Z Orthop Unfall 2010; 148(3): 252
DOI: 10.1055/s-0030-1255490
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

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Kongressbericht - Mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit!

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Publication Date:
21 June 2010 (online)

 
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Neun große chirurgische Fachgesellschaften trafen sich vom 20. bis 23. April 2010 im Berliner ICC beim 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH).

Gut 5000 Besucher, 117 Aussteller, eine Themenpalette von Bauch-, Unfall-, Kinder- bis Neurochirurgie: Der besondere Stellenwert der Tagung der Dachgesellschaft DGCH liegt im Austausch der verschiedenen chirurgischen Fachdisziplinen untereinander.

Es sei höchste Zeit, im Gesundheitswesen wieder "zu rationalem Tun zu kommen", mahnte Kongresspräsident Professor Reiner Gradinger in seiner Eröffnungsrede. Und kritisierte scharf eine falsche Kommerzialisierung der Medizin: Seit Jahren steigende Zahlen bei Endoprothesen und Wirbelsäulenoperationen sind für Gradinger nicht allein mit der demografischen Entwicklung zu erklären. Dahinter stecke auch ein "boomender Markt", für ihn ein Schreckenswort. Der Ärztliche Direktor am Klinikum rechts der Isar der TU München hält es gar für einen Grundfehler, die Medizin über den Preis steuern zu wollen.

Einen völligen Systemwechsel wird es kaum geben, immerhin kristallisierten sich aber in Berlin Ansätze für pragmatische Verbesserungen heraus.

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Mit Chirurgie gegen Diabetes

In mehr Zusammenarbeit der seit Jahrzehnten zunehmend zersplitterten medizinischen Fachdisziplinen steckt aktuell eine besonders große Chance. So berichten ausgerechnet die Chirurgen seit Kurzem von großen Erfolgen gegen den Diabetes – bislang eine Domäne der Inneren Medizin. Mehrere große Studien zeigen, dass operative Verfahren, wie Magenbypass oder Schlauchmagen, vielen Diabetikern eine Chance bietet, die Krankheit zu stoppen oder zu "heilen". Die antidiabetische Wirkung der Adipositaschirurgie sei dabei noch nicht einmal zwingend an eine Gewichtsreduktion gekoppelt, referierte Professor Markus W. Büchler von der Universität Heidelberg.

Oder die Kardiologen und Herzchirurgen: Auch sie müssen enger zusammenarbeiten, betonte Professor Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover. So müsse bei Herzklappenproblemen schon der diagnostizierende Kardiologe die Frage angehen, ob eine Herzklappe rekonstruierbar ist und wenn ja, mit welcher Methode.

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Preis für den Einsatz zur Patientensicherheit

Den Rudolf-Zenker-Preis der DGCH im Wert von 6000 Euro, gestiftet von der B. Braun Melsungen AG, erhielt in diesem Jahr Professor Matthias Rothmund vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg für seinen Einsatz zur Patientensicherheit. Als nach wie vor besonders neuralgischen Punkt sah manch Experte dabei immer noch den Informationsfluss zwischen den verschiedenen Versorgungsebenen, etwa bei der Übergabe auf Stationen. Lösungen dafür, dass hier keine wichtigen Informationen verloren gehen, soll v. a. die IT-Branche beisteuern. Deren Spezialisten waren in diesem Jahr erstmals gleich um die Ecke: Mit der zeitgleich zum Chirurgenkongress im ICC stattfindenden Gesundheits-IT-Messe conIT gab es gemeinsame Sitzungen.

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Master-Studium als Chance

Arbeitsbedingungen, Studium und Weiterbildung waren weitere Schwerpunkte. Gradinger prognostizierte auch dem Medizin-Studium in absehbarer Zeit einen Umbau nach Bachelor-Master-Schema. Und er sieht Chancen. Da 40% der Medizin-Absolventen heute keine Ärzte würden, sei es sinnvoll, wenn die eigentliche Arztqualifikation erst in einem speziellen Master-Studium erworben würde. Wer in andere Berufszweige möchte, könne sich parallel besser in anderen Master-Studiengängen qualifizieren.

Die Unvereinbarkeit von Job und Familie kristallisierte sich einmal mehr als ein Hauptproblem vieler Ärzte heraus. Dr. Thomas Bohrer vom Universitätsklinikum Würzburg präsentierte Ergebnisse einer Befragung von knapp 3700 Teilnehmern chirurgischer Fachkongresse 2009, nach der 95% dem Privat- und Familienleben oberste Prioriät einräumen. Zugleich meinten 74%, dass ihnen der Job dafür "zu wenig bis gar keine Zeit" lässt.

Manches hängt hier auch an der falschen Auslegung einschlägiger Vorschriften. So würden die richtigen Vorgaben des Mutterschutzgesetzes in den Kliniken völlig heterogen umgesetzt, erklärte der Generalsekretär der DGCH, Professor Hartwig Bauer. Manche Häuser verpassten Schwangeren aus falschem Sicherheitsdenken heraus quasi ein Berufsverbot – "für Ärztinnen in Weiterbildung eine Katastrophe" – andere machten so gut wie gar nichts. Bauer: "Dieses Durcheinander geschieht auch aus Unsicherheit, weil die Häuser nicht wissen, wie sie mit den Vorschriften in der Praxis umgehen sollen." Gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften plane die DGCH daher jetzt einen Kriterienkatalog dazu.

Der nächste DGCH-Kongress ist turnusgemäß wieder im ICM - Internationales Congress Center München, vom 3. bis 6. Mai 2011.

http://www.chirurgie2010.de/

Dr. Bernhard Epping