Pneumologie 2011; 65(9): 532-536
DOI: 10.1055/s-0030-1256480
Historisches Kaleidoskop

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

250 Jahre „Inventum novum” – Leopold Auenbrugger[1]

250 Years “Inventum novum” – Leopold AuenbruggerU.  Koehler1
  • 1Klinik für Innere Medizin, SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin (Direktor: Prof. Dr. C. Vogelmeier), Philipps-Universität, Marburg
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Prof. Dr. Ulrich Koehler

Klinik für Innere Medizin
SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH

Baldingerstraße 1
35033 Marburg

Email: koehleru@staff.uni-marburg.de

Publication History

Publication Date:
06 September 2011 (online)

Table of Contents #

250 Jahre „Inventum novum”

Die Erfindung der Perkussion durch Leopold Auenbrugger darf durchaus als die bedeutendste Leistung der Heilkunst des 18. Jahrhunderts angesehen werden. Wie es der naturwissenschaftliche Charakter einer medizinischen Entdeckung bedingt, ist sie auf dem Boden langjähriger Beobachtung und Erfahrung gewachsen und gereift. Die Perkussion des Brustkorbs ist das unbestrittene geistige Eigentum Auenbruggers. Immerhin sieben volle Jahre hat der Autor auf die Arbeit verwandt, bevor er sie der Öffentlichkeit kundgetan hat. 1761 hat Auenbrugger Methode und Ergebnisse seiner Untersuchungen in einer Schrift veröffentlicht: „Inventum novum ex percussione thoracis humani ut signo abstrusos interni pectoris morbos detegendi” (Deutsche Übersetzung nach S. Ungar, Wien 1843: Neue Erfindung mittelst des Anschlagens an den Brustkorb, als eines Zeichens, verborgene Brustkrankheiten zu entdecken). Die Schrift wird nunmehr 250 Jahre alt und kann auch heute noch jedem klinisch tätigen Arzt als spannende Lektüre empfohlen werden. Beweist sie doch, mit welch großer Präzision Ärzte der damaligen Zeit ihr klinisches Handwerk verstanden und praktiziert haben.

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Auenbrugger als Mensch und Arzt

Leopold Auenbrugger wurde am 19. November 1722 in Graz als Sohn eines wohlhabenden Gastwirtes geboren. In Wien widmete er sich dem Studium der Medizin und legte die Examina am 26. April 1752 ab, am 18. November wurde er promoviert. Von 1751 bis 1755 war Auenbrugger als unbesoldeter, von 1755 bis 1758 als besoldeter Sekundararzt am Spanischen Spital in Wien tätig. 1758 wurde er zum Primararzt benannt und versah dieses Amt mit großer Leidenschaft bis zum März 1762. Am 1. März 1762, vor Vollendung des 40. Lebensjahres, legte Auenbrugger sein Amt als Primararzt nieder. Es muss für ihn, den klinisch und wissenschaftlich orientierten, ein Einschnitt ohnegleichen in Leben und beruflicher Laufbahn gewesen sein. Missgunst, Demütigung und Neid seitens niederträchtiger Kollegen hatten Auenbrugger veranlasst, das Spanische Spital zu verlassen und sich als praktischer Arzt in Wien niederzulassen. Auenbrugger hat seinen Beruf als Berufung für das Wohl der ihm anvertrauten Patienten verstanden: Kein Weg war ihm zu weit, keine Stunde zu früh oder zu spät, wenn es um die Gesundheit eines Patienten ging. Er imponierte neben seinen medizinischen Fähigkeiten insbesondere durch große Bescheidenheit, Humanität und Herzenswärme. Außer für die fachliche Sphäre hegte Auenbrugger vor allem für die Musik großes Interesse. Zu einer von Salieri komponierten Oper schrieb er sogar selbst den Text. Im Kreis der Familie, Auenbrugger hatte zwei Töchter, wurden Gesang und Klavierspiel eifrig gepflegt ([Abb. 1]). Nicht zuletzt die „Vorrede” zum „Inventum novum” lässt eindrucksvolle Schlüsse auf Auenbruggers zutiefst menschliches Wesen zu. Sie enthält das Bekenntnis, dass er die neuentdeckte Methode zur Erforschung der Brustkrankheiten nicht aus Eitelkeit, sondern um ihres Nutzens willen geschrieben hat. Auf Neid und Missgunst sei er gefasst und sich der Mängel des beschriebenen Verfahrens bewusst. Er zweifle aber nicht, dass fortgesetzte Wahrnehmungen sie beheben werden. Die „Vorrede” Auenbruggers ist so eindrucksvoll und so tagesaktuell, dass sie in Teilen zitiert werden soll und muss:

