Dialyse aktuell 2009; 13(7): 398-399
DOI: 10.1055/s-0029-1241078
Forum der Industrie

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Arzneimittelverordnung - Das Kreuz mit dem Aut-idem-Kreuz

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Korrespondenz

Dr. iur. Gerhard Nitz

Fachanwalt für Medizinrecht

Dierks + Bohle Rechtsanwälte

Walter-Benjamin-Platz 6

10629 Berlin

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. September 2009 (online)

 
Inhaltsübersicht

Im letzten Jahrzehnt hat der Bundesgesetzgeber im Schnitt jährlich eine mehr oder weniger große Gesundheitsreform verabschiedet, die unter anderem das ärztliche Arzneimittelverordnungsverhalten regelt. Einige erwiesen sich als "Papier-Tiger" - wie zum Beispiel Bonus-Malus - andere entwickeln sich zum juristischen Dauerbrenner. Letzteres gilt für die Aut-idem-Substitution. Neben juristischen Unklarheiten stehen hier vor allem medizinische Probleme im Mittelpunkt, wenn es um Verordnungen dosiskritischer Wirkstoffe wie etwa Tacrolimus in der Nierentransplantation geht. Im Folgenden wird daher zunächst der rechtliche Rahmen und im Anschluss der richtige Umgang mit Problemfeldern in der Praxis dargestellt.

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Rechtsrahmen

Rechtlicher Ausgangspunkt ist nach wie vor die in § 17 Abs. 5 der Apotheken-Betriebsordnung niedergelegte Pflicht des Apothekers, das ärztlich verschriebene Arzneimittel abzugeben. Systematisch betrachtet ist eine Substitution daher stets die Ausnahme. Dies ist Ausdruck der ärztlichen Therapieverantwortung, die Therapiehoheit voraussetzt.

Für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Gesetzgeber die Apotheker aber in bestimmten Kon-stellationen zur Substitution ärztlicher Verordnungen verpflichtet. Voraussetzung ist dabei stets die Wirkstoffgleichheit. Bei einer Wirkstoffverordnung hat der Apotheker vorrangig ein rabattbegünstigtes Fertigarzneimittel abzugeben, ansonsten eines der 3 preisgünstigsten Arzneimittel. Bei einer Verordnung unter Handelsnamen ist das ärztlich ausgewählte Produkt nach Möglichkeit durch ein rabattbegünstigtes Fertigarzneimittel zu ersetzen; sofern das nicht möglich ist, kann das verordnete Fertigarzneimittel oder eines der 3 preisgünstigsten abgegeben werden.

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Bild: CD 55A Medizin&Gesundheit

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Therapiehoheit und Verantwortung bleiben beim Arzt

Gleichzeitig regelt der Gesetzgeber aber in § 73 Abs. 5 S. 2 SGB V (Sozialgesetzbuch V), dass Vertragsärzte die Substitution ausschließen "können", indem sie das Aut-idem-Kreuz setzen. Durch die Wahl des Wortes "können" macht der Gesetzgeber deutlich: Die Entscheidung über den Ausschluss der Substitution fällt in das ärztliche Ermessen. Damit drückt der Gesetzgeber gleichzeitig aus, dass die Wirtschaftlichkeitszwecken dienenden Rabattverträge und Substitutionsregeln die ärztliche Therapieverantwortung unberührt lassen sollen. Konsequenterweise muss dann der Arzt auch die Therapiehoheit behalten können, indem er die Sub-stitution ausschließt.

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Therapieverantwortung und Wirtschaftlichkeit

Allerdings folgt aus der Therapieverantwortung keine unbegrenzte Therapiefreiheit für den Arzt. Vielmehr hat der Arzt die rechtlichen Grenzen zu beachten. Im Hinblick auf Arzneiverordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ist hier das Wirtschaftlichkeitsgebot von besonderer Bedeutung. Es verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass sich der Vertragsarzt die Kosten seiner Therapie vergegenwärtigt und einzelfallbezogen abwägt, ob der Einsatz eines preiswerteren Arzneimittels vertretbar ist oder ein Anlass zur Verordnung des teureren Medikaments besteht (BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 41/03).

Sind verschiedene Therapieoptionen im konkreten Einzelfall therapeutisch äquivalent, muss der Arzt mithin die preisgünstigere Alternative wählen. In Zeiten von Rabattverträgen, bei denen die Rabatthöhe für Ärzte unbekannt ist, müssen die Ärzte in praktischer Konsequenz dann die Abgabe eines Rabattvertragsarzneimittels ermöglichen.

