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DOI: 10.1055/a-2250-4785
Leserbrief zu: Ketamininfusionstherapie zur Behandlung von Depressionen – Schritt für Schritt
Mit großem Interesse habe ich die Übersichtsarbeit von Müller-Dahlhaus et al. über die „Ketamininfusionstherapie zur Behandlung von Depressionen – Schritt für Schritt“ in der PSYCH up2date gelesen [1]. Die Arbeit enthält viele sehr brauchbare Tipps, meiner Meinung nach jedoch auch einige Aussagen und Empfehlungen, die wissenschaftlich besser belegt oder andernfalls relativiert betrachtet werden sollten, wenn dieser Artikel nebst der Darstellung einer möglichen Arbeitsanweisung beabsichtigen sollte einen Standard vorzuschlagen:
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Zur Notwendigkeit von einem Perfusor (S. 468): Warum reicht alternativ bei Anwendung der für 40 bis 45 Minuten passenden Tropfenrate ein normales Infusionsbesteck nicht aus?
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Aussage auf S. 465: „Höhere Dosen als 0,5mg/kgKG oder schnelle intravenöse Bolusgaben, die zu einer deutlichen Sedierung des Patienten führen, scheinen keinen antidepressiven Effekt zu haben“. Hier wäre ein solider Literaturbeleg sehr hilfreich.
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Bezüglich der absoluten Kontraindikationen (S. 466):
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„Schlaganfall oder Herzinfarkt <12 Monaten?“ Bei solchen akuten Ereignissen sind diese absoluten Kontraindikationen sofort nachvollziehbar – jedoch nicht bei prä- oder post-akut aufgetretenen therapieresistenten schweren Depressionen, die noch 6 Monate nach dem Ereignis persistieren oder neu aufgetreten sind, insbesondere wenn das akute kardio- oder cerebro-vaskuläre Ereignis sonst wenig Folgeschäden hinterlassen hat. Diese Rubrik sollte um Patienten mit Gefäßaneurysmen und Eingriffen im Bereich der oberen Atemwege ergänzt werden. Im Beipackzettel von Ketamin ist übrigens nicht von „absoluten Kontraindikationen“, sondern von „besonderer Vorsicht“ die Rede, wenn Ketamin i.v. bei den Patienten dieser Rubrik angewendet werden soll [2].
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Bezüglich der relativen Kontraindikationen (S. 466):
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„Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTSD): obwohl einige Fallberichte und eine Metaanalyse [3] von einer Reaktivierung von beispielsweise Hyperarousal oder Intrusionen insbesondere bei Patienten mit kürzlich erworbener PTSD berichten, zeigen weitere Metaanalysen, dass die Anwendung von Ketamin auch bei der PTSD bisher doch insgesamt relativ gut toleriert wurde [4] [5]. Die Möglichkeit der Provokation/Reaktivierung oder Verstärkung von PTSD-Symptomen könnte bei der Aufklärung über die möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen der Ketamin-Infusion antizipiert und während der begleiteten Infusion beim tatsächlichen Auftreten dann im Sinne eines spontanen „Expositionstrainings“ psychotherapeutisch „quasi-in vivo“ bearbeitet werden (in Annäherung an die „Ketamin-assistierte Psychotherapie“ [6]). Auch die Aussage später auf derselben Seite („Komorbide Angst- und Traumafolgestörungen sind relative Kontraindikationen“) wäre begründet und literaturbelegt noch besser nachvollziehbar und informativer.
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„Alkoholabhängigkeit mit früherem Konsum (<1 Jahr abstinent)“: Auch hier gibt es Evidenz, dass eine Ketaminbehandlung bei (auch kürzer abstinenten!) Alkoholabhängigen eher hilfreich wäre [7] [8].
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S. 470: „Bei guter Verträglichkeit können intravenöse Ketaminbehandlungen bei der dritten Infusion auch im teilstationären Setting erfolgen.“ Auch EKTs werden z.T. ausschließlich tagesklinisch (oder auch ambulant) durchgeführt - warum also nicht ebenfalls subnarkotische Ketamin-Infusionen unter Beachtung der üblichen Aufklärungs- und Sicherheitsregeln auch bezüglich der erforderlichen Nachbeobachtung und eventuellen Abholung durch eine Begleitperson?
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Folgende konkrete Zeitangaben in den Empfehlungen zur „Vorbereitung“ (S. 467) würden ebenfalls besser nachvollzogen werden können, wenn sie literaturbelegt wären: „Der Patient wird darauf hingewiesen, dass er nüchtern bleiben muss:
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6 Stunden vor Ketamingabe: Nahrungs- und Nikotinkarenz
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2 Stunden vor Ketamingabe: Flüssigkeitskarenz
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2 Stunden vor Ketamingabe: letzte Medikamentengabe“
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Demnach dürfte eine subnarkotische Ketamininfusion nicht durchgeführt werden, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt wären. Wenn jedoch bezüglich subnarkotischer Ketamininfusionen kein klarer Beleg für diese Zeitvorgaben existieren sollte, wäre meiner Meinung nach ein „soll“ oder sogar „sollte“ auch in diesem Kontext angemessener als ein „muss“. Bei der intranasalen Anwendung von Ketamin werden übrigens deutlich kürzere Zeiten empfohlen [9].
