Praxis Handreha 2025; 06(01): 30-34
DOI: 10.1055/a-2411-6094
Update

HFT – Handfunktionstest nach Wittich

Melanie Wittich
,
Lukas Kreiner
 

Unsere Hände übernehmen in Alltag und Beruf die unterschiedlichsten Aufgaben und trotzen dabei vielen Belastungen. Nicht selten kommt es dabei zu Verletzungen oder Erkrankungen und in der Folge zu Veränderungen der Handfunktion. Für eine zielgerichtete Behandlung ist eine umfängliche und funktionsorientierte Evaluation der Leistungsfähigkeit der Hand besonders wichtig. Der HFT – Handfunktionstest nach Wittich ist ein standardisiertes Testverfahren zur Erhebung und Dokumentation der funktionellen Leistungsfähigkeit der Hand. Die reproduzierbaren Ergebnisse erleichtern zudem die Kommunikation zwischen medizinischem Fachpersonal, Patient*innen und Kostenträgern.


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Einblick in die Entwicklung

Die Idee, mit einem umfassenden Handfunktionstest (HFT) ein reproduzierbares Testverfahren zu entwickeln, hatte Handtherapeutin Melanie Wittich bereits 2010: Mit einem funktionellen Ansatz und einer umfangreichen Dokumentation sollten Ziele und Behandlungserfolge sowohl Patient*innen als auch medizinischem Fachpersonal und Kostenträgern aufgezeigt werden. Zu Beginn erfolgte die Durchführung des HFT noch mit einem rein mechanischen Testaufbau. Die Auswertung der Ergebnisse wurde zeitaufwendig mit Stift und Papier dokumentiert. 2017 überarbeitete Maschinenbauer Lukas Kreiner den HFT vollständig und erweitert messtechnisch. Zwei Jahre später ergänzte Software-Entwickler*in Florian Aurich das Team und sorgte zugunsten der Anwendbarkeit für eine vollständige Digitalisierung. 2021 gründete das Trio die HandWerk Test- und Therapietechnik eG, wodurch Zulassung und Vertrieb des HFT – Handfunktionstests nach Wittich möglich wurde.


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Aufbau des Tests

Der Handfunktionstest besteht aus 11 Auflesetests zu allen alltagsrelevanten Greifformen. Diese werden mit den 3 HFT-Brettern und den dazugehörigen Medien in verschiedenen Größen getestet. Die Testdurchführungen sind dabei unterteilt in Einzel- und Kombinationsgreifformen. Für die Funktionsprüfung wurden spezielle Griffstücke entwickelt, welche die Anwendung der Greifform in alltäglichen Situationen abbildet. Mit dem HFT-Modul erfolgt die geräteunterstützte Messung der Maximalkraft von 7 verschiedenen Greifformen. Das Modul verfügt über wechselbare Aufsätze und prüft die jeweilige Greifform unter Belastung. Die Anleitung des HFT erfolgt über das dazugehörige Tablet mit der HFT-App. Die Anwender*innen werden von Anfang bis Ende der Testdurchführung durch die Anwendungs- und Anleitungssoftware unterstützt. Die erhobenen Daten werden patientenbezogen in einer Datenbank gespeichert und können daraus für verschiedene Anwendungen exportiert werden. Der vollständige Test ist in einem portablen Rollkoffer zusammengefasst und kann ortsunabhängig aufgebaut und durchgeführt werden ([Abb. 1] [2] [3] [4]). Anwendung und Auswertung des HFT erfolgen dabei unabhängig vom Zugang zum Internet.

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Abb. 1 HFT – Handfunktionstest nach Wittich im Transportkoffer.
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Abb. 2 Durchführung des Lumbrikalgriffs mit dem Multifunktionsbrett.
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Abb. 3 Durchführung Maximalkrafttest mit HFT-Modul und Steuerung per HFT-App.
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Abb. 4 Übersicht erfolgreicher Transfers nach subtotaler Amputation in Höhe der Mittelhand.

Die Anwender*innen des HFT sind in der Regel medizinisches Fachpersonal, wie Ergo- oder Physiotherapeut*innen. Konzipiert wurde die Anwendung für die Bereiche Handchirurgie, -therapie und -rehabilitation. Dort dient die Auswertung des HFT der Kommunikation zwischen Patient*innen, Therapeut*innen, Ärztinnen bzw. Ärzten und Kostenträgern.