Umgekehrt folgt aus den Worten des Bundessozialgerichts ebenso eindeutig, dass die teurere Therapieoption von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldet und wirtschaftlich ist, wenn es für ihre Wahl einen medizinischen Grund gibt. Das Instrument zur Umsetzung einer solchen medizinisch begründeten Verordnung eines bestimmten Arzneimittels ist das Aut-idem-Kreuz.

Trotz aller Diskussionen um "aut idem" ergibt die Rechtslage so doch ein in sich schlüssiges Bild: Der Arzt behält Therapieverantwortung und -hoheit. Sind im konkreten Einzelfall mehrere Arzneimittel therapeutisch äquivalent, verlangt das Wirtschaftlichkeitsgebot, dass der Arzt die Abgabe des für die Krankenkasse wirtschaftlichsten Arzneimittels ermöglicht, indem er kein Aut-idem-Kreuz setzt. Umgekehrt genügt er auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot, wenn er aus medizinischen Gründen die Abgabe eines bestimmten Arzneimittels durch Setzen des Aut-idem-Kreuzes durchsetzt.

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Der medizinische Grund für das Aut-idem-Kreuz

Rechtlich maßgeblich für das Setzen des Aut-idem-Kreuzes ist mithin ein medizinischer Grund für die Abgabe gerade dieses Arzneimittels. Rechtliche Vorgaben für diese medizinischen Gründe gibt es nicht. Hier räumt die Rechtsprechung dem Arzt eine Einschätzungsprärogative (Prärogative = Vorrecht) ein. Denkbar sind insbesondere

  • Unverträglichkeiten

  • Wechselwirkungen

  • Wirkungsunterschiede

  • Darreichungsform

  • enges therapeutisches Fenster Compliance etc.

Im Hinblick auf die Patientencompliance ist jedoch Vorsicht geboten. Das Argument der Compliance rechtfertigt nämlich nicht den Verzicht auf aufklärende Hinweise zur therapeutischen Äquivalenz verschiedener Präparate. Nur bei Patienten, bei denen eine Therapietreue im Substitutionsfall tatsächlich nicht sichergestellt werden kann, rechtfertigt Compliance das Aut-idem-Kreuz.

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Leitlinie "Gute Substitutionspraxis"

Ein in der Praxis wichtiges Hilfsmittel ist die ursprünglich für den Apotheker entworfene Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e. V. (Entwurf vom 05.02.2002). Diese Leitlinie stellt aus pharmazeutischer Sicht dar, in welchen Fällen Bedenken gegen eine Substitution begründet sind.

Hierin liegen dann stets medizinische Gründe für den Ausschluss der Aut-idem-Substitution. Der Kommentar des Deutschen Apothekerverbandes zum für die Konkretisierung der Substitutionsregeln maßgeblichen Apotheken-Rahmenvertrag übernimmt diese Vorgaben und konkretisiert sie. Zum Beispiel werden dort folgende pharmazeutische Bedenken hervorgehoben:

  • problematische Arzneistoffe, insbesondere wegen geringer therapeutischer Breite wie etwa Immunsuppressiva

  • problematische Applikationsformen (z. B. Inhalationssysteme)

  • Non-Compliance, zum Beispiel bei depressiven Patienten

  • problematische Dosierung (z. B. Säfte)

  • problematische (lebensbedrohliche) Erkrankungen wie zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, Niereninsuffizienz und Patienten nach Transplantation

  • problematische Patientengruppen wie beispielsweise Patienten mit Gehör- oder Sehstörungen

  • problematische Hilfs- und Zusatzstoffe (z. B. Alkohol, Sulfite)

Bei der Verordnung dosiskritischer Wirkstoffe wie insbesondere Immunsuppressiva nach Transplantationen ist mithin anerkannt, dass in einer erfolgreichen Einstellung eines Patienten ein medizinischer Grund liegt, der für den Ausschluss der Substitution spricht. Das Setzen des Aut-idem-Kreuzes ist hier mithin wirtschaftlich.