„Ich übergebe Dir, geneigter Leser, ein neues von mir erfundenes Zeichen zur Entdeckung der Brustkrankheiten. Dasselbe besteht in einem Anschlagen an die menschliche Brust, wobei sich aus dem verschiedenen Widerhall der dadurch hervorgebrachten Töne auf den inneren Zustand dieser Höhlen schließen lässt. Weder Sucht zu schriftstellern, noch übermässiger Spekulationstrieb, sondern einfache siebenjährige Beobachtung bestimmte mich, das in Bezug auf diesen Gegenstand Entdeckte zu regeln, zu ordnen und herauszugeben. Wohl habe ich es vorausgesehen, dass ich mit der Veröffentlichung meiner Erfindung auf nichts weniger als unbedeutende Klippen stoßen werde. Denn nie hat es noch Männern, die in Wissenschaft und Kunst durch ihre Erfindungen neues Licht oder Vervollkommnung brachten, an dem Gefolge der düsteren Genossen des Neides, der Missgunst, des Hasses, der hämischen Verkleinerung, ja selbst der Verleumdung gefehlt”.

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Abb. 1 Auenbrugger mit seiner Gattin. In der linken Hand hält er das „Inventum novum” (Quelle: Wikipedia).

Die letzteren Zeilen belegen, dass Auenbrugger geahnt hat, mit welchen Problemen er hinsichtlich der Anerkennung seiner Erfindung zu rechnen hatte. Der sicherlich schwer gefallene Rückzug aus der klinischen Medizin als Folge des Auslebens menschlicher „Eitelkeiten” beweist, wie sehr der „Gründer der physikalischen Diagnostik” unter der Misskunst der Kollegen gelitten haben muss.

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„Das Weinfass als Analogieschluss für die Perkussion”

Es ist davon auszugehen, dass Auenbrugger bei der Entwicklung des Verfahrens der Perkussion am Menschen ein Analogieschluss zuhilfe kam. In seiner Jugend hatte er vom Vater gelernt, dass man Weinfässer beklopfen muss, um die Höhe des Flüssigkeitsspiegels zu bestimmen. Ob die Erfindung der Thoraxperkussion ausschließlich auf die „Fässerperkussion” zurückzuführen ist, bleibt spekulativ, wenngleich der Autor im „Inventum novum” explizit darauf verweist. Genauso wahrscheinlich kann es jedoch sein, dass die Wiener Medizinische Schule unter dem Boerhaave-Schüler Gerhard van Swieten ihm bereits richtungsweisende diagnostische Bahnen vorgegeben hat. So wurden in Wien, unter Kenntnis der hippokratischen Mitteilungen, die Abdominalperkussion sowie die Anatomica practica bereits eifrig gelehrt. In den Vorlesungen seines Lehrers van Swieten hat Auenbrugger lernen dürfen, dass insbesondere die Trommel- oder Windsucht (Tympanitis) sowie die Bauchwassersucht (Aszites) durch das Beklopfen des Abdomens festgestellt werden konnten. Von den hippokratischen Schriften ist nicht nur das Beklopfen des Bauches zur Feststellung des Luft- oder Flüssigkeitsgehaltes überliefert, sondern auch ein Verfahren, das noch heute seinen Namen trägt, die „Succussio Hippocratis”. Bei dieser Untersuchung wurde der Patient an den Schultern geschüttelt, um Flüssigkeit im Brustkorb akustisch wahrnehmen zu können[2].

