Z Orthop Unfall 2011; 149(2): 125-126
DOI: 10.1055/s-0031-1276699
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Interview – Routinedaten für alle: "Eine Frage des politischen Willens!"

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Publication Date:
12 April 2011 (online)

 
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Professor Thomas Mansky von der TU Berlin wirbt dafür, vorhandene Routinedaten besser für die Qualitätssicherung zu nutzen und bei Bedarf zu ergänzen. Das sei derzeit besser als ein Aufbau gänzlich neuer Parallelstrukturen.

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Prof. Dr. med Thomas Mansky (Jahrgang 1953) war seit 2000 Leiter des Bereichs Medizinische Entwicklung der Helios-Kliniken GmbH, wo er in Zusammenarbeit mit dem WIdO der AOK im Projekt QSR die Entwicklung von Parametern für die Behandlungsqualität aus Routinedaten vorantrieb. Seit 2010 leitet er das Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der TU Berlin.

? Herr Mansky, auf dem deutschen Ärztetag 2010 hat ein Referent ein Projekt skizziert, das in einem Zombie-Status verharre. Was meinte er?

Naja, Zombie-Status war gar nicht von mir, sondern ein netter Begriff aus der Fachszene. Konkret ging und geht es mir um die § 303 a –f im SGBV, die bekanntlich seit dem Jahr 2004 vorsehen, dass Kassen und KBV dafür Sorge tragen, dass alle Routinedaten im Gesundheitswesen von einer zentralen Stelle zusammen geführt und anderen Akteuren für Forschungen zur Verfügung gestellt werden (siehe dazu auch den Haupttext). Und daraus wurde bislang nichts. Was wir sehr bedauern.

? Woran liegt es?

Es hapert zurzeit auf der politischen Ebene. Irgendwo fehlt der Wille, so etwas zu machen. Die Technik ist nicht das Problem. Wobei uns sehr wichtig ist, wie die Daten zusammen geführt werden. Es wäre ein Nachteil, wenn wir dafür die Datenbestände neu sammeln würden.

? Wieso, es geht doch gerade darum, dass die Routinedaten aus den verschiedenen Sektoren, stationär und ambulant zusammen geführt werden?

Ja, aber es stellt sich die Frage, auf welcher Ebene. Und da sagen wir, es macht keinen Sinn und ist viel zu aufwendig, einen Teil dieser Daten z. B. von den KVen, wieder einen anderen aus den Apothekenrechenzentren, wieder einen anderen von den Krankenhäusern oder den Kassen zu holen und dann einer zentralen Stelle zuzuführen. Dabei werden sich nur Fehler in den Datensätzen aufsummieren, die sich kaum mehr beheben lassen.

? Was soll stattdessen passieren?

Die Zusammenführung ist ja bei den Kassen schon passiert, man sollte diesen Weg ausbauen. Und vergleichsweise einfach, eben die Daten aller Versicherten aus allen Kassen zusammen führen.

? Und Fehlerprobleme in den Datensätzen stellen sich dabei nicht?

Doch. Aber die Kassendaten haben dabei einen großen Vorteil. Kassen können und müssen schon heute ihre Datenbestände hausintern prüfen und möglichst sauber jeweils einem Versicherten, alias einem Versichertenkennzeichen zuordnen. Nebenbei, auch datenschutztechnisch ist es viel besser, einfach nur den Datenpool der Kassen zusammen zu führen.

? Wieso das?

Wenn Sie ohne die Krankenkassen diese Sozialdaten von einer weiteren Stelle im Gesundheitswesen extern zusammen führen lassen, müssen Sie die Personen alle reidentifizieren. Sie müssen Jahr um Jahr die Daten ein- und derselben Person neu zusammen führen.

Das schafft einen großen Aufwand für die nötige Pseudonymisierung. Ein Trust-Center müsste fortlaufend neu unter strikter Beachtung von Datenschutz die Daten eines Versicherten zusammen führen und pseudonymisieren. All das können Sie sich sparen, denn auf Ebene der Kassen ist das ja bereits schon passiert.

? Ist der Datenschutz denn auf Kassenebene gewährleistet?

