Rofo 2024; 196(01): 23-24
DOI: 10.1055/a-2170-9232
Forum Gesundheitsstrategie

Es geht um unsere Fähigkeit, Veränderungen aktiv mitzugestalten

von Prof. Dr. med. Gerald Antoch, Gesundheitsstrategischer Sprecher der DRG
 
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Prof. Dr. Gerald Antoch. Copyright: DRG/Rafalzyk

Im zurückliegenden Jahr haben wir eine ungeahnte gesundheitspolitische Dynamik erlebt. Krankenhausreform, Ambulantisierung, Digitalisierung – nur drei Schlagworte, die für eine Vielzahl von Reformprojekten, Gesetzesinitiativen und Vorhaben der Bundesregierung stehen. Viele davon greifen tief in die gegenwärtigen Strukturen und Prozesse unseres Gesundheitswesens ein und fordern die Handlungsfähigkeit aller Akteure heraus. Das Konfliktpotenzial ist enorm, denn das Feld ist nicht frei von Verteilungskämpfen und fachlichen Interessenunterschieden. Und die Radiologie steht dabei nicht außen vor, unsere Disziplin steht mitten im Geschehen – und bisweilen auch im Feuer.

Wir erleben einen starken Handlungsdruck

So sehen wir uns schon seit einiger Zeit bei der fachfremden Leistungserbringung in der privaten Krankenversicherung mit einer die Grenzen der Fachgebiete in Frage stellenden Rechtsprechung konfrontiert.
Diese berührt nicht nur unmittelbar die Integrität unseres Faches, sondern den Wert fachärztlicher Qualifikation insgesamt. Wenn die von der Weiterbildungsordnung vorgegebenen Fachgebietsgrenzen zunehmend aufgeweicht werden, muss das eigentlich die ärztliche Selbstverwaltung und den Gesetzgeber alarmieren. Weil das aber ganz offenkundig nicht der Fall ist, müssen wir den Druck erhöhen und uns Gehör verschaffen. Aufgeben wäre indessen eine schlechte Wette auf die Zukunft, eine nicht kalkulierbare Option.

Die Reform der Krankenhauslandschaft und -vergütung ist die gesundheitspolitische Großbaustelle, die uns auch im Jahr 2024 und darüber hinaus begleiten wird. Wir haben uns frühzeitig in den politischen Verhandlungsprozess eingebracht und die Positionen der Radiologie verdeutlicht. Dabei arbeiten wir intensiv mit der AWMF und anderen Fachverbänden zusammen und nutzen unsere eigenen Zugänge im politischen Raum. Unser Ziel ist es, darauf hinzuwirken, dass die Radiologie sowohl als diagnostisches Querschnittsfach wie auch in ihrer interventionellen Ausrichtung den Stellenwert erhält, der ihrer Rolle in der Versorgungswirklichkeit gerecht wird. Das betrifft sowohl die strukturelle Einordnung in der neuen Leistungsgruppensystematik wie auch die daran orientierte Vorhaltevergütung.

Mit einer Reihe neuer Gesetzesregelungen soll die Ambulantisierung bislang stationär erbrachter Leistungen vorangebracht werden. Noch gibt es viel Unsicherheit, und die Krankenhausreform überlagert mögliche Überlegungen zur Neustrukturierung. Im Dickicht der neuen Rechtsbereiche wird es darauf ankommen, dass wir in der stationären und in der ambulanten Radiologie unsere Chancen identifizieren und bestmöglich wahrnehmen. Genau das versucht eine eigens eingerichtete Vorstandskommission, in der wir die Radiologie übergreifenden Potenziale und Restriktionen ausloten.

Kurzum: Jetzt erweist sich, ob wir bereit und in der Lage sind, die anstehenden Veränderungen aktiv mitzugestalten, Chancen zu erkennen und Fehlentwicklungen ausdauernd entgegenzutreten. Die Herausforderung ist eine strategische, weil es um die zukünftige Position und Rolle der Radiologie in der Gesundheitsversorgung geht. Und sie ist eine inhaltlich-operative, weil es darum geht, mit überzeugenden Argumenten und großem Engagement hörbar, sichtbar und schlagkräftig zu sein.


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Wir müssen unsere Handlungsfähigkeit erhalten und stärken

Es ist gut, dass sich die DRG seit 2022 gesundheitsstrategisch neu aufgestellt hat und im engen Schulterschluss mit dem BDR sowie den anderen radiologischen Fachgesellschaften und Organisationen deutlich wirksamer agieren kann.

Ich bin überzeugt, dass wir den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen nur dann angemessen begegnen können, wenn wir

  • als Radiologie koordiniert und geschlossen auftreten und vorgehen,

  • mit anderen Disziplinen und Fachgesellschaften die Kooperation und Vernetzung suchen,

  • die Repräsentation und Mitsprache unseres Faches in den Gremien der Selbstverwaltung stärken.

