Einleitung
Diagnostische Punktionen sind ein wesentlicher Bestandteil der Pränataldiagnostik und
ermöglichen die Gewinnung fetaler und plazentarer Zellen, um diese entsprechend der
Fragestellung (mikroskopische und molekulare Karyotypisierung, molekulargenetische Analyse
monogener Erkrankungen, Infektionen, hämatologische Diagnostik u.a.) zu untersuchen. Sie sind
derzeit die einzige etablierte und wissenschaftlich ausreichend evaluierte Möglichkeit der
Diagnostik genetischer Erkrankungen aus schwangerschaftsspezifischen Zellen.
Die Sektion Gynäkologie und Geburtshilfe der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der
Medizin (DEGUM) hat im Jahr 2013 Empfehlungen zu diagnostischen Punktionen in der
Pränatalmedizin publiziert [1].
Die Entwicklungen und neuen Erkenntnisse der letzten Jahre machen eine Revision und
Neuformulierung dieser Empfehlungen nötig. Insbesondere nach der Einführung der
Ersttrimester-Screenings (ETS) sowie der Analyse von cf-DNA (cell-free DNA) aus maternalem
Blut (sog. „nicht invasiver Pränataler Test“ – NIPT) ist die Akzeptanz und die Zahl
diagnostischer Punktionen in Deutschland, wie in anderen Ländern, deutlich gesunken ([Tab. 1]). Mitteilungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zeigen, dass die Summe der
Amniozentesen (AZ) und Chorionzottenbiopsien (CVS) in Deutschland im Zeitraum von 2003–2020 im
kassenärztlichen Bereich in Bezug auf die Zahl der Geburten von 8,3 auf 1,5% gesunken ist.
Dabei ist die Anzahl der Amniozentesen wesentlich stärker gesunken als die der
Chorionzottenbiopsien. Fetalblutentnahmen – Fetal Blood Sampling (FBS) –machen nur einen sehr
geringen Teil der Punktionen aus (326 im Jahr 2019).
Tab. 1 Entwicklung der Zahlen der nach Einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechneten
pränataldiagnostischen Punktionen und Lebendgeborenen pro Jahr in Deutschland (Quelle:
Abrechnungsstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des Statistischen
Bundesamts).
GOP
|
2003
|
2013
|
2015
|
2017
|
2019
|
2020
|
01781 – AZ –
|
54393
|
17809
|
12330
|
9265
|
7163
|
7182
|
01787 – CVS –
|
4493
|
4611
|
4101
|
4112
|
4084
|
4284
|
Summe
|
58886
|
22420
|
16431
|
13377
|
11247
|
11466
|
Geburten
|
706721
|
682069
|
737575
|
784901
|
778100
|
773100
|
Anteil AZ + CVS
pro Geburten
|
8,3%
|
3,3%
|
2,3%
|
1,7%
|
1,4%
|
1,5%
|
Die gesunkene Inanspruchnahme von diagnostischen Punktionen ist durch den Wandel der
diagnostischen Möglichkeiten verursacht. Gründe für eine Punktion sind heute überwiegend
auffällige sonografische Befunde im ersten, zweiten und dritten Trimenon sowie
abklärungsbedürftige Ergebnisse aus ETS und cf-DNA-Analyse.
Andererseits konnte durch zahlreiche Studien und Metaanalysen angezeigt werden, dass in
Expertenzentren das Risiko von Aborten nach diagnostischen Punktionen sehr niedrig und nicht
vom natürlichen Abortrisiko zu unterscheiden ist [2]
[3]
[4]
[5].
Zudem sind die Erkenntnisse über die Inzidenz und das Erscheinungsbild genetischer
Erkrankungen, die nach Punktionen durch molekulargenetische Techniken (Mikroarray- und
Exom-Analyse) und Karyotypisierung diagnostiziert werden können, in den letzten Jahren
exponentiell angestiegen: Viele dieser Erkrankungen fallen weder sonografisch noch bei den
derzeit verfügbaren cf-DNA-Tests auf. Die Anforderungen an Aufklärung und Beratung über diese
komplexen Zusammenhänge sind dadurch wesentlich höher geworden.
Der Begriff „Invasive Diagnostik“, welcher lange Zeit die übliche Bezeichnung für AZ, CVS
und FBS war, ist seit einigen Jahren negativ besetzt. Im Folgenden wird dieser durch
„diagnostische Punktionen“ ersetzt und damit bewusst dem Begriff „NIPT“ (nicht invasiver
Pränataltest) gegenübergestellt. NIPT werden in diesem Text als cf-DNA-Analyse (cell-free
DNA-Analyse) bezeichnet [6].
Die im Folgenden aufgeführten Empfehlungen sollen über alle relevanten Aspekte
diagnostischer Punktionen in der Pränatalmedizin informieren.
Ziel dieser Übersicht ist eine Zusammenstellung wichtiger und aktueller Fakten zu
pränatalmedizinischen Punktionen (u.a. Technik, Komplikationen, genetische Untersuchungen).