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Quoten und Regresse

So klar die Situation im Hinblick auf Einzelfälle sein mag, so sehr beobachten wir in der Praxis doch Unsicherheiten bei Ärzten, ob ein zu häufiges Verordnen von Originalpräparaten oder ein zu häufiges Setzen des Aut-idem-Kreuzes nicht doch zu Regressen führen könne. Tatsächlich haben Gesetzgeber und vor allem die regionalen Vertragspartner der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen eine Fülle von pauschalierenden Regelungen getroffen, die dazu dienen sollen, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise auch ohne Einzelfallbetrachtung durchführen zu können. Hierzu gehören etwa

  • Richtgrößen, die die durchschnittlichen Kosten je Fall wiedergeben sollen,

  • Generikaquoten,

  • Analogpräparatequoten und Leitsubstanzquoten etc.

In Anbetracht dieser Quoteneuphorie kann nicht ausgeschlossen werden, dass in Zukunft auch "Aut-idem-Ankreuz-Quoten" vereinbart werden. Wichtig zu wissen ist dabei jedoch: All diese Instrumente typisieren, ohne den Einzelfall zu bestimmen. So wie in der Richtgrößenprüfung Überschreitungen des Richtgrößenvolumens über Praxisbesonderheiten gerechtfertigt werden können, so sind auch in anderen Prüfverfahren stets die Gründe für eine möglicherweise von pauschalierenden Quoten abweichende Verordnungspraxis zu berücksichtigen.

Zweck der Quote ist nicht ihre strikte Einhaltung ohne Rücksicht auf die medizinischen Bedürfnisse, sondern Kriterien zu formulieren, anhand derer unwirtschaftliche Verordner herausgefiltert werden können. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung selbst versucht eben dies zu ermitteln: Wer handelt tatsächlich unwirtschaftlich? Wer handelt in Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot?

Praktisch bedeutet dies, dass in Wirtschaftlichkeitsprüfungen stets diejenigen Ärzte gute Karten haben, die ein medizinisch begründetes differenziertes Verordnungsverhalten belegen können. Ärzte, die etwa einerseits in Orientierung an der Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" in der Transplantationsmedizin bei dosiskritischen Wirkstoffen das Aut-idem-Kreuz setzen, andererseits aber bei völlig unproblematischen Arzneimitteln und Patienten die Substitution zulassen, haben daher in Wirtschaftlichkeitsprüfungen nichts zu befürchten.

Freilich können Ärzte zur Vermeidung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen auch versuchen, stets alle Quoten, Richtgrößen und anderen pauschalisierenden Vorgaben einzuhalten. Je nach Patientenstruktur mag dies auch möglich sein. Doch bei Arztpraxen mit kostenintensiven Schwerpunkten und/oder problematischem Patientenklientel lässt sich dies ohne medizinische Einbußen nicht gewährleisten. Aus anwaltlicher Sicht ist daher Ärzten nur zu einem selbstbewussten Verordnungsverhalten zu raten, das sowohl die medizinischen Ansprüche als auch das Wirtschaftlichkeitsgebot Ernst nimmt und dementsprechend patienten- und präparatebezogen differenzierend vorgeht.

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Die haftungsrechtliche Seite

Bestätigt wird dies durch einen Blick auf die arzthaftungsrechtliche Seite. Denn gegenüber dem Patienten schuldet der Vertragsarzt eine Behandlung, die dem medizinischen Standard entspricht. Ein Unterschreiten des medizinischen Standards kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht durch finanzielle Gesetzpunkte gerechtfertigt werden. Dies ist auch nicht nötig, weil das Wirtschaftlichkeitsgebot ja nur die Begründbarkeit von Mehrkosten verlangt.

Die Aut-idem-Substitutionsregeln lassen die Therapieverantwortung des Arztes unberührt. Die Entscheidung, die Substitution durch den Apotheker zuzulassen, ist nämlich eine medizinische Entscheidung, für die der Arzt haftungsrechtlich einzustehen hat. Hat der Arzt also die Substitution zugelassen und kommt der Patient durch das vom Apotheker rechtmäßig substituierte Arzneimittel zu Schaden, trägt nicht der Apotheker, sondern der Arzt das Haftungsrisiko.

Auch aus haftungsrechtlichen Gründen ist deshalb zu betonen, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot und die Zulassung der Aut-idem-Substitution nicht zur Beeinträchtigung der Patientensicherheit führen dürfen. Bestehen medizinische Bedenken gegen eine Substitution, ist das Aut-idem-Kreuz haftungsrechtlich geschuldet, gleichzeitig aber auch sozialversicherungsrechtlich wirtschaftlich.

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Astellas Pharma GmbH, München.

Der Autor ist Rechtsanwalt bei Dierks + Bohle Rechtsanwälte, Berlin.

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