Der Klinikarzt 2010; 39(5): 222-223
DOI: 10.1055/s-0030-1262372
Medizin & Management

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Interview – Mehr Compliance zur Händehygiene

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Publication Date:
12 July 2010 (online)

 
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    Obwohl niemand mehr ernsthaft an der zentralen Bedeutung der Händehygiene bei der Infektionskontrolle zweifelt, wird die Notwendigkeit einer Händedesinfektion noch immer nicht in allen erforderlichen Situationen erkannt und durchgeführt. Aus diesem Grunde waren und sind Aktionen, wie die im Jahr 2008 begonnene deutsche Kampagne "Aktion saubere Hände" und nicht zuletzt die weltweite Initiative der Weltgesundheitsorganisation "WHO save lifes: Clean your hands" im Rahmen der "Clean care is safer care"-Kampagne wichtige Maßnahmen, um das Bewusstsein zu schärfen. Wir befragten Dr. med. Ernst Tabori, Ärztlicher Direktor im Deutschen Beratungszentrum für Hygiene (BZH) des Universitätsklinikums Freiburg, das die Freiburger Infektiologie- und Hygienegespräche veranstaltete, zu diesem Thema.

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    Dr. Ernst Tabort

    ? Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DKGH) hat wegen der hohen Zahl der Klinik-Infektionen Alarm geschlagen. Durch bessere Hygienemaßnahmen könnten in deutschen Krankenhäusern jährlich bis zu 20 000 Todesfälle und bis zu 500 000 Infektionen vermieden werden. Gehört eine so banale Maßnahme wie die Händehygiene dazu?

    Dr. Ernst Tabori: Die Händehygiene ist alles andere als banal, sondern die bedeutsamste und effektivste Einzelmaßnahme bei der Prävention nosokomialer Infektionen. Seit der NIDEP-Studie wissen wir, dass jährlich etwa 3,5 % aller Krankenhauspatienten, also mehr als eine halbe Million Patienten jedes Jahr allein in Deutschland eine Infektion bekommen, die sie ohne Klinikaufenthalt nicht bekommen hätten. Allerdings wissen wir auch, dass nur etwa ein Drittel dieser Infektionen exogen verursacht sind und durch externe Maßnahmen wie beispielsweise einer konsequenten Händehygiene zu vermeiden wären. Weniger exakt sind die Angaben zu den Todesfällen. Unser Ziel ist daher, die Händedesinfektion so stark in das Bewusstsein jedes Einzelnen zu rücken, gleich ob Patient oder Mitarbeiter, dass ihre Unterlassung nicht weiter als quasi "Kavaliersdelikt" geduldet wird. Sie muss als ein tatsächliches Fehlverhalten eine gesellschaftliche "Ächtung" erfahren. Wo sie sich nicht von selbst einstellt, braucht es äußere Zwänge, Kontrollen und womöglich auch Sanktionsmaßnahmen.

    ? Welche Erreger sind es, die vor allem über die Hände übertragen werden?

    Tabori: Die Kontaktübertragung ist mit Abstand der bedeutsamste Übertragungsweg; mit wenigen Ausnahmen werden fast alle Arten von Infektionen übertragen. Neben der typischen Hautflora können praktisch auch alle anderen Keime, wie beispielsweise Bakterien, Viren, Sporen, etc. über die Hand weitergegeben werden; von Erregern des banalen Schnupfens über Auslöser von Magen-Darm-Infekten bis hin zu multiresistenten Keimen.

    ? In welchen Fällen reicht das Waschen und wann muss eine hygienische Händedesinfektion durchgeführt werden?

    Tabori: Im privaten, häuslichen Bereich reicht in aller Regel das Waschen mit Wasser und Seife. Im medizinischen Tätigkeitsfeld wird routinemäßig das Waschen der Hände nur zu Arbeitsbeginn und nach Ausziehen der OP-Handschuhe gefordert. Darüber hinaus nach dem Toilettengang, vor den Pausen und zusätzlich jeweils dann, wenn die Hände verschmutzt respektive kontaminiert wurden.

    ? ... und die Händedesinfektion?

    Tabori: Die steht im Krankenhaus an erster Stelle! Bei folgenden 5 Indikationen ist sie zwingend durchzuführen:

    Vor dem Patientenkontakt, das heißt, bevor ein Mitarbeiter den Patienten direkt berührt, wie beispielsweise beim Auskultieren, Palpieren oder Messung von Vitalfunktionen.

    Unmittelbar Vor einer aseptischen Handlung, wie dem Kontakt mit Kathetern, beim Richten von i.v.-Medikamenten, vor Kontakt zu nicht intakter Haut oder Schleimhaut, etc.

