Der Klinikarzt 2008; 37(7/08): 378-381
DOI: 10.1055/s-0028-1082381
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Magenkarzinom - Neue Perspektiven für die perioperative Chemotherapie

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Publication Date:
04 August 2008 (online)

 
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Unabhängig davon, ob es sich um ein lokalisiertes oder ein fortgeschrittenes Magenkarzinom handelt, hat sich die perioperative Chemotherapie heute als Standard etabliert. Kann man doch damit die Überlebensraten der Patienten signifikant steigern. Das haben Studien wie MAGIC[1] [4] für die Kombinationstherapie aus Epirubicin, Cisplatin und 5-Fluorouracil (5-FU) und die französische Studie FFCD 9703 [3] für eine Cisplatin/5-FU-Kombination - beides Studien mit Patienten mit lokalisiertem Magenkarzinom - auch für den europäischen Raum eindrucksvoll gezeigt.

Jetzt hat eine aktuelle Metaanalyse aus 34 Studien (n = 6 665) die Bedeutung der perioperativen Chemotherapie beim lokalisierten Magenkarzinom mit einer Steigerung der Gesamtüberlebensrate um 18% (p < 0,0001) noch einmal unterstrichen [9]: Nach 5 bzw. 10 Jahren lebten noch 51 bzw. 10% der Patienten, wenn sie nur chirurgisch behandelt worden waren. Hatten sie jedoch zusätzlich eine Chemotherapie erhalten, waren zur selben Zeit noch 58 bzw. 48% der Patienten am Leben.

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Lokalisiert oder fortgeschritten - Perioperative Chemotherapie ist Standard

Ähnlich überzeugend ist die Datenlage für fortgeschrittene Tumorstadien. Auch hier ist die perioperative Chemotherapie effektiver als das sogenannte "best supportive care", wobei insbesondere platinhaltige Kombinationsregime klar einen Vorteil gegenüber einer 5-FU-Monotherapie gezeigt haben, meinte Lordick. Mit der zusätzlichen Gabe von Taxanen könne man die Therapieergebnisse noch deutlich verbessern, wie zum Beispiel eine aktuelle Metaanalyse belegt [8]. Die Zugabe von Cisplatin, Irinotecan oder Anthrazyklinen dagegen hatte laut dieser Analyse keinen weiteren positiven Effekt.

"Die besten Daten hatten wir lange für das Docetaxel", sagte Lordick. Damit lasse sich die Ansprechrate im Vergleich zu einer Kombinationstherapie aus Cisplatin und Fluorouracil um 12% auf eine Rate von 37% (p = 0,01) verbessern. Zudem stieg nicht nur das progressionsfreie Überleben (5,6 versus 3,7 Monate; p < 0,01), sondern auch das Gesamtüberleben (9,2 versus 8,6 Monate; p = 0,02) signifikant an [10]. Einen positiven Einfluss hat die zusätzliche Gabe von Docetaxel auch auf die Lebensqualität [2] und den Karnofsky-Performance-Status [1] der Patienten. "Nichtsdestotrotz ist dies ein intensives, relativ toxisches Therapieregime", so der Onkologe. "Dementsprechend ist auch eine sorgfältige Auswahl der Patienten notwendig."

Ähnlich gute Gesamtüberlebensraten mit gut 9 Monaten ermöglichen auch epirubicinhaltige Regime mit Cisplatin bzw. Oxaliplatin und 5-FU bzw. Capecitabin, so die Ergebnisse der REAL-2[2]-Studie. Am erfolgreichsten war dabei jedoch eine Kombinationstherapie aus Epirubicin, Oxaliplatin und Capecitabin mit einem medianen Gesamtüberleben von 11,2 Monaten und Ansprechraten von fast 50% [5].

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S-1 - Ein zielgerichtetes Designer-Drug

"Unabhängig davon, in welcher Form orales 5-Fluorouracil verabreicht wird, es muss immer metabolisiert werden", erklärte Prof. Alberto Sobrero, Genua (Italien). Prinzipiell stehen hierfür 3 Aktivierungs- bzw. Degradatationswege zur Verfügung, welche die zytotoxische Aktivität des aktiven Metaboliten, aber auch die verschiedenen 5-FU-Toxizitäten vermitteln (Abb. [1]).

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Abb. 1 Aktivierung und Abbau von 5-Fluorouracil.

Diese Nebenwirkungen sollen die zwei zusätzlichen Komponenten, die in S-1 neben dem 5-FU-Prodrug Tegafur enthalten sind, minimieren, erklärte Sobrero. Zum einen soll Gimeracil (CDHP = Chlorodihydropyridin) über die Inhibition der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) die Degradatation von 5-Fluorouracil zu toxischen Metaboliten verhindern, zum anderen bietet Oteracil (Kaliumoxonat) über die Blockade der Orotat-Phosphoribosyl-Transferase (OPRT) einen Schutz gegen die 5-FU-induzierte Diarrhö.

