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DOI: 10.1055/s-0030-1261735
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Die ISS als Großlabor
Publication History
Publication Date:
15 June 2010 (online)
Mein letztes Editorial hatte ich noch als Vorsitzender des Fachverbands Reisemedizin geschrieben. Der Bitte, als Vertreter der Raumfahrtmedizin weiter im Editorial Board unserer gemeinsamen Zeitschrift zu verbleiben, konnte ich mich nicht verschließen. Die Raumfahrtmedizin ist zwar noch ein exotisches Fachgebiet, aber mit dem Beginn kommerzieller Weltraumflüge durch private Veranstalter in den nächsten Jahren ist der Weg in eine Integration in die "normale" Reisemedizin vorgezeichnet.
In letzter Zeit wurde ich von verschiedenen Kollegen gefragt, ob denn jetzt nach der Rede von Präsident Obama, in der er die Verabschiedung der USA vom Mondprogramm seines Vorgängers Busch verkündete, auch die gesamte bemannte Raumfahrt beendet würde. Das Space-Shuttle-Programm wird ja ebenfalls in diesem Jahr eingestellt.
Das Gegenteil ist der Fall. Nur ist jetzt - zu meiner großen Freude - ein schrittweises Vorgehen eingeleitet worden. Und hier steht an vorderster Stelle die Nutzung der Internationalen Raumstation bis mindestens 2020, wahrscheinlich sogar bis 2028. Damit hat die Forschung jetzt die große Chance, die Möglichkeiten der Internationalen Raumstation strategisch zu nutzen. In den USA hat sich deshalb die NASA mit den "National Institutes of Health" und der "National Science Foundation" zusammengetan, um die Raumstation als "nationales Labor" zu betreiben.
Mit diesem Vorgehen sind die USA wieder in einer Vorreiterrolle. Dort wird nicht mehr wie in Deutschland die Forschung in Schubladen eingeteilt (terrestrische Forschung oder Weltraumforschung), sondern man nutzt einfach strategisch die Synergieeffekte und fördert "problembezogen". Wenn also zur Lösung einer wissenschaftlichen Frage ein Experiment auf der Raumstation nötig ist, dann wird es gemeinsam gefördert und das Problem - im Labor Raumstation - hoffentlich gelöst.
Dieses Vorgehen ist sicherlich wesentlich sinnvoller als zu meinen, Diagnostikgeräte bei Astronauten einzusetzen und dann auch bei Patienten auf der Erde, sei der Sinn der Raumfahrtmedizin. In Schwerelosigkeit haben wir die Möglichkeit zu überprüfen, ob unser Verständnis der Physiologie des Menschen stimmt oder nicht. Wenn wir also Schwierigkeiten haben, die Astronauten vor orthostatischer Dysfunktion, vor Knochen- und Muskelabbau und vor Immundefizienzen zu schützen, dann zeigt das, dass wir auf diesen Gebieten in unserem Verständnis über physiologische Mechanismen Forschungsbedarf haben und dass uns Weltraumforschung dabei helfen kann, diese Probleme zu lösen.
Deshalb hoffe ich, dass es auch in Deutschland gelingt, die Internationale Raumstation als Großlabor - ähnlich wie die Teilchenbeschleuniger des CERN in der Schweiz - anzusehen und entsprechende Voraussetzungen zu schaffen.
Mit besten Grüßen
Ihr
Prof. Dr. Rupert Gerzer, Köln