B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2010; 26(4): 147
DOI: 10.1055/s-0030-1247448
EDITORIAL

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

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K. Schüle
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Publication Date:
09 August 2010 (online)

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

welcher Sportler hat nicht schon einmal Gelenkschmerzen gehabt, ohne diese mit Rheuma in Verbindung zu bringen? Ähnlich geht es uns mit Rückenschmerzen, die wir auch nicht gleich mit einem Bandscheibenvorfall assoziieren. Insofern hat jeder schon mit rheumaähnlichen Schmerzen Bekanntschaft gemacht. 

Das Schwerpunktthema des vorliegenden Heftes „Rheuma und Fibromyalgie“ gibt einen kleinen Einblick in das fast unüberschaubare Gebiet der Rheumatologie. Nicht umsonst befassen sich gleich zwei große Fachgebiete der Medizin mit dem Thema Rheuma: Innere und Orthopädie. Unzählige andere Bereiche wie Immunologie, molekulare Medizin, physikalische Medizin und Balneologie sowie mehrere Begleitwissenschaften, darunter die Bewegungswissenschaften und die Bewegungstherapie, beschäftigen sich ebenfalls mit Erkrankungen, die den rheumatischen Formenkreis betreffen. Rheuma soll mehr als 400 einzelne Krankheitsbilder umfassen. 

Fast allen gemein sind Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, die letztlich zu einer hohen volkswirtschaftlichen Krankheitslast führen. Schätzungen gehen für Deutschland von bis zu 40 Milliarden Euro Gesamtkosten pro Jahr aus. Nach einer Studie der Kommission „Rehabilitation und Sozialmedizin“ der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) von Mau, Beyer, Ehlebracht-König et al. [1] entstehen bei Patienten, die seit mehr als 10 Jahren unter rheuma„toider Arthritis (RA) leiden, allein durch Arbeitsausfälle jährlich indirekte Kosten von 15 700 Euro pro Person. Hinzu kommt, dass dann 40 % von ihnen gar nicht mehr im Arbeitsleben stehen und bereits eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Ähnlich sollen die Berechnungen für andere entzündliche rheumatische Erkrankungen ausfallen. Ferner ist der Studie zu entnehmen, dass nur ca. ein Drittel der Betroffenen adäquate rehabilitative und berufliche Hilfen erhalten, z. B. Teilzeitarbeit oder Teilrenten. Daraus schließt der Generalsekretär der DGRh, Prof. Ekkehard Genth, dass die indirekten Kosten „viel gravierender als die Behandlungskosten“ sind. Eine deutliche Kritik an unserem derzeitigen Gesundheitssystem! 

Genauere Angaben zur Epidemiologie und damit auch zur Prävalenz (Gesamtzahl) und Inzidenz (z. B. jährliche Neuerkrankungsrate) von Rheumatikern sind nur schwer zu bekommen, da wir es häufig mit Doppelnennungen zu tun haben. In Deutschland leidet rund ein Viertel der Bevölkerung an Funktionseinschränkungen des muskuloskelettalen Systems. Hierzu finden wir aber Ursachen ganz unterschiedlicher Genese wie degenerative Gelenkerkrankungen, Osteoporose, Fibromyalgie, rheumatoide Arthritis usw. Schließlich kommen jährlich noch 1500 rheumakranke Kinder (juvenile ideopathische Arthritis) neu hinzu, von denen ca. 300 einen chronischen Verlauf aufweisen. Insofern schwanken Angaben zur Gesamtzahl, je nach Interessenslage, ganz erheblich. 

Wesentlich aussagekräftiger sind inzwischen die Angaben über Verlauf und therapeutische Ergebnisse einzelner Rheumaformen. Diese verdanken wir der Gründung des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin, wo solche Daten systematisch gesammelt, aufbereitet und bewertet werden („Kerndokumentation Rheuma“). Von diesem Forschungszentrum verspricht man sich einen hohen diagnostischen und therapeutischen Erkenntnisgewinn. 

Bewegung in seiner ganzen Breite ist, neben medikamentösen Basistherapien, eine wesentliche Therapiesäule. Dass hier, wie noch vor 20 Jahren üblich, fast ausschließlich wenige oder nicht belegte physikalische und physiotherapeutische Maßnahmen zur Anwendung gelangen, dürfte heute überholt sein. Schon deshalb nicht, weil von ihnen keine „Nachhaltigkeit“ zu erwarten ist. Bei der akuten Schmerzreduzierung haben diese Anwendungen sicherlich ihre Berechtigung. Ansonsten gilt aber auch heute noch der alte Rheumaslogan: „Immer in Bewegung bleiben!“ 

In diesem Sinne
Ihr
Klaus Schüle

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Literatur

  • 1 Mau W, Beyer W, Ehlebracht-König I et al. Krankheitslast. Erste Routineberichterstattung zu sozialmedizinischen Folgen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in Deutschland.  Zeitschrift für Rheumatologie. 2008;  67(2) 157-164
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Literatur

  • 1 Mau W, Beyer W, Ehlebracht-König I et al. Krankheitslast. Erste Routineberichterstattung zu sozialmedizinischen Folgen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in Deutschland.  Zeitschrift für Rheumatologie. 2008;  67(2) 157-164