Auenbruggers neue Erfindung bestand darin, dass er die Brustwand von gesunden und kranken Menschen mit gerade gestreckten und adduzierten Fingerspitzen direkt beklopft hat. Mithilfe seines musikalisch geschulten Ohres hat er die verschiedensten Schallphänomene beurteilt und klassifiziert, bevor er diese dann für die Nachwelt niedergeschrieben hat. Gewissheit über die Verlässlichkeit seiner Klopfzeichen konnten ihm jedoch nur die Leichenöffnungen und die alsdann festzustellende Organpathologie geben.

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„Der widernatürliche Ton”

Der Leser, der den Inhalt des nur 95 Seiten zählenden Büchleins aufmerksam studiert, wird beeindruckt sein von der knappen anschaulichen Form sowie den klaren und präzisen Formulierungen. Das „Inventum novum” ist nahezu ein Musterbeispiel für prägnante Darstellung eines wissenschaftlichen Sachverhalts ([Abb. 2]). Anhand von 14 Beobachtungen, in 48 Leitsätze (Paragraphen) gegliedert und von sogenannten Scholien (Erläuterungen) ergänzt, stellt Auenbrugger die Erscheinungen der Perkussionszeichen experimentell sowie an Kranken und Gesunden dar. Die Technik der Perkussion wird ebenso vermittelt wie die verschiedenen Klangqualitäten und die Abweichungen vom Normalen („widernatürlicher Ton”). Auenbrugger demonstriert die Veränderungen des Klopfschalls an den einzelnen Affektionen der Brustorgane, leitet Prognosen ab und versucht Erklärungen für den Geräuschwandel zu geben.

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Abb. 2 Titelblatt von Leopold Auenbruggers „Inventum novum”.

„Die Zunahme des widernatürlichen Tones hängt von der krankhaften Materie ab, welche sich nach und nach an der entzündeten Seite ablagert, und zuweilen in solcher Menge angehäuft wird, dass selbe, meiner Beobachtung nach, oft mehr als zwei Drittel des Raumes in einer Hälfte der Brusthöhle einnimmt. Da also Rückkehr der Gesundheit von der vollständigen Auflösung, Verarbeitung und Ausscheidung des so mehr oder weniger angesammelten Krankheitsproduktes bedingt ist: so ist es auch für die Abnahme des abnormen Tones erforderlich, dass die Aussonderungen des gelösten und verarbeiteten Krankheitsstoffes an Beschaffenheit, Dauer und Menge dem aus den einwirkenden Ursachen erkannten Grade entsprechen (V. Beobachtung, Leitsatz 23, Erläuterung)”.

„Sonus alterior, sonus obscurior, sonus prope suffocatus oder percussae carnis” waren die Schallqualitäten, die Auenbrugger beschrieben hat. Sie geben letztlich nichts anderes wieder als das, was wir heute mit tympanitischem, gedämpftem und Schenkelschall bezeichnen. Auenbrugger hat „erhorcht”, wie sich der „widernatürliche Ton” im Verlaufe einer akuten Entzündung der Brustorgane entwickelt und bei Genesung wieder zu einem normalen Ton verändert. Ist der Arzt einmal mit der Methode der Perkussion gut vertraut, so Auenbrugger, so kann er mit dieser wichtige Anhaltspunkte für die Vorhersage einer Erkrankung gewinnen und sich vor Fehlern und Irrtümern schützen.

Der Erfinder der Perkussion widmet sowohl den akuten als auch den chronischen Erkrankungen der Brustorgane gebührende Beachtung. Als ursächlich für den unnormalen Perkussionsschall bei chronischen Erkrankungen der Brustorgane sieht Auenbrugger Säftefehler wie unvollständig geheilte akute Leiden an. Besonders beeindruckend ist die Darstellung des Zusammenhangs zwischen chronischen Brusterkrankungen und psychischen Alterationen, beispielsweise dem Heimweh der Rekruten. Diesem ätiologischen Faktor schreibt Auenbrugger neben einer hereditären Belastung sowie einer beruflichen Exposition durch verdorbene Atemluft auch die Entwicklung der Phthise zu. Anhand des Perkussionsverfahrens werden die Erscheinungen der Extravasate, des Empyems sowie des Aneurysma cordis dargestellt und erklärt.

