Rofo 2009; 181(8): 817-818
DOI: 10.1055/s-0029-1235781
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Radiologie und Recht - Ein MVZ muss am Hauptsitz alle ärztlichen Leistungen erbringen – eine ausschließliche Leistungserbringung in einer Zweigpraxis ist unzulässig

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Publikationsdatum:
12. August 2009 (online)

 
Inhaltsübersicht

Um fachübergreifend tätig zu sein, muss ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) am Vertragsarztsitz (Hauptsitz) alle ärztlichen Leistungen erbringen. Leistungen eines Fachgebiets können nicht ausschließlich in einer Zweigpraxis erbracht werden. Für die Präsenzpflicht am Vertragsarztsitz im Verhältnis zur Zweigpraxis gilt für ein MVZ die Maßgabe, dass die in § 17 Abs. 1a S. 4 BMV-Ä/§ 13 Abs. 7a S. 4 EKV-Ä angegebenen Mindestzeiten für den Versorgungsauftrag des MVZ insgesamt unabhängig von der Zahl der beschäftigten Ärzte anzuwenden sind. Es reicht aus, dass die Summe der Tätigkeitszeiten aller am Vertragsarztsitz tätigen Ärzte alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen.

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Sachverhalt

Das Sozialgericht (SG) Marburg entschied am 16.07.2008 (Az.: S 12 KA 45/08), dass einem aus einem Facharzt für Nuklearmedizin und einem Facharzt für Radiologie bereits bestehenden MVZ im Rahmen der Praxisnachfolge die Genehmigung zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit im Fachgebiet der Gynäkologie an einem weiteren Ort, also einer Zweigpraxis, nicht zu erteilen war. Das MVZ beantragte eben diese Genehmigung für den Sitz einer vom MVZ bereits übernommenen gynäkologischen Praxis im Nachbarort. Diese vom MVZ im Nachbarort übernommene gynäkologische Praxis war im überversorgten Planungsbereich mit etwa 1000 Patienten im Quartal und einer belegärztlichen Tätigkeit am lokalen Krankenhaus für die Versorgung wesentlich und notwendig. Nach der Übernahme der Praxis durch das MVZ sollten gynäkologische Leistungen am Standort des MVZ (Hauptsitz) in einem Umfang von nur 6 h pro Woche erbracht werden, am Standort der zukünftigen Zweigpraxis, dem bisherigen Standort der gynäkologischen Praxis hingegen mit einem Umfang von 32 h pro Woche.

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Zweigpraxis

Die Zulassung eines MVZ erfolgt für den Ort der Niederlassung, den Vertragsarztsitz. Das MVZ bzw. die in ihm tätigen Ärzte müssen am Vertragsarztsitz ihre Sprechstunde halten. Vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten sind zulässig, wenn und soweit dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird, § 24 Abs. 3 S. 1 Ärzte-ZV.

Vor Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) bedurfte die Tätigkeit eines Vertragsarztes in einer weiteren Praxis – mit Ausnahme der Tätigkeit in sogenannten ausgelagerten Praxisräumen und Operationszentren – der vorherigen Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung. Eine solche Genehmigung durfte nur erteilt werden, wenn die Zweigpraxis zur Sicherung einer ausreichenden vertragsärztlichen Versorgung erforderlich war und im Bezirk derselben Kassenärztlichen Vereinigung lag. Das VÄndG hat diese Vorgaben erheblich gelockert. Nach § 24 Abs. 3 S. 1 Ärzte-ZV können vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes mit vorheriger Genehmigung an weiteren Orten ausgeübt werden, wenn die o. g. Voraussetzungen vorliegen. Begrifflich werden unter dem Merkmal der "weiteren Orte" alle Tätigkeitsorte außerhalb des Vertragsarztsitzes verstanden, für die eine Genehmigung verlangt wird. Wie auch nach dem bisherigen Recht fallen Tätigkeiten in ausgelagerten Praxisräumen und Operationszentren sowie Hausbesuche, Notfallbehandlungen, Konsiliar- und Belegarzttätigkeiten nicht unter diese Einschränkung. Als ausgelagerte Praxisräume definiert der Verordnungsgeber Orte in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz, in denen spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen angeboten werden (§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV). Damit greift der Verordnungsgeber die bereits bisher geltenden Unterscheidungskriterien auf und es ist weiterhin die Zweigpraxis genehmigungs – hingegen die ausgelagerte Praxisstätte nur anmeldepflichtig.

