Pneumologie 2009; 63(3): 124
DOI: 10.1055/s-0029-1214221
Pneumo-Fokus

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Tuberkulose - Veränderungen der klinischen Präsentation der Tuberkulose

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Publication Date:
11 March 2009 (online)

 
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Während der letzten 20 Jahre gab es in Japan einige Veränderungen in der klinischen Präsentation der Tuberkulose hinsichtlich Begleiterkrankungen, Klinik und Ergebnissen in der Diagnostik. Besonders wird die Zunahme von Präsentationen im unteren Lungenfeld (LLFTB) diskutiert, wie Y. Kobashi et al. in einer aktuellen Arbeit berichten. Respiration 2008; 75: 304–309

Es wurden retrospektiv die Krankenakten von 820 Patienten ausgewertet, die in den vergangenen 20 Jahren im Kawasaki Medical School Hospital und 10 assoziierten Krankenhäusern behandelt wurden. Dabei verglichen die Autoren die 406 Patienten, die zwischen Januar 1986 und Dezember 1995 aufgenommen wurden mit den 414 Patienten aus dem Zeitraum von Januar 1996 bis Dezember 2005. Beide Gruppen waren hinsichtlich Alter, Geschlecht und Risikofaktoren (Rauchen, Alkohol, Lungenerkrankungen) vergleichbar. Auffällig war jedoch eine signifikante Zunahme von (extrapulmonalen) Krebserkrankungen, Kollagenkrankheiten und immunsuppressiver Therapie. Parallel dazu war eine Abnahme von Symptomen zu beobachten, die zur Erkennung der Krankheit führten; in der 2.Gruppe wurden 85% mehr Patienten aufgrund regelmäßiger Vorsorgeuntersuchungen erkannt, wobei mehr als doppelt so viele aus dieser Gruppe auf PPD (purified protein derivates) als Zeichen für die zelluläre Immunantwort negativ reagierten.

Im 2. betrachteten Jahrzehnt fanden sich signifikant mehr positive Präparate (44,0 vs. 32,0%), wobei mehr als 3-mal so viele Bronchoskopien durchgeführt wurden (18,1 vs. 5,2%). Bei den radiologischen Untersuchungen (Röntgen-Thorax) fiel auf, dass sich die Tuberkulose fast doppelt so häufig im unteren Lungenfeld präsentierte (LLFTB) wie in den Vorjahren (15,7 vs. 8,4%). Dagegen unterschieden sich die anderen radiologischen Befunde (homogene und inhomogene Konsolidierungen, Kavernen und Kalzifizierungen) nicht signifikant. Im 2. Jahrzehnt wurde signifikant häufiger (56,5 vs. 26,6%) eine 4-fach-Therapie (INH + RFP + PZA + SM/EB) und signifikant seltener (30,0 vs. 59,9%) eine 3-fach-Therapie (INH + RFP + SM/EB) durchgeführt. Die klinischen Ergebnisse und Nebenwirkungen der Therapie sowie die Mortalitätsrate waren vergleichbar, ebenfalls war keine Zunahme an multiresistenten Stämmen zu verzeichnen.

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Ursache für Zunahme der Präsentation im unteren Lungenfeld fraglich

In der Arbeit wird diskutiert, wie die Zunahme an LLFTB zu erklären ist. Dieser Befund wurde bereits 1935 von Reisner und später in den 1990er-Jahren von einigen anderen Autoren beschrieben. Ein möglicher Pathomechanismus für die Entstehung der LLFTB könnte die Perforation von Lymphknoten des Primärkomplexes nahe der Trachea oder eines Bronchus sein, wobei jedoch keine Zunahme anderer Befunde wie mediastinale oder hiläre Lymphadenopathie, Bronchialtuberkulose, Pleuraergüsse und konfluierende Konsolidationen festgestellt werden konnte, die vergleichbar charakteristische Befunde bei der LLFTB sein sollen. Ebenso gab es keine Zunahme von Kavernen oder Kalzifizierungen. Eine andere Erklärung besteht in der Annahme, dass die LLFTB-Läsionen aus einer exogenen Reinfektion resultieren, während der aktuelle Primärkomplex noch besteht.

In der Studie wird postuliert, dass vor allem die häufigere Immunsuppression der Patienten eine Rolle spielen könnte. Allerdings fand man nur Patienten, die Kortikosteroide erhielten, jedoch keine mit einer TNFa-Inhibitor-Therapie – obwohl diese Medikamente dafür bekannt sind, dass unter ihrer Gabe eine Tuberkulose ausbrechen kann.

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Bewertung

Schon länger ist eine Veränderung in der klinischen Präsentation der Tuberkulose festzustellen, die noch nicht durchgängig Eingang in die Lehrbücher gefunden hat. Verschiedene Postulate bezüglich der sich durch Seuchenhygiene und andere medizinische Maßnahmen ändernden Pathophysiologie werden aufgestellt, wobei immer wieder Immunsuppression, höheres Alter und, in anderen Arbeiten, Diabetes mellitus als Risikofaktoren genannt werden.

In den heutigen Industriegesellschaften westlicher Prägung sinkt die Tuberkulose-Durchseuchung weiter und folglich kommt es – wenn überhaupt – in einem immer höheren Lebensalter zur Tuberkulinkonversion. Hier findet sich eine andere immunologische Reaktivität als bei Kindern oder Jugendlichen und der Primärkomplex mag häufiger im Sinne einer progressiven Primärtuberkulose klinisch auffällig werden, was ebenfalls zu der signifikanten Verdopplung der tuberkulösen Befunde im 2. Beobachtungszeitraum von Kobashi et al. führen könnte. Ein formaler Beweis der zugrunde liegenden Mechanismen dieser Änderung im klinischen und radiologischen Phänotypus der Tuberkulose ist nicht möglich. Diese Beobachtung wird jedoch auch vermehrt aus Entwicklungs- und Schwellenländern berichtet, sodass zu erwarten ist, dass das klinische Bild der Tuberkulose immer heterogener und eine progressive Primärtuberkulose immer häufiger werden wird. Dieser Eindruck wird durch die im Info-Kasten aufgelistete Literaturauswahl gestützt.

Referiert und bewertet von Dr. Ruth Becker, Referiert und bewertet von Dr. Ruth Becker, Freiburg

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Info

Weiterführende Literatur:

Wang CS et al. Infection 2008; 36: 335–340; Wang JY et al. Int J Tuberc Lung Dis 2006; 10: 578–584; Wang JY et al. Int J Tuberc Lung Dis 2005; 9: 777–783; Bacakoglu F et al. Respiration 2001; 68: 595–600; Pérez-Guzman C et al. Int J Tuberc Lung Dis 2001; 5: 455–461