Auenbruggers klinischer Lehrer van Swieten hat es eindrucksvoll verstanden, seinen Schülern die Zusammengehörigkeit von klinischer Observation und pathologischer Sektion zu vermitteln. Die Leichenöffnung hatte es erstmals möglich gemacht, klinische Befunde mit der Organpathologie zu vergleichen. Für Auenbrugger war die Anatomica practica vor allem wichtig, um seine mittels Perkussion erhobenen Befunde, so der Patient verstorben war, an der Leiche zu hinterfragen. Experimentell hat Auenbrugger durch Einspritzen von Flüssigkeit in die Brusthöhlen von Leichen zu bestätigen versucht, dass es in Abhängigkeit des Flüssigkeitsspiegels im Thorax zu unterschiedlichen Schallqualitäten kommt. So schreibt der Autor im Inventum novum:

„Das Dasein des widernatürlichen Tones als konstanter Begleiter großer Ergüsse der in den Gefäßen der Brusthöhle enthaltenen Flüssigkeiten wird durch folgendes Experiment bestätigt: Wenn die sonore Brusthöhle einer Leiche mittelst Einspritzung mit einer Flüssigkeit gefüllt wird, so wird der Ton der angefüllten Seite bis zu jener Höhe gedämpft, welche die eingespritzte Flüssigkeit erreicht hat (IV. Beobachtung, Leitsatz 8, Erläuterung).”

An speziellen Stellen des Textes verweist er auf die von van Swieten verfassten Kommentare zu Boerhaaves Aphorismen über die Erkenntnis und Heilung der Krankheiten. Interessant ist der Vergleich der Krankheitsprognosen unter dem Aspekt der Würdigung der Schallphänomene. So schreibt Auenbrugger:

„Ich habe jedoch aus der angestellten Vergleichung der verschiedenen Ausgänge der entzündlichen Brustkrankheiten mit Bezugnahme auf das besagte Zeichen folgende Schlusssätze gezogen:

  1. Je gedämpfter der Perkussionsschall an irgendeiner Stelle der Brust ist, und je mehr er sich dem Schenkeltone nähert, desto bedeutender ist die Krankheit.

  2. Je grösser die Ausdehnung, in welcher der Schall gedämpft ist, desto bestimmter ist die Gefahr.

  3. Der Kranke ist gefährdeter, wenn die linke, als wenn die rechte Seite ergriffen ist.

  4. Mangel des Schalls an der vorderen oberen Parthie des Thorax (die sich vom Schlüsselbeine bis zur vierten Rippe erstreckt), hat weniger Gefahr, als am unteren Theile.

  5. Es ist gefährlicher, wenn der Perkussionsschall an der hinteren, als wenn er an der vorderen oberen Brustwand fehlt.

  6. Verschwinden des Schalles an einer ganzen Seite des Thorax ist grösstentheils tödtlich.

  7. Fehlen des normalen Schalles am Brustbein ist todbringend.

  8. Schenkelton in grossem Umfange an der Stelle, die das Herz einnimmt, bringt Verderben”. (V. Beobachtung, Leitsatz 25)

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Ubi est morbus?

Das war die entscheidende Frage der damaligen Zeit. Während sich der italienische Arzt und Anatom Giovanni Battista Morgagni (1682 – 1771) in Padua die Frage „ubi est morbus?” am toten Körper gestellt hat, indem er Symptome mit Organpathologika verglich, hat Auenbrugger versucht, diese Frage zuerst am lebenden Menschen zu beantworten. Morgagni’s Leistung stellt bei dem damaligen Wissensstand ein Höchstmaß an Annäherungsbestreben zwischen pathologischer Anatomie und klinischer Objektivierung dar. Er hat der organmorphologischen Strukturveränderung als Ort der Krankheit erstmals dadurch Rechnung getragen, dass er Krankheitssymptome mit Obduktionsbefunden verglichen hat. Auenbrugger hingegen hat untersucht und „gehorcht” und seine Befunde an der Leiche hinterfragt. Er hat frühzeitig erkannt und wahrgenommen, dass es dem praktizierenden Arzt an einer Methode mangelte, mit der er krankhafte Veränderungen der Brustorgane, ihren Sitz, ihre Ausdehnung und ihre Qualität am lebenden Organismus beurteilen konnte. Pulsfühlen und Beobachtung der Atmung waren die wichtigsten Untersuchungsverfahren damaliger Zeit. Auenbruggers Bestreben galt dem Nachweis „natürlicher” und vor allem „widernatürlicher” Schallphänomene der Brust sowie der Einordnung derselben in einen kausalen Zusammenhang zur Erkrankung.

