainieren. Sein Engagement ist die Konsequenz aus eigenen Erfahrungen mit Fehlern während seiner Zeit als Leiter der Unfallchirurgie am Krankenhaus Schwäbisch Hall von 1985– 2008.

    ? Herr Siebert, Anfang Februar warb die DGU für eine neue Kursserie. Beim "Hand-Over-Team-Training" (HOTT) sollen Ärzte anhand konkreter Simulationen lernen, bei der Notfallversorgung besser zusammenzuarbeiten.

    Kann man so sagen.

    ? Tenor Ihrer Pressemeldung dazu war: Bis zu 80 % der Zwischenfälle in der Medizin gehen auf individuelles Fehlverhalten zurück. Dagegen helfe jetzt das neue Training, angelehnt an Konzepte aus der Luftfahrt. Was eher stutzig macht. Fast wortgleich hat die DGU zuletzt 2008 auch für eine längst bestehende Kursreihe geworben: Safe-Trac, für Safety in Trauma-Care. Wieso jetzt HOTT auf Safe-Trac? Haben Sie womöglich einfach umgetauft?

    Nein. Das sind und bleiben zwei verschiedene Kursformate mit verschiedenen Inhalten. Die Idee hinter beiden ist aber in der Tat, dass wir in konkreten Simulationen fehleranfällige Situationen üben. Und das ist etwas, was in der Luftfahrt eben Standard ist, bei uns noch nicht.

    ? Welche Situationen meinen Sie?

    Wir wissen, dass das Gros der Fehler in der Chirurgie in Kombination mit Aufmerksamkeits- und Kommunikationsstörungen passiert. Dazu kommt es besonders häufig in bestimmten Stresssituationen.

    ? Ein Beispiel?

    Im Schockraum versorgt das Team gerade ein Unfallopfer, laufend kommen neue Informationen rein, schon will das Rote Kreuz wissen, ob es den nächsten Patienten bringen kann, und zwischendrin bittet der Chirurg den Sanitäter, mal schnell noch dies und das in die Blutbank rüberzubringen. Und dann geht diese Info verloren, keiner weiß Bescheid und später wundert man sich, dass die nötigen Konserven nicht da sind.

    Oder, was ich selber erlebt habe, da wird gerade eine Humeruskopffraktur operiert unter Einsatz eines Zielgeräts, das ist ein Metallbügel, der vorübergehend beim Justieren auf die Platte geschraubt wird. Alles verläuft nach Plan, doch dann wird der Oberarzt zwischendurch ans Telefon gerufen, er muss dringend Röntgenbilder angucken, andere übernehmen die OP, die Assistentin sagt noch, Achtung, da ist noch das Zielgerät drin – doch prompt blieb es eben drin.

    ? Und was leistet jetzt Safe-Trac?

    Diese Kurse, die die DGU 2003 begonnen hat, zielen darauf ab, genau diese Extremsituationen zu üben. Um das klar-zustellen: Ich bin hierbei nicht Protagonist der ersten Stunde. Das waren vielmehr Kollegen aus einer damaligen DGU-Arbeitsgruppe Polytrauma, die auch heute noch den Kurs betreuen.

    Federführend wurde das Angebot im Institut für Notfallmedizin in München eingerichtet. Christian Lackner, Bertil Bouillon, Andreas Seekamp und Christian Waydhas sind heute Ansprechpartner für die Kurse.

    ? Was findet statt?

    Safe-Trac besteht aus 4 Modulen, Kursteilen, jeweils zu den Schwerpunkten Sicherheit im Schockraum, im Operationssaal, auf der Intensivstation und bei der Erstversorgung am Unfallort (siehe auch http://www.safe-trac.de). Zentrales Element ist, dass ein 6er-Team aus Teilnehmern und Trainern zusammengestellt wird, das nach einer Einführung mit Hintergrundinformation eine konkrete Situation durchspielt, bei der es zu Störungen kommt. Da kommen dann unverhoffte Anrufe rein, ein zweiter Notfall, während der erste noch gar nicht versorgt ist, und anderes mehr.

    Wichtig ist, dass ein Video der ganzen Situation angefertigt wird, das anschließend eine genaue Analyse erlaubt. Und dann kommen die Aha-Erlebnisse: Wo waren die kritischen Momente, wo war wer unaufmerksam, warum war er es, was kann er das nächste Mal besser machen ...?

    ? Wo findet das statt?

    In München, am Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der LMU. Es ist aber auch möglich, die Kurse zu buchen. Das Team an Trainern kommt dann vor Ort.