Sie soll der grundlegenden umfassenden und aktuellen Information über diagnostische Punktionen
in der Pränatalmedizin dienen und richtet sich an Ärztinnen, Ärzte und andere Personen, die
professionell Schwangere betreuen und keine eigene Punktionserfahrung haben.
Für in Punktionsausbildung befindliche Kolleginnen und Kollegen gibt es aus Sicht der
Autorinnen und Autoren dieser Arbeit kein ähnliches aktuelles Kompendium zu diagnostischen
Punktionen in der Pränatalmedizin.
Ärztinnen und Ärzte mit Punktionserfahrung finden hier die zurzeit geltenden Regeln für
Punktionen, aktuelle Zahlen zu Komplikationen und eine Übersicht zu Möglichkeiten der
genetischen Diagnostik.
Diese Empfehlung zu diagnostischen Punktionen in der Pränatalmedizin ersetzt die Version
von 2013 [1].
Gestationsalter
Chorionzottenbiopsie: ab 11 + 0 Wochen p.m. Amniozentese: ab 15 + 0 Wochen p.m. (bzw. nur bei sicher fusioniertem Amnion und
Chorion, also ggf. auch erst später). Nabelschnurpunktion: ab 20 + 0
SSW, in Ausnahmefällen auch früher [7].
Alle Techniken können ab den o.g. Zeitpunkten über die gesamte Schwangerschaftsdauer
eingesetzt werden. Zu beachten sind dabei folgende Aspekte:
Bei einer Punktion der Plazenta im zweiten und dritten Trimenon (Plazentazentese) werden
meist weniger Zotten als im ersten Trimenon aspiriert und weniger Mitosen in den einzelnen
Zotten gefunden. Die Auswertung ist somit wegen der veränderten Differenzierung der Zotten
schwieriger [8]. Jenseits von 20 + 0 Wochen sollte daher eine Nabelschnurpunktion erwogen
werden.
Allerdings sollte immer beachtet werden, dass die Wahl der Punktionsmethode je nach
Indikation variieren kann. Es ist deshalb sinnvoll, diese im Zweifelsfall in einem
humangenetischen Konsilium abzustimmen.
Potenzielle Indikationen und mögliche Laboratoriumsuntersuchungen
Die Indikationen für AC und CVS sind im Wesentlichen gleich ([Tab. 2]). Mit einer FBS können zusätzlich hämatologische Merkmale des Fetus (z.B. Hämoglobin
und Thrombozytenzahl) untersucht werden.
Tab. 2 Mögliche Indikationen für diagnostische Punktionen nach [6] und [1] * Erläuterung siehe unten.
1. erhöhtes Risiko für eine fetale Chromosomenaberration oder monogene
Erkrankung
-
fetale Fehlbildungen
-
Wachstumsrestriktion (vor allem frühe)
-
erhöhtes Risiko nach Ersttrimester-Screening (ETS)
-
erhöhte Nackentransparenz*
-
auffällige biochemische Befunde im ETS: PAPP-A < 0,2 MoM oder f-ßHCG <
0,2 oder > 5 MoM [9]
[10]
-
auffällige Befunde des cf-DNA-Screenings
-
Chromosomenaberrationen der Eltern
|
2. erhöhtes Risiko für eine familiär bekannte genetische Erkrankung
-
familiäre Erbkrankheiten mit bekannten Mutationen
-
genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen
-
vorausgegangene Schwangerschaften mit genetischen Aberrationen
-
Carrier-Status der Schwangeren für eine Erkrankung mit X-chromosomalem
Erbgang
-
Carrier-Status beider Eltern für eine autosomal-rezessiv vererbte
Erkrankung
|
3. Infektionsdiagnostik
|
4. Wunsch der Schwangeren
|
Heute ist es möglich, etwa die Hälfte der komplexen Fehlbildungen zwischen der 11. und
14. Schwangerschaftswoche zu erkennen [11]
[12].
Aufgrund der starken Assoziation von fetalen Fehlbildungen zu genetischen Erkrankungen,
werden zahlreiche Anstrengungen unternommen, diese früher und häufiger zu erkennen.
Bei fetalen Fehlbildungen sowie intrauteriner Wachstumsrestriktion mit Fehlbildungen
werden mittels konventioneller zytogenetischer Untersuchung je nach Indikation in 9 bis 30%
pathologische Karyogramme gefunden [13]
[14]. Auch wenn die klassischen Trisomien 21, 18 und 13 einen Großteil ausmachen, sind
auch die anderen Chromosomenstörungen zu berücksichtigen.
So wurden in einer großen Studie an etwa 130000 Schwangerschaften mit sonografisch
unauffälligen Feten nach CVS bzw. AZ in 1,6% pathologische Karyogramme nachgewiesen, die in
49% Trisomien der Chromosomen 13, 18 und 21 waren, in 51% jedoch andere Chromosomen betrafen
[15].
Die alleinige zytogenetische Diagnostik wird in den letzten Jahren zunehmend durch sich
rasch entwickelnde molekulargenetische Methoden ergänzt und teilweise ersetzt.
Während die Auflösung der mikroskopischen Karyotypisierung bei 5–10 Megabasen (Mb)
liegt, ist sie bei der Mikroarray-Analyse (vergleichende genomische Hybridisierung) unter
100 Kilobasen (Kb). Auf diese Weise ist neben der Diagnose numerischer Aberrationen (außer
Triploidie) die Erfassung submikroskopischer chromosomaler Imbalanzen (Mikrodeletionen und
-duplikationen; sogenannte pathologische copy number variations [CNV]) möglich.
Obwohl in zahlreichen Ländern empfohlen wird, nach pränataldiagnostischer Punktion die
Mikroarray-Analyse als erste Untersuchung (First Tier Test) einzusetzen [16] muss in Deutschland sequenziell vorgegangen werden (Karyogramm vor
Mikroarray-Analyse).
Postnatal werden bei mentaler Retardierung, Autismus, Epilepsie, Dysmorphiesyndromen und
anderen auffälligen Befunden durch Mikroarrays in bis zu 15% pathologische CNV
(Mikrodeletionen- und duplikationen) gefunden.
Bei sonografisch auffälligen Feten mit normalem Karyogramm sind die Befunde der
Mikroarray-Analyse in 6–8% auffällig, bei sonografisch unauffälligen Feten immerhin noch in
etwa 1% [17]
[18]
[19]
[20].
Eine CNV stellt nicht in jedem Fall eine pathologische Veränderung dar. CNV werden in
„benigne CNV“ (benigne Polymorphismen), „wahrscheinlich benigne CNV“, „pathologische CNV“,
„CNV unklarer klinischer Relevanz“ und „wahrscheinlich pathogene CNV“ eingeteilt. Zur
Differenzierung einer CNV dienen u.a. folgende Methoden: Bewertung der in der Region
enthaltenen Gene, Abgleich mit Datenbanken, in denen eine Kartierung von bekannten CNV
enthalten ist, Elternuntersuchung zur Frage einer „de-novo“-Veränderung und der Vergleich
mit dem fetalen Phänotyp.
Die Danish Fetal Medicine Study Group zeigte, dass bei Indikationsstellung zur
diagnostischen Punktion bei Risiken für Trisomie 21 von ≥ 1:300 und ≥ 1:150 für Trisomie 13
und 18 etwa 5% der Schwangeren die Punktion angeboten und eine Erkennungsrate von > 90–95
% für alle chromosomalen Aberrationen erreicht würde. In Analysen von Subgruppen zeigte
sich, dass insbesondere bei isoliert auffälligen biochemischen Werten im ETS (s. [Tab. 2]) die Rate pathologischer Karyogramme und CNV erhöht ist [21]
[22].
Bei einer Nackentransparenz > 3,5mm und normalem Karyogramm werden mittels Mikroarray
in 5–13% pathologische CNV gefunden [23]
[24].
Maya et al. fanden in Abhängigkeit von der Höhe der Nackentransparenz (bis 2,9mm,
3,0–3,4 mm und > 3,4mm) eine zunehmende Zahl von pathologischen CNV (1,7%, 6,5% und
13,8%) [25].
Die Ursache zahlreicher komplexer Fehlbildungen können monogene Erkrankungen bzw.
Einzelgen-Mutationen sein, z.B. bei Skelettdysplasien und anderen syndromalen Entitäten wie
Meckel-Gruber-Syndrom. In diesen Fällen kann die entsprechende molekulargenetische
Diagnostik mittels Next-Generation-Sequencing (NGS) erfolgen. NGS-Panel sind
Zusammenstellungen klinisch relevanter Gene für ein bestimmtes Krankheitsbild, die im Rahmen
der molekulargenetischen Diagnostik mittels Hochdurchsatz-Sequenzierung (NGS) parallel
untersucht werden. Es werden kleine Multi-Gen-Panels von großen Multi-Gen-Panels (Klinisches
Exom – Clinical Exome Sequencing), die Exomsequenzierung (Whole-exome Sequencing), sowie die
Sequenzierung des gesamten Genoms (Whole-genome Sequencing) unterschieden.
Hier vollzieht sich derzeit ein Wandel von der Mikroarray-Analyse hin zur
Exom-Diagnostik.
Diese Untersuchungen sind in Deutschland zunehmend Bestandteil in der Abklärung
auffälliger sonografischer Befunde. Der Indikationskatalog befindet sich derzeit im Wandel,
sodass im Einzelfall die Methode und der Umfang der genetischen Analyse mit der auswertenden
humangenetischen Einrichtung abgesprochen werden sollte.
Eine methodenspezifische Besonderheit des genetischen Ergebnisses nach CVS besteht in
der Tatsache, dass 1–2% Mosaike diagnostiziert werden, die in etwa 80% auf das
extraembryonale Gewebe begrenzt sind (Confined Placental Mosaicism: CPM) [26]. Die klinischen Auswirkungen eines CPM bezüglich plazentarer Funktionsminderung,
Auftreten einer intrauterinen Wachstumsrestriktion und ungünstigem
Schwangerschaftsausgang, wie sie in einigen Studien beschrieben [27]
[28]
[29], in anderen aber nicht [30]
[31] oder nur für die Trisomie 16 [32] gefunden wurden, können derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Echte fetale
Mosaike werden in 20% gefunden [33].
