ergopraxis 2010; 3(5): 14
DOI: 10.1055/s-0030-1254304
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Wissenschaft erklärt: Fall-Kontroll-Studien – Einfach, aber erkenntnisreich

Jan Mehrholz
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Publication Date:
18 May 2010 (online)

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Mit Fall-Kontroll-Studien kann man die Risikofaktoren von Krankheiten ermitteln. Alternativ – und wichtig für Therapieberufe – lassen sich auch gesundheitsfördernde, salutogene Einflüsse abbilden. Ein erster Schritt also, um die Entwicklung von Krankheiten besser zu verstehen.

Weil die Bevölkerung immer älter wird, entwickeln sich chronische Erkrankungen für das Gesundheitswesen zu einem immer wichtigeren Thema. Mithilfe von Fall-Kontroll-Studien möchte man den beeinflussenden Faktoren von chronischen oder auch seltenen Krankheiten auf die Spur kommen. Fall-Kontroll-Studien sind retrospektiv, also zurückblickend. Ihr Studiendesign stammt aus der epidemiologischen Forschung [1].

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Fälle und Kontrollen müssen vergleichbar sein

In Fall-Kontroll-Studien teilen die Forscher die Studienteilnehmer meist zwei verschiedenen Gruppen zu. Die Probanden mit einer bestimmten Krankheit bilden die „Fälle”, die nicht erkrankten Vergleichspersonen die „Kontrollen”. Damit man ein valides Studienergebnis erhält, muss man bestimmte Merkmale der Kontrollen mit denen der Fälle vergleichen können. Treten aber Störgrößen auf wie unterschiedliches Alter oder verschiedene Geschlechter, dann sind die Kontrollen nicht optimal mit den Fällen vergleichbar.

Genau diese Vergleichbarkeit stellt die Hauptschwierigkeit jeder Fall-Kontroll-Studie dar. Deswegen sollte man die Kontrollen aus derselben Bevölkerung rekrutieren wie die Fälle. Um die Kontrollpersonen unabhängig von ihrer Exposition auszuwählen, erhebt man sie am besten anhand einer Zufallsstichprobe. Die relevanten Daten erfasst man dann beispielsweise durch Befragen der Teilnehmer oder Auswerten von Patientendaten [2, 3].

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Kostengünstig, aber anfällig für Bias

Fall-Kontroll-Studien haben mehrere Vorteile: Sie sind schnell durchführbar und kostengünstig, da man nur wenige Probanden benötigt.

Der Nachteil von Fall-Kontroll-Studien ist, dass man mit ihnen keine Zeit-Wirkungs-Beziehung nachweisen kann. Zudem sind sie sehr anfällig für Bias, also Verzerrungen des Ergebnisses. Ein Selektionsbias entsteht zum Beispiel, wenn man Fälle und Kontrollpersonen aus verschiedenen Populationen erhebt. Ein Beobachtungsbias hingegen tritt auf, wenn das Wissen und die Erfahrung der Befragten über ihre Krankheit die Antworten beeinflusst. Ein Recall-Bias wiederum entsteht bei Befragungen, bei denen das Erinnerungsvermögen zwischen Fällen und Kontrollen unterschiedlich ist [2].

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Der Klassiker: Rauchen beeinflusst Lungenkrebs

Ein klassisches Beispiel für eine Fall-Kontroll-Studie ist die bereits vor über drei Jahrzehnten gewonnene Erkenntnis über den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs. Forscher erfassten eine Patientengruppe, die an Lungenkrebs erkrankt war (= Fälle), und ermittelten den Anteil der Patienten, die zuvor über viele Jahre geraucht hatten (= Exposition). Anschließend untersuchten sie den Raucheranteil bei Menschen ohne Lungenkrebs (= Kontrollen). Nachdem die Wissenschaftler beide Expositionsraten verglichen hatten, stellten sie einen deutlichen Unterschied fest: Die Raucherrate bei den Fällen war deutlich höher als die Raucherrate bei den Kontrollen. Somit waren die ersten Hinweise geboren, dass Rauchen eine der Hauptursachen von Lungenkrebs ist [4].

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Für die Ergotherapie nützlich

Auch für Therapieberufe sind Fall-Kontroll-Studien von Nutzen. Zum Beispiel kam ein Forscherteam um Sue Berney vom Austin Hospital in Heidelberg, Australien, in einer solchen Studie zu dem Ergebnis, dass eine intensive Therapie zusammen mit frühzeitiger Extubation die Dauer des Aufenthalts von Patienten auf einer Intensivstation verkürzt [5]. Um dieses Ergebnis abzusichern, sollte man nun eine robustere wissenschaftliche Methode anwenden, zum Beispiel eine randomisierte kontrollierte Studie (ergopraxis 4/10, „Wissenschaft erklärt: Randomisierte kontrollierte Studie”). Es existieren bisher allerdings kaum rein ergotherapeutische Fall-Kontroll-Studien. Diese wären aber durchaus nützlich, um erste Hinweise auf kausale Zusammenhänge zu finden. Allerdings sollte man sie nicht alleinstehend betrachten. Meist sind weitere Studien nötig, um die Ergebnisse zu bestätigen.