Z Orthop Unfall 2009; 147(5): 539-541
DOI: 10.1055/s-0029-1186159
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Orthopädisch-unfallchirurgische Forschung: Woher, wo, wohin?

Research in Orthopedics and Trauma Surgery: From Where to Where?
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Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther

Klinik und Poliklinik für Orthopädie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

Phone: 03 51/4 58 31 37

Fax: 03 51/4 58 43 76

Email: klaus-peter.guenther@uniklinikum-dresden.de

Publication History

Publication Date:
05 October 2009 (online)

Table of Contents #

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Honorarärzte, Kopfpauschalen, Nachwuchsmangel und andere Schlagworte aus dem berufspolitischen Umfeld prägen derzeit viele Diskussionen im gemeinsamen Fach. Darüber droht die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Themen in den Hintergrund zu geraten. Die Förderung von Wissenschaft und Forschung ist jedoch die herausragende Aufgabe unserer wissenschaftlichen Gesellschaften. Als diesjährige Präsidenten nutzen wir die Einladung zu diesem Editorial deshalb gerne dazu, anlässlich des aktuellen Jahreskongresses aus unserer Sicht die Perspektiven der Forschung in Orthopädie und Unfallchirurgie zu skizzieren. Um künftige Handlungsfelder identifizieren zu können, ist es jedoch notwendig, zunächst kurz die bisherige Entwicklung und aktuelle Rahmenbedingungen zu beleuchten.

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Woher kommen wir?

Im weiten Feld der Erkrankungen und Verletzungen von Bewegungsorganen gehen viele zum Teil bahnbrechende Entwicklungen auf hervorragende Persönlichkeiten aus der deutschsprachigen Orthopädie und Unfallchirurgie zurück: Über beinahe 2 Jahrhunderte haben sie von den ersten Anfängen der Deformitätenbehandlung über die Einführung neuartiger Diagnoseverfahren und Behandlungstechniken bis hin zur modernen Implantatentwicklung in Osteosynthese und Endoprothetik unsere Wahrnehmung vom Fach geprägt. Die Einführung gelenkerhaltender Umstellungsosteotomien, prinzipienorientierter operativer Frakturbehandlung, der Hüftsonografie, manueller Behandlungstechniken sowie der computerassistierten Navigation bei Osteosynthese und Gelenkersatz sind nur wenige Beispiele dafür, womit forschende Ärzte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz heute international gültige Standards setzten. Trotz aller politischen Verwerfungen gerade im 20. Jahrhundert waren wichtige Voraussetzungen dafür gegeben: Eine exzellente Ausbildung in Medizin und Gesundheitswissenschaften, einigermaßen intakte Gesundheits-Sicherungssysteme und eine wirtschaftliche Entwicklung, die die gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen zunächst positiv beeinflusste. Damit standen jungen, enthusiastischen und neugierigen Medizinern alle Wege in der Wissenschaft offen und sie wurden auch oft genug erfolgreich gegangen, was die historisch hohe Reputation unserer Forschungsleistung weltweit belegt. Möglicherweise war eine günstige Voraussetzung dafür auch die mittlerweile wieder überkommene Trennung in 2 strukturell voneinander unabhängige Bereiche, d. h. dem Fach „Orthopädie“ und dem Schwerpunkt „Unfallchirurgie“. Die ausschließliche Konzentration auf Themen, die für jeden der beiden Bereiche spezifisch und charakteristisch sind, hat sicher zur Erreichung der jeweiligen Spitzenleistungen in Forschung und Entwicklung beigetragen.

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Wo stehen wir?

„Neurowissenschaften“, „Diabetesforschung“, „Comprehensive Cancer Centers“ – wer die Schlagzeilen von Wissenschaftsressorts und die Wahrnehmung von Forschung in den Medien kritisch betrachtet, dem fällt oft eine nachgeordnete Bedeutung von Themen aus dem Bereich der Bewegungsorgane auf. Wir selbst und auch unsere Patienten wissen um den vergleichsweise großen Einfluss der Erkrankungen und Verletzungen auf Gesundheit und Ökonomie gleichermaßen. Dennoch besteht ein Missverhältnis zwischen der Bedeutung dieser Problematik und ihrer Wahrnehmung in Medien, organisierter Öffentlichkeit und damit auch der Forschungs- und Gesundheitspolitik. Wir müssen uns deshalb offen die Frage stellen, ob neben einem sicher besseren Lobbying anderer Fächer auch eine Ursache darin liegen kann, dass unsere Forschungsaktivitäten hinsichtlich inhaltlicher Ausrichtung, Qualität und Umfang sowie externer Kommunikation noch optimierbar sind.

