Psychiatr Prax 2024; 51(02): 66-67
DOI: 10.1055/a-2206-3781
Debatte

Eine ambulante Behandlungsweisung wäre hilfreich für die Behandlung und Deliktprävention bei Menschen mit Psychosen – Pro

Frank Schwärzler
,
Udo Frank
 

Mit der verfassungsgerichtlich angestoßenen bundesweiten Überarbeitung der Landesgesetze zur Unterbringung psychisch kranker Menschen und der Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung wider Willen wurden Fortschritte erreicht für die Rechtssicherheit von Patient*innen und Behandelnden sowie ein Höchstmaß an Patientenautonomie angestrebt. Zwangsbehandlungen setzen jedoch meist eine Fremd- oder Selbstgefährdung voraus und können stets nur im stationären Rahmen durchgeführt werden. Rechtlich und allgemeinpsychiatrisch steht damit kein Mittel zur Verhinderung schwerer Rückfälle zur Verfügung.


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Zur Prävention erneuter schizophrener Erkrankungsphasen ist eine antipsychotische Medikation zur Rezidivprophylaxe empirisch umfassend gesichert und klare Empfehlung der Leitlinien. Die klinische Behandlungswirklichkeit ist jedoch eine andere. Beinahe die Hälfte ersthospialisierter Patient*innen brechen nach Entlassung die medikamentöse Behandlung ab [1], innerhalb der ersten Jahre sind es bis 85 % [2].

Unter diesen Patient*innen gibt es eine Gruppe, die eindeutig von einer antipsychotischen Medikation profitiert und bei der das Absetzen der Medikamente nicht nur zur weiteren Chronifizierung mit negativen sozialen Folgen und Belastungen des persönlichen Umfeldes führt, sondern auch die Gefahr erhöht, Delikte zu begehen. Die Mehrzahl strafrechtlich Untergebrachter mit schizophrenen Psychosen wurde zuvor über mehrere Jahre wiederholt akut psychiatrisch behandelt [3].

Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, die Behandlungsadherence zu verbessern – vor allem mit den Mitteln der Psychoedukation und des Nebenwirkungsmanagements im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung. Neben der Vielzahl von Patient*innen, die gut von einem freiwilligen umfassenden biopsychosozialen Behandlungsangebot profitieren können, bleibt eine kleine Gruppe von Patient*innen mit Schizophrenien, denen es nicht gelingt, überdauernde Krankheitseinsicht zu entwickeln.

Um diese Gruppe geht es als mögliche Zielgruppe für eine ambulante Behandlungsweisung.

Die Debatte darüber ist nicht neu, Ende 2003 wurde durch den Gesetzentwurf des Bundesrates (BR-Drs. 865/03) im Betreuungsrecht nach § 1906a BGB die Möglichkeit der zwangsweisen Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung angeregt – und fand nach kontroverser Debatte keine Mehrheit. So bleibt – entsprechend dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 11.10.2000 – die Rechtslage bestehen, dass eine zwangsweise Zuführung eines Betreuten nicht genehmigungsfähig ist (BGH XII ZB 69/00) und für die Maßnahmen z. B. nach PsychK(H)G die hohe Hürde einer akuten Fremdgefährdung gilt.

International (z. B. Großbritannien, skandinavische Länder) gibt es jedoch die Handlungsoption einer ambulanten Behandlungsweisung. Die empirischen Erkenntnisse dazu lassen keine eindeutigen Schlüsse zu: Die im Lancet publizierte Studie von Burns et al [4] zeigte keine Überlegenheit einer solchen Behandlungsweisung, wobei methodische Einschränkungen eine abschließende Schlussfolgerung nicht zulassen. Zugleich gibt es klare Hinweise, dass die Beschränkung rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten zur Behandlung von zur freien Willensbildung nicht mehr ausreichend befähigter schizophren erkrankter Personen deren Risiko für die Begehung schwerer Delikte, aber auch selbst Opfer einer Gewalttat zu werden, erhöht [5].

Dem entspricht in Deutschland ein erheblicher Anstieg der Neuanordnungen für die Unterbringung im Maßregelvollzug (MRV) gemäß § 63 StGB, die einen noch nie dagewesenen Wert erreicht haben. Aus den Fallmerkmalen kann der Zuweisungsanstieg nahezu vollständig auf eine Zunahme an „klassischen“ Patienten der Allgemeinpsychiatrie mit Schuldunfähigkeit und eher mittelschweren Delikten zurückgeführt werden [6]. Hinter diesen zusätzlichen Unterbringungen stehen viele Geschädigte, Gewaltopfer, aber auch viele psychisch Kranke, die in einen langjährigen Freiheitsentzug eingewiesen werden.

Neben diesem möglicherweise vermeidbaren Leid auf der Einzelfallebene riskieren wir, dass es zu einer erheblichen Veränderung in der psychiatrischen Versorgung kommt: Hochbelegung im MRV, Umschichtung von Raum- und Personalressourcen aus der Allgemeinpsychiatrie, aber auch die erneute Stigmatisierung psychisch Erkrankter in den Medien als gefährlich.

