physiopraxis 2011; 9(3): 20
DOI: 10.1055/s-0031-1275415
physiowissenschaft

Zulassung eines Medikaments – Nach Phase III auf den Markt

Jan Mehrholz
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Publication Date:
18 March 2011 (online)

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Bis nachgewiesen ist, dass ein neues Medikament wirksam und unbedenklich ist, muss es drei Studienphasen durchlaufen. Diese Phasen tauchen auch bei physiotherapeutischen Studien auf – obwohl sie selten notwendig sind.

Die 62-jährige Herta Knorr leidet seit Jahren an einer Kniegelenkarthrose. Beim morgendlichen Zeitungslesen fällt ihr eine Annonce auf: „Probanden mit chronischen Knieschmerzen als Testpersonen für neues Medikament (Hyalond) im Rahmen einer klinischen Phase-III-Studie gesucht!” Nun ist Herta Knorr hellwach. Vielleicht könnte ihr dieses Medikament ja helfen! Aber eigentlich ist sie doch kein Versuchskarnickel. Und was bedeutet überhaupt „Phase III”? Sie fragt ihre Physiotherapeutin Charlotte Kern.

Bezüglich der Studienphasen muss Charlotte recherchieren. Sie erfährt, dass Phase III die letzte Stufe ist, bevor ein Medikament zugelassen wird. In dieser klinischen Phase müssen die Forscher insbesondere Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit an einer großen Patientengruppe nachweisen. Oft verwenden sie dafür doppelt verblindete, randomisierte kontrollierte Studien. Hat sich bestätigt, dass das neue Arzneimittel einen Nutzen gegenüber der Standardbehandlung bringt, stellt der Hersteller einen Zulassungsantrag bei den entsprechenden Behörden.

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Ein neues Behandlungsverfahren oder Medikament zu entwickeln, braucht Zeit, Geduld und System. Bis eine neue Intervention endgültig zugelassen wird, durchläuft sie mehrere Phasen.

Tabelle nach: Bernhardt J. Sehr frühe Mobilisation nach Schlaganfall. neuroreha 2010; 4: 153–159

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Präklinik: Test im Labor

Nun ist Charlotte neugierig geworden, wie die anderen Phasen davor aussehen: Haben Forscher einen neue Wirkstoff entwickelt, prüfen sie ihn zunächst in sogenannten präklinischen Untersuchungen – beispielsweise im Labor bzw. im Tierversuch. Anhand dieser Testreihen charakterisieren sie die genaue Wirkung der neuen Substanz und schließen unerwünschte Wirkungen so weit wie möglich aus. Nur diejenigen Wirkstoffe, die sich dabei als sicher und erfolgversprechend erwiesen haben, dürfen anschließend in einer klinischen Studie am Menschen geprüft werden.

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Klinik: Test an kleinen Gruppen

Der nächste Schritt ist die Phase-I-Studie. In ihr kontrollieren die Forscher die Sicherheit des neuen Arneimittels an einer kleineren Gruppe aus bis zu 100 gesunden Teilnehmern. In dieser ersten klinischen Prüfung testet man die Dosierung, die Wirkstoffaufnahme und -verteilung sowie den Medikamentenabbau im Körper. Auf den Ergebnissen der Phase-I-Studie bauen die Phase-II-Studien auf, bei denen das Medikament erstmals an Erkrankten erprobt wird. Hier überprüft man unter anderem die Wirksamkeit, die Dosierung und die Nebenwirkungen des Präparats.

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Physiotherapie kann auf Phasen verzichten

Charlotte ist verwirrt. Sie weiß, dass in physiotherapeutischen Studien meistens das Ziel ist, herauszufinden, ob eine Intervention wirksam und sicher ist. Aber Nebenwirkungen zum Beispiel fallen ja normalerweise keine an. Warum findet man im Titel mancher physiotherapeutischen Studien dann ebenfalls Bezeichnungen wie „Phase II” oder „Phase III”?

Genaugenommen ist das gar nicht notwendig. Denn physiotherapeutische Studien zählen zu den sogenannten „nichtkommerziellen”. Damit unterliegen sie in Deutschland weder dem Arzneimittelgesetz (AMG) noch dem Medizinproduktgesetz (MPG), die die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten regeln – und müssen damit auch die einzelnen Studienphasen nicht durchlaufen. Auch bei ausländischen Physiotherapiestudien ist es in der Regel nicht nötig, Phasen zu nennen. Doch es gibt Ausnahmen: Denkbar könnte beispielsweise sein, dass eine große Probandenzahl eine Zwischenauswertung notwendig macht, die die Autoren dann als „Phase II” bezeichnen. Manchmal besteht auch die lokale Ethikkommission auf eine solche Unterteilung. Aber es ist auch möglich, dass es einfach gut ausschaut, wenn „Phase III” im Titel einer Studie auftaucht…

Nachdem Herta Knorr erfahren hat, was sich hinter „Phase III” verbirgt, hat sie sich bereiterklärt, an der Studie teilzunehmen. Ihrem Knie geht es auch schon besser. Was sie nicht weiß: Sie ist in der Plazebogruppe gelandet…

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Ein neues Behandlungsverfahren oder Medikament zu entwickeln, braucht Zeit, Geduld und System. Bis eine neue Intervention endgültig zugelassen wird, durchläuft sie mehrere Phasen.

Tabelle nach: Bernhardt J. Sehr frühe Mobilisation nach Schlaganfall. neuroreha 2010; 4: 153–159