Z Orthop Unfall 2010; 148(6): 630
DOI: 10.1055/s-0030-1270271
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Knietotalendoprothesen – Die postoperative Beinachse hat keinen Einfluss auf das Implantatüberleben

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Publication Date:
15 December 2010 (online)

 
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Die korrekte Einstellung der mechanischen Beinachse gilt in der Knieendoprothetik als essenzielle Voraussetzung für eine gute Funktion und das lange Implantatüberleben. In dieser Diskussion werden zuletzt auch zunehmend Navigationssysteme für die Verbesserung des Alignments eingesetzt. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es nun zu überprüfen, ob die korrekt rekonstruierte mechanische Achse wirklich einen Effekt auf das Langzeitüberleben der Knieendoprothesen hat.
Effect of postoperative mechanical axis alignment on the fifteen-year survival of modern, cemented total knee replacements. J Bone Joint Surg Am. 2010;92:2143 – 2149

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Methodik

Ein Kollektiv aus 398 primären, zementierten Knietotalendoprothesen, die in der Zeit von 1985 – 1990 implantiert wurden, wurde retrospektiv bez. ihrer präoperativen und postoperativen Beinachse ausgewertet. Es wurde eine Gruppe mit mechanisch korrekter Beinachse von 0° ± 3° gegenüber den Prothesen mit einer Beinachse außerhalb dieser Grenze verglichen. Die beiden Gruppen wurden per Kaplan-Meier-Kurve bez. der im Kollektiv durchgeführten Revisionen untersucht.

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Ergebnis

Zum Zeitpunkt der letzten Nachuntersuchung, 15 Jahre nach der Primärimplantation, waren in der Gruppe mit der mechanisch korrekten Beinachse 45 (15,4 %) der 292 Implantate revidiert worden (ungeachtet des Grundes), während in der Gruppe außerhalb des 3°. Intervalls 14 (13 %) der 106 Implantate revidiert wurden (p = 0,88). In Bezug auf die Revisionsursache ergibt sich, dass 27 (9,2 %) der 292 mechanisch korrekt eingestellten Implantate aufgrund von aseptischer Lockerung, mechanischer Ursachen, eines PE-Verschleißes oder Patellaproblemen reoperiert wurden, während dies für 8 (7,5 %) der 106 übrigen Implantate zutraf (p = 0,88).

Dr. med. Tilman Calliess
Orthopädische Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Email: tilman.calliess@ddh-gruppe.de

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Kommentar

Die Studie zeigt überraschenderweise, dass die korrekte Rekonstruktion der mechanischen Achse auf 0° ± 3° keinen relevanten Einfluss auf die Revisionshäufigkeit oder das Langzeitüberleben bis 15 Jahre nach Knieendoprothesen-Implantation hat. Damit ist der aktuellen Diskussion um die Notwendigkeit der Navigation in der Knieendoprothetik, die ihren Benefit in der genaueren Einstellung der Beinachse sieht, neuer Stoff gegeben.

Allerdings muss in diesem Zusammenhang auf die Limitationen der Studie eingegangen werden. Beispielsweise wurde das Kollektiv streng dichotom betrachtet und eine theoretisch zulässige Abweichung von ± 3° zur mechanischen Achse festgesetzt. Die Autoren merken an, dass evtl. bereits dieses Referenzintervall zu weit gewählt ist, um signifikante Unterschiede feststellen zu können. Oder es ist gar eine individuelle Beinachseinstellung notwendig. Methodisch bleibt zu kritisieren, dass die verwendete Achsbestimmung anhand der a.-p. Röntgenaufnahmen nicht zuletzt durch die Rotation einer signifikanten Fehlerquelle unterworfen ist, was hier nicht ausreichend berücksichtig wurde.

Ebenso fließen keinerlei klinische Daten der Patienten in die Studie ein. So bleibt die Frage offen, ob die mechanisch korrekte Beinachse eine bessere Funktion oder einen zufriedeneren Patienten ergibt.

Zusammenfassend scheint die korrekte Rekonstruktion der mechanischen Tragachse nicht das entscheidende Kriterium für eine lange Prothesenstandzeit zu sein. Nichtsdestotrotz ist der Umkehrschluss, dass die Beinachse keinerlei Einfluss auf die Prothesenfunktion hat, aus diesen Daten sicher nicht herzuleiten. In der Knieendoprothetik besteht nicht zuletzt aufgrund der biomechanischen Forschung weiterhin die Empfehlung, eine neutrale mechanische Beinachse einzustellen.

Weitere Forschung sollte ihren Fokus auf die tolerable Abweichung zu diesem theoretischen Wert legen.

Dr. med. Tilman Calliess

 
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