Koordination und Geschlossenheit

Bei aller Unterschiedlichkeit im Detail – als vergleichsweise kleines Fachgebiet müssen wir die Einheit der Radiologie wahren. Wir können uns im politischen Raum nur Gehör verschaffen, wenn wir bei den wichtigen, unser Fach betreffenden Themen mit einer Stimme sprechen und unsere politischen und fachlichen Interessen gemeinsam vertreten. Ich habe den festen Eindruck, alle radiologischen Fachgesellschaften und Verbände haben das verstanden. Wir sind auf einem guten Weg. Ob im Kontext der Krankenhausreform oder beim Thema fachgebietsfremder Leistungserbringung – die wesentlichen Stellungnahmen und Positionspapiere haben wir gemeinsam verabschiedet und nach außen präsentiert. Die Gespräche auf politischer Ebene und mit den Gremien der Selbstverwaltung führen wir gemeinsam. Das nützt uns allen.


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Kooperation und Vernetzung

Um unsere fachlichen und politischen Interessen bestmöglich zu wahren, kann es sinnvoll oder notwendig sein, den Austausch, die Zusammenarbeit und ggf. auch gemeinsame Lösungen mit anderen Disziplinen und Fachgesellschaften zu suchen. Jüngstes Beispiel ist der mit Gefäßchirurgen und Angiologen gefundene Konsens zur möglichen Ausgestaltung eines gemeinsamen Leistungsbereiches „Gefäßmedizin“ im Rahmen der Krankenhausreform. Auch wenn dessen Umsetzungschancen vorerst unklar bleiben – ohne diesen gemeinsam entwickelten Vorschlag wären die Leistungen der interventionellen Radiologie in der neuen Krankenhaus-Leistungsgruppensystematik vollends unberücksichtigt geblieben. Die Suche nach guten Kompromissen kann daher sehr im radiologischen Interesse sein.


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Repräsentation und Mitsprache

Die meisten uns unmittelbar betreffenden Entscheidungen werden nicht in der Gesundheitspolitik von Bund und Ländern getroffen, sondern in der Selbstverwaltung von Landesärztekammern (LÄK) und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Dort wird zum Beispiel über die Weiterbildungsordnung (LÄK) oder zentrale Fragen der vertragsärztlichen Versorgung (KV) entschieden. Mitentscheiden kann aber nur, wer in den Delegierten- und Vertreterversammlungen Sitz und Stimme hat. Wenn wir unsere fachlichen und politischen Interessen als Radiologie wahren wollen, brauchen wir mehr Einfluss, also mehr Mandatsträgerinnen und -träger in diesen Gremien. Anlässlich bevorstehender Wahlen veröffentlichen DRG und BDR gemeinsame Wahlaufrufe, und erfreulicherweise bewarben sich zuletzt zahlreiche junge Radiologinnen und Radiologen erfolgreich um ein Mandat. Das ist ermutigend. Wir müssen aus meiner Sicht aber noch mehr dafür werben, dass sich eine Mitarbeit in der Selbstverwaltung lohnt – eine Aufgabe, der sich auch die AG Gesundheitspolitsiche Verantwortung in der DRG verpflichtet fühlt.


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Fazit

Das gesundheitspolitische Jahr 2023 hat uns außerordentlich gefordert und es ist nicht zu erkennen, dass der Handlungsdruck im neuen Jahr nachlassen wird. Dank des großen inhaltlichen und zeitlichen Einsatzes vieler, die sich in ehrenamtlicher Funktion für unser Fach engagieren, war es möglich, uns in die fachlichen Debatten und die – vielfach volatilen – politischen Entscheidungsprozesse mit konkreten Vorschlägen einzubringen.

Wir dürfen und wollen den Anschluss jetzt nicht verlieren. Deshalb mein Appell: Es ist eine gesundheitspolitisch spannende Zeit. Es bleibt viel zu tun. Es ist eine gute Zeit zum Mitmachen! Engagieren Sie sich in den Gruppierungen, Arbeitsgemeinschaften und Foren der radiologischen Organisationen oder/und in der ärztlichen Selbstverwaltung.


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„Forum Gesundheitsstrategie“

Ich freue mich über die Gelegenheit, dass wir Ihnen ab dem Monat März zweimonatlich das neue „Forum Gesundheitsstrategie“ in der RöFo präsentieren können. Hier werden aktuelle Themen der Gesundheitspolitik und ihre Auswirkungen auf unser Fach beleuchtet, Herausforderungen und Aufgaben klar herausgearbeitet. Alle Autor:innen sind Expert:innen für die jeweiligen Themen und bearbeiten diese in vorderster Reihe für unser Fach. Sie werden so zu gesundheitsstrategischen Themen aktuell informiert. Ich wünsche Ihnen schon jetzt eine inspirierende Lektüre.


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Interessenkonflikt

Vorstandsmitglied Deutsche Röntgengesellschaft
Gesundheitsstrategischer Sprecher Deutsche Röntgengesellschaft


Publication History

Article published online:
01 January 2024

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Prof. Dr. Gerald Antoch. Copyright: DRG/Rafalzyk