PiD - Psychotherapie im Dialog 2010; 11(2): 167-168
DOI: 10.1055/s-0030-1248469
Aus der Praxis

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Richtlinienpsychotherapie bei Patienten mit onkologischer Erkrankung (aus psychodynamischer Sicht)

Ulrich  Rüger
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Publication Date:
31 May 2010 (online)

Vorbemerkungen – Abgrenzung

Die Diagnose einer Krebserkrankung zerreißt immer einen Lebenszusammenhang und stellt den bisherigen Sinn eines Lebens infrage. Sie konfrontiert den Kranken mit der Endlichkeit des Lebens und der Begrenztheit unserer menschlichen Existenz. Darüber hinaus sind die betreffenden Patienten durch oft sehr eingreifende Behandlungsmaßnahmen und die damit verbundenen Nebenwirkungen stark belastet. In dieser Situation benötigt jeder Patient Hilfe und Unterstützung. Nicht in jedem Fall ist allerdings eine psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinne angezeigt. Vielmehr können hier sehr unterschiedliche Formen psychosozialer Hilfe, Beratung und Therapie sinnvoll sein – von der supportiven Therapie über die Krisenintervention sowie Beratungsgesprächen bis hin zu Selbsthilfegruppen für bestimmte Erkrankungen / Krankheitsfolgen und die Beratung und Unterstützung von Angehörigen (Box 1).

Box 1 Möglichkeiten psychosozialer Unterstützung bei Patienten mit einer onkologischen Erkrankung.

  • Ärztliches Gespräch

  • Beratung

  • Krisenintervention

  • Selbsthilfegruppe

  • Angehörigenarbeit

  • Psychotherapie i. e. S.

Krebskranke Menschen müssen sich neu orientieren, in ihren Rollen innerhalb der Familie, im weiteren sozialen Umfeld und am Arbeitsplatz. Außerdem müssen sie sich mit dem unsicheren und langfristigen Verlauf sowie der stigmatisierenden Wirkung der Krebsdiagnose auseinandersetzen. Längere Arbeitsunfähigkeit und oft auch eine frühzeitige Berentung in der Folge einer Krebserkrankung bringen eine weitere Fülle von Problemen hinsichtlich der sozialen Identität und des Selbstwertgefühls sowie der finanziellen Situation der Erkrankten und ihrer Familien mit sich (Rüger u. Friedrich 1996). Eine entsprechende Umorientierung des Lebens ist in jedem Fall nicht leicht und entsprechende Hilfestellungen müssen dort ansetzen, wo sie notwendig sind und Aussicht auf Wirksamkeit haben.

Bei den jeweils vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen sollte das Selbsthilfepotenzial von Patienten und ihren Familien auch nicht unterschätzt werden. Bei Patienten, die bis zu ihrer Krebserkrankung psychisch gesund gewesen sind, dürfte z. B. eine aufwendige psychotherapeutische Langzeittherapie auch bei Vorliegen einer Anpassungsstörung in der Regel nicht begründet sein. In diesen Fällen sind häufig Beratung und stützende Gespräche ausreichend.

Zunächst einmal suchen die meisten Patienten das Gespräch mit dem für ihre Krebsbehandlung verantwortlichen Arzt (ärztliches Gespräch). Dieses natürliche Bedürfnis des Patienten sollte nicht ohne Vorliegen besonderer Gründe durch einen Verweis auf eine Psychotherapie enttäuscht werden. Es gehört zu den originären ärztlichen Aufgaben, Patienten mit schweren Erkrankungen auch seelische Hilfestellung zu geben und als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen.

Welche besonderen Gründe sprechen nun aber dafür, dass bei einem Patienten mit einer Krebserkrankung eine psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinne indiziert sein kann?

Bei der Erörterung dieser Frage beschränke ich mich im Folgenden auf die Indikation von psychodynamisch orientierten Psychotherapien im Rahmen der ambulanten Richtlinien-Psychotherapie. Über eine entsprechende Indikation von verhaltenstherapeutischen Behandlungsmaßnahmen erfolgt eine eigene Erörterung in dieser Zeitschrift (Sturm, in diesem Heft). Im Hinblick auf psychoonkologische Betreuung im stationären Setting wird auf die entsprechenden Beiträge in dieser Zeitschrift und auf die Publikation von Kost et al. (2009) verwiesen.

Literatur

  • 1 Kost C, Labouvie H, Kosfelder J. et al . Veränderung der psychischen Belastung von Krebspatienten im Rahmen einer strukturierten psychoonkologischen Versorgung.  Psychother Psych Med. 2009;  59 432-439
  • 2 Rüger U. Psychotherapie-Patienten mit schweren körperlichen Erkrankungen – zur notwendigen Stringenz des Konsiliararzt-Verfahrens in der Richtlinien-Psychotherapie.  Z Psychosom Med Psychother. 2007;  53 4-8
  • 3 Rüger U. Krankengeschichte und Lebensgeschichte. Göttingen; Universitätsverlag 2009
  • 4 Rüger U, Dahm A, Kallinke D. Faber-Haarstrick-Kommentar Psychotherapie-Richtlinien. 8. Aufl. München:. Urban und Fischer 2009
  • 5 Rüger U, Friedrich H. Psychosoziale und psychotherapeutische Aspekte von Krebs. Göttingen; Tumorzentrum Göttingen 1996
  • 6 Rüger U, Reimer C H. Ethical problems in psychotherapy. In: Helmchen H, Sartorius N, Hrsg Ethics in psychiatry. Heidelberg; Springer im Druck

Prof. Dr. med. Ulrich Rüger

Mittelbergring 59

37085 Göttingen

Email: urueger@gwdg.de

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