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Das „Inventum novum” wird verschmäht

Wie bereits erwähnt, hat Auenbrugger das Spanische Spital in Wien, an dem er 1758 Primarius geworden war, schon 1762 verlassen und sich enttäuscht in eine Privatpraxis zurückgezogen. Neben Missgunst, Neid und Verleumdung durch seine klinischen Kollegen haben auch andere Gründe zur Ablehnung der Perkussion geführt: Widerstand seitens der Patienten, die diese neumodische und mitunter lästige Methode nicht an sich praktizieren lassen wollten oder aber mangelndes Verständnis seitens der Praktizierenden, die mit der Perkussion nicht umzugehen verstanden oder ihre Sinnhaftigkeit bezweifelten. Die Tatsache, dass auch sein von ihm hochgeschätzter und gewürdigter Lehrer van Swieten seine Arbeit verschmäht und totgeschwiegen hat, muss wohl eine ganz besonders große Enttäuschung für Auenbrugger gewesen sein. Auch seitens der Wiener Medizinischen Fakultät gab es kein Wort der Anerkennung, geschweige denn der Würdigung. Die Fakultäten hielten an den veralteten Traditionen fest, wie sie von den „göttlich berufenen” Hippokrates und Galen unantastbar überliefert waren.

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Corvisart rettet die Perkussion und die Ehre Auenbruggers

Erst wieder in den achtziger Jahren wurde die Perkussion durch Maximilian Stoll (1742 – 1787) am Wiener Allgemeinen Krankenhaus praktiziert. Stoll hat die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlicht und die Auenbruggersche Untersuchungsmethode als brauchbar zur Erkennung von Pneumonien, Brustwassersucht und Empyemen empfohlen. Die endgültige Anerkennung der Perkussion erfolgte durch Jean Nicolas Corvisart (1755 – 1821), den Leibarzt des Kaisers Napoleon, fast ein halbes Jahrhundert später. Corvisart war in den Werken Stolls auf Auenbruggers Methode aufmerksam geworden und hatte, nachdem er sich über viele Jahre hinweg anhand eigens durchgeführter Untersuchungen von der Sinnhaftigkeit des Verfahrens überzeugen konnte, 1808 eine mit Kommentaren und Ergänzungen versehene französische Übersetzung des Auenbruggerschen „Inventum novum” herausgegeben. Er hatte bei der aktualisierten Version jedoch so viel Neues mitzuteilen, dass aus den 95 Seiten „Inventum novum” immerhin ein umfangreiches Werk mit 440 Seiten entstand. In der Klinik von Corvisart wurde das pathologisch-anatomische Denken zu damaliger Zeit sehr gepflegt. War ein Patient verstorben, so wurden die durch die Perkussion erhobenen Befunde mit dem Sektionsbefund verglichen.

Corvisart ist, und das sei an dieser Stelle in besonderem Maße hervorgehoben, ein Musterbeispiel großartiger Kollegialität. So hat er Auenbrugger in der Vorrede seines Buches ein Denkmal gesetzt, indem er das Verfahren der Perkussion ausdrücklich als das Werk Auenbruggers würdigt. Corvisart schreibt:

„Ich weiß wohl, wie wenig Ruhm fast alle Übersetzer, wie der größte Teil der Kommentatoren ernten, und so hätte ich mir eine Autorenschaft sichern können, wenn ich in einer Umarbeitung der Schrift Auenbruggers ein Werk über die Perkussion veröffentlicht hätte. Alsdann aber hätte ich den Namen Auenbruggers meiner eigenen Eitelkeit geopfert; das wollte ich nicht, ihn und seine schöne und rechtmäßige Entdeckung, welche er mit vollem Recht ein „Inventum novum” nennt, habe ich der Vergessenheit entreißen wollen.”