Glücklicherweise zeichnet sich in den letzten Jahren an vielen orthopädischen und unfallchirurgischen Kliniken eine Entwicklung ab, die wesentliche Voraussetzungen für den Erhalt international konkurrenzfähiger Forschung schafft: Die Bedeutung einer Gründung von Professuren und Forschungszentren mit vollzeitbeschäftigten Wissenschaftlern ist an vielen Orten erkannt und wird zunehmend umgesetzt. Eine direkte Folge ist beispielsweise die steigende Zahl an bewilligten DFG-Einzelanträgen und die erfolgreiche Beteiligung an koordinierten DFG-Programmen (klinische Forschergruppen, Sonderforschungsbereiche, Transregios etc.). Dazu haben auch unsere Fachgesellschaften einen wichtigen Beitrag geleistet: Die substanzielle Förderung einer Gründung von kooperierenden Forschungsstrukturen (Netzwerk experimentelle Unfallchirurgie, Netzwerk muskuloskelettale Biomechanik, Netzwerk regenerative Orthopädie) hat wesentlich dazu beigetragen, die Qualität der methodischen Ausbildung junger Forscher durch einen systematischen Austausch zu verbessern und damit ihre Chancen auf erfolgreiche Drittmittelförderung zu verbessern. Leitende Wissenschaftler aus orthopädischen und unfallchirurgischen Kliniken waren an der Benennung von besonders wichtigen Themen für die Gesundheitsforschung im Rahmen der „BMBF-roadmap“ beteiligt und konnten damit sicherstellen, dass „Muskuloskeletale Erkrankungen“ einer von 6 ausgewählten Themenschwerpunkten zukünftig geförderter Forschungsaktivitäten sein wird. Dies hat beispielsweise dazu geführt, dass vor Kurzem eine umfangreiche Fördermaßnahme des BMBF zur Einrichtung von Forschungsverbünden zu muskuloskeletalen Erkrankungen ausgeschrieben wurde, woran sich eine erfreulich hohe Zahl unserer Kliniken und Labors beteiligt. Dies alles ist nur möglich, weil das ausgezeichnete Engagement von Einzelpersonen und unterstützende Initiativen unserer Gesellschaften zu einer spürbar verbesserten Wahrnehmung der muskuloskeletalen Forschungsaktivitäten bei allen öffentlichen und auch nichtöffentlichen Trägern der Forschungsförderung in Deutschland geführt hat. Dennoch ist es dringend notwendig, diese Aktivitäten weiter auszuweiten und direkte Maßnahmen zu ergreifen, um bei perspektivisch begrenzten Ressourcen in Forschungs- und Gesundheitspolitik sowie zunehmend erwartbaren Verteilungskämpfen zwischen einzelnen Fachdisziplinen in der Zukunft noch besser aufgestellt zu sein.

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Wo gehen wir hin?

National und international konkurrenzfähige Forschung in Orthopädie und Unfallchirurgie kann nur dann gehalten und weiter ausgebaut werden, wenn es uns gelingt, die beschriebenen Ansätze einer erfolgreichen Wissenschaftsinitiative zu intensivieren und von einzelnen Zentren in die Breite zu tragen.

Dazu ist es insbesondere notwendig,

  • Forschungsarbeiten an zukunftsträchtigen Wissensgebieten zu orientieren und neue innovative Forschungsfelder zu erschließen. Dies betrifft die in der Roadmap bereits skizzierte Forschung zu molekularen Mechanismen von Entzündung und Regeneration sowie zur Heilung von Knochenbrüchen, Knochendefekten und Osteoporose. Neben experimentellen Forschungsansätzen ist es aber gerade in unserem Bereich von besonderer Bedeutung, die Translationsforschung zu fördern und klinische Anwendungen zu unterstützen. Deshalb hatte einer der von uns in diesem Jahr gestalteten DGOU-Expertenworkshops das Ziel, zusammen mit Vertretern von Genehmigungsbehörden die Rahmenbedingungen klinischer Studien zur stammzellbasierten Therapie muskuloskeletaler Erkrankungen zu verbessern. Um auch die dringend notwendige Implementierung von Versorgungsforschung in unserem Fach zu stimulieren, ist analog zur letztendlich erfolgreichen Anschubfinanzierung von experimentellen Netzwerken eine initiale Förderung entsprechender Kooperationsstrukturen auch in diesem Bereich durch die wissenschaftlichen Gesellschaften zu prüfen,