In einigen Fällen, wie z.B. bei Mosaiken, müssen Ergebnisse nach CVS durch weitere
diagnostische Tests, Ultraschalluntersuchungen oder auch eine Amniozentese (AZ) überprüft
werden, um das Ergebnis zu verifizieren und auch um eine zusätzliche Diagnostik zu
ermöglichen, z.B. Festlegung des exakten Loss/Gain bei Deletionen/Duplikationen mittels
Mikroarray-Analyse; Diagnostik einer uniparentalen Disomie, z.B. bei plazentarer Trisomie 15
aus Trophoblastzellen (Direktpräparation). Die Möglichkeit klärungsbedürftiger Ergebnisse
nach CVS sollte bei der Aufklärung der Schwangeren vor der Untersuchung grundsätzlich
besprochen werden. Ähnliche Befunde nach AZ sind seltener, müssen aber ebenfalls geklärt
werden.
Vorbereitung
Vor der Punktion ist eine Anamnese zu erheben, die Schwangere ist auf Risikofaktoren für
die Punktion zu untersuchen, eine Aufklärung und genetische Beratung im Rahmen des
Gendiagnostikgesetzes (GenDG) und des Schwangerenkonfliktgesetzes sind vorzunehmen und die
Schwangerschaft sonografisch zu beurteilen.
Durch eine Ultraschalluntersuchung werden folgende Bedingungen geprüft: Vitalität des
Fetus (fetale Herzfrequenz), fetale Biometrie (Sicherung des Gestationsalters),
Plazentalokalisation, Fruchtwassermenge, Festlegung der geeigneten Einstichstelle, bei einer
AZ: Amnion-Chorion-Fusion bzw. -Separation.
Soweit diese noch nicht durchgeführt wurde, sollte eine dem Gestationsalter angepasste
differenzierte sonomorphologische Untersuchung (Feindiagnostik) erfolgen.
Zusätzliche Faktoren, die vor diagnostischen Punktionen berücksichtigt werden
müssen:
-
Rhesusstatus: bei RhD-negativer Schwangerer und durch cf-DNA-Analyse nachgewiesenem
RhD-positivem Fetus bzw. nicht erfolgtem fetalem cf-DNA-Rhesustest muss entsprechend der
zum Zeitpunkt der Publikation geltenden Bestimmungen nach dem Eingriff eine
Anti-D-Prophylaxe erfolgen.
-
Eine generelle Kontrolle von HIV-, HBV- und HBC-Status wird vor Punktionen nicht
empfohlen und sollte nur in Risikogruppen oder bei Verdachtsfällen Anwendung finden. Das
Risiko einer vertikalen Transmission bei HIV-Infektion durch AZ kann durch eine HAART
(Highly Active Anti-Retroviral Therapy) gesenkt werden.
-
Die Transmission von HBV scheint bei HBeAg-negativen Schwangeren nicht erhöht. Für
HBC-Infektionen liegen nur wenige Daten vor, die tendenziell zeigen, dass das
Transmissionsrisiko durch AZ nicht steigt. Für die CVS existieren keine korrespondierenden
Daten [7].
-
Diagnostische Punktionen bei Schwangeren mit Infektionen, bei denen eine vertikale
Transmission durch die Punktion möglich ist, sollten nur in Expertenzentren mit Erfahrung
in der Betreuung solcher Infektionen in der Schwangerschaft vorgenommen werden.
-
Eine punktionsbezogene Antibiotikaprophyaxe wird aktuell nicht empfohlen [7].
Allgemeine Prinzipien (Amniozentese, Chorionzottenbiopsie und
Nabelschnurpunktion)
-
Großzügige Hautdesinfektion des Eingriffsgebiets und steriles Vorgehen.
-
Eine Lokalanästhesie bei AZ ist nicht erforderlich [7]. Eine Lokalanästhesie bei CVS kann wegen des größeren Nadelumfangs appliziert
werden, ist aber nach der Erfahrung der Autorinnen und Autoren dieser Publikation nicht
zwingend notwendig.
-
CVS, AZ und FBS werden unter kontinuierlicher Ultraschallsicht und in der Regel „frei
Hand“, d.h. ohne Punktionshilfen, durchgeführt. Die Nadel wird in Längsrichtung im
Schallfenster geführt. Die gesamte Nadel sollte während des Punktionsvorgangs sonografisch
dargestellt werden.
Chorionzottenbiopsie
Die Chorionzottenbiopsie wird überwiegend transabdominal durchgeführt, kann aber
abhängig von der Plazentalage oder der anatomischen Lage des Uterus (Retroflexio uteri) auch
transzervikal vorgenommen werden. Die Komplikationsrate ist bei transzervikalem Zugang
gegenüber einer transabdominalen Punktion nicht signifikant erhöht [34]. Die transzervikale Chorionzottenbiopsie ist allerdings technisch anspruchsvoller
und schwieriger zu erlernen. Deshalb ist die transabdominale Chorionzottenbiopsie die
Methode der Wahl.
Für die transabdominale CVS können verschiedene Nadeln eingesetzt werden: -Gauge-Nadeln
in Größe 18 bis 21, oder seltener 18/21-Gauge-Doppelnadeln.