Wie mögen diese Zeilen Auenbrugger erfreut haben! Auenbrugger, der am 18.05.1809 an Entkräftung starb, hat erfreulicherweise diesen Triumph noch miterleben dürfen. Erst durch Corvisarts Pionierarbeit wurde die Auenbruggersche Perkussion über die Grenzen hinweg bekannt und in die medizinische Ausbildung übernommen. Und nicht zuletzt hat ein weiteres Faktum wesentlich geholfen die Auenbruggersche Perkussion salonfähig zu machen: Corvisart hat sie auch an seinem kaiserlichen Patienten Napoleon praktiziert. Die Schüler Corvisarts, vor allem Gaspar Laurent Bayle (1774 – 1816) und René Théophile Hyacinthe Laennec (1781 – 1826), haben so viel „éducation médicale des sens” bei ihrem medizinischen Lehrer genossen, dass sie sich nicht mehr allein mit der Perkussion zufrieden gegeben haben. Sie haben eifrig nach perfekteren Methoden zur Erfassung akustischer Phänomene des Körpers gesucht. Durch Laennec war der Weg der Herrschaft akustischer Zeichen dann endgültig gebahnt: der „Zylinder” und die „auscultation médiate” waren erfunden.

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Weiterentwicklung der Perkussion

1826 versuchte Pierre Adolphe Piorry (1794 – 1879) die Auenbruggersche Perkussionsmethode dadurch zu verbessern, dass er ein Plättchen aus Elfenbein (Elfenbeinplessimeter) zur mittelbaren Perkussion („Percussion médiate”) von Thorax und Abdomen benutzte. Aber musste das Plättchen unbedingt aus Elfenbein sein? Nein, musste es nicht; der Vielfalt der angewandten Materialien waren keine Grenzen gesetzt. Aus der Praktikabilität der neuen Perkussionstechnik erwuchs schlussendlich die Erkenntnis, dass man auch den eigenen Finger als Plessimeter in Form der Finger-Finger-Perkussion anwenden konnte. Formen der Perkussion wie diejenige, die mittels Perkussionshammer durchgeführt wurde, konnten sich langfristig nicht durchsetzen. Die Begeisterung der Plessimeter-Spezialisten hat jedoch in jedem Falle dazu beigetragen, dass sich die Perkussion sowie die akustischen Phänomene in breiterem Maße etabliert haben.

Bei den Ärzten im deutschen Sprachraum hat es längere Zeit gebraucht, bis die Perkussion als diagnostische Methode anerkannt war. Das hat insbesondere daran gelegen, dass größere Krankenhäuser sowie klinischer Unterricht am Krankenbett damals noch Raritäten waren. Orte wie Halle, Würzburg, Heidelberg und Berlin waren die Keimzentren der Verbreitung dieser neuartigen diagnostischen Verfahren. Ab 1850 waren Kurse für Perkussion und Auskultation an allen deutschen Universitäten üblich.

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Die Entwicklung physikalischer Diagnostik

Am Beispiel der Biografie Leopold Auenbruggers kann in eindrucksvoller Weise dargelegt werden, mit welch großem Engagement sich die Ärzte damaliger Zeit um die Enträtselung der Lungen- und Herzkrankheiten bemüht haben. Die Entwicklung der physikalischen Diagnostik repräsentiert ein glanzvolles Stück europäischer Medizingeschichte, zumal erstmals der Weg, der sich auf objektivierbare naturwissenschaftliche Tatsachen gründete, beschritten wurde. In den Jahrhunderten zuvor war das klinische Repertoire des Arztes ausschließlich durch das Erkennen und Wahrnehmen von äußeren Zeichen des Erkrankten, Veränderungen der Haut, der Atmung, des Herzschlags sowie der verschiedenen Körperausscheidungen, bestimmt.