Hieran anknüpfend verwenden die Bundesmantelverträge-Ärzte den Oberbegriff "Tätigkeitsort" für den Ort des Vertragsarztsitzes ("Betriebsstätte") und die weiteren Orte ("Nebenbetriebsstätten"); unter "Nebenbetriebsstätte" werden die "Zweigpraxis" und die "ausgelagerten Praxisräume" bzw. jetzt "ausgelagerten Praxisstätten" verstanden. Als Zweigpraxis wird ein genehmigter weiterer Tätigkeitsort des Vertragsarztes oder gem. § 1a Nr. 19 BMV-Ä/EKV-Ä die Nebenbetriebsstätte eines MVZ, als ausgelagerte Praxisstätte ein zulässiger nicht genehmigungsbedürftiger, aber anzeigepflichtiger Tätigkeitsort des Vertragsarztes, Vertragspsychotherapeuten oder eines Medizinischen Versorgungszentrums in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz definiert. Ausgelagerte Praxisstätte in diesem Sinne ist auch ein Operationszentrum, in welchem ambulante Operationen bei Versicherten ausgeführt werden, welche den Vertragsarzt an seiner Praxisstätte in Anspruch genommen haben (§ 1a Nr. 20 BMV-Ä/EKV-Ä). Damit greifen die Bundesmantelvertragsparteien die bereits bisher geltenden Unterscheidungskriterien auf. Die Abgrenzung ist damit –nach Auffassung des SG Marburg – weiterhin anhand des Kriteriums der – vollständigen oder teilweisen – Leistungsidentität und des Abhaltens von Sprechstunden, nur dann handelt es sich um eine Zweigpraxis, vorzunehmen.

Die Bundesmantelverträge haben ebenso wie das SGB V und die Ärzte-ZV eine bestimmte Höchstzahl der weiteren Betriebsstätten nicht unmittelbar bzw. absolut festgelegt, aber auf der Grundlage der Ermächtigung in § 24 Abs. 4 Satz 2 Ärzte-ZV Beschränkungen in zeitlicher Hinsicht für die Aufteilung der Tätigkeit am Vertragsarztsitz und der/den Nebenbetriebsstätte(n) aufgestellt, die im Ergebnis zu einer Limitierung der Zahl der Nebenbetriebsstätten führen. In allen Fällen der Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit an einem weiteren oder mehreren Tätigkeitsorten außerhalb des Vertragsarztsitzes gilt danach, dass die – persönliche, und somit nicht delegierbare – Tätigkeit am Vertragsarztsitz alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen muss. Zur Sicherung der Versorgungspräsenz am Vertragsarztsitz und den weiteren Orten sollen Mindest- und/oder Höchstzeiten an den weiteren Orten festgelegt werden (§ 17 Abs. 1a Sätze 3-6 BMV-Ä/§ 13 Abs. 7a Sätze 3-6 EKV-Ä). Der Vertragsarzt muss dabei an seinem Vertragsarztsitz persönlich mindestens 20 h (für einen Teilversorgungsauftrag nach § 19a Ärzte-ZV 10 h) wöchentlich in Form von Sprechstunden zur Verfügung stehen (§ 17 Abs. 1a Sätze 1 und 2 BMV-Ä/§ 13 Abs. 7a Sätze 1 und 2 EKV Ä). Die Delegation der Leistung an andere Ärzte ist im Rahmen der Anstellung zulässig. Auch ist die Beschäftigung eines angestellten Arztes allein zur Durchführung der Behandlung an dieser Nebenbetriebsstätte gestattet, wenn dies von der Genehmigung der Tätigkeit an diesem Ort umfasst ist (§ 15a Abs. 6 Satz 2 BMV-Ä/EKV-Ä). Für MVZ gelten die Regelungen entsprechend (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 Ärzte-ZV).

Für die Präsenzpflicht am Vertragsarztsitz gilt die Maßgabe, dass die angegebenen Mindestzeiten für den Versorgungsauftrag des MVZ insgesamt unabhängig von der Zahl der beschäftigten Ärzte anzuwenden sind (§ 17 Abs. 1a Satz 4 BMV-Ä/EKV-Ä). Damit genügt es, dass ein Arzt des MVZ die Mindestpräsenz von 20 Wochensprechstunden gewährleistet. § 17 Abs. 1a Satz 5 BMV-Ä/EKV-Ä ordnet nochmals ausdrücklich die entsprechende Geltung des Satzes 3 in § 17 Abs. 1a BMV-Ä/EKV-Ä an. So muss auch in einem MVZ die Gesamttätigkeitszeit am Vertragsarztsitz, also die Summe der Tätigkeitszeiten aller am Vertragsarztsitz tätigen Ärzte, alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen.