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Mehr als ein Fluoropyrimidin

Zufriedenstellen können diese Therapieerfolge jedoch sicherlich nicht. Einen weiteren Fortschritt erhofft man sich heute unter anderem durch eine verbesserte 5-FU-Therapie, quasi dem "Rückgrat" aller genannten Regime, - beispielsweise über die orale Gabe des Kombinationspräparats S-1 anstelle von infusionalem 5-Fluorouracil oder den oralen Prodrugs Tegafur bzw. Capecitabin (s. Kasten).

Mit S-1 lassen sich höhere 5-FU-Spiegel bei gleichzeitig geringerer Toxizität erzielen als mit dem Prodrug Tegafur alleine", berichtete Prof. Jaffer Ajani, Houston (Texas, USA). In Japan gilt das Präparat bereits als Standard, während die Entwicklung in der westlichen Welt zunächst wieder im Sande verlief. Denn die ersten Einsätze von S-1 Ende der 1990er-Jahre waren hier von einer relativ hohen Rate an Diarrhöen überschattet, und die Behandlung mit S-1 wurde demnach nicht fortgeführt.

"Damals wussten wir nichts über die optimale Dosierung bei Kaukasiern", meinte Ajani, "und verwendeten die in Japan bereits etablierte Dosis." Aufgrund von Polymorphismen im CYP2A6-Gen verstoffwechseln Kaukasier Tegafur jedoch schneller als Asiaten, weiß man heute. Die Folgen sind sehr hohe 5-FU-Serumspiegel mit den entsprechenden Konsequenzen. Verwendet man jedoch eine deutlich geringere Dosis - in der Kombinationstherapie mit Cisplatin etwa 25 statt 35mg/m2 2-mal täglich (Tag 1-21) mit einem verlängerten Therapieintervall (q6w statt q3w) - lässt sich dies vermeiden.

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Geringere Dosierung hält die Toxizität in Schach

Inzwischen stimmen erste Studienergebnisse optimistisch. So konnten Lenz et al. im letzten Jahr in einer europäischen multizentrischen Phase-II-Studie bei zuvor unbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem Magenkarzinom, die sie mit S-1 und Cisplatin therapierten, eine Ansprechrate von 55% und ein Gesamtüberleben von 10,4 Monaten (median) erreichen [7]. Die Toxizität war dabei ähnlich wie in der japanischen SPIRITS[3]-Studie [6].

Wie valide diese Phase-II-Daten sind, das wird in Kürze die FLAGS[4]-Studie beantworten. In dieser Phase-III-Studie erhalten derzeit 1 053 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Magenkarzinom entweder eine "altbewährte" 5-FU/Cisplatin-Therapie oder Cisplatin in einer etwas niedrigeren Dosierung plus S-1.

sts

Quelle: Satellitensymposium "S-1 - Updates and perspectives on a targeted designer drug" im Rahmen des 10th World Congress of Gastro-Intestinal Cancer, veranstaltet von Sanofi-Aventis

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Literatur

  • 01 Ajani JA . et al . J Clin Oncol. 2007;  25 132-133
  • 02 Ajani JA . et al . J Clin Oncol. 2007;  25 3210-3216
  • 03 Boige V . et al . J Clin Oncol. (suppl) 2007;  25 4510
  • 04 Cunningham D . et al . N Engl J Med. 2006;  355 11-20
  • 05 Cunningham D . et al . N Engl J Med. 2008;  358 36-46
  • 06 Koizumi W . et al . Lancet Oncol. 2008;  9 215-221
  • 07 Lenz HJ . et al . Cancer. 2007;  109 33-40
  • 08 Rougler P . et al . J Clin Oncol. 2008;  26 (suppl) abstract 4563
  • 09 Sakamoto J . et al . .  . 2008;  (suppl) 26 abstract 4543
  • 10 Van Cutsem E . et al . J Clin Oncol. 2006;  24 4991-4997

01 Medical research council Adjuvant Gastric Infusional Chemotherapy

02 Randomized ECF for Advanced and Locally advanced esophagastric cancer 2

03 S-1 plus Cisplatin vs. S-1 in RCT in the treatment of stomach cancer

04 First-Line Advanced Gastric cancer Study

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Literatur

  • 01 Ajani JA . et al . J Clin Oncol. 2007;  25 132-133
  • 02 Ajani JA . et al . J Clin Oncol. 2007;  25 3210-3216
  • 03 Boige V . et al . J Clin Oncol. (suppl) 2007;  25 4510
  • 04 Cunningham D . et al . N Engl J Med. 2006;  355 11-20
  • 05 Cunningham D . et al . N Engl J Med. 2008;  358 36-46
  • 06 Koizumi W . et al . Lancet Oncol. 2008;  9 215-221
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01 Medical research council Adjuvant Gastric Infusional Chemotherapy

02 Randomized ECF for Advanced and Locally advanced esophagastric cancer 2

03 S-1 plus Cisplatin vs. S-1 in RCT in the treatment of stomach cancer

04 First-Line Advanced Gastric cancer Study

 
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Abb. 1 Aktivierung und Abbau von 5-Fluorouracil.

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