Psychiatr Prax 2011; 38(2): 101-102
DOI: 10.1055/s-0031-1275224
Mitteilungen der ACKPA

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Tagungsbericht

Further Information

Publication History

Publication Date:
10 March 2011 (online)

 
Table of Contents

Verantwortlich für diese Rubrik: Karl H. Beine, Hamm

#

ACKPA-Jahrestagung 2010 in Ludwigshafen vom 4.-6.11.2010: Was ist gute Gemeindepsychiatrie?

Die diesjährige ACKPA-Tagung fand vom 4.-6.11.2010 in Ludwigshafen statt. Unter dem Titel "Was ist gute Gemeindepsychiatrie?" versammelten sich gut 100 leitende Kolleginnen und Kollegen aus psychiatrisch-psychotherapeutischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern. Traditioneller Beginn der vom Ludwigshafener Hausherrn Herrn Breitmaier hervorragend organisierten Tagung war das Abendessen am Vorabend - bei Tisch kann man ja bekanntlich über alles sprechen – und so liegt denn der Wert dieser Treffen auch in den ehrlichen und ungeschminkten Berichten bei Tisch und in der Pause, wie es den anderen in ihren Abteilungen denn wirklich geht. Neben dem Dauerbrenner Personalgewinnung im ärztlichen Bereich plagen Kolleginnen und Kollegen dabei zunehmend Fragen der "Querfinanzierung", deren Selbstverständlichkeit für die jeweiligen Geschäftsführungen angesichts Unterdeckung im somatischen Bereich den Ton mancherorts erheblich verschärft. Dass der eigentliche Inhalt und die Komplexität unserer Arbeit sich nicht in einer der Betriebswirtschaft einfach zu vermittelnden logischen Abfolge einzelner Prozeduren darstellen lässt, an deren Ende definierte Gesundheit steht, erscheint auch auf politischer Ebene eines der größten Probleme derzeit zu sein. Wenn es denn - und ich sage das bewusst - "die andere Seite" überhaupt interessiert. Das böswillige Gerede von der "black box" Psychiatrie negiert einerseits die Tatsache, dass sich mittels der vielerorts MDK-überprüften und bestätigten PsychPV-Einstufung letztlich minutengenau ausrechnen lässt, was in unseren Kliniken tagtäglich gearbeitet wird, zeigt aber auch die naive Hoffnung, dass die als Ergebnis häufig extrem komplexer psychosozialer Problemlagen sich manifestierenden seelischen Erkrankungen für Laien und damit die Gesellschaft beherrschbar würden.

Mit Sorge wurde auch registriert, dass im abgelaufenen Jahr einige Kolleginnen und Kollegen ihre Posten räumen mussten, ein früher extrem ungewöhnlicher Vorgang. Soweit herauszuhören war, ging es dabei oft um Personalausstattungsfragen und damit die Qualität der Arbeit der Abteilungen, für die juristisch und moralisch immer nur die ärztliche Leitung gerade stehen muss.

Inhaltlich im Untertitel der Tagung stand als Motto "Spezialisierung – aber richtig". Dass die Psychiatrie lange Zeit demütig im Kreise der übrigen medizinischen Disziplinen um Aufnahme bitten musste, setzt sich nunmehr in einer zweiten Phase fort. In der Somatik geht der Trend seit Jahren hin zu einer zunehmenden Spezialisierung. Dies wird als Fortschritt empfunden und ist es sicherlich auch in vielen Bereichen, die Schattenseiten dieser Entwicklung zeigen sich aber auch dann deutlich, wenn von einer individuumszentrierten Perspektive aus die Gesundheit – das Heilsein - des ganzen Menschen zunehmend in den Hintergrund rückt. Der ärztliche Direktor eines der größten Klinikverbünde in Deutschland hat kürzlich öffentlich dafür plädiert, an seiner Großklinik "Hausärzte" anzusiedeln, die den Patienten beistehen sollten, die immer das Gefühl hätten, "durch eine Maschine gedreht worden zu sein und überhaupt nichts mehr zu verstehen".

Die Psychiatrie steht derzeit in der Gefahr, erneut das Haupt zu beugen und um ihrer vermeintlich fehlenden Anerkennung willen als "echte medizinische Disziplin" im Kreise der anderen diesen Spezialisierungstrend mitzumachen. Mancherorts werden bereits psychiatrische "Intensivstationen" eröffnet. Die Tagung in Ludwigshafen hat sich deswegen der Frage gewidmet, wie denn das richtige Maß an Spezialisierung gefunden werden kann, denn natürlich haben wir u.a. im Bereich der Psychotherapie in den letzten 10 Jahren eine sinnvolle und nützliche Spezialisierung erlebt.

Nach den Grußworten von Ministerium und Stadt Ludwigshafen war es ACKPA wichtig, Herrn Prof. Gaebel als Vertreter der DGPPN und Frau Dr. Hauth als Vorsitzende der BDK zu Grußworten einzuladen, die zu den bereits skizzierten Themen Stellung nahmen. In seiner Einführung führte Prof. K. Beine, der Sprecher des Arbeitskreises aus, dass Spezialisierung in der Gemeindepsychiatrie sich eben nicht erschöpfen kann in der Anwendung therapeutischer Techniken allein. Spezialisierung in der Gemeindepsychiatrie muss umfassender sein: Sie schließt die räumlichen bzw. organisatorischen Voraussetzungen und die Kompetenz der einzelnen Mitarbeiter ein, individuelle Entstehungsbedingungen und Kausalitäten zu erkennen und bei Diagnostik und Therapie, Vor- und Nachsorge das persönliche Lebensumfeld einzubeziehen. Das Ziel muss eine individualisierte Behandlung mit personeller Kontinuität sein, unabhängig davon, ob ein Patient zu Hause oder in der Klinik schläft. Ob es gelingen wird, in der politisch-öffentlichen Diskussion über das neue Entgeltsystem denn auch als Psychiatrie mit einheitlicher Stimme zu sprechen, und nur das wäre für die Politik überzeugend, erscheint derzeit nicht sicher. Aus Abteilungssicht ist auch die Frage, inwieweit sich die Bedürfnisse unserer Patientinnen und Pateinten in einer gemeinsamen Plattform unter dem Dach der DGPPN sicher berücksichtigen lassen, ungeklärt.

In drei Vorträgen untersuchten dann Udo Schneider aus Lübbecke, Martin Roser aus Nürtingen und Sabine Herpertz aus Heidelberg, wie denn für die Themen Sucht, Demenz und Persönlichkeitsstörungen eine "richtige Spezialisierung" im gemeindepsychiatrischen Arbeiten aussehen könnte. Dabei sind natürlich insbesondere lebensweltnahe Vernetzungen von großer Bedeutung, die aus Abteilungssicht aufgrund kurzer Wege problemlos realisiert werden können. Neben ambulant tätigen und damit die Betroffenen in ihrem ja auch salutogenetischen Umfeld belassenden Spezialdiensten für ältere oder suchterkrankte Menschen bilden in der Klinik spezialisierte überstationär angebotene gruppenpsychotherapeutische Angebote für die verschiedenen Störungsbilder die Entwicklung ab.

Die Mitgliederversammlung der ACKPA nach der Mittagspause beschäftigte sich in zeitlich angemessener Weise mit dem Thema OPS: wie ist der Stand der Einführung, gibt es IT-Lösungen, was wird wie codiert und wer ändert seine Therapiepläne etc. Wichtig war auch die Frage, inwieweit die Politik noch für eine wesentliche Änderung des Systems zu gewinnen ist. Eine Expertenanhörung im Gesundheitssausschuss des Bundestages wäre dafür eine mögliche und sinnvolle Plattform, um diese zu erreichen, sollte jeder in seinem Wahlkreis den jeweiligen Bundestagsabgeordneten gezielt ansprechen.

Im ACKPA-Vorstand gab es 2 Veränderungen: Ingrid Munk schied wegen zusätzlicher beruflicher Verpflichtungen in Berlin aus, für sie wurde Claudia Birkenheier aus Völklingen gewählt. Der Vorsitzende Karl Beine dankte Ingrid Munk für ihre langjährige Arbeit. Außerdem wurde Arno Deister aus Itzehoe in den Vorstand gewählt, er wird zukünftig ACKPA im DGPPN-Vorstand vertreten.

Am Abend bestaunten wir im Wilhelm-Hack-Museum die Linsenkästen von Mary Bauermeister, die in den 60er-Jahren einen völlig neuen Umgang mit dem Medium Bild propagierte. Sie sorgte mit ihren sog. Linsenkästen in der Kunstwelt für Furore. Das anschließende Abendessen schmeckte inmitten der Kunst eingenommen besonders gut.

In der Kommende-Tagung am Samstag stellte Christian Kieser aus Potsdam die offensichtlich äußerst fruchtbare Arbeit mit psychiatrieerfahrenen Genesungsbegleitern im multiprofessionellen Team dar. Felix Böcker aus Naumburg referierte über die Versorgungslücke schwer chronisch kranker Patienten, deren notwendige Krankenhausbehandlung durch ein BSG Urteil vom 27.9.2007 in der Finanzierung bedroht wird. Ingrid Munk aus Berlin-Neukölln stellte abschließend den Verlauf der Suizidstatistik in der Neuköllner Klinik über die letzten zehn Jahre dar.

Abschließend lud Karl Beine zur Frühjahrstagung nach Kassel am 14.3.2011 und zur nächsten Herbsttagung vom 3.-5.11.2011 nach Völklingen ein.

M. Roser, Nürtingen