Das SG Marburg führte unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung in seiner Entscheidung aus, dass am Vertragsarztsitz eines MVZ (Hauptsitz) grundsätzlich alle ärztlichen Leistungen erbracht werden müssen, um fachübergreifend tätig zu sein. Dies gelte anhand der genannten Regelungen aber nicht für die Zweigpraxis selbst, die vom Versorgungstyp her bereits auf einzelne Leistungsbereiche der Praxis selbst beschränkt sein könne. Es gilt aber nach Auffassung des Gerichts für den Hauptsitz selbst. Im Hauptsitz eines MVZ müssen alle Leistungen des MVZ angeboten werden. Sie müssen am Hauptsitz auch, bezogen auf jeden einzelnen Leistungsbereich, überwiegend angeboten werden. Soweit dies nicht der Fall ist, handelt es sich bei der Zweigpraxis nicht um eine Zweigpraxis, sondern letztlich um eine weitere Praxis. Eine solche weitere Praxis ist als Zweigpraxis nicht genehmigungsfähig. Von daher kam es im entschiedenen Fall nicht darauf an, ob, gemessen am Tätigkeitsumfang aller im MVZ angestellten Ärzte, die Tätigkeit überwiegend am Hauptsitz ausgeübt wird, da die gynäkologischen Leistungen am Hauptsitz nur in einem Umfang von 6 h pro Woche angeboten werden sollen.

Ein Anspruch auf Genehmigung der Zweigpraxis besteht nach Auffassung des Gerichts vorliegend also erst dann, wenn – neben dem Vorliegen der o. g. Voraussetzungen – Leistungen jedes Fachbebiets überwiegend am Hauptsitz des MVZ angeboten werden und somit diese Leistungen in der Zweigpraxis nur untergeordnet angeboten werden.

Soweit die Voraussetzung vorliegt, ging das SG auch von einer Verbesserung der Versorgung am Ort der Zweigpraxis aus, da durch die Übernahme der gynäkologischen Praxis im Rahmen des Praxisnachfolgeverfahrens durch das MVZ und die überwiegende gynäkologische Tätigkeit am Hauptsitz des MVZ am Ort der bisherigen Praxis bereits von Gesetzes wegen ein Versorgungsbedarf im Umfang der bisherigen Praxis besteht. Eine Verschlechterung der Versorgungssituation am Hauptsitz des MVZ mit gynäkologischen Leistungen kommt überhaupt nicht in Betracht, da das Angebot an gynäkologischen Leistungen an diesem Vertragsarztsitz erst neu ist.

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Fazit

Erwägt ein MVZ die Eröffnung einer Betriebsstätte an einem weiteren Ort, sind mehrere Voraussetzungen einzuhalten. Zunächst sind nach Auffassung des SG Marburg am Hauptsitz des MVZ, um fachübergreifend zu sein, alle ärztlichen Leistungen anzubieten, in der Nebenbetriebsstätte können selbstverständlich nur einzelne Leistungen angeboten werden. Soweit in der Nebenbetriebsstätte Sprechstunden abgehalten werden, dürfte es sich bei der Nebenbetriebsstätte um eine Zweigpraxis handeln. Hinsichtlich der Sprechstundenzeiten gilt, dass einerseits die Summe der Sprechstundenzeiten am Hauptsitz die in der Zweigpraxis überwiegen muss und andererseits auch das Angebot an Sprechstunden in jedem Fachgebiet am Hauptsitz das Angebot an Sprechstunden in der Zweigpraxis überwiegen muss. Am Hauptsitz muss dabei die Präsenzpflicht eines Arztes von i. d. R. 20 Wochenstunden eingehalten werden.

Ferner sind Zweigpraxen immer genehmigungspflichtig. Eine Genehmigung setzt voraus, das 1. die Versorgung der Versicherten am Ort der Zweigpraxis verbessert wird und 2. die ordnungsgemäße Versorgungssituation der Versicherten am Hauptsitz des MVZ nicht beeinträchtigt wird. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Zweigpraxis zu genehmigen.

Sebastian Sczuka

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

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