Z Orthop Unfall 2010; 148(4): 367-368
DOI: 10.1055/s-0030-1265232
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Versorgungsqualität – Auch Arztpraxen müssen ran

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Publication Date:
17 August 2010 (online)

 
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Das bundesdeutsche Gesundheitswesen wird erstmals Langzeitdaten zur Versorgungsqualität erheben – sektorübergreifend über die Grenzen von Kliniken und Praxen hinweg.

Nein, Mehrbelastung für Ärzte und Krankenhäuser sei nicht die Intention, beteuert der Institutschef. "Wir werden nach dem Prinzip Datensparsamkeit arbeiten, nur in ausgewählten Bereichen gezielt Daten erheben", betont Professor Joachim Szecsenyi. Der Geschäftsführer des Göttinger AQUA-Instituts müht sich, Befürchtungen zu zerstreuen, die in Teilen womöglich auch einfach der Unkenntnis über jene umwälzende Neuerung geschuldet sind, die der Qualitätssicherung im bundesdeutschen Gesundheitswesen jetzt verpasst werden soll.

Der Sachstand dazu ließ sich auf einer Tagung des Instituts Mitte Juni in Göttingen nachvollziehen. Thema: "Qualität kennt keine Grenzen – Neue Orientierung im Gesundheitswesen".

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Schon ab 2012 müssen vielleicht auch Arztpraxen Daten zur Behandlungsqualität angeben (Bild: Digital Vision).

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom April 2007 brachte dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die Aufgabe, eine "fachlich unabhängige Institution" zu beauftragen, Qualitätsindikatoren zu entwickeln, die möglichst "sektorenübergreifend" anzulegen seien. So schreibt es §137a SGB V jetzt vor. Im Klartext: Nicht mehr nur Kliniken, sondern auch Arztpraxen sollen sich dem prüfenden Blick auf die Qualität ihrer Leistungen stellen. Mittelfristig soll es damit möglich werden, die Behandlungsqualität über die Grenzen von Klinik, Praxis, Zeit und Bundesland hinweg langfristig zu dokumentieren.

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AQUA löst BQS ab

Die Institution steht fest: Das Göttinger AQUA-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH unterschrieb August 2009 den Vertrag mit dem G-BA, nachdem eine Klage der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) vor Gericht gescheitert war.

Die hat mit der Neuvergabe ihren Hauptauftrag eingebüßt, war sie es doch, die bis 2009, letztmalig für das Auswertungsjahr 2008, eine bislang nur für Krankenhäuser, den stationären Sektor, gesetzlich festgelegte externe Qualitätssicherung betreut hatte. Arbeitsgrundlage dafür war und ist die G-BA-Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Krankenhäusern (QSKH-RL) von 2006.

Die BQS ist eine Einrichtung der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und des Deutschen Pflegerats. Ihre jährlich präsentierten Analysen waren bis 2009 Messlatte für die Arbeitsgüte hiesiger Krankenhäuser. Kliniken mit auffällig abweichendem Ergebnis wurden im sog. Strukturierten Dialog von den meist bei Landeskrankenhausgesellschaften, oder Landesärztekammern eingerichteten Landesgeschäftsstellen zu den Gründen befragt. Dass der Prozess durchaus Früchte trug, deutet der Blick auf die Zeitreihen an: In vielen Leistungsbereichen sank die Zahl der "Ausreißer".

Dementsprechend groß die Schelte mancher Verbände. Von einem "Trauerspiel für die gemeinsame Selbstverwaltung" sprach die Bundesärztekammer am Tag nach dem Ende der Klage. Die gemeinsame Selbstverwaltung habe ihr eigenes Institut trotz seiner fachlichen Vorbildlichkeit demontiert.

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Start mit Einstimmigkeit

Ein knappes Jahr später haben sich die Wogen etwas geglättet. Eine entscheidende neue Richtlinie nach §92 Absatz 1 Satz 2 Nr 13 SGBV, modisch Qesü-RL für Sektorenübergreifende Qualitätssicherungs-Richtlinie, hat das Plenum des G-BA einstimmig beschlossen, wie G-BA-Vorsitzender Dr. Rainer Hess in Göttingen zufrieden berichten konnte.