Für die transzervikale CVS können durch den Zervikalkanal eingeführte Biopsiezangen oder
Biopsiekatheter mit Führungsdraht verwendet werden [7].
Mit einer auf die Nadel aufgesetzten Spritze, die mit Kulturmedium gefüllt ist, wird ein
Sog aufgebaut. Sodann bewegt man die Nadel unter sonografischer Kontrolle im Chorion langsam
vor und zurück, wodurch Chorionzotten aspiriert werden. Es ist darauf zu achten, dass die
choriale Deckplatte nicht verletzt wird, da dadurch Aborte ausgelöst werden können. Die
Zotten müssen bei der Punktion in ein mit Natrium-Heparin versetztes Medium aufgenommen
werden, um eine Blutkoagulation an den Zotten zu vermeiden.
Amniozentese
Die Punktionsnadel wird unter sonografischer Kontrolle durch die mütterliche Bauchdecke
und den Uterus in die Amnionhöhle vorgeschoben und Fruchtwasser aspiriert. Der erste
Milliliter des gewonnenen Fruchtwassers wird verworfen, um die Gefahr einer Kontamination
mit mütterlichen Zellen zu reduzieren. Der paraplazentare Zugang ist die Methode der Wahl.
Bei kompletter Vorderwandplazenta und transplazentarer Punktion sind der plazentare
Nabelschnuransatz oder Deckplattengefäße nicht zu verletzen.
Bei nicht fusioniertem Amnion und Chorion (Chorion-Amnion-Dissoziation) wird empfohlen,
die AZ entweder auf einen späteren Zeitpunkt, zu dem Amnion und Chorion fusioniert sind, zu
verschieben, oder alternativ eine Plazentazentese zu wählen.
Für die AZ wird die Verwendung einer 20–22-Gauge-Nadel empfohlen.
Cordozentese
Diese wird transabdominal, unter kontinuierlicher sonografischer Kontrolle, vorzugsweise
mit einer 20–22-G-Nadel durchgeführt. Dabei wird die Nadel durch die mütterliche Bauchdecke
und Uteruswand in die Nabelvene vorgeschoben. Der transplazentare Zugang in die Nabelvene
bei Vorder- oder Seitenwandplazenta ist technisch am einfachsten. Die Punktion des fetalen
Nabelschnuransatzes, des intrahepatischen Teils der Umbilikalvene oder einer freien
Nabelschnurschlinge ist ebenfalls möglich, technisch aber anspruchsvoller, unter anderem
wegen des Einflusses fetaler Bewegungen. Nach Punktion einer freien Schlinge treten häufiger
und länger Nabelschnurblutungen auf [35].
Im Vergleich fanden sich signifikant kürzere Punktionszeiten bei Punktion der
plazentaren Nabelschnurinsertion, dagegen aber eine signifikant geringere Rate an maternaler
Blutkontamination bei Punktion einer freien Nabelschnurschlinge [36].
Ob der Nabelschnuransatz, der intrahepatischen Teils der Vena umbilicalis oder eine
freie Nabelschnurschlinge punktiert wird, hängt maßgeblich von der Plazentalokalisation, der
Lage des Fetus und damit verbunden von einer günstigen Erreichbarkeit der Nabelvene
ab.
Bei Punktion der plazentaren Nabelschnurinsertion wird empfohlen, die fetale Herkunft
des Blutes nachzuweisen. Dies erfolgt durch Nachweis der Konzentration des fetalen
Hämoglobin (HbF) oder mittels der Bestimmung des mittleren korpuskulären
Erythrozytenvolumens (MCV).
Diagnostische Punktionen bei Mehrlingen
Punktionen bei Mehrlingen sollten Experten, Expertinnen und Zentren mit besonders hoher
Erfahrung vorbehalten bleiben.
Ein Vorteil der CVS gegenüber der AZ bei Mehrlingen ist der frühere Zeitpunkt des
Eingriffs. Somit kann im Falle eines pathologischen Ergebnisses mit Indikation für eine
selektive Mehrlingsreduktion diese auch zu einem früheren Zeitpunkt und mit geringerem
Abortrisiko erfolgen [37].
Für die Planung von diagnostischen Punktionen bei Mehrlingen ist die Bestimmung von
Chorionizität und Amnionizität Voraussetzung.
Dabei ist die genaue Zuordnung der Plazenten zu den entsprechenden Feten essenziell. Die
gewonnene Probe soll dem jeweiligen Fetus klar zugeordnet werden können und entsprechend
beschriftet sein.
Die AZ bei dichorialen Mehrlingen kann als singuläre oder Mehrfachpunktion durchgeführt
werden. Bei der singulären Punktion wird die Nadel nach Punktion und Fruchtwasseraspiration
der ersten Amnionhöhle durch die Trennwand in den zweiten Fruchtraum geschoben, wo die
zweite Fruchtwasserentnahme in eine zweite Spritze erfolgt. Bei der Mehrfachpunktion werden
2 (oder entsprechend eine dem Mehrlingsgrad entsprechende Anzahl) Nadeln verwendet und die
Fruchträume getrennt punktiert. Die Entscheidung, welche Methode zum Einsatz kommt, obliegt
der Erfahrung des Operateurs und hängt zudem von den anatomischen Gegebenheiten ab.