  • noch intensiver als bisher starre Strukturen aufzubrechen und interdisziplinäre, aber vor allem auch einrichtungsübergreifende Formen der Wissenserzeugung und ‐vermittlung zu entwickeln. Dies gilt in ganz besonderer Weise für die zukünftige Gestaltung des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie an den Universitäten. Eine generelle Forderung nach 2 inhaltlich voneinander abgegrenzten Lehrstühlen traditioneller Ausrichtung ist hier kontraproduktiv und muss ersetzt werden durch innovative Modelle einer an standortspezifischen Profillinien und ausbaufähigen Stärken orientierten Strategie der wissenschaftlichen Weiterentwicklung. Dies ist zwar in der bereits mehrfach kommunizierten Forderung nach „2 W3 + x W2-Lehrstühlen“ an unseren medizinischen Fakultäten enthalten, droht aber in Einzelfällen immer noch kurzsichtigen Profilierungsbemühungen geopfert zu werden. Wer darüber hinaus heute noch die engstmögliche Zusammenarbeit ehemals orthopädischer und unfallchirurgischer Forschergruppen untereinander, aber auch mit Wissenschaftlern aus benachbarten Bereichen (Rheumatologie, Immunologie, etc.) aufgrund imaginärer berufspolitischer Grenzen behindert, schließt seine Mitarbeiter von zukunftsfähigen Entwicklungen aus,

  • eine optimale Ausbildung für den wissenschaftlichen Nachwuchs sicherzustellen. Es liegt auf der Hand, dass die erfolgreichste Form des Wissenstransfers die Ausbildung von hervorragend qualifizierten Nachwuchskräften ist, die leitende Funktionen in Wissenschaft und Klinik übernehmen können. Diese Aufgabe obliegt in erster Linie den Kliniken und Forschungseinrichtungen, doch können auch hier die Fachgesellschaften substanzielle Unterstützung leisten. Beispielhaft seien hier die von den Gesellschaften vergebenen Stipendien und Förderprogramme genannt, das Angebot einer DFG-Beratungsbörse sowie vieler anderer am Nachwuchswissenschaftler orientierter Sitzungen beim diesjährigen DKOU und schließlich der mit großem Erfolg erstmals durchgeführte Prüfarztkurs zur Zertifizierung orthopädisch-unfallchirurgischer Prüfärzte. Das in diesem Jahr beim Kongress eingeführte Stipendienprogramm „Tag der Studierenden“ hat darüber hinaus bereits den wissenschaftlichen Nachwuchs im Blick, der unsere Kliniken künftig wissenschaftlich verstärken soll. Es bleibt zu hoffen, dass weiterhin eine verstärkte Ausrichtung des Kongresses an der wissenschaftlichen Qualifikation junger Ärzte und Nachwuchsforscher aufrecht erhalten bleibt.

Neben diesen inhaltlich ausgerichteten Aktivitäten ist es schließlich zunehmend wichtig, die Ergebnisse unserer Forschungsarbeit stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu tragen. Dies zielt nicht nur auf eine notwendige Darstellung in den öffentlichen Medien, die – ob wir es wollen oder nicht – als Gradmesser der Popularität und damit letztlich auch für die Erreichbarkeit von Entscheidungsträgern gelten, sondern auch ganz besonders auf eine verbesserte Umsetzung erarbeiteter Forschungsergebnisse in die tägliche Versorgung, was oft noch lückenhaft ist. Aus diesem Grund haben die diesjährigen Präsidenten beispielsweise einen 2. DGOU-Expertenworkshop mit dem Thema „Umsetzung der Osteoporose-Leitlinien in Orthopädie und Unfallchirurgie“ initiiert, dessen Ergebnisse nicht nur für Experten auf den folgenden Seiten dargestellt sind, sondern auch in der Laienpresse veröffentlicht werden.

Mit weiteren Aktivitäten in dieser Richtung – wie der Zukunftswerkstatt 2009 mit dem Thema „Innovation und Versorgungssicherheit in Orthopädie und Unfallchirurgie“ sowie einer in diesen Tagen startenden bundesweiten „Imagekampagne O & U“ – soll einer möglichst breiten Öffentlichkeit die fundamentale Bedeutung qualifizierter Forschungsleistung verdeutlicht werden.

Ein Dreh- und Angelpunkt im eigentlichen Sinne für Wissensvermittlung und Kommunikation untereinander wie auch mit der Öffentlichkeit ist der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er findet in diesem Jahr vom 21.–24. Oktober 2009 im ICC Berlin statt und wir möchten Sie als engagierte Ärzte und Wissenschaftler dazu einladen, mit Ihrem Besuch erneut ein deutlich sichtbares Zeichen für die große Bedeutung wissenschaftlichen Engagements in unserem Fach zu setzen.

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Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie

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Prof. Dr. med. Hans Zwipp

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie

Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther

Klinik und Poliklinik für Orthopädie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

Phone: 03 51/4 58 31 37

Fax: 03 51/4 58 43 76

Email: klaus-peter.guenther@uniklinikum-dresden.de

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Klinik und Poliklinik für Orthopädie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

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Fax: 03 51/4 58 43 76

Email: klaus-peter.guenther@uniklinikum-dresden.de

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Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie

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Prof. Dr. med. Hans Zwipp

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie