Rofo 2023; 195(06): 544-545
DOI: 10.1055/a-2066-3968
DRG-Mitteilungen

ECR 2023 „The Cycle of Life“

 

    Auch wenn das Motto des diesjährigen Europäischen Röntgenkongresses natürlich weit im Vorfeld ausgewählt worden war, hätte es treffender kaum sein können: nicht nur im eigentlichen Sinne der Kongressorganisation, die die Bedeutung der radiologischen Bildgebung von pränatal bis postmortal in beeindruckender Weise durch Symposien und Highlight Sessions dargestellt hatte. Schon die Rückverlegung des Kongressdatums vom Sommer an den angestammten Platz Anfang März mutet wie eine gelungene Repositionierung im Kreislauf des Kongressjahres an. Gesunkene Teilnehmerzahlen angesichts des bereits in der Urlaubssaison gelegenen Kongresstermins im Vorjahr einerseits und aktuell niedrige Pandemiezahlen andererseits, hatten die sehr kurzfristige terminliche Verschiebung letztlich ausgelöst. Alles also wieder auf Anfang?

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    Abb. 1 The circle of life/Abbildungen BDR.

    Nicht ganz. Trotz deutlich gestiegener Teilnehmerzahlen konnte die Rekordbeteiligung von 2019 nicht wieder erreicht werden. Dennoch: der ECR ist inzwischen der teilnehmerstärkste radiologische Kongress weltweit. Und er hat sich nochmal weiter zu einem Megaevent gemausert. Was den Auftritt, die Inhalte, die Präsentationsformen und damit die Marke ECR angeht. So wurden die Besucherinnen und Besucher in diesem Jahr von einer vergleichsweise dunklen Eingangshalle im Wiener Kongresszentrum empfangen. Ganz im Stile der Zeit mit permanent durchlaufenden Werbebannern der Hauptsponsoren, aber auch elektronischen Hinweisen auf das aktuelle Programm. Weitestgehend papierlos bewegt man sich durch die Kongresshallen – selbst die zur Gewohnheit gewordene tägliche Zeitung war rein digital. Ohne intensive Vorbereitung zuhause scheint man verloren, man verliert sich quasi in der Fülle des Angebotes. Auch das vielleicht ein Zeichen der Zeit? In Kenntnis vieler über die Jahre besuchter Kongresse drängt sich eine gewisse, vielleicht auch gewollte Flüchtigkeit auf. Das Angebot ist so vielfältig und reichhaltig, bedient tatsächlich alle Facetten der Radiologie und kann noch weniger als in den Vorjahren in der gesamten Tiefe erfasst werden. Die im Nachhinein dank Onlinezugriff bestehende Verfügbarkeit verleitet zu einem teaserhaften Kongresskonsum: möglichst viele interessante Themen anreißen und Schlagworte notieren unter der Vorstellung diese später zuhause in der Nachbereitung zu vertiefen. Ob dies wirklich so gelingt, bleibt der persönlichen Disziplin anheimgestellt.

    Natürlich stellt der ECR ein großartiges Forum der Kommunikation untereinander dar und ist eine wichtige Plattform sowohl der Forscherinnen und Forscher auf internationaler Ebene, als auch des internationalen Austausches auf der Industrieausstellung. Und auch der persönlichen Kontaktpflege mit nationalen und internationalen Kollegen und Freunden. Dazu stehen eine Vielzahl neuer Veranstaltungsforen zur Verfügung. Neben der klassischen Vortragspräsentation und anschließenden Diskussion, die bewusst in kleinem Rahmen gehaltene Präsentation von wissenschaftlichen Inhalten an elektronischen Lichtkästen und Monitoren im Stehen. Oder die im Lounge-Charakter gehaltenen Präsentationsräume, an denen man quasi vorbeigeht, kurz oder länger stehen bleibt, in der Regel aber nicht eine Sitzung von Anfang bis Ende verfolgt. Nicht alle dieser neuen Dialogformen werden sich durchsetzen. So ist die im AI-Forum gelegene Lounge, in der man auf Würfeln casual gruppiert sitzt, zwar diskussionsfreundlich, durch die fehlende Abtrennung von der unmittelbar angrenzenden Ausstellung der AI-Hersteller aber sehr stark vom Lärm der dort stattfindenden Gespräche überlagert. Dennoch beeindruckend die Session, in der fünf AI-Hersteller gegeneinander antraten in der Beurteilung des identischen Datensatzes bei Patienten mit Stroke-Symptomatik. Mit teils deutlich abweichenden Ergebnissen, die die unterschiedlich hohe Zahl bereits verarbeiteter Datensätze in der dahinterliegenden Datenbank offenlegte. Aber auch verblüffenden Ergebnissen erstaunlich nah an neuroradiologischem Expertenwissen.

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    Abb. 2 Die Industrieausstellung – vielfältig wie immer.

    Bei der Industrieausstellung wurde, zumindest bei den großen Firmen, das Campusmodell des vergangenen Jahres beibehalten. Ganze Stockwerksteile wurden erneut zu kleinen Dörfern für die Konzerne mit einer Fülle von Sitzgelegenheiten, Präsentationsflächen und Besprechungsräumen, gestaltet. Aber auch mit dem Nachteil nicht zufällig dort vorbeizukommen beim Rundgang durch die Ausstellung sondern der Notwendigkeit ganz bewusst den Weg dorthin zu wählen.

    Natürlich hatte auch der ECR 2023 sich die Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. So wurde in einer interessanten Highlight-Session gezeigt, dass die größte Umweltbelastung im radiologischen Prozess die Anreise des Patienten zur Untersuchung darstellt. Im organisatorischen Bereich trugen vor allem die weitgehend papierlose Veranstaltung, der Übergang auf persönliche Refill-Flaschen für das Trinkwasser und geringe Einmalverpackungen auch optisch zu einem veränderten Kongressgefühl bei.

    Der ECR trifft in seinem einheitlichen Design, der großen Bühne und dem unüberschaubar vielfältigen Angebot sicherlich den Puls der Zeit. Präsenzkongresse müssen Events sein, zu denen es sich aus anderen Gründen als der reinen Wissensvermittlung lohnt zu gehen. Der ECR wird zweifelsohne seinen Platz in der geänderten Kongresslandschaft und im Cycle of Life finden.


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    Prof. Dr. Hermann Helmberger, München

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    Publication History

    Article published online:
    24 May 2023

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    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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    Abb. 1 The circle of life/Abbildungen BDR.
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    Abb. 2 Die Industrieausstellung – vielfältig wie immer.