Für die kleine Gruppe von Personen, die bereits in nicht einwilligungsfähigem Zustand aus Gefährdungsgründen öffentlich-rechtlich untergebracht wurden, dabei erfolgreich zu behandeln waren und absehbar wieder in einen solchen krankheitsbedingten Zustand gelangen werden, wäre eine ambulante Behandlungsweisung ein deutlich milderes Mittel gegenüber weiterer Unterbringung nach PsychK(H)G oder gar langjährig im MRV und ein wichtiger Beitrag zum Opferschutz.

Wie soll man sich diese „ambulante Zwangsbehandlung“ vorstellen? Nicht gedacht ist daran, im häuslichen Rahmen etwa eine Medikation gegen den erklärten Willen unter Ausübung von körperlichem Zwang zu verabreichen. Vielmehr soll die gerichtliche Behandlungsweisung ermöglichen, dass bei Nichteinhaltung die Patient*innen auch gegen ihren Willen in die Klinik zum Zweck der dortigen Behandlung eingewiesen werden können, bevor eine Zunahme der schizophrenen Symptome zu einer akuten Gefährdung führt. Damit sollen Selbst- und Fremdgefährdung im Vorfeld einer Aufnahme und damit verbundene traumatische Erlebnisse für die Person selbst wie für ihr Umfeld, sowie längere Freiheitsentzüge und letztlich auch eine forensische Unterbringung erspart werden.

Die Erfahrung etwa auch aus der forensischen Nachsorgepraxis zeigt, dass die Behandlung, die z. B. im Rahmen einer Weisung in der Führungsaufsicht angeordnet ist, auch ohne unmittelbaren Zwang durchgeführt werden kann, auch unter Erhalt des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient*innen und Behandelnden. Unabdingbar ist es, eine solche Weisung mit einem intensiven Betreuungs- und Behandlungsangebot im ambulanten Rahmen zu verbinden.

Die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für eine entsprechende ambulante Weisung ist somit ausdrücklich angezeigt.


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Autorinnen/Autoren

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Frank Schwärzler
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Udo Frank

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Tilhonen J, Haukka J, Taylor M. et al. A nationwide cohort study of oral an depot antipsychotics after first hospitalisation for schizophrenia. Am J Psychiatry 2011; 168: 603-609
  • 2 Kreyenbuhl J, Nossel IR, Dixon LB. Disengagement from mental health treatment among individuals with schizophrenia and strategies for facilitating connections to care: a review of the literature. Schiziphr Bull 2009; 35: 696-703
  • 3 Hodgins S, Müller-Isberner R. Preventing crime by people with schizophrenic disorders: the role of psychiatric services. Br J Psychiatry 2004; 185: 245-250
  • 4 Burns T, Rugkasa J, Molodynski A. et al. Community treatment orders für patients with psychosis (OCTET): a randomised controlled trial. The Lancet 2013; 381: 1627-1633
  • 5 Segal SP, Rimes L, Badran L. Crime and victimization outcomes following civil rights limits to the use of compulsory treatment. Journal of Psychiatric Research 2023; DOI: 10.1016/j.psychres.2023.115377.
  • 6 Traub HJ, Ross T. Ein Revival der „Forensifizierung“?: Die aktuelle Entwicklung des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB. Recht & Psychiatrie 2023; 41: 150-159

Korrespondenzadresse

Dr. Frank Schwärzler
PP.rt – Gemeinnützige Gesellschaft für Psychiatrie Reutlingen mbH
Wörthstraße 52/1
72764 Reutlingen
Deutschland   

Publication History

Article published online:
05 March 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14,70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Tilhonen J, Haukka J, Taylor M. et al. A nationwide cohort study of oral an depot antipsychotics after first hospitalisation for schizophrenia. Am J Psychiatry 2011; 168: 603-609
  • 2 Kreyenbuhl J, Nossel IR, Dixon LB. Disengagement from mental health treatment among individuals with schizophrenia and strategies for facilitating connections to care: a review of the literature. Schiziphr Bull 2009; 35: 696-703
  • 3 Hodgins S, Müller-Isberner R. Preventing crime by people with schizophrenic disorders: the role of psychiatric services. Br J Psychiatry 2004; 185: 245-250
  • 4 Burns T, Rugkasa J, Molodynski A. et al. Community treatment orders für patients with psychosis (OCTET): a randomised controlled trial. The Lancet 2013; 381: 1627-1633
  • 5 Segal SP, Rimes L, Badran L. Crime and victimization outcomes following civil rights limits to the use of compulsory treatment. Journal of Psychiatric Research 2023; DOI: 10.1016/j.psychres.2023.115377.
  • 6 Traub HJ, Ross T. Ein Revival der „Forensifizierung“?: Die aktuelle Entwicklung des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB. Recht & Psychiatrie 2023; 41: 150-159

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