Die Kassen nehmen das sehr genau. Nach Anonymisierung könnten unter Anwendung entsprechender Zugangsregeln alle interessierten Stellen unter Beachtung der Datenschutzbestimmungen damit arbeiten. Das WIdO hat auch QSR mit dem Datenschutzbeauftragten strikt abgesprochen.

? Stichwort QSR, alias Qualitätssicherung der stationären Versorgung mit Routinedaten. Skizzieren Sie uns kurz das Projekt?

Bei Helios hatten wir seit 2000 Indikatoren für die Qualität der Behandlung in unseren Krankenhäusern entwickelt. Was uns aber fehlte, waren Langzeitdaten. Wie geht es den Patienten mit neuer künstlicher Hüfte, lange nachdem sie das Klinikum verlassen haben? Oft sehen Sie die Patienten ja nicht wieder.

Zumal ein Patient, der nach Implantation eines künstlichen Hüftgelenks Probleme bekommt, womöglich aus gutem Grund in ein anderes Krankenhaus geht. Das erst-operierende Haus sieht ihn dann nicht wieder. Schlecht gerade dann, wenn ein Haus sich um die eigene Qualität bemüht.

Deswegen sind wir damals auf die AOK zugegangen und haben QSR entwickelt, denn auf Ebene der Kasse gibt es eben diese Daten.

? ... sie hat die Langzeitdaten ...

Ja, sie kann das Schicksal einer über Diagnosen und Prozeduren definierten, anonymisierten Patientengruppe verfolgen – über Jahre und die Grenzen der Sektoren hinweg.

? Bleibt das Problem, dass auch QSR bei der Implantation von künstlichen Gelenken nichts zur Qualität der verschiedenen Prothesentypen am Markt sagen kann.

Ja, das lässt sich aber sehr leicht ändern. Wir müssten dafür nur einen standardisierten Barcode, den die einzelnen Implantate auf der Verpackung tragen sollten und der mindestens die Angabe des Herstellers, Art der Prothese und Seriennummer enthalten muss, mit den Routinedaten zusätzlich erfassen.

Wer soll das wo eingeben?

Die Operationssäle haben heute oft schon Barcode-Lesegeräte, mit denen sie diesen Strichcode leicht eingeben könnten, wie an der Supermarktkasse. Wir müssten nur in den Routinedatensatz, den die Krankenhäuser ohnehin nach § 301 an die Kassen geben, ein Zusatzfeld einbauen.

? Wer kann das festlegen?

Das müsste die Selbstverwaltung machen, Kassen und Krankenhäuser, in einer Durchführungsvereinbarung zum § 301. Eventuell auch nach Ergänzung des § 301 durch den Gesetzgeber. Der Aufwand wäre auf jeden Fall geringer als ein separates Endoprothesenregister einzurichten.

? ... an dem DGOOC mit AOK und vdek derzeit arbeiten.

Ich weiß nicht genau, was geplant ist und halte mich daher mit Kommentaren zurück. Ich bin mir aber sicher, dass eine kluge Lösung auch hier Routinedaten nützt.

Allein schon wegen des zeitlichen Vorlaufs. Aus Routinedaten lassen sich heute schon 5 Jahre an Nachverfolgung bei künstlichen Hüften leisten. Im nächsten Jahr 6, und so fort. Wenn Sie jetzt mit einem Hüftgelenksregister starten, hätten Sie vielleicht um 2017 das, was mit QSR jetzt schon geht. Ich sage: Bauen wir besser die Routinedatensätze aus.

Natürlich gibt es dazu Konflikte, denn es geht eben auch um die Frage, wer die Datenhoheit hat. Das QSR-Verfahren ist in gewissem Sinne eine Revolution gewesen. Früher mussten die Kassen zu den Ärzten gehen und sagen, könnt ihr uns mal eine Qualitätsauswertung liefern? Mit QSR nützen die Kassen zur Qualitätssicherung gleich die Daten, die sie haben. Das ist durchaus eine Machtverschiebung.

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Foto: Klicker/pixelio.de

? Zugleich spielt die Musik derzeit noch ganz anderswo. Parallel hat der G-BA nach dem § 137 im SGB V im letzten Jahr das AQUA-Institut beauftragt, eine sektorenübergreifende Qualitätssicherung neu einzurichten ...