Zunächst einmal werde das etablierte BQS-System, so versicherten AQUA-Vertreter in Göttingen, nahtlos übernommen. Die Berichte zur stationären Qualitätssicherung für das Jahr 2009 waren Anfang Juli bereits an Krankenhäuser und Landesgeschäftsstellen verschickt. Hie und da wurden einige Fehler bei der Risikoadjustierung entfernt und langfristig, berichtete Björn Broge, werde man auch Indikatoren erweitern. Avisiert, quasi als Bonbon für die Kliniken, so AQUA-Mitarbeiterin Karen Pottkämper, werde eine vierteljährliche Auswertung der Daten. Kliniken hätten damit eine schnellere Rückkopplung.

Bereits seit November 2009 hat AQUA vom G-BA auch einen Auftrag, in 4 Leistungsbereichen ganz neue Qualitätsindikatoren zu entwickeln. Ursprünglich noch "sektorgleich", so Dr. Jörg Eckardt vom AQUA-Institut, seien die Aufträge für Indikatoren beim Herzkatheter (PTCA), der Konisation, und der Katarakt-Operation formuliert – wobei die zuständigen Arbeitsgruppen, die Panels, hier auch ein zukünftiges Follow-up der Patienten im Hinterkopf hätten. Auf jeden Fall sektorübergreifend sollen Datenstrom und -analyse beim Kolorektalen Karzinom ablaufen.

Die Entwicklung neuer Indikatoren ist ein vielstufiger Prozess. Das Institut beginnt mit einer Literaturrecherche. Sie ist wiederum die Ausgangslage für die Arbeit eines Panels aus Fachexperten, die vom Institut grundsätzlich in einem Bewerbungsverfahren ausgewählt werden. Immerhin 279 Bewerbungen gingen für die 4 bislang zu besetzenden Panels ein. In mehreren Treffen kristallisieren Panelmitglieder jene Indikatoren heraus, die einmal im Rahmen der Qualitätssicherung erhoben werden sollen.

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Der Aufwand der zusätzlichen Dateneingabe in der Praxissoftware soll möglichst gering gehalten werden: 2012 wird es zunächst die Augenärzte, Gynäkologen, Kardiologen und Onkologen treffen (Bild: Thieme Verlagsgruppe).

Anfang Juli 2010 hatte das Institut Vorberichte für die ersten 3 Indikationen zur Stellungnahme an den G-BA überstellt, die Arbeit für das Kolorektale Karzinom dauert länger. Ende August 2010 ist mit ersten öffentlichen Abschlussberichten zu rechnen. Danach muss der G-BA in weiteren Richtlinien, für jede Indikation einzeln das weitere Prozedere festlegen.

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Datenschutz ist ein wichtiger Punkt

Vor allem aber musste das ganze Konzept im Juli 2010 die entscheidende Hürde erst noch nehmen. Die Qesü-Richtlinie lag zu dem Zeitpunkt zur Prüfung im Bundesgesundheitsministerium. Erst wenn sie passiert hat, kann der G-BA auch eine Vertrauensstelle beauftragen, die alle Daten zu und über einen Patienten pseudonymisiert, was eine Zusammenführung der Daten überhaupt erst möglich machen wird. Der Datenschutz bleibt ein zentraler Punkt: Diesmal, so Rainer Hess in Göttingen, fürchte man sich nicht vor der Rechtsaufsicht: "Wir bitten das Gesundheitsministerium ausdrücklich, dass es die neue Richtlinie auch unter dem Aspekt Datenschutz genau überprüft."

Die Datenerhebung soll später möglichst keinen großen Aufwand machen. Im Krankenhaus erfolgt die Eingabe auch neuer Indikatoren wie schon bisher beim BQS-Verfahren über Zusatzfelder, die Software-Firmen anhand der Spezifikationen des AQUA-Instituts in Klinikinformationssysteme einflechten sollen. Gleiches erwartet niedergelassene Ärzte in ihrer Praxissoftware. Szecsenyi: "2012 könnten in den 4 Leistungsbereichen, zu denen wir derzeit arbeiten, neue Indikatoren im Routinebetrieb sein." Augenärzte, Gynäkologen, Onkologen und Kardiologen erwarte damit eine, wenngleich bescheidene, Mehrarbeit. Orthopäden zumindest vorerst noch nicht.