Inzwischen zeigt die reichliche klinische Literatur über subnarkotische Ketamininfusionen (off label) in der Psychiatrie, dass dieses Verfahren gut tolerabel und ziemlich sicher ist. Eine aktuelle Metaanalyse zeigt sogar, dass bei Augmentation der antidepressiven Behandlung von therapieresistenten Depressionen subnarkotische Ketamin (Razemat)-Infusionen der intranasalen Anwendung von Esketamin nicht nur therapeutisch, sondern auch bezüglich der unerwünschten klinischen Ereignisse (ACE) signifikant überlegen war: die ACE-Rate der intravenösen Ketamin-Anwendung war auf dem Placebo-Niveau [10] (Dieses entspricht auch meinen praktischen Erfahrungen). Bekanntlich ist die therapeutische Breite von intravenösem narkotischem Ketamin ziemlich groß [11]. Auch deshalb kann mittlerweile durchaus angeregt werden, die Sicherheits- und Überwachungsregeln der subnarkotischen Ketamininfusion an die Rahmenbedingungen und Standards anzupassen, die in der Psychiatrie üblich und möglich sind, etwa analog den Sicherheits- und Überwachungsregeln bei intravenöser Sedierung mit Benzodiazepinen: nach der S2k-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“ „muss ein medizierter und sedierter Patient angemessen überwacht werden (Überwachung von Atmung, Puls, Blutdruck, Vigilanz, Sauerstoffsättigung)“ (S. 152 in [12]). Wenn auch anästhesiologisch selten in dieser Indikation alleine angewendet, so kann z.B. auch Midazolam (keine Zulassung für psychiatrische Indikationen) zur intravenösen Narkoseinduktion verwendet werden [11].
Mein Fazit: intravenöse subnarkotische Ketamin- und Benzodiazepin-Behandlungen gehören zum psychiatrischen, narkotische Ketamin- und Benzodiazepin-Anwendungen selbstverständlich zum anästhesiologischen Armamentarium. Die jeweiligen Durchführungs-, Sicherheits- und Überwachungsregeln sollten unter Berücksichtigung der indikationsabhängig deutlich unterschiedlichen intravenösen Dosierungen/Applikationsdauern (z.B. [11], Table 1 in [13]) „setting-spezifisch“ differenziert werden.
Publication History
Article published online:
03 May 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Müller-Dahlhaus F, Junginger M, Kelsch W. Ketamininfusionstherapie zur Behandlung von Depressionen – Schritt für Schritt. PSYCH up2date 2023; 17: 465-471
- 2 Beipackzettel Ketamin Ampullen. Accessed December 17, 2023 at: https://beipackzetteln.de/ketamin-50-mg/ml
- 3 Du R, Han R, Niu K. et al. The Multivariate Effect of Ketamine on PTSD: Systematic Review and Meta-Analysis. Front Psychiatry 2022; 13: 813103 DOI: 10.3389/fpsyt.2022.813103.. (PMID: 35356723)
- 4 Sicignano DJ, Kurschner R, Weisman N. et al. The Impact of Ketamine for Treatment of Post-Traumatic Stress Disorder: A Systematic Review With Meta-Analyses. Ann Pharmacother 2023; DOI: 10.1177/10600280231199666.
- 5 Albuquerque TR, Macedo LFR, Delmondes GA. et al. Evidence for the beneficial effect of ketamine in the treatment of patients with post-traumatic stress disorder: A systematic review and meta-analysis. J Cereb Blood Flow Metab 2022; 42: 2175-2187 DOI: 10.1177/0271678X221116477..
- 6 Drozdz SJ, Goel A, McGarr MW. et al. Ketamine Assisted Psychotherapy: A Systematic Narrative Review of the Literature. J Pain Res 2022; 15: 1691-1706 DOI: 10.2147/JPR.S360733.. (PMID: 35734507)
- 7 Kelson M, Burnett JM, Matthews A. et al. Ketamine Treatment for Alcohol Use Disorder: A Systematic Review. Cureus 2023; 15: e38498 DOI: 10.7759/cureus.38498.. (PMID: 37273364)
- 8 Goldfine CE, Tom JJ, Im DD. et al. The therapeutic use and efficacy of ketamine in alcohol use disorder and alcohol withdrawal syndrome: a scoping review. Front Psychiatry 2023; 14: 1141836 DOI: 10.3389/fpsyt.2023.1141836.. (PMID: 37181899)
- 9 Rot-Sackenheim C. Esketamin – Leitfaden für den Einsatz bei Depressionen. Neurotransmitter 2023; 34: 46-48
- 10 Terao I, Tsuge T, Endo K. et al. Comparative efficacy, tolerability and acceptability of intravenous racemic ketamine with intranasal esketamine, aripiprazole and lithium as augmentative treatments for treatment-resistant unipolar depression: A systematic review and network meta-analysis. J Affect Disord 2024; 346: 49-56 DOI: 10.1016/j.jad.2023.11.023..
- 11 Halbeck E, Dumps C, Bolkenius D. Medikamente zur intravenösen Narkoseinduktion: Ketamin, Midazolam und Synopsis der gängigen Hypnotika [Drugs for intravenous induction of anesthesia: ketamine, midazolam and synopsis of current hypnotics]. Anaesthesist 2018; 67: 617-634 DOI: 10.1007/s00101-018-0469-7. (PMID: 30069734)
- 12 AWMF-online. S2k-Leitlinie Notfallpsychiatrie. Registernummer 038 – 023. Stand: 13.04.2019; gültig bis: 12.04.2024.. Accessed December 10, 2023 at: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038–023
- 13 Bonnet U. Long-Term Ketamine Self-Injections in Major Depressive Disorder: Focus on Tolerance in Ketamine's Antidepressant Response and the Development of Ketamine Addiction. J Psychoactive Drugs 2015; 47 (04) 276-85 DOI: 10.1080/02791072.2015.1072653.. (PMID: 26317449)