Bei monochorial-diamnialen Zwillingen kann die Punktion eines Fruchtsacks ausreichend
sein. Bei biometrischer oder sonoanatomischer Diskordanz wird die Punktion beider
Fruchtsäcke empfohlen [7].
Bei der CVS dichorialer Mehrlinge ist darauf zu achten, dass Chorionzotten aus jeder
Plazenta gewonnen werden. Die Punktionsstellen sollten eindeutig dem jeweiligen Chorion
zuzuordnen sein.
Bei monochorialen Mehrlingen kann die CVS als eine singuläre Punktion des gemeinsamen
Chorions ausgeführt werden. Bei biometrischer oder anatomischer Diskordanz kann eine AZ mit
separater Punktion beider Fruchtsäcke angeboten werden. Alternativ kann in solchen Fällen
die CVS als Mehrfachpunktion des Chorions in der Nähe der plazentaren Nabelschnurinsertionen
durchgeführt werden.
Nach der Punktion (AZ, CVS, FBS)
Die fetale Herzfrequenz und die Fruchtwassermenge wird überprüft und dokumentiert. Diese
Untersuchung kann einige Tage nach der Punktion wiederholt werden.
Die Empfehlung zur körperlichen Schonung für 24–48 Stunden ist üblich, aber nicht
evidenzbasiert. Die Gabe von tokolytischen Substanzen nach der Punktion zeigt keinen
eindeutigen Benefit für die Vermeidung von Komplikationen [7].
Die Schwangere sollte darauf hingewiesen werden, sich bei Beschwerden wie
Unterbauchschmerzen, Fruchtwasserabgang und Fieber in ärztliche Betreuung zu begeben.
Komplikationen
Maternale Komplikationen
Maternale Komplikationen nach diagnostischen Punktionen sind extrem selten und
beschränken sich meist auf Schmerzen an der Einstichstelle, kleinere Hämatome in der
Bauchdecke oder Kreislaufdysregulation [38]
[39].
Schwere maternale Komplikationen (Sepsis) werden in Einzelfällen berichtet und können
durch eine Punktion des maternalen Darmes verursacht werden [7].
Verletzungen des Fetus
Durch die kontinuierliche Ultraschallüberwachung während des Eingriffs sind Verletzungen
des Fetus sehr selten [40]. Diese sind jedoch bei nicht vollständig einsehbarer Nadel prinzipiell möglich.
Deshalb ist es essenziell, dass während der Punktion darauf geachtet wird, dass die Nadel
vollständig und nicht nur in einem Teilabschnitt dargestellt wird.
Ein Kontakt des Fetus mit der Nadel ist bei sachgerechter Durchführung des Eingriffs
unter kontinuierlicher Ultraschallsicht möglich, wird aber nur in Einzelfallberichten als
leichte oberflächliche Hautläsion beschrieben [7]
[41]
[42]
[43].
Leakage
Eine Folge der AZ kann der transiente Abgang von Amnionflüssigkeit sein (Leakage).
Dieser ist meist passager und sistiert spontan. Ein exspektatives Management führt zu einer
Lebendgeburtenrate von über 90% und hat insofern eine wesentlich bessere Prognose als ein
spontan auftretender vorzeitiger Blasensprung [44]
[45].
Da eine Leakage sehr selten vorkommt, gibt es keine dem spontanen vorzeitigen
Blasensprung entsprechenden Empfehlungen zum Management. Klinische Praxis ist ein dem
spontanen vorzeitigen Blasensprung angepasstes Vorgehen. Allerdings gibt es hierfür keine
Evidenz.
Punktionsassoziierter Abort
Die Berechnung des Risikos für einen Abort nach diagnostischer Punktion basiert auf der
Wahrscheinlichkeit eines natürlichen Verlustes einer Schwangerschaft, des Spontanaborts
(Hintergrundrisiko). Die Wahrscheinlichkeit für einen Spontanabort ist primär abhängig vom
Gestationsalter. Weitere Faktoren, welche das Risiko für Spontanaborte erhöhen, sind
mütterliche Charakteristika, wie z.B. das maternale Alter, Vorerkrankungen oder Adipositas
[46]. Auch schwangerschaftsbedingte Faktoren wie fetale Fehlbildungen und genetische
Aberrationen des Fetus erhöhen das Risiko für einen Abort. Einige Laborparameter sind
hinweisend auf eine erhöhte Fehlgeburtsrate. Eine verringerte Konzentration von PAPP-A ist
mit einem erhöhten Risiko für Spontanaborte assoziiert [41]
[46]
[47]
[48]
[49]
[50], ([Tab. 3]).
Tab. 3 Risikofaktoren für einen Abort [7]
[43]
[46]
[49]
[51].