    ? Muss ich alle 4 Module belegen?

    Nein, zumal das Prinzip gleich ist. Trainieren von Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, der richtigen Kommunikation. Jedes Modul dauert 2 Tage, die Gebühren liegen bei 600 Euro. Hinzu kommen noch die Kosten für eine selbst zu organisierende Unterkunft.

    ? Wer ist der Adressat, Studenten?

    Nein. Ärzte, Assistenten, Oberärzte, auch Chefärzte.

    ? Sie können die Nachfrage sicher kaum bedienen? Patientensicherheit ist heute ein großes Thema.

    Nun ja. In Wahrheit fanden die Kurse bislang in München einige wenige Male statt. Dann noch ab und an als Inhouse-Angebot in ein, zwei anderen Krankenhäusern. Und als Kurzversion auch auf Kongressen, wo sie recht gut angenommen wurden.

    ? Insgesamt aber ein Flopp?

    Sagen wir mal so, wir müssen feststellen, dass die Empathie für unser Angebot bislang eher gering war. Natürlich bieten wir die Kurse weiterhin an. Eigentlich sollten sie quartalsweise stattfinden, sodass man in einem Jahr alle 4 Module belegen kann. Interessenten sollten sich derzeit am besten telefonisch an die DGU wenden.

    ? Warum ist die Nachfrage so gering?

    Ich kann nur Vermutungen anstellen. Wir stehen mittlerweile sicher in Konkurrenz zu Mitbewerbern. Condor z. B. bietet Vergleichbares an, allerdings v. a. für Kardiologen. Auch manche Universitäten haben heute ähnliche Übungen für Studenten und Ärzte. Wie viele es sind, da fehlen uns aber die Unterlagen.

    ? Mehr und mehr derartiger Kurse sind am Ende aber doch in Ihrem Sinne?

    Natürlich. Wenngleich ich sicher bin, dass die meisten Angebote nicht die Tiefe wie Safe-Trac schaffen.

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    Richtiges Verhalten in Extrem-Situationen: Das kann man üben ... (Foto: Thieme Verlagsgruppe).

    ? Vielleicht schrecken die Kosten ab?

    Denkbar, aber andere Angebote werden auch nicht viel günstiger sein. Fest steht, dass wir beim Preis eher drauflegen.

    ? Wer ist wir?

    Die Kurse werden heute offiziell von der Akademie der DGU angeboten. Ums Geld geht es dabei nicht. Es ist kein Geheimnis, dass die Akademie eher Sorge tragen muss, dass das Defizit nicht zu groß wird. Die Kurse sind derzeit mangels Nachfrage definitiv ein Zuschussgeschäft. Gerade Herr Lackner hat das Programm vorgestellt, wo immer wir das Thema Patientensicherheit in den letzten 3 Jahren hatten. Doch es hat wenig gezündet.

    ? Das bleibt seltsam – auf einschlägigen Tagungen und Kongressen, einschließlich DKOU, ist das Thema Sicherheit doch längst angekommen?

    Ja, aber das Umsetzen in die Praxis, das Bewusstsein, dass man für die Sicherheit unserer Arbeit genauso üben muss, wie für eine komplizierte Operationstechnik, das ist vielleicht noch nicht so verankert.

    Je jünger man ist, das weiß ich aus eigener Erfahrung, desto wichtiger sind einem die Technischen Skills. Man will v. a. wissen, wie man etwa an der Wirbelsäule operiert. Davon habe ich schließlich was. Im Vergleich dazu fallen die Human Skills, die Sicherheitskultur, Sicherheit durch Training der richtigen Kommunikation immer noch hinten runter. Es gibt zum Glück auch nicht jeden Tag eine Situation mit einem kritischen Ereignis. Vermutlich bleibt das Thema auch deshalb sekundär in der Wahrnehmung.

    Und vielleicht denken viele Kollegen, wir machen ja eh schon Besprechungen, Feedbacksysteme, Mortalitätskonferenzen und Qualitätszirkel. Das muss reichen.

    Wir haben unsererseits versucht, gewisse Lehren aus der mangelhaften Resonanz zu ziehen.

    ? Welche?

    Es wird sinnvoll sein, die Kurse zu komprimieren und, wenn nicht anders möglich, als Vorabprogramm vor großen Tagungen oder anderen Events anzubieten. Vor einem Kurs für Schockraummanagement etwa, bei dem man handwerkliche Dinge lernt, könnten wir einen abgespeckten Safe-Trac schalten, der maximal einen Tag dauert. Das Angebot steht.