Tab. 1 Greifformen der Auflesetests mit ihren jeweiligen alltagsrelevanten Tätigkeiten.

Greifform

Art

alltagsrelevante Tätigkeiten

Zweipunktgriff

Einzelgreifform

Nähen mit Nadel und Faden

Dreipunktgriff

Einzelgreifform

Schreiben mit dem Stift

Pinzettengriff

Einzelgreifform

Würfel aus einem Becher herausnehmen

Interdigitalgriff

Einzelgreifform

Haarsträhne halten beim Haareschneiden

Lumbrikalgriff

Einzelgreifform

Buch aus einem Regal nehmen

Zylindergriff

Einzelgreifform

Flasche halten

Sphärengriff

Einzelgreifform

Deckel eines Schraubglases öffnen

Faustschluss

Kombinationsgreifform

Zitrone mit der Hand auspressen

Hakengriff

Einzelgreifform

Tragen einer Einkaufstasche

Hantieren

Kombinationsgreifform

Geldmünzen in der Hand sammeln

Manipulieren

Kombinationsgreifform

Pasta mit der Gabel auf dem Löffel drehen


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Ablauf und Durchführung

Gewählt wird zwischen 3 Varianten der Testdurchführung. Für eine ausführliche Statuserhebung der funktionellen Leistungsfähigkeit wird der komplette HFT empfohlen, bestehend aus den Auflese- und Maximalkrafttests. Diese Kombination richtet sich nach dem Belastungsstatus der Hand und sollte für die Vollbelastung von ärztlicher Seite freigegeben sein. Für einen schnellen funktionellen Überblick können die Auflesetests auch separat durchgeführt werden. Bei dieser Variante werden wie beim vollständigen HFT die Daten für die linke und rechte Hand erhoben. Als dritte Variante haben Anwender*innen die Möglichkeit, sich Tests individuell und fallbezogen zusammenzustellen, indem einzelne Greifformen mit und ohne Maximalkraft ausgewählt werden. Diese individuelle Gestaltung bietet einen flexiblen Einsatz auch während einer Therapieeinheit. Einzelne Greifformen können mit der betroffenen Hand überprüft und Ergebnisse verglichen werden.

Entsprechend der gewählten Variante folgt der HFT einer vordefinierten Reihenfolge. Die HFT-App leitet die Anwender*innen dabei durch die gesamte Testsituation. Der Fokus liegt so auf der Durchführung, wobei bei Bedarf die detaillierten Testanweisungen in Bild- und Schriftform unterstützen. Die intuitive Bedienung der HFT-App ermöglicht es, handtherapeutisches Wissen mit in die Beobachtungssituation einfließen zu lassen. Die Notizfunktion dient während des Tests als Dokumentationshilfe für die spätere Auswertung. Wichtig für die Erhebung vergleichbarer Daten sind gleiche Ausgangsbedingungen. Das erreicht der HFT durch klar definierte Testanweisung. Die dazugehörige Tischauflage gibt Sitz- und Ausgangsposition und die Platzierung der HFT-Bretter vor. Somit werden gleiche Wege und einheitliche Voraussetzungen für die Durchführung geschaffen ([Abb. 2] [2] [3] [4]).

Getestet werden immer beide Hände, unabhängig von der Händigkeit und Region der Verletzung bzw. Einschränkung. Begonnen wird mit der betroffenen Seite, um Lerneffekte bei der nicht betroffenen Hand vorzubeugen. Der aktuelle Funktionsstatus der Hand kann so gezielt beobachtet und bewertet werden. Durch das Abarbeiten der Greifformen kommt es zu einem ständigen Wechsel der linken und rechten Hand. Dabei entstehen Erholungsphasen für die Hände ([Tab. 1]).

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Die HFT-Bretter Kugelbrett und Scheibenbrett werden bestückt und anwendungsbereit im Koffer aufbewahrt. Dies ermöglicht einen schnellen und sicheren Wechsel zwischen den Tests und erhöht den Fokus auf die Durchführung.

Das entsprechende HFT-Brett und die Medien werden Test für Test auf der Tischauflage aufgebaut. Die Anleitungen in der HFT-App erleichtern den Ablauf und schaffen die notwendige Ruhe und Struktur für die Durchführung. Jede Greifform ist in der HFT-App zudem in Bildform dargestellt, um die Durchführung auch bei Sprachbarrieren oder Personen, die nicht sprechen können, zu ermöglichen. Jede Testsituation wird einmal durchgeführt. Es sind keine Probe- und Wiederholungsversuche vorgesehen, um die Vergleichbarkeit der Testergebnisse zu bewahren.