Die Arbeit von AQUA ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Allerdings ist es manchmal so, dass die Politik sehr in Schubladen denkt. Eine für Qualitätssicherung, eine für Versorgungsplanung und noch eine für Abrechnungen und Vergütungssystematik. DRG etc. ... Für jede gibt es dann eigene Regelungen im SGBV.

Dabei geht es am Ende hier vielfach um die Auswertung immer der gleichen Daten. Es wäre auf jeden Fall am ökonomischsten, wir bauen jetzt zunächst mal die Arbeit mit Routinedaten aus.

? Kritiker meinen, Routinedaten erlaubten oft doch nicht, wirklich die medizinische Qualität zu beurteilen.

Natürlich fehlen bislang viele medizinische wichtige Informationen. Aber die Routinedatensätze ließen sich ja erweitern. Sie könnten neue Codes einbauen, weitere Felder einbauen und das gelingt ja auch. So war beim QSR-Projekt eines der ersten Zwischenergebnisse, dass die AOK die Einführung eines Seitenindikators gefordert hat. Bis 2005 wurde im alten OPS nur codiert, dass ein Hüftgelenk eingebaut wurde, aber nicht auf welcher Seite. Seit 2005 gibt es eine Seitenangabe – daher lassen sich Revisionsoperationen bei Patienten, die bereits auf beiden Seiten versorgt sind, erst seither auch in Routinedaten klar zuordnen. Bei einem Register, keine Frage, können Sie andererseits den Fragebogen neu festlegen. Das ist ideal, ein großer Vorteil. Doch die hehre Absicht läuft in der Praxis in der Regel ins Leere.

? Wieso?

Je länger Sie den Fragebogen machen, desto geringer die Bereitschaft, ihn akkurat auszufüllen. Und denken Sie auch an die Langzeiterfassung. Wenn Universitäten Nachuntersuchungen machen, Hausärzte anschreiben, nach ihren Patienten fahnden, dann sind Rücklaufquoten von 40 bis 60 % schon gut. Routinedaten haben hingegen eine Langzeiterfassungsquote von fast 100 %.

Natürlich müssen Spezialisten Routinedaten bewerten. Daher ist es ganz wichtig, dass nicht mehr nur Kassen, sondern auch Fachgesellschaften, die Bundesärztekammer, Forscher an Hochschulen und anderen Instituten einen einfachen Zugriff auf Routinedaten bekommen.

? Sie können doch weiterhin mit den Daten des WIdO bei QSR arbeiten?

Das können wir als Hochschule direkt gar nicht. Zurzeit sind Auswertungen à la QSR etwas, was die AOK und andere Kassen quasi monopolistisch zur Verfügung haben. Wir können mit den Daten nur in Kooperationsprojekten arbeiten. Auch wenn wir mit den Kassen immer gut zusammen gearbeitet haben: Der § 303 a–f muss unbedingt umgesetzt werden.

? Eines Ihrer Arbeitsgebiete sind German Inpatient Quality Indicators (G-IQI), was ist das?

Es sind Kennzahlen zur Qualität im Krankenhaus, die sich aus Routinedaten einer Klinik berechnen lassen. Die Krankenhäuser können die G-IQI-Kennzahlen direkt aus den eigenen Datenbeständen generieren – ohne Zusatzaufwand. Über 120 Krankenhäuser in der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) nutzen diese Parameter. Teil von IQM ist außerdem, dass die Werte veröffentlicht werden. Insgesamt schätzen wir, dass in Deutschland mindestens 400 Krankenhäuser diese Zahlen haben. In der Schweiz werden diese Indikatoren bereits offiziell vom dortigen Bundesamt für Gesundheit eingesetzt.

Interview: BE

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Prof. Dr. med Thomas Mansky (Jahrgang 1953) war seit 2000 Leiter des Bereichs Medizinische Entwicklung der Helios-Kliniken GmbH, wo er in Zusammenarbeit mit dem WIdO der AOK im Projekt QSR die Entwicklung von Parametern für die Behandlungsqualität aus Routinedaten vorantrieb. Seit 2010 leitet er das Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der TU Berlin.

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