Rofo 2023; 195(08): 737-738
DOI: 10.1055/a-2120-5166
DRG-Mitteilungen

Röntgenkontrastmittel im Abwasser – eine Bestandsaufnahme von DRG und BDR zur aktuellen Debatte

 

Autoren: Prof. Dr. Hermann Helmberger1 und Prof. Dr. Meinrad Beer2
1 für den Berufsverband der Deutschen Radiologen (BDR)
2 für die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG)

Ausgangslage

Röntgenkontrastmittel (RKM) werden weitgehend unverändert nach ihrer Anwendung in der Patientenversorgung über das Abwasser durch Patientenausscheidung entsorgt. Jährlich beträgt in Deutschland der Eintrag in die Umwelt mehrere hundert Tonnen [1].

Angesichts ihrer gewollt stabilen Form akkumulieren RKM im Oberflächen- und Grundwasser, umweltschädliche Direktfolgen sind nicht bekannt. Aber angesichts der Menge und der noch nicht abschließend erforschten Umwandlungsprozesse in der Umwelt ist eine Reduzierung des Eintrags anzustreben [2].

Neben einer Reduzierung bei der Produktion (Industrieseitig) und einer Elimination bei der Abwasserbehandlung (Wasserwirtschaft) ist die Anwenderseite (Medizinische Einrichtungen) bei der Problemlösung Adressat [3]. Neben der Kardiologie und der Urologie ist die Radiologie einer der hauptsächlichen Anwender von RKM in Gesundheitseinrichtungen.


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Maßnahmenpakete

Bereits seit mehreren Jahren ist die Radiologie an mehreren Pilotprojekten beteiligt, welche Maßnahmen erproben, die zu einer Reduzierung des Eintrags von RKM in der Umwelt führen könnten. Dabei wurden sowohl Szenarien für den ambulanten wie den stationären Sektor untersucht [4].

Dazu gehören die Rückgewinnung von RKM über spezielle Trenntoiletten, die Ausgabe von Windeln an PatientInnen sowie die Sammlung und Rückführung der geringen, aber täglich anfallenden Kontrastmittelreste in den Gesundheitseinrichtungen selbst.

Aktuelle Beispiele zweier Pilotprojekte sind die Maßnahmen MindER I und II (Minderung des Eintrags von Röntgenkontrastmittel) in der Region Ulm/Neu-Ulm [5]. Dabei wurde insbesondere die ambulante Versorgung im Praxisalttag wie im Rahmen der Universitätsmedizin untersucht, jeweils unterstützt vom Umweltministerium Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit Fraunhofer ISI.

Beim Pilotprojekt MindER I wurde der Einsatz von Urinbeuteln im Rahmen elektiver, ambulanter CT-Untersuchungen hinsichtlich Akzeptanz bei Patient:innen und Personal in der Radiologie untersucht. Teilnahmerate und zusätzlicher Zeitbedarf für diese Maßnahme wurden erhoben.

Beim Folgeprojekt MindER II wurde der Nutzen eigener Trenn-Toiletten, welche dediziert den Patient:innen nach der CT-Untersuchung angeboten wurden, evaluiert. Diese Maßnahme wurde mittels Patient:inneninformationen, Akzeptanzuntersuchungen und Maßnahmeneffizienzmessungen (Interviews, Fragebögen, Beobachtungen, Bestimmung Jodgehalt im Urin) begleitet.

Insgesamt werden den eigenen Erfahrungen nach Maßnahmen zur Reduktion des Eintrags von RKM in die Umwelt von Personal und PatientInnen als sinnvoll bewertet. Neben durchaus komplexen logistischen Herausforderungen ist die Kostenerstattung für den Mehraufwand an Personal und Material bislang ungeklärt.