    Nach Kontakt mit potenziell infektiösen Materialien, also unmittelbar nach dem Umgang mit invasiven Devices, Kontakt zu Schleimhaut, nicht intakter Haut, Blut, Erbrochenem, etc.

    Nach Patientenkontakt, wie beispielsweise Waschen, Messen von Blutdruck, Puls, Auskultieren, Palpieren sowie nach dem Ausziehen der Handschuhe

    Nach Kontakt mit der unmittelbaren Patientenumgebung, das heißt auch dann, wenn kein direkter Kontakt zum Patienten stattgefunden hat, wie beispielsweise bei Kontakt zum Bett des Patienten, zum Infusiomaten, zum Überwachungsmonitor, Beatmungsgerät, etc. oder persönlichen Gegenständen des Patienten.

    ? Ist der Erfolg dieser Maßnahmen messbar?

    Tabori: Allein durch die Umsetzung dieser einfachen Regel zur Händedesinfektion lassen sich ca. 20-30 % aller nosokomialen Infektionen vermeiden. Untersuchungen von Prof. Pittet vom Universitätsklinikum Genf aus den Jahren 1994-1997 konnten zeigen, dass durch die Erhöhung der Händedesinfektionscompliance beim medizinischen Personal um lediglich 18 %, nämlich von 48 % auf 66 %, die Prävalenz nosokomialer Infektionen von 16,9 % auf 9,9 %, das heißt um ganze 41 % gesenkt werden konnte.

    ? Wie sehen die derzeitigen Standards bei der Händehygiene im OP aus?

    Tabori: Die chirurgische Händedesinfektion hat zum Ziel, die transiente Flora zu entfernen und die residente Flora zu reduzieren. Da die Effektivität der alkoholischen Händedesinfektion durch ein unmittelbar vorausgegangenes Waschen der Hände mit Wasser und Seife reduziert wird, sollten die Hände lediglich zu Arbeitsbeginn, spätestens auf der unreinen Seite der Personalumkleideschleuse und jedes Mal nach Ablegen der OP-Handschuhe sowie nach sichtbarer Kontamination gewaschen werden.

    ? Was muss bei der korrekten Händedesinfektion beachtet werden?

    Tabori: Alle Hautareale müssen bis zum Ellbogen entsprechend der vom Hersteller angegebenen Mindesteinwirkzeit benetzt sein. Hauptaugenmerk beim Einreiben sind die Fingerkuppen, Nagelfalze und Fingerzwischenräume. Mittel der ersten Wahl sind alkoholische Präparate mit Rückfettern; möglichst ohne Zusatz von Geruchs- und Farbstoffen. Die sterilen OP-Handschuhe dürfen erst nach der kompletten Lufttrocknung der desinfizierten Hände angelegt werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Haut der Hände intakt ist - frei von infizierten Läsionen. Darum ist ein wichtiger Teil der Händehygiene die Hautpflege! Sie ist eine präventive Maßnahme vor toxisch irritativen Hautveränderungen sowie vor Kolonisation mit potenziell pathogenen Bakterien.

    Übrigens: Künstliche Fingernägel konnten wiederholt als Quelle nosokomialer Infektionen identifiziert werden. Darum ist heute gültiger Standard: Die Fingernägel aller Mitglieder des OP-Teams müssen kurz und rund geschnitten sein und es dürfen keine künstlichen Fingernägel getragen werden.

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    Bild: Thieme Verlagsgruppe

    ? Auf der Tagung wurde empfohlen, bei Operationen zwei Paar medizinische Handschuhe übereinander zu tragen. Gilt das grundsätzlich für jede OP?

    Tabori: Es wird empfohlen, bei invasiven Eingriffen mit hoher Verletzungs- bzw. Perforationsgefahr der Handschuhe, z. B. durch Operationsnadeln oder auch Knochensplitter, ein doppeltes Paar Handschuhe oder doppellagige Handschuhe zu tragen.

    ? Was soll das bringen?

    Tabori: Dass Beschädigungen von OP-Handschuhen gar nicht so selten sind, konnte eine Studie aus dem Universitätsklinikum Basel zeigen: Nach knapp 4 200 allgemein- und knochenchirurgischen Operationen kam es in rund 700 Fällen zu Beschädigungen an den Handschuhen der Chirurgen. Durchlöcherte Handschuhe erhöhten das Wundinfektionsrisiko für den Patienten auf 7,5 % gegenüber 3,9 % bei intakt geblieben Handschuhen. Zudem steigt mit einem defekten Handschuh auch das Infektionsrisiko für den Mitarbeiter.

    Das Interview führte Anne Marie Feldkamp, Bochum

     
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    Dr. Ernst Tabort

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    Bild: Thieme Verlagsgruppe