* Bei akuter oder kurzfristig vorangegangener vaginaler Blutung oder vaginaler
Infektion sollte die Punktion in Abhängigkeit vom Verlauf um 2–4 Wochen verschoben
werden.
|
Maternal
-
vaginale Blutung vor oder zum Zeitpunkt der Punktion/Hämatom
(Kontraindiktion für eine Punktion)*
-
symptomatische vaginale Infektion (Kontraindiktion für eine Punktion)
-
hypertensive Erkrankung
-
Adipositas
-
Multiparität (mehr als 3 Geburten)
-
Vorgeschichte von 3 oder mehr Aborten
-
Nikotinabusus
|
Schwangerschaftsspezifisch
-
auffälliger sonografischer Befund (verbreiterte NT, fetale Fehlbildung,
Wachstumsretardierung)
-
Chromosomenaberration
-
auffälliges Serumscreening (erhöhtes AFP, erniedrigtes PAPP-A)
|
Das individuelle Hintergrundrisiko beeinflusst die Möglichkeit für einen Abort nach
diagnostischer Punktion maßgeblich. Bei der Beurteilung des punktionsbezogenen Abortrisikos
muss daher das a-priori-Risiko für einen Spontanabort berücksichtigt werden. Idealerweise
werden Kohorten mit und ohne diagnostische Punktion miteinander verglichen, bei denen das
a-priori-Risiko vergleichbar ist.
Die in Studien ermittelte Angabe von Aborten nach AZ, CVS und FBS variiert wegen dieses
individuellen Hintergrundrisikos, aber auch wegen studienspezifischer Faktoren (u.a.
Vollständigkeit der Daten zum weiteren Verlauf der Schwangerschaft, Vorhandensein von
Kontrollgruppen, Randomisierung, Dauer der Nachbeobachtung, Zeitpunkt des Eingriffs,
Vergleich von Niedrig- und Hochrisikogruppen für chromosomale Aberrationen und andere
genetische Erkrankungen, Einbeziehung bzw. Vernachlässigung des Hintergrundrisikos).
Amniozentese und Chorionzottenbiopsie
Amniozentese und Chorionzottenbiopsie
Aktuelle Publikationen seit 2015 zeigen, dass in Expertenzentren das Abortrisiko nach AZ
und CVS gegenüber der spontanen Abortrate nicht statistisch signifikant erhöht ist [2]
[3]
[5].
In der dänischen nationalen Kohortenstudie von Wulff et al. 2016 [3] wurden bei insgesamt 147987 Schwangeren nach Ersttrimester-Screening 5072 CVS und 1809
AZ mittels Propensity-Score-Matching analysiert. Im Ergebnis fand sich gegenüber den
Kontrollgruppen kein erhöhtes Abortrisiko nach diagnostischer Punktion.
Ein ähnliches Ergebnis findet sich in einer Metaanalyse von Akolekar et al. (2015) [2], in die 21 Studien (14 AZ- und 7 CVS-Studien) mit jeweils mindestens 1000 Punktionen,
die nach dem Jahr 2000 publiziert, eingeschlossen wurden. Das eingriffsbedingte gewichtete
Abortrisiko betrug 0,11% für AZ und 0,22% für CVS.
In einer aktualisierten Metaanalyse – ein Update zur Publikation von Akolekar 2015 [2] – wurden 12 kontrollierte Studien mit insgesamt 63723 AZ (Kontrollgruppe 330469 ohne
AZ) und 7 mit insgesamt 13011 CVS (Kontrollgruppe 232680 ohne CVS) analysiert [5]. Die gewichtete Abortrate lag bei 0,3% (AZ) und 0,2% (CVS). Die Analyse von Studien an
Schwangeren mit vergleichbarem Risikoprofil erbrachte eine eingriffsbedingte Abortrate von
0,12% (AZ) und 0,11% (CVS). Diese Arbeit verdeutlicht den Einfluss des Vergleichs von
inhomogenen Studiengruppen auf die Bezifferung der Fehlgeburtsrate nach AZ und CVS.
Das ACOG (American College of Obstetricians and Gynecologists) hat die Ergebnisse der
aktuellen Studien zu den Fehlgeburtsraten nach AZ und CVS (0,11% für AZ, 0,22% für CVS) im
2016 erschienenen „Practice Bulletin“ übernommen [51].
Eine retrospektive Studie von Gil et al. [50] analysiert das eingriffsbedingte Abortrisiko nach CVS mit Propensity-Score-Matching.
Die Autoren schlussfolgern, dass im Niedrigrisikokollektiv für Aneuploidien das
eingriffsbedingte Risiko gering und vergleichbar mit der Gruppe ohne CVS ist. Da
schwangerschaftsbedingte und demografische Charakteristika das eingriffsbedingte Risiko
beeinflussen, sollte dies in der Beratung der Schwangeren berücksichtigt werden (s. [Tab. 3]).
Ältere Untersuchungen aus den 1970er- und 80er-Jahren, die ein Abortrisiko von 0,5–1%
angeben [52]
[53]
[54]
[55], entsprechen nicht mehr den heutigen Gegebenheiten.
Heute werden diagnostische Punktionen in der Pränatalmedizin unter kontinuierlicher
sonografischer Überwachung durchgeführt. Dadurch ist die Rate eingriffsbedingter Aborte
deutlich reduziert [40], ebenso die Rate fetaler Verletzungen und blutiger Punktate.
