Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(2): 57-58
DOI: 10.1055/s-0030-1253313
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Tuberkulose – Ausbrüche und Multiresistenzen auf Haiti

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Publikationsdatum:
19. April 2010 (online)

 
Inhaltsübersicht

Nach dem verheerenden Erdbeben, das Mitte Januar große Teile Haitis verwüstete, muss das Land nun nicht nur mit den direkten Folgen der Naturkatastrophe kämpfen, wie der Versorgung ungezählter Verletzter, der Seuchengefahr sowie dem Hunger und Durst der Überlebenden. Hinzu kommt auch, dass schon vor dem Beben bestehende Gesundheitsgefahren nun in den Hintergrund rücken und so unbeachtet zu einer wahren Zeitbombe anwachsen könnten. Eine dieser Gefahren ist die Tuberkulose (Tb).

Schon vor dem Erdbeben hatte Haiti mit einer geschätzten Prävalenz von etwa 400 pro 100 000 Einwohnern (Stand 2006) die höchste Tb-Rate Amerikas. Jährlich wurden circa 30 000 Neuinfektionen gemeldet, in der Statistik der Todesursachen durch Infektionskrankheiten überbietet nur HIV/AIDS die Tb.

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Multiresistenzen durch schlechte Compliance

Bei fast 2 % der neu diagnostizierten Tuberkulosefälle hat man dabei in den letzten Jahren multiresistente Bakterienstämme gefunden. Das sind Bakterien, die zumindest gegen Isoniazid und Rifampicin, häufig aber auch gegen weitere Antituberkulotika resistent waren. Bei den Patienten, die bereits früher einmal wegen Tb in Behandlung waren, lag der Anteil der Mulitresistenzen gar bei 9 %. Die Behandlung einer multiresistenten Infektion ist wesentlich aufwendiger als die einer unkomplizierten Tuberkulose - und deutlich seltener erfolgreich.

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Die zunehmende Resistenzbildung ist ein weltweites Problem, das vor allem durch eine unzureichende Therapietreue der Patienten ("compliance") hervorgerufen wird: Viele Patienten brechen die Einnahme der Antibiotika aus Unwissenheit, Nachlässigkeit oder Kostengründen ab, sobald die Symptome verschwunden sind. Um Resistenzbildungen bei der Tb zu vermeiden, ist jedoch eine Medikation über eine Dauer von mindestens 6 Monaten erforderlich. Dies kann man nur durchsetzen, wenn es Kontrollinstanzen gibt, die die Behandlung der Tb-Patienten überwachen. In Haiti jedoch ist mit dem Erdbeben auch der letzte Rest des bereits zuvor höchstens rudimentär entwickelten Gesundheitssystems zusammengebrochen.

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Diagnose und Versorgung unzureichend

Die überlasteten Krankenhäuser sind schlecht bis gar nicht ausgerüstet und müssen sich bei der Diagnose neuer Tb-Fälle zumeist auf äußerliche Symptome wie Nachtschweiß, Husten und Gewichtsverlust verlassen - nicht gerade aussagekräftige Merkmale in einer Bevölkerung, in der die meisten Menschen unterernährt sind, durch den Staub in der Luft Atemwegsreizungen haben und wegen der Hitze schwitzen. Und kann dennoch eine Tuberkulose zweifelsfrei diagnostiziert werden, haben die Patienten häufig nicht die Möglichkeit, regelmäßig an die benötigten Medikamente zu kommen.

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Abb. 2 Kolorierte Rasterelektronenaufnahme des Tuberkulose-Erregers Mycobacterium tuberculosis. Quelle: Janice Haney Carr, CDC-PHIL, Bildnummer 9997

Selbst in dem einzigen Tuberkulose-Sanatorium des Landes ist die Lage verheerend: Früher arbeiteten hier 50 Schwestern und 20 Ärzte. Nach dem Beben betreute wochenlang nur noch ein einziger Krankenpfleger die halb zerstörte Klinik. Dieser harrte ohne Lohn und ohne einen Mundschutz 14 Stunden am Tag aus, um den schwersten Tb-Fällen zu helfen, soweit das in dieser schwierigen Situation überhaupt möglich war. Die Ärzte und die anderen Krankenpfleger kamen entweder bei der Katastrophe um, kehrten aus Angst vor einem Einsturz des Gebäudes nicht wieder zur Arbeit zurück oder waren mit ihrer eigenen Not beschäftigt.

Es ist somit zu befürchten, dass sich in den nächsten Monaten und Jahren die Zahl der Tb-Kranken und der Multiresistenzen in Haiti noch deutlich erhöhen wird. Und dies ist nicht allein ein lokales Problem, da Haiti schon vor der Katastrophe ein Abwanderungsland war. Viele Einwohner dieses ärmsten Landes Amerikas fliehen vor dem Elend in die benachbarte Dominikanische Republik oder in die USA und könnten so die weltweite Verbreitung der multiresistenten Tb-Stämme vorantreiben.

Dr. Raymund Lösch und Dipl. Biol. Unn Klare, Bad Doberan

Quellen: promed, Southeastern National Tuberculosis Center

 
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Abb. 2 Kolorierte Rasterelektronenaufnahme des Tuberkulose-Erregers Mycobacterium tuberculosis. Quelle: Janice Haney Carr, CDC-PHIL, Bildnummer 9997