Nach einem Startsignal werden entsprechend der Aufgabenstellung Medien auf den HFT-Brettern mit der jeweiligen Greifform aufgenommen und bewegt. Die benötigte Zeit wird gestoppt, die erfolgreichen Transfers gezählt. Außerdem wird die Bewegungsausführung beobachtet und notiert. Dafür bietet die HFT-App in vordefinierten Kategorien eine schnelle Möglichkeit, diese testbezogen zu speichern. Diese Notizen dienen der späteren Rekonstruktion der Ausführung für die Auswertung.

Maximalkrafttest

Bei den Maximalkrafttests wird in 3 Versuchen das maximale Drehmoment gemessen. Dafür dreht die getestete Person den jeweiligen Aufsatz mit der vorgegebenen Greifform gegen einen Widerstand. Gemessen wird das so erreichte Drehmoment. Die Vielzahl an Testszenarien ermöglicht im Vergleich zum einfachen Handkrafttest eine differenzierte Aussage über das Leistungsvermögen von Patient*innen in berufs- und alltagsnahen Tätigkeiten ([Abb. 3] [2] [3] [4]).

Das HFT-Modul wird am Rand des Tisches befestigt und dem Test entsprechend mit einem der Aufsätze vorbereitet. Verschiedene Testsituationen entstehen zusätzlich durch eine Winkeleinstellung des HFT-Moduls. Während der Durchführung sitzt die testende Person neben der Patientin bzw. dem Patienten, wo sie neben der Anleitung die korrekte Sitzhaltung und Ausführung kontrolliert.


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Auswertung der Testergebnisse

Die HFT-App ermöglicht eine intuitive Dokumentation und Ausarbeitung der Testergebnisse zu einem aussagefähigen Bericht. Der immer gleiche Aufbau und die klaren Testanweisungen fördern reproduzierbare Ergebnisse, auch an verschiedenen Standorten. Die Testergebnisse stellen die Hände gegenüber bzw. zeigen den Verlauf im Vergleich zu früheren Durchführungen. Eine gewagte Klassifizierung anhand von Standardwerten der Handfunktion ist dabei nicht nötig. Die Handfunktion ist in ihrer Ausprägung letztlich so verschieden wie die Hände und die Menschen selbst.

Für die Auswertung werden die Ergebnisparameter Zeit und Transfers zusammen mit ihren Mittelwerten in Balkendiagrammen dargestellt ([Abb. 4] [2] [3] [4]). Diese Gegenüberstellung ermöglicht eine erste Einschätzung, wobei zunächst der prozentuale Erfolg der erfolgreichen Transfers beachtet werden sollte: Mit einem Blick ist hier zu erkennen, ob die Handfunktion in einer Greifform eingeschränkt oder die Medien in einer bestimmten Größe nicht entsprechend der Aufgabe bewegt werden konnten. Zudem dient der Parameter „Zeit“ als Hinweis über Geschicklichkeit und Koordination. Lange Testzeiten bei einzelnen Greifformen geben Hinweise auf Bewegungseinschränkungen, großräumige Ausweichbewegungen und koordinative Defizite. Entsprechend können testende Personen die Anwendbarkeit der Greifformen im Zusammenhang mit den jeweiligen alltäglichen Aufgaben bewerten. Weitere Einschränkungen werden bei der gezielten Auswertung der Maximalkrafttests erkannt. Dabei beeinflussen nicht selten Verletzungen von Unter- und Oberarm sowie Schulter zusätzlich die gemessene Handfunktion.

Eine detaillierte Auswertung erfolgt anhand der während der Durchführung notierten Beobachtungen ([Abb. 5] [2] [3] [4]). Mit diesen werden die Einzelergebnisse und die gesamte Durchführung weiterführend interpretiert. Dafür werden in der HFT-App die Testergebnisse zusammen mit den Notizen angezeigt. Im nebenstehenden Textfeld können dann die Notizen ausformuliert und für die jeweilige Anwendung aufbereitet werden. Der HFT-Bericht wird so zu einem fundierten Therapiebericht mit einer umfänglichen Einschätzung der funktionellen Leistungsfähigkeit. Wird der HFT mehrfach, z. B. vor und nach einer Behandlung, Rehabilitation oder Operation durchgeführt, kann außerdem ein Verlauf der Ergebnisse generiert werden. Diese Darstellung zeigt dann Veränderungen der Handfunktion oder bereits erlangte Behandlungserfolge. Das ist vor allem bei Verletzungen der oberen Extremität nützlich, da es hier häufig zu langen Erholungs- und Behandlungszeiträumen kommt.

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Abb. 5 Funktionsverlauf nach Quetsch-/Prellverletzung mit transcarpaler Amputation.

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Anwendungsszenarien des HFT

Ja nach Anwendungsgebiet bietet die HFT-App 3 Varianten zur Ergebnisanzeige. Eine Darstellung der Ergebnisse auf dem Tablet, die Ausgabe eines kompakten HFT-Berichts oder die Ausarbeitung einer ausführlichen Version davon. Die Darstellung auf dem Tablet kann bei der Besprechung der Ergebnisse mit den Patient*innen genutzt werden. Diese bekommen dadurch einen transparenten Überblick und erkennen bei mehrfacher Durchführung ihre Entwicklung. Therapieerfolge können sofort objektiviert und Defizite in die weiterführende Therapieplanung integriert werden.

Die beiden weiteren Varianten der Ergebnisanzeige beschreiben den PDF-Export in Form des HFT-Berichts. Per beiliegendem USB-Stick wird der Bericht zur Nutzung für E-Mails, die hausinterne Datenbank oder den Drucker übermittelt. Die Kompaktversion dient dem schnellen Informationsaustausch mit dem Ärzteteam und umfasst nur eine Auflistung der Greifformen mit den dazugehörigen Ergebnissen. Anwender*innen können außerdem in einer Zusammenfassung das Ergebnis der Durchführung ausformulieren und ihre Beobachtungen teilen. Der ausführliche HFT-Bericht wird für die Kommunikation zwischen den Fachbereichen und als Nachweis für den Kostenträger sowie für Gutachten genutzt.


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Autor*innen

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Melanie Wittich
ist Entwicklerin des HFT-Handfunktionstest nach Wittich. Sie ist seit 2007 tätig als Ergotherapeutin und seit 2009 Leitung der Hand-Aktiv GmbH im Nikolaizentrum Leipzig, Schwerpunktpraxis für Handtherapie und Handrehabilitation. 2010 erwarb sie ihren Abschluss zur zertifizierten Handtherapeutin an der Akademie für Handrehabilitation.
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Lukas Kreiner
ist Ingenieur mit Studium der Produktentwicklung Mechatronik und Maschinenbau im Master mit Vertiefung Maschinenbau-Informatik. Bei HandWerk verantwortet er Entwicklung und Fertigung des Testaufbaus.

Interessenkonfikt

Autorin und Autor sind Teil der HandWerk Test- und Therapietechnik eG, die den HFT – Handfunktionstest nach Wittich vertreibt.

Korrespondenzadresse


Publication History

Article published online:
15 January 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Melanie Wittich
ist Entwicklerin des HFT-Handfunktionstest nach Wittich. Sie ist seit 2007 tätig als Ergotherapeutin und seit 2009 Leitung der Hand-Aktiv GmbH im Nikolaizentrum Leipzig, Schwerpunktpraxis für Handtherapie und Handrehabilitation. 2010 erwarb sie ihren Abschluss zur zertifizierten Handtherapeutin an der Akademie für Handrehabilitation.
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Lukas Kreiner
ist Ingenieur mit Studium der Produktentwicklung Mechatronik und Maschinenbau im Master mit Vertiefung Maschinenbau-Informatik. Bei HandWerk verantwortet er Entwicklung und Fertigung des Testaufbaus.
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Abb. 1 HFT – Handfunktionstest nach Wittich im Transportkoffer.
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Abb. 2 Durchführung des Lumbrikalgriffs mit dem Multifunktionsbrett.
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Abb. 3 Durchführung Maximalkrafttest mit HFT-Modul und Steuerung per HFT-App.
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Abb. 4 Übersicht erfolgreicher Transfers nach subtotaler Amputation in Höhe der Mittelhand.
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Abb. 5 Funktionsverlauf nach Quetsch-/Prellverletzung mit transcarpaler Amputation.