Der Klinikarzt 2010; 39(7/08): 364
DOI: 10.1055/s-0030-1265248
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Veränderte Bedingungen – Mykosen und die moderne Medizin

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Publication Date:
23 August 2010 (online)

 
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Die neuesten Entwicklungen der modernen Intensivmedizin ermöglichen einen gleichzeitigen Organersatz von Lunge, Nieren, Kreislauf, Ernährungssystem und Teilen der Leberfunktion. Diese Organe können in ihrer Funktion medikamentös und maschinell unterstützt, zum Teil ersetzt und bei akutem bzw. chronischem Versagen durch Transplantation wieder hergestellt werden. Die Verbesserung der durchschnittlichen Lebenserwartung der gesamten Bevölkerung ist derzeit in allen Statistiken evident.

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Steigende Mykose-Rate auf Intensivstationen

Auf Intensivstationen werden heute Patienten über lange Zeit therapiert, die noch vor 10-15 Jahren in kurzer Zeit verstarben. Durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin treten heute Krankheitsbilder auf, die zuvor nur in Ausnahmefällen als Raritäten gesehen wurden.

Aufgrund der veränderten Bedingungen in vielen Bereichen der Medizin, aber insbesondere in der Intensivmedizin, ist eine ständige Zunahme von schweren, lebensbedrohlichen Pilzinfektionen zu verzeichnen. Pilze benötigen für ihre Ausbreitung ein bestimmtes Milieu (Gewebsnekrosen, Feuchtigkeit, Wärme und ein vermindertes Redoxpotenzial), das durch die Umweltbedingungen in der Intensivmedizin gefördert wird. Invasive Katheter, parenterale Ernährung, Langzeitbeatmung mit Gabe mehrerer Antibiotika und eine allgemeine Verminderung der Abwehrkräfte bei schwer kranken Patienten verstärken diese Entwicklung und schaffen günstige Bedingungen für das Wachstum von Pilzen. Eine Verschlechterung der Leberfunktion und speziell die Verminderung der zellulären Abwehrkräfte sind wesentliche Risikofaktoren, die die Ausbreitung von Pilzinfektionen (überwiegend Candida spp. und Aspergillus spp.) begünstigen. Dies führt dazu, dass etwa 30 % der infektiologischen Probleme auf Intensivstationen zurzeit durch Pilze entstehen. Dieser Anteil steigt stetig. Läsionen des Magen-Darm-Traktes, aber auch die Durchwanderung von Pilzen durch die Darmwand führen zu einer peritonealen Mykose, die in früheren Jahren nur in Ausnahmefällen, heute aber mit zunehmender Tendenz zu beobachten ist. Besorgniserregend ist die Zunahme von Schimmelpilzinfektionen (Aspergillus spp.) der Lunge. Krankheitsbilder wie Lungenbluten und Lungennekrosen nehmen zu und gehen mit einer hohen Letalität einher. Auch Patienten mit schweren nekrotisierenden Bauchspeicheldrüsenentzündungen leiden vermehrt an Pilzinfektionen, die äußerst schwierig zu therapieren sind.

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Bild: Thieme Verlagsgruppe, Fotograf/Grafiker: Lucia Hagmann

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Immunsuppression begünstigt Mykosen

Patienten mit Organtransplantationen tragen aufgrund der erforderlichen Immunsuppression ein hohes Mykoserisiko. Besonders Lungen- und Lebertransplantationen ziehen nicht selten Candida- aber auch Aspergillusinfektionen nach sich. Am Beispiel der Nierentransplantationen zeigt sich, wie das Mykoserisiko durch Aufmerksamkeit, Wissen und Einsatz geeigneter Therapien erheblich reduziert werden kann. Noch vor 20 Jahren, zu Beginn der Standardisierung von Nierentransplantationen, lag die durchschnittliche Lebensfähigkeit eines Transplantates bei etwa einem halben Jahr. 30-50 % der Patienten litten unter Mykosen. Heute liegt die durchschnittliche Funktionsdauer eines Nierentransplantates bei 7 Jahren. Der Anteil der Pilzinfektionen liegt unter 5 %. Die Sterblichkeit ist unter 1 % gesunken.

Weitere Optimierungen in der Intensivmedizin liegen nach Expertenmeinung im Wesentlichen in der Lösung infektiologischer Probleme, deren Anteil an Pilzinfektionen erheblich ist. Die Aufklärung ihrer Entwicklung und die rechtzeitige gezielte antimykotische Therapie tragen dazu maßgeblich bei.

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Immer an Mykoserisiko denken

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"Die heute verfügbaren Antimykotika, wie die Echinocandine aber auch die modernen Azole, ermöglichen eine frühzeitige und gezielte Therapie", sagte Prof. Herbert Hof, Fortbildungsbeauftragter der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft in einem kürzlich geführten Gespräch in Berlin. Entscheidend ist seiner Ansicht nach, dass bei Risikopatienten in der Klinik immer an das Auftreten einer Mykose gedacht werden muss und die diagnostischen Möglichkeiten genutzt werden. Große Fortschritte wurden im Bereich der bildgebenden Verfahren gemacht, die neben der mikrobiologischen Diagnostik unbedingt zum Einsatz kommen sollten. Um Zeit zu gewinnen, sei die empirische Therapie mit den besonders verträglichen Echinocandinen (z. B. Anidulafungin, Caspofungin, Micafungin) auch bei schwer kranken und intensivmedizinisch betreuten Patienten eine sichere Option.

 
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Bild: Thieme Verlagsgruppe, Fotograf/Grafiker: Lucia Hagmann

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