Der Klinikarzt 2010; 39(7/08): 369
DOI: 10.1055/s-0030-1265255
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10 Jahre "Orphan Drug Act" – An Seltenes zu selten gedacht

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Publication Date:
23 August 2010 (online)

 
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Bei der Behandlung von Patienten mit (sehr) seltenen Erkrankungen liegt angesichts limitierter Therapieoptionen zwar auch heute noch vieles im Argen. Gleichwohl hat sich die Lage - nicht zuletzt infolge des vor 10 Jahren auch in Europa verabschiedeten "Orphan Drug Acts" - spürbar gebessert. Seither kommen immer mehr Arzneimittel auf den Markt, mit denen auch an seltenen Krankheiten wie Morbus Gaucher, Morbus Pompe etc. leidende Patienten behandelt werden können. Dies setzt jedoch voraus, dass diese Erkrankungen zuallererst einmal diagnostiziert werden.

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Bis zur Diagnosestellung vergehen mehr als 10 Jahre

Bis bei den sogenannten Orphan Diseases erst einmal die richtige Diagnose gestellt wird, gehen im Schnitt mehr als 10 Jahre ins Land. Warum das so ist, hat Prof. Dr. Claus Niederau, Oberhausen, bei einem von Genzyme veranstalteten Pressegespräch am Beispiel des Morbus Gaucher auf den Punkt gebracht: Die Krankheit ist eigentlich leicht zu diagnostizieren, aber "man muss daran denken". Die Gefahr, solche seltenen Erkrankungen erst gar nicht ins (diagnostische) Kalkül zu ziehen, liegt gewissermaßen in der Natur der Sache: Sie tauchen im ärztlichen Alltag selten bis gar nicht auf.

Als Orphan Disease gilt eine Krankheit per definitionem zwar nur dann, wenn weniger als 5 von 10 000 EU-Bürgern darunter leiden. Alles in allem sind diese seltenen Erkrankungen paradoxerweise aber doch gar nicht so selten. So leiden zwar immer nur wenige Menschen an jeder einzelnen Orphan Disease - gleichwohl summiert sich die Gesamtzahl der Betroffenen nach Dr. Renate Dörner von Genzyme aber auf immerhin fast 4 Millionen in Deutschland und 30 Millionen in der EU.

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EU-Verordnung für Orphan-Drugs will Abhilfe schaffen

Die meisten Orphan Diseases haben viel gemeinsam: Sie verlaufen chronisch und gehen häufig mit einer drastisch verkürzten Lebenserwartung einher. Und fast immer mangelt es an medikamentösen Therapieoptionen. Hier Abhilfe zu schaffen, war das erklärte Ziel der vor 10 Jahren verabschiedeten europäischen Verordnung für Orphan-Drugs. Angestrebt wurde mit dieser Verordnung in erster Linie eine vereinfachte Zulassung und Vermarktung derartiger "Waisen-Medikamente". Ein 10-jähriges Marktexklusivitätsrecht, kostenlose wissenschaftliche Beratung durch die europäische Zulassungsbehörde und reduzierte Zulassungsgebühren sollten helfen, den bis dato vernachlässigten Markt zu beleben. Die Rechnung scheint aufzugehen: Zum jetzigen Zeitpunkt sind in der EU 59 "OD-Präparate" zugelassen und rund 700 weitere Projekte sind bei der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) angemeldet.

Im Biotechnologieunternehmen Genzyme stehen schon seit den frühen 1980er Jahren seltene und ultraseltene Erkrankungen (1/100 000) im Zentrum des Interesses. Erster Forschungsschwerpunkt war der Morbus Gaucher.

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Morbus Gaucher: ein Forschungsschwerpunkt

Aufgrund eines genetisch bedingten Enzymmangels können beim Morbus Gaucher bestimmte körpereigene Substanzen (Glukozerebroside) nicht verstoffwechselt werden. Sie werden stattdessen im Organismus gespeichert. Mögliche Folgen: Es kommt zu mitunter gigantischen Vergrößerungen von Milz und Leber, diversen Knochenerkrankungen und es stellt sich eine ausgeprägte Leistungsschwäche ein. Insbesondere erkrankte Kinder sind infolge von Wachstumshemmung, ständig drohenden Knochenkomplikationen und rascher Ermüdbarkeit in ihren schulischen, sportlichen und sozialen Aktivitäten erheblich gehandicapt (Tab. [1]).

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Tab. 1 Häufige Fehldiagnosen bei Gaucherkrankheit.

Der Plan, die Erkrankung durch eine dauerhafte Substitution des defekten Enzyms Glukozerebrosidase in den Griff zu bekommen, führte schnell zum Ziel. Das erste von Genzyme entwickelte, schon 1985 in Amerika als Orphan Drug eingestufte Enzympräparat zur Therapie des Morbus Gaucher wurde zunächst aus menschlicher Plazenta gewonnen und später rekombinant hergestellt (Cerezyme®). Unter der Enzymersatztherapie kommt es zum Rückgang von Milz- und Lebervolumen, zur Abnahme der Knochenschmerzen und -krisen sowie zu einer Zunahme von Hämoglobin und Thrombozyten. Zu dieser alle 2 Wochen per Infusion verabreichten Enzymersatztherapie befindet sich derzeit noch eine orale Alternative in der klinischen Prüfung: Eliglustat. Die Wirksamkeit dieser auf dem Prinzip der Substrathemmung basierenden Therapieoption erreicht ähnliche Dimensionen wie die Enzymersatztherapie, berichtete Niederau unter dem Hinweis auf die kürzlich veröffentlichten 2-Jahresdaten einer Phase-II-Studie.

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Pionier auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen

Genzyme gehört zu den weltweit führenden Biotechnologie-Unternehmen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat Genzyme eine Vielzahl bahnbrechender Therapien auf den Markt gebracht und setzt dort den Schwerpunkt auf die lysosomalen Speicherkrankheiten. Daneben gehören die Behandlung von nephrologischen und kardiovaskulären Krankheiten, Autoimmun-, hämatoonkologischen Erkrankungen sowie orthopädische Anwendungsbereiche zum Forschungs- und Betätigungsfeld des Unternehmens.

Ludger Riem, Rösrath

Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

Quelle: Pressegespräch "10 Jahre Orphan Drug Act in der EU: Meilenstein für Patienten mit seltenen Erkrankungen?", am 19. April 2010 in Frankfurt a.M. Veranstalter: Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

Der Autor ist freier Journalist

 
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Tab. 1 Häufige Fehldiagnosen bei Gaucherkrankheit.