Die Abbildungsqualität der heutigen Ultraschallgeräte hat sich deutlich verbessert.
Dadurch ist die Punktion mit höherer Präzision möglich.
Zudem sind die Kriterien für einen aktuellen Ausschluss von einer Punktion, wie z.B. eine
Blutung, heute strenger definiert.
Zusammenfassend kann aus den Daten der neueren Literatur zur Abortrate nach AZ bzw. CVS
konstatiert werden:
-
In Zentren mit hoher Punktionserfahrung unterscheidet sich das eingriffsbedingte
Abortrisiko nach diagnostischen Punktionen statistisch nicht signifikant von der Rate von
Spontanaborten (0,11% für AZ, 0,22% für CVS).
-
Die Ergebnisse der neueren Literatur müssen korrekterweise in die Beratung der
Schwangeren über pränatale Diagnostik aufgenommen werden, um eine autonome Entscheidung zu
ermöglichen.
-
Untersucherinnen und Untersucher, die diagnostische Punktionen durchführen, sollten
einen Überblick über den weiteren Verlauf und den Ausgang der Schwangerschaft haben
(„Follow-up“), um dieses als Grundlage für die Beratung der Schwangeren zu nutzen (s.
Abschnitt „Qualitätskontrolle“)
-
In der Aufklärung der Schwangeren sollten besondere Einflussfaktoren wie fetale
Anomalien, Amnion-Chorion-Dissoziation, noch bestehende Blutungen und retrochoriale
Hämatome und andere Risikofaktoren (s. [Tab. 3]) berücksichtigt werden.
Fetalblutentnahme
Das Abortrisiko nach FBS wurde in mehreren Studien untersucht. Es besteht
möglicherweise ein höheres Abortrisiko als nach AZ oder CVS. Die publizierten Abortraten liegen zwischen
0,4% und 1,4% [56]
[57]
[58]
[59].
Eine aktuelle Studie analysiert 6290 FBS retrospektiv und zeigt eine eingriffsbedingte
Erhöhung der Abortrate um 0,6% im Vergleich mit einer Kontrollgruppe (1,6 vs. 1,0%). Die
Autoren dieser Untersuchung definieren als Risikofaktoren für einen Abort die Plazentapassage,
eine prolongierte Blutung (> 1 Minute) und fetale Bradykardie (fetale Herzfrequenz <
100/min, > 1 Minute) [60].
Weitere Folgen einer FBS können Nabelschnurblutungen und fetale Bradykardien sein. Beide
Komplikationen sistieren meist spontan [56].
Die Vergleichbarkeit von Studien zu Komplikationen nach FBS wird aber durch eine geringere
Fallzahl und die Heterogenität der Studienkollektive und der Indikationen limitiert.
Da FBS in Deutschland nur auf einige Zentren begrenzt sind, werden Schwangere, die sich
einer FBS unterziehen müssen, auch entsprechend dem zentrenspezifischen Outcome informiert.
Nach Erfahrung der Autorinnen und Autoren dieser Arbeit ist die Komplikationsrate nach FBS
geringer als in der Literatur angegeben.
Mehrlinge
Studien zu Abortraten bei Mehrlingen zeigen entgegen den aktuellen Studien für
Einlingsschwangerschaften ein inhomogenes Ergebnis. Zudem gibt es wenige Daten, die das
eingriffsbedingte Abortrisiko im Kontext des Hintergrundrisikos untersuchen. Allerdings
weisen die Ergebnisse der aktuellen Studien darauf hin, dass das eingriffsbedingte
Abortrisiko gegenüber dem Hintergrundrisiko nicht oder nur gering erhöht ist [61]
[62]
[63]
[64].
Mehrere randomisierte Studien postulieren, dass Punktionen bei Mehrlingen nicht mit
einer höheren Abortrate assoziiert sind [65]
[66]
[67].
Eine Metaanalyse von 16 Studien über 3419 Zwillingsschwangerschaften mit AZ und 2517
ohne AZ zeigte keinen signifikanten Unterschied von Schwangerschaften mit und ohne AZ. Die
gepoolte Abortrate lag in beiden Gruppen bei 2,4% [62].
Eine Multizenterstudie, die mittels multivariater Regression den Zusammenhang von CVS
und Abort bei Zwillingsschwangerschaften untersuchte, ergab ein 2-fach erhöhtes Risiko für
einen Abort in der Gruppe mit CVS im Vergleich zu der Gruppe ohne CVS [68]. Die Autoren führen die Erhöhung des Abortrisikos nach CVS maßgeblich auf den
Einfluss von verschiedenen Faktoren und nicht auf den Eingriff selbst zurück. Diese Faktoren
sind: maternale Adipositas, Monochorionizität, biometrische Diskordanz der Zwillinge und
verbreiterte NT.
Eine Studie an 8581 Zwillingsschwangerschaften mit 445 CVS mittels Propensity-Score-
Matching weist ebenfalls nach, dass das eingriffsbedingte Abortrisiko im Wesentlichen von
Risikofaktoren abhängig ist. Dies sind hauptsächlich die Faktoren, die auch die Indikation