Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(2): 60
DOI: 10.1055/s-0030-1253317
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Auch ein Thema in der reisemedizinischen Beratung – Zeckenalarm!

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Publication Date:
19 April 2010 (online)

 
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Es ist der 27. Mai 2002. Eine Grundschullehrerin aus dem niedersächsischen Soltau befindet sich mit ihren Drittklässlern auf einer Klassenfahrt. Während der Pausenaufsicht im Wald bei Bad Fallingbostel, Landkreis Lüneburg, wird sie von einer Zecke gestochen. Einige Monate später erkrankt die Lehrerin und muss für mehrere Tage stationär behandelt werden. Aufgrund von Seh- und Gleichgewichtsstörungen muss sie in der Folge sogar für 10 Monate krank geschrieben werden. Die Diagnose: Borreliose.

Die Lehrerin versuchte, den Stich und dessen Folgen als Dienstunfall geltend zu machen. Vor dem Verwaltungsgericht erhielt sie Recht, doch unterlag sie mit Ihrer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht. Ende Februar 2010 - 8 Jahre nach dem eigentlichen Stich - entschied das Bundesverwaltungsgericht schlussendlich zu ihren Gunsten.

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Zecken übertragen nicht nur FSME

Dieses aktuell durch die Presse gegangene Beispiel soll zweierlei zeigen: Zum einen wird mit der neuen Zeckensaison in der Öffentlichkeit stark auf die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME) fokussiert. Die Borreliose wird als nicht impfpräventable Erkrankung eher beiläufig genannt, obschon ihr Verbreitungsgebiet weit über das der FSME hinausgeht. Zudem werden von Zecken auch hierzulande weitere Zoonosen übertragen, die den Sprung in die Tagespresse nur selten schaffen.

Die Babesiose, deren Erreger mit dem Malariaparasiten verwandt sind, kommt weltweit vor, auch bei uns. Die bakterielle Tularämie ist primär bei Kleinsäugern (Hasen, Nager) verbreitet und kann außer durch Zeckenstiche auch durch infiziertes Fleisch und Wasser sowie durch Aerosole auf den Menschen übertragen werden.

Die Anaplasmose ist, wie die mediterrane Ehrlichiose, vorwiegend dem Hundefreund bekannt. In Süddeutschland wurde der Erreger bei 2,2 % der Zecken nachgewiesen [1], in Thüringen sogar bei 6,5 % [2]. Die Seropävalenz liegt bei circa 2 %, bei Risikogruppen wie Forstarbeitern und Soldaten jedoch bei deutlich über 10 %.

Von Zecken übertragene Rickettsiosen, zu denen Infektionskrankheiten mit so klangvollen Namen wie "Rocky Mountain spotted fever" oder "Fièvre boutonneuse" zählen, assoziieren wir eher mit ferneren Reisezielen, doch erlangen sie in jüngerer Zeit auch in Mitteleuropa zunehmend Beachtung. R. helvetica wurde in den letzten Jahren zunächst in unseren Nachbarländern dokumentiert, in der Folge aber auch in Deutschland nachgewiesen. R. slovaca, übertragen von Dermacentor-Zecken, wurde in den letzten Jahren in Frankreich und Ungarn beschrieben. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Isolierung von R. monacensis, mit der "spotted fever group" verwandt, aus Zecken aus dem Englischen Garten in München [3].

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Bei der Reiseberatung auch Deutschland im Blick haben

Das Beispiel macht aber zudem auch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: Deutschland bleibt weiterhin das Reiseziel Nummer eins der Deutschen, für 2010 wird sogar mit einem weiteren Zuwachs gerechnet [4]. Auch die Nachbarländer liegen im Trend. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit bei der reisemedizinischen Beratung daher nicht nur auf ferne Reiseziele richten, sondern auch die heimischen Gefilde im Fokus behalten.

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Wie hoch ist das Zeckenrisiko?

Wie ist nun das Zeckenrisiko für dieses Jahr einzuschätzen? Hat der lange Winter nicht dafür gesorgt, dass die Gliedertiere - so auch die Zecken - dezimiert wurden? Dies trifft nur in Teilen zu. Zwar berichten vereinzelte Studien über einen gewissen Zusammenhang zwischen tiefen Wintertemperaturen und dem verminderten Auftreten an FSME-Fällen im Folgejahr [5]. Doch unsere einheimischen Arten sind durchaus an den Winter angepasst. Zudem hat die vielerorts dichte und dauerhafte Schneedecke des schwindenden Winters den Boden vor wirklich tiefen Frosttemperaturen bewahrt. Für eine zuverlässige Aussage werden wohl weitere epidemiologische Studien nötig sein.

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Prävention bleibt oberstes Gebot

Wichtig bleibt also auch für die aktuelle Saison die 1. Schutzinstanz: Vermeidung eines Zeckenstiches durch entsprechende Kleidung und Abwehrmittel bei einem Aufenthalt in Zeckenbiotopen. Genauso wichtig ist es, zeitnah nach der Exposition den Körper und auch die Kleidung nach Zecken abzusuchen. Insbesondere eine Borrelieninfektion lässt sich dadurch effektiv vermeiden, da die Erreger im Darm der Zecke lokalisiert sind und erst gegen Ende der Blutmahlzeit in den Menschen gelangen.

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Bild: Image State

Der effektivste Schutz gegen FSME ist nach wie vor die Impfung. Um so verblüffender ist, dass die Durchimpfungsrate in Deutschland eher gering ist (z. B. 25,5 % mit vollständiger Grundimmunisierung in Baden-Württemberg und 30,7 % in Bayern) [6]. Auch der Anteil der Impfabbrecher ist erschreckend hoch (16,3 % in Baden-Württemberg und 18,8 % in Bayern).

Es bleibt, wie so meist, hartnäckig Aufklärung zu betreiben sowie auf Risiken und Vorbeugung hinzuweisen. Entsprechendes gilt für die Nachsorge, zu der die Erinnerung des Patienten an noch ausstehende Impftermine gehört.

Dr. Patrick Petry, Düsseldorf

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Informationen für Ihre Patienten

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Das CRM Centrum für Reisemedizin, Düsseldorf, und der Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes haben einen Flyer "Zeckenalarm - Antworten auf die wichtigsten Fragen" aufgelegt. Ein Paket mit 25 Stück zur Abgabe an Patienten können Sie unter: Email: kundenservice@crm.de Stichwort "25 Zeckenflyer" kostenlos anfordern.

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Literatur

  • 01 Baumgarten B U, Röllinghoff M , Bogdan C . J Clin Microbiol. 1999;  37 3448-3451
  • 02 Hildebrandt A , Schmidt K H, Fingerle V , et al . FEMS Microbiol Lett. 2002;  211 225-230
  • 03 Simser J A, Palmer A T, Fingerle V , et al . Appl Environ Microbiol. 2002;  68 4559-4566
  • 04 Lohmann M . Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR);.  2010; 
  • 05 Daniel M , Kríz B , Valter J , et al . Int J Med Microbiol. 2008;  298 (Suppl. 1) 60-67
  • 06 Weidle F . Befragung zum Thema Zeckenschutz. In: Selbstmedikation und Patientenforschung.  GfK HealthCare. 2008; 
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Literatur

  • 01 Baumgarten B U, Röllinghoff M , Bogdan C . J Clin Microbiol. 1999;  37 3448-3451
  • 02 Hildebrandt A , Schmidt K H, Fingerle V , et al . FEMS Microbiol Lett. 2002;  211 225-230
  • 03 Simser J A, Palmer A T, Fingerle V , et al . Appl Environ Microbiol. 2002;  68 4559-4566
  • 04 Lohmann M . Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR);.  2010; 
  • 05 Daniel M , Kríz B , Valter J , et al . Int J Med Microbiol. 2008;  298 (Suppl. 1) 60-67
  • 06 Weidle F . Befragung zum Thema Zeckenschutz. In: Selbstmedikation und Patientenforschung.  GfK HealthCare. 2008; 
 
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