    ? Wäre eine Implementierung von Safe-Trac als Teil der Weiterbildung ein Weg?

    Die Kurse sind bereits für die Fortbildung anerkannt. Pro Modul gibt es 25 CME-Punkte.

    Und ich bin sehr dafür, das Thema explizit auch in die Weiterbildungsordnung aufzunehmen. Andererseits bin ich gegen Zwangsmaßnahmen, man muss überzeugen können.

    Ärzte müssen von sich aus erkennen, dass es hier nicht darum geht, noch ein Modul abzuhaken, und später dann noch eins. Vielmehr ist Training von Kommunikation, Konzentration und Aufmerksamkeit genauso wichtig für uns Chirurgen im Alltag wie das Erlernen von Operationstechniken.

    ? Und jetzt kommt HOTT, was ist das?

    Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Schnittstelle "Übergabe des Schwerverletzten" im Schockraum ein besonders kritischer Moment ist. Und die soll dieses Programm in Simulationen trainieren. Jeder mit klaren Rollen: Du bist zuständig für die Identifikation, du für die Beruhigung der Angehörigen, du für das Legen eines Katheters. Zugleich muss jeder mitkontrollieren, dass sein Job wirklich komplett gemacht ist. Letzten Endes ist die Ähnlichkeit zu Safe-Trac groß.

    Die Initiatoren des Konzepts sind Peter Strohm und Norbert Südkamp aus Freiburg; mit dabei sind die DRF Luftrettung, unsere Akademie und das Tübinger Patientensicherheits- und Simulationszentrum TÜPASS von Markus Rall. HOTT dauert einen Tag, und kostet den Teilnehmer zwischen 200 und 300 Euro.

    ? Schon kürzer und preiswerter als Safe-Trac.

    Sicher. Wir sind aus Erfahrungen klug geworden.

    ? Die mäßige Resonanz auf Safe-Trac – wie steckt man das weg?

    Oh, das ärgert schon. Diejenigen, die sich mit viel Herzblut in die langen Diskussionen und Vorbereitungen eingebracht haben, hat das gewurmt. Ich bleibe aber optimistisch, dass solche Übungen mehr nachgefragt werden, denn das Thema Sicherheit wird immer wichtiger. Es vergeht ja keine Woche, ohne dass nicht über Fehler in der Medizin berichtet wird, die uns unterlaufen. Das wird sicher auch ein immer größeres Thema für die Geschäftsführungen der Krankenhäuser.

    ? Patientensicherheit hat viele Facetten. Auch die Meldesysteme, CIRS, gehören dazu. Warum gibt es dazu keine Kurse der DGU?

    Das muss man nicht in Simulationen üben. Dafür geht man ins Internet und schaut sich an, wie ein CIRS anderswo gemacht wird und baut es in der eigenen Klinik auf.

    ? ... Checklisten?

    ... sind bei Safe-Trac mit dabei. Auch der Team Time Out und die Patientenidentifikation.

    ? Verraten Sie uns noch, wann Safe-Trac und HOTT Kurse der DGOU sein werden und nicht mehr der DGU?

    Einige Kurse von DGU und DGOOC wollen wir in diesem Jahr bereits als DGOU-Kurse zusammen führen. Ich denke, wir werden das kurzfristig Schritt für Schritt machen.

    Unser gemeinsames Thema ist "Qualität und Sicherheit in Orthopädie und Unfallchirurgie". Es ist eine Initiative, die von Berufsverbänden und Fachgesellschaften getragen wird, um unter einem "Label" unsere vielen Projekte und Maßnahmen zu diesem Thema nicht nur für uns zu definieren, sondern auch der Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

    Interview: BE

     
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    Professor Dr. med. Hartmut Siebert (Jahrgang 1943) engagiert sich seit den 90er-Jahren in der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), deren Generalsekretär er seit 2006 ist. Ein zentrales Thema ist für ihn die Fehlerminimierung in der Chirurgie. Sei es als Mitglied im Vorstand beim Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), sei es, indem er die Werbetrommel dafür rührt, dass Chirurgen den Sicherheitsgedanken Tag für Tag neu trainieren. Sein Engagement ist die Konsequenz aus eigenen Erfahrungen mit Fehlern während seiner Zeit als Leiter der Unfallchirurgie am Krankenhaus Schwäbisch Hall von 1985– 2008.

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    Richtiges Verhalten in Extrem-Situationen: Das kann man üben ... (Foto: Thieme Verlagsgruppe).