Die Zitate entstammen:

Leopold Auenbruggers Inventum Novum, Faksimile nach der ersten Ausgabe, Herausgeber M. Neuburger, Verlag J. Safar 1922, Wien und Leipzig. Deutsche Übersetzung des „Inventum novum” durch S. Ungar (Wien 1843)

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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Literatur

  • 1 Neuburger M. Leopold Auenbruggers Inventum Novum. Herausgeber M.. Wien und Leipzig: Neuburger Verlag Josef Safar; 1922
  • 2 Kutkowka A. Leopold Auenbrugger, Edler von Auenbrugg (1722 – 1809), der Erfinder der Perkussion des Thorax.  Zeitschrift für Allgemeinmedizin/Der Landarzt. 1972;  32 1502-1510
  • 3 Lesky E. Meilensteine der Wiener Medizin. Große Ärzte Österreichs in drei Jahrhunderten.. Wien, München, Bern: Verlag Wilhelm Maudrich; 1981
  • 4 Lesky E. Leopold Auenbrugger – Schüler van Swietens.  Dtsch med Wschr. 1959;  84 1017-1022
  • 5 Sakula A. Auenbrugger: Opus and Opera.  J Roy Coll Phycns. 1978;  12 180-188
  • 6 Jarcho S. Morgagni and Auenbrugger in the retrospect of two hundred years.  Bulletin of the history of medicine. 1961;  35 489-496
  • 7 Jarcho S. Observations on the history of physical diagnosis: Hippocrates, Auenbrugger, Laennec.  J of the International College of Surgeons. 1959;  31 717-725
  • 8 Rate R G. Leopold Auenbrugger and „The Inventum Novum”.  The Journal of the Kansas Medical Society. 1966;  67 30-33

1 Herrn Prof. Dr. P. von Wichert, ehemals Direktor der Medizinischen Poliklinik Marburg, von seinem Schüler in Anerkennung seines stetigen und beständigen Bemühens um die klinische Lehre sowie das Erlernen klinischer Fertigkeiten gewidmet.

2 Dies war nur bei Vorliegen eines Sero- oder Pyo-Pneumothorax auslösbar.

Prof. Dr. Ulrich Koehler

Klinik für Innere Medizin
SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH

Baldingerstraße 1
35033 Marburg

Email: koehleru@staff.uni-marburg.de

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Literatur

  • 1 Neuburger M. Leopold Auenbruggers Inventum Novum. Herausgeber M.. Wien und Leipzig: Neuburger Verlag Josef Safar; 1922
  • 2 Kutkowka A. Leopold Auenbrugger, Edler von Auenbrugg (1722 – 1809), der Erfinder der Perkussion des Thorax.  Zeitschrift für Allgemeinmedizin/Der Landarzt. 1972;  32 1502-1510
  • 3 Lesky E. Meilensteine der Wiener Medizin. Große Ärzte Österreichs in drei Jahrhunderten.. Wien, München, Bern: Verlag Wilhelm Maudrich; 1981
  • 4 Lesky E. Leopold Auenbrugger – Schüler van Swietens.  Dtsch med Wschr. 1959;  84 1017-1022
  • 5 Sakula A. Auenbrugger: Opus and Opera.  J Roy Coll Phycns. 1978;  12 180-188
  • 6 Jarcho S. Morgagni and Auenbrugger in the retrospect of two hundred years.  Bulletin of the history of medicine. 1961;  35 489-496
  • 7 Jarcho S. Observations on the history of physical diagnosis: Hippocrates, Auenbrugger, Laennec.  J of the International College of Surgeons. 1959;  31 717-725
  • 8 Rate R G. Leopold Auenbrugger and „The Inventum Novum”.  The Journal of the Kansas Medical Society. 1966;  67 30-33

1 Herrn Prof. Dr. P. von Wichert, ehemals Direktor der Medizinischen Poliklinik Marburg, von seinem Schüler in Anerkennung seines stetigen und beständigen Bemühens um die klinische Lehre sowie das Erlernen klinischer Fertigkeiten gewidmet.

2 Dies war nur bei Vorliegen eines Sero- oder Pyo-Pneumothorax auslösbar.

Prof. Dr. Ulrich Koehler

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Baldingerstraße 1
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Abb. 1 Auenbrugger mit seiner Gattin. In der linken Hand hält er das „Inventum novum” (Quelle: Wikipedia).

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Abb. 2 Titelblatt von Leopold Auenbruggers „Inventum novum”.