Suchttherapie 2008; 9(3): 119-129
DOI: 10.1055/s-0028-1083798
Schwerpunktthema

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Glücksspielpolitik

Gambling Control PolicyC. Schütze 1 , P. Hiller 2 , J. Kalke 1
  • 1Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD)
  • 2Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS)
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Publication Date:
08 September 2008 (online)

Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden die Grundlinien der Glücksspielpolitik in Deutschland und der Stand der Glücksspielsucht-Forschung dargestellt und kritisch beleuchtet. Dieses geschieht vor dem empirischen Hintergrund, dass die Geldspielautomaten (Spielhallen) ein höheres Gefährdungspotenzial besitzen als das klassische Zahlenlotto oder die Glücksspirale. Diesem Sachverhalt wird aber bislang von der Politik bei den Geldspielautomaten keine Rechnung getragen – sie gelten in Deutschland rechtlich nicht einmal als Glücksspiel. Diese Ambivalenzen im deutschen Glücksspielwesen werden sichtbar gemacht, in dem die rechtlichen Grundlagen sowie die politischen Prozesse beim Erlass der geltenden Spielverordnung (2006) und des Glücksspielstaatsvertrages (2008) skizziert werden. Ferner wird eine Forschungsübersicht gegeben, die auf den Nachholbedarf in der deutschen Glücksspielsucht-Forschung verweist. Dieser reicht von der Grundlagenforschung über die Ursachen der Glücksspielsucht bis hin zu praxisrelevanten Fragen des Spielerschutzes. Der neue Glücksspielstaatsvertrag eröffnet hier Chancen, die in Zusammenarbeit von Politik, Praxis und Forschung genutzt werden sollten.

Abstract

The paper analyses the principles of gambling policy in Germany and the state of gambling addiction research against the empirical background that slot machines (pool halls) involve higher risks of potential addiction than classical lotteries. However, policy makers do not heed these facts – in Germany, slot machines are not even legally classified as gambling. The legal basis and the policy processes ruling the current game regulation (2006) and the gambling treaty (2008) are outlined, thus uncovering the ambivalence of the German gambling situation. Moreover, a review on German gambling addiction research gives evidence of a great backlog in this area. Research needs range from basic research to the reasons for gambling addiction to practice-oriented questions of gambler protection. The new gambling treaty opens new opportunities that should be exploited in joint cooperation of policy, practice and research.

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Korrespondenzadresse

C. Schütze

Institut für Interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung

FISD e.V.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Martinistr. 52

20246 Hamburg

Email: c.schuetze@isd-hamburg.de