Der Klinikarzt 2010; 39(7/08): 328-329
DOI: 10.1055/s-0030-1265246
Medizin & Management

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EU-Tierversuchsrichtlinie

Schwieriger Spagat zwischen Forschung und Ethik
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Petra Spielberg

Fachjournalistin für Gesundheits- und Sozialpolitik Köln/Brüssel

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. August 2010 (online)

 
Inhaltsübersicht

Mit der Novelle der Tierversuchsrichtlinie will die Europäische Union dem Tierschutz in der Forschung einen größeren Stellenwert einräumen. Statt weiterhin Millionen Mäuse, Ratten, Hunde, Kaninchen und andere Tiere im Dienste der Wissenschaft zu opfern, sollen alternative Methoden stärker in den Fokus gerückt werden. Bei Ärzten, Forschern, Tierschützern und Bürgern stießen die Vorschläge der EU-Gesetzgeber auf ein geteiltes Echo. In Kürze soll die Richtlinie verabschiedet werden. Inwieweit den jeweiligen Interessen entsprochen wurde, wird sich erst bei der konkreten Umsetzung zeigen. Für die (bio)medizinische Forschung und die Grundlagenforschung in Deutschland wird es aber aller Voraussicht nach keine gravierenden Änderungen geben.

In Bremen streiten sich der Hirnforscher Andreas Kreiter, das SPD-geführte Gesundheitsressort des Stadtstaats sowie das zuständige Verwaltungsgericht darum, ob der Wissenschaftler seine Versuche mit Makaken am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen fortsetzen darf oder nicht. Im Kern geht es dabei um den Widerstreit zwischen der Freiheit der Forschung, ethischen Erwägungen und dem gesellschaftlichen Stellenwert von Tierversuchen.

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Bedeutung von Tierversuchen für die Forschung umstritten

Was sich in Bremen abspielt, ist symptomatisch für den Umgang mit der Frage, welche Bedeutung Tierversuche für die (medizinische) Forschung haben können und sollen. Antworten hierauf versucht derzeit auch die Europäische Union mit einer Novelle der aus dem Jahr 1986 stammenden EU-Tierversuchsrichtlinie zu finden.

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Bild: CD 03 Health&Medicine

Unter die Richtlinie fallen vor allem Tiere, die in der Grundlagenforschung sowie für die medizinische Forschung eingesetzt werden. Ziel der Richtlinie ist es, Tierversuche insgesamt und das Leiden von Laborratten, -mäusen und anderen Versuchstieren auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Noch leiden und sterben in europäischen Labors jährlich rund 12 Millionen Ratten, Mäuse, Kaninchen, Hunde, Pferde, Affen und zahlreiche andere Tiere im Dienste der Wissenschaft. Knapp 2,7 Millionen sind es allein in Deutschland.

Das Gros der Tierversuche in Europa, so ergab eine Umfrage der Europäischen Kommission bei den EU-Mitgliedstaaten, findet im Rahmen von humanmedizinischen Studien statt, darunter zu Nerven- und Geisteskrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie zur Bewertung von Krebsrisiken.

40 % der EU-Bevölkerung halten Tierversuche zur Therapie- und Arzneimittelentwicklung für akzeptabel, so das Ergebnis einer weiteren Befragung der Brüsseler Behörde. Drei Viertel der Befragten drängen zugleich darauf, die Entwicklung und Anerkennung von tierversuchsfreien Methoden stärker zu fördern.

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Viele Testmethoden inzwischen auch ohne Tiere möglich

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Testmethoden, wie In-vitro-Versuche mit Zell- und Gewebekulturen oder Computersimulationen, die ohne Tiere auskommen. Für die Untersuchung auf fieberauslösende Substanzen in Medikamenten und Impfstoffen steht außerdem ein Test mit menschlichem Blut zur Verfügung. Auch arbeiten Forscher daran, Impfstoffe mithilfe von gentechnisch veränderten Pflanzen herzustellen.

In den vergangenen 20 Jahren hat die Forschungsabteilung der EU-Kommission für Alternativmethoden in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Bereichen rund 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Im Zuge des 7. Forschungsrahmenprogramms (2007-2013) werden alternative Testmethoden im Dienste der menschlichen Gesundheit unter dem Titel Biotechnologie gefördert. Für den Vergleich der Methoden mit entsprechenden Tierversuchen sowie für die Anerkennung auf europäischer Ebene ist das Europäische Zentrum zur Validierung alternativer Methoden Ecvam zuständig.

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Tierversuchsfreie Methoden - schleppende Entwicklung

In Deutschland, das innerhalb Europas zu den führenden Nationen bei der Förderung und Anwendung tierversuchsfreier Methoden gehört, investieren unter anderem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (Zebet) Mittel zum Ersatz, zur Reduzierung und Verbesserung von Tierversuchen. So stellt das BMBF für 2010 7,8 Millionen Euro für Alternativmethoden zum Tierversuch für alle Forschungsbereiche bereit. Hinzu kommen Förderprogramme der Länder sowie der Industrie und von Stiftungen.

Die Entwicklung der tierversuchsfreien Forschung geht aus Sicht von Tierschützern, Ärzten sowie einigen Wissenschaftlern allerdings zu schleppend voran. Und das, obwohl sich nach Meinung von Forschern, wie dem Pharmakologen und Toxikologen der Universität Konstanz, Prof. Thomas Hartung, zahlreiche Ergebnisse aus Tierversuchen nicht 1:1 auf den Menschen übertragen lassen.

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Ergebnisse aus Tierversuchen oft nicht auf Mensch übertragbar

"Das Problem der Tierversuche in den Lebenswissenschaften ist, dass wir deren Wert überschätzen. Wir sind halt keine 70 kg-Ratten", so der Wissenschaftler, der derzeit an der John-Hopkins-Universität in Baltimore forscht. "90 Prozent der Medikamente, die erfolgreich im Tierversuch waren, versagen beim Menschen; 20 Prozent wegen Nebenwirkungen, 40 Prozent wegen mangelnder Wirkung."

Für unnötig hält Hartung auch den Karzinogenititätstest mit Mäusen, da er zusätzlich zum Rattenversuch kaum neue Erkenntnisse bringe. Gleiches gelte für die Verwendung der Aszites-Maus zur Antikörperproduktion.

Der Wissenschaftler bemängelt ferner, dass die Debatte um alternative Testmethoden in Europa vornehmlich durch Tierschützer motiviert sei. Ein Paradigmenwechsel sei aber nicht nur im Interesse des Tierschutzes, sondern auch unter Kostenerwägungen und aus Gründen der eingeschränkten Aussagekraft zahlreicher Tierversuche erforderlich, meint Hartung. Der Forscher verweist auf die USA, in denen eine solche Diskussion bereits seit 3 Jahren intensiv geführt werde.

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Zahlreiche Kritiker und Befürworter in der EU

In der EU hat das Thema zwar auch zahlreiche Kritiker und Befürworter auf den Plan gerufen. Im Oktober vergangenen Jahres beispielsweise schlossen sich 650 000 Europäer einer online-Demonstration an und forderten, Tierversuche zu reduzieren und alternative Tests verstärkt zu fördern.

Vertreter von Wissenschaft und Industrie warnten hingegen davor, allzu restriktive Regelungen zu erlassen. "Pauschale Verbote beziehungsweise einschneidende Beschränkungen biomedizinischer Forschung widersprechen der Pflicht der Gemeinschaft [gemeint ist die EU], für ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu sorgen", schrieben Vertreter der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme. Ohne diese Forschung seien keine Fortschritte bei der Bekämpfung von Krankheiten möglich, betonten die Wissenschaftler. "Insbesondere in den Bereichen Neurobiologie, Fortpflanzungsbiologie und Immunologie sind nicht-menschliche Primaten in manchen Fällen die einzigen geeigneten Tiermodelle", heißt es weiter.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VfA), der selber Gelder in die Entwicklung alternativer Verfahren steckt, macht zudem deutlich, dass sich das Verhalten einiger Wirkstoffe im Gesamtorganismus auch in Zukunft nicht in tierfreien Einzeltests bestimmten lasse. Auch stünde die fehlende internationale Anerkennung der Verbreitung von Alternativmethoden teilweise noch im Wege.

Unzureichend ist aus Sicht des VfA, dass die neue Richtlinie vorschreibt, dass Versuchstiere künftig nur noch unter bestimmten, sehr engen Voraussetzungen an mehr als einem Experiment teilnehmen dürfen. "Das könnte die Zahl der erforderlichen Versuchstiere unnötig in die Höhe treiben", moniert Thorsten Ruppert, Seniorreferent für Grundsatzfragen Forschung beim VfA.

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Neue Richtlinie stuft Tierversuche nach konkreter Belastung ein

In Deutschland dürfte die neue Richtlinie indessen kaum zu großen Änderungen führen. Die deutschen Standards würden vielmehr europaweit festgeklopft, meint Barbara Gruner von der Zebet. Positiv sei, dass Tierversuche künftig nach ihrer konkreten Belastung eingestuft werden müssen.

Tierschützer sowie Vertreter der Ärzteschaft sind indessen weit weniger glücklich mit dem zwischen dem Europäischen Parlament (EP) und dem Ministerrat ausgehandelten Kompromiss, der im September in der zweiten Lesung noch bestätigt werden muss.

Die bundesweite Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche beispielsweise moniert, dass tierversuchsfreie Methoden nunmehr erst dann angewendet werden sollen, wenn sie behördlich anerkannt sind. "Dies kann mitunter Jahrzehnte dauern", sagt Silke Bitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins.

Auch die Forschung an Menschenaffen werde entgegen der ursprünglichen Absicht der EU-Kommission, die Versuche mit nicht-menschlichen Primaten weitgehend unterbinden wollte, weiterhin zu nahezu jedem beliebigen Zweck erlaubt. Besonders gravierend sei zudem eine Klausel, die den Mitgliedstaaten verbietet, strengere nationale Regeln zum Tierschutz zu erlassen, als in der Richtlinie vorgesehen.

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Klausel verbietet strengere nationale Regeln

Die Vereinigung der europäischen Tierversuchsgegner (ECEAE) wiederum wirft der von der EU-Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe des wissenschaftlichen Ausschusses für Gesundheits- und Umweltrisiken vor, Erkenntnisse über die Unzulässigkeit von Affenversuchen bei der Erforschung von Aids, Schlaganfällen, Malaria und Parkinson ignoriert zu haben. Die ECEA hat deshalb Beschwerde beim Europäischen Ombudsmann eingereicht.

Die Europäische Bischofskommission (COMECE) fürchtet derweil, dass die Vorschrift, alternativen Methoden den Vorzug vor Tierversuchen zu geben, der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen Tür und Tor öffnen könnte. "Aufgrund dieser Richtlinie könnten Mitgliedstaaten ohne explizite Gesetzgebung zum Schutz von menschlichen embryonalen Stammzellen verpflichtet werden, bestimmte Versuchsmethoden anzuwenden, die solche umstrittenen Zellen einsetzen", mahnt die COMECE.

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