Zentrale bundesweite Sammel- und Auswertstelle ist das AQUA-Institut, das Daten aber auch an neu zu bildende Landesarbeitsgemeinschaften (LAG) zurückspiegelt. Die bestehen v. a. aus Vertretern von KVen, Kassen- und Krankenhausträgern auf Landesebene und sind in aller Regel zuständig für einen Strukturierten Dialog mit Kliniken bei auffälligen Ergebnissen. Die hierfür bislang verantwortlichen Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung (LQS) werden unter das Dach der LAG integriert. Nur bei seltenen Indikationen, etwa Transplantationen, wird das AQUA-Institut direkt mit den Einrichtungen kommunizieren. Wann und ob es einen Strukturierten Dialog auch für Arztpraxen gibt, ist noch völlig offen.

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Endoprothesenregister methodisch kein Problem mehr

Die Orthopädie bekommt eine neue Chance für ein Endoprothesenregister. Ein Langzeitmonitoring von Prothesentyp und Patient wäre mit dem neu entstehenden System methodisch kein Problem mehr, berichtet Szescenyi. Doch halte man sich in dieser "hochpolitischen Frage" zurück: "Es ist Sache des G-BA, einen entsprechenden Auftrag zu vergeben." Dabei hat das Institut bereits erste Ansätze geschaffen. Im Modul Hüftendoprothesen-Erstimplantation bei der stationären Qualitätssicherung sind bereits "personen-identifizierende Felder" eingebaut, die eine spätere Zusammenführung mit Revisionseingriffen ermöglichen sollen. Bislang verschwand eben auch ein Patient, der sich eine künstliche Hüfte im Krankenhaus implantieren ließ, nach der Entlassung quasi vom Schirm der Qualitätsfahnder. Jetzt, so Björn Broge, ließe sich hier hoffentlich bald eine "Lebenslange Krankenversichertennummer" eintragen, die es erlaubt, rückzuverfolgen, wenn sich ein Patient später womöglich in einem ganz anderen Krankenhaus wegen Problemen mit der Prothese vorstellt. "Immer vorausgesetzt, das Ministerium bewilligt die Richtlinie", betonte auch Broge.

Langfristig möchte das Institut obendrein mehr Routinedaten nutzen. "Um z. B. die Sterblichkeit nach Herzoperationen zu erfassen, muss ich keine weiteren Angaben von Krankenhäusern und Ärzten erheben – diese Daten liegen den Kassen vor, wir müssten sie nur zusammenführen können", erklärt Szecsenyi. Bislang lassen sich Routinedaten aber nur auf Antrag für Forschungszwecke nutzen.

Das Institut verspricht hohe Transparenz. Die Ergebnisse der stationären Qualitätssicherung 2009 werden in der 2. Jahreshälfte veröffentlicht, 2011 erstmals überhaupt auch Ergebnisse der Strukturierten Dialoge – dann die aus dem Erfassungsjahr 2009. In 2 Jahren gibt es einen "Bundesqualitätsbericht", einschließlich erster Daten aus der ambulanten Versorgung. Für laienverständliche Darstellungen will AQUA mit Patientengruppierungen zusammenarbeiten.

Dr. Bernhard Epping

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Weitere Informationen

Das AQUA-Institut, hier auch evtl. Ausschreibungen für die Suche nach Panel-Mitgliedern:

http://www.AQUA-institut.de/de/home/index.html

Die Tagung in Göttingen:

http://www.tagung-2010.sqg.de/cont/index.html

AQUA-Seite zur Sektorübergreifenden Qualitätssicherung:

http://www.sqg.de/

G-BA-Richtlinie zur Sektorübergreifenden Qualitätssicherung:

http://www.g-ba.de/downloads/39-261-1119/Qes%C3%BC-RL-2010-04-19.pdf

Die Berichte der BQS:

http://www.bqs-institut.de/archiv.html

 
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Schon ab 2012 müssen vielleicht auch Arztpraxen Daten zur Behandlungsqualität angeben (Bild: Digital Vision).

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Der Aufwand der zusätzlichen Dateneingabe in der Praxissoftware soll möglichst gering gehalten werden: 2012 wird es zunächst die Augenärzte, Gynäkologen, Kardiologen und Onkologen treffen (Bild: Thieme Verlagsgruppe).