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Spurenstoffstrategie des Bundes

Im Rahmen der UN-Wasserdekade 2018–2028 hat die Bundesregierung im Jahr 2021 eine Nationale Wasserstrategie entwickelt und vorgestellt. Grundlage hierzu war der im Rahmen der spurenstoff-Strategie des Bundes durchgeführte Dialog an Runden Tischen unter Einbezug aller am Prozess beteiligten Stakeholder (Industrie, Wasserwirtschaft, Anwender, Umweltverbände, Umweltbundesamt). DRG und BDR haben dabei die Anwender am Runden Tisch RKM, der von Dezember 2019 bis Mai 2022 insgesamt 10 Mal tagte, vertreten [6]. Im Dialog wurden dabei alle Phasen des RKM-Anwendungszyklus von der Herstellung bis zur Kläranlage aufgearbeitet und auf Optimierungen hin analysiert. Ein entscheidendes Ergebnis der Diskussionen war, auf maßgebliche Initiative der Anwendervertreter die Initiierung und Durchführung einer Konzeptionsstudie zur Prüfung der Praxistauglichkeit etwaiger Urinauffangsysteme. Es konnte gezeigt werden, dass mit einer Beteiligung im ambulanten Bereich von 25–30 % zu rechnen, im stationären Bereich der personelle Aufwand erheblich und aktuell nicht zu beziffern ist. Die Erstattung der anfallenden Kosten muss in den Vergütungssystemen von ambulanter und stationärer Versorgung durch zusätzliche Erlöse sichergestellt sein [7]). Insgesamt drei Leuchtturmprojekte sollen jetzt die Machbarkeit über einen längeren Zeitraum erproben. Ausstehend ist vor allem eine Gesamtbetrachtung der ökonomischen wie ökologischen Bedeutung der bislang untersuchten Maßnahmen (Urinrückhaltesysteme). Auch wenn diese Projekte entsprechend der bisherigen Studien als grundsätzlich sinnvoll von PatientInnen wie Personal bewertet wurden, so ist doch die Finanzierung dieser Maßnahmen gänzlich ungeklärt. DRG und BDR haben deshalb an die Leuchtturmprojekte als Fragen formuliert inwieweit eine relevante Verringerung des RKM-Nachweises nach Einleitung der geplanten Einführung von Urinauffangsystemen mit vertretbarem Aufwand gelingen kann, wie die entstandenen Kosten aufgefangen werden und ob Aufwand und Wirkung in einer nachhaltigen Relation stehen.


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Sensibilisierung über die Fachgesellschaften

Beginnend mit einem Beitrag in der Highlight-Eröffnungs-Sitzung des Deutschen Röntgenkongresses 2020 wurde die radiologische Gemeinschaft über die Problemstellung und Lösungsansätze informiert, dies gleichermaßen unterstützt von den Fachgesellschaften des BDR und der DRG.

Kernpunkte waren dabei die Relevanz des Eintrags von Röntgenkontrastmitteln (RKM) in die Umwelt angesichts der Menge, die Bedeutung dessen für die Radiologie als einer der Anwender von RKM in Gesundheitseinrichtungen sowie die Ergebnisse erster Pilotprojekte zur Minderung des Eintrags von RKM und deren Ergebnisse. Diese Diskussion wurde am Deutschen Röntgenkongress 2022 in einer Präsenzsitzung fortgesetzt und einem breiten Publikum vorgestellt.


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Fazit

Die Diskussion über RKM im Abwasser ist durch die Spurenstoffstrategie des Bundes im Rahmen der UN-Wasserdekade, aber auch durch gesellschaftliche Wahrnehmung allgemein entstanden. Fachgesellschaft (DRG) und Berufsverband (BDR) haben den Dialog von Anfang an am Runden Tisch und den hieraus resultierenden Gremien konstruktiv begleitet. Diese Begleitung findet ihre Fortsetzung in der kritischen Analyse der im Rahmen der Leuchtturmprojekte erarbeiteten Ergebnisse. Angesichts der erforderlichen deutlich erhöhten personellen Belastung wurde auch auf die Gefahr des Qualitätsverlustes in der radiologischen Diagnostik hingewiesen, wenn vermehrt auf Nativ-Untersuchungen ausgewichen werden sollte. Umso mehr ist der Nachweis relevanter Reduzierungen im Abwasser nach erfolgtem Einsatz von Urinauffangsystemen im Rahmen der Pilotprojekte zu fordern und vor einer flächendeckenden Implementierung die Kostenerstattung durch zusätzliche Finanzmittel sicher zu stellen. Hierzu bedarf es erneut gemeinsamer Anstrengungen aller am Prozess beteiligten Stakeholder.


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Publication History

Article published online:
25 July 2023

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