Laryngorhinootologie 2024; 103(04): 244-245
DOI: 10.1055/a-2219-0522
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu „Rachenhinterwandkarzinom: Benefit durch neues Therapieprotokoll?“

Contributor(s):
Andreas OH Gerstner

* Die Autoren räumen die generellen Nachteile einer retrospektiven Studie ein. Leider ist es damit bei Weitem nicht getan. Insgesamt wirft diese Arbeit mehr Fragen auf, als sie beantwortet. So erstaunt auf den ersten Blick die lange Einschlussphase (von 2010 an über 11 Jahre). Während dieser Zeit haben sich so viele Veränderungen ergeben, dass ein Vergleich zwischen einem Patienten mit Erstdiagnose 2010 und einem Patienten von 2021 nicht möglich ist. Die zitierte NCCN-Guideline wurde z.B. erst 2022 erstellt und 2023 bereits aktualisiert. Wenn man nun die Einschlussphase auf 5 Jahre ab 2017 begrenzt, so fallen 4 Patienten aus der Analyse heraus, die alle ein besonders langes Follow-up hatten. Ohne diese 4 frühesten Patienten sind jedoch 31% der Patienten verstorben statt der berichteten 25%. So oder so ist dieser Anteil für ein Setting mit kurativer Intention hoch.

In jedem Fall war bereits 2010 die Rolle von HPV bei Oropharynxkarzinomen generell bekannt, und dennoch geben die Autoren hierzu keine Auskunft. Das ist aus vielerlei Hinsicht bedauerlich (s.u.). Neben den fehlenden Daten zu HPV verwundert, warum die Patienten in diesem Setting nicht primär auch mittels PET/CT untersucht wurden. Das hätte dann eine Rationale für die Entscheidung hinsichtlich der Neck Dissection bieten können. Laut Studienprotokoll wurden alle Patienten zusätzlich mit einer beidseitigen Neck Dissection behandelt, auch bei cN0-Klassifikation. Besser so, möchte man denken, denn Fall 10 war bei cN0 letztlich pN2b.

Dennoch wird nicht verständlich, worin der Vorteil des gewählten Vorgehens gelegen hat; in immerhin 15 der 20 präsentierten Fällen erfolgte das ziemliche Gegenteil einer individuell zugeschnittenen Therapie, nämlich vielmehr eine Maximaltherapie: bis zu 5 Zyklen einer neoadjuvanten Chemotherapie, dann OP mit Neck Dissection bds., gefolgt von adjuvanter Radio(chemo)therapie. Dabei führen die Autoren aus, dass eine der Hoffnungen in Zusammenhang mit TORS darin besteht, den Umfang einer adjuvanten Therapie begrenzen zu können. Mit diesen Daten schüren sie erhebliche Zweifel an der Berechtigung zu dieser Hoffnung.

Bei immerhin 25% (= 5 Patienten) hatten sich mittels TORS keine freien Ränder erzielen lassen; auch dies ist laut Autoren eine der mit TORS verbundenen Hoffnungen. Da 4 Patienten letztlich pT0 klassifiziert wurden, entsprechen diese 5 R+-Patienten immerhin 31% der verbliebenen 16 TORS-Eingriffe mit noch nachweisbarem Tumor. Warum wurde bei positiven Rändern aber nicht nachreseziert? Da ja nicht mittels mikrovaskulär reanastomosierten Transplantaten rekonstruiert wurde, wären die befallenen Ränder ja gut zugänglich gewesen. Welche Gründe haben die Autoren dazu bewogen, im Rahmen der Staging-Panendoskopie die initiale Krebsausdehnung nicht mittels Tätowierung zu markieren?

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Dauer der neoadjuvanten Chemotherapie: Laut Protokoll konnten bis zu 5 Zyklen gegeben werden, was – bei primär kurativ operablen Patienten – einer Therapieverzögerung von bis zu 100 Tagen gleichkommt. Leider finden sich keine Angaben, wie viele Zyklen die einzelnen Patienten erhalten haben. Dieses Detail wäre in der Tabelle eine sehr wertvolle Zusatzinformation, insbesondere bei den Patienten, die letztlich als pT0 klassifiziert wurden. Waren diese eventuell HPV-positiv? Diese Angabe wäre auch bei den wohl 11 R0-resezierten Patienten und bei den 5 cN+, aber pN0-Patienten interessant.

Sechs von 20 Patienten hatten ein lokoregionäres Rezidiv, davon 1-mal zusätzlich ein Lokalrezidiv und 1-mal zusätzlich Fernmetastase(n). Immerhin 3 dieser 6 Patienten sind noch nicht gestorben; hier wäre es interessant zu erfahren, welche Strategie zur Behandlung dieser Rezidive verfolgt wurde bzw. angesichts der umfangreichen Vortherapie noch verfolgt werden konnte.

Die Studie macht 3 wesentliche Angaben nicht, die problemlos in die Tabelle hätten eingefügt werden können: HPV-Status, Anzahl der neoadjuvanten Zyklen und R-Klassifikation. Diese Daten würden helfen, den Nutzen dieses Konzeptes besser einschätzen zu können. Insgesamt scheint mir der Ansatz einer neoadjuvanten Chemotherapie aus der Zeit gefallen, wo doch das Streben dahin geht, das wirtseigene Immunsystem zu Beginn der Behandlung möglichst wenig zu schädigen, wenn nicht gar zu stärken. Diese Studie hat meine Skepsis diesbezüglich nicht gemindert.



Publication History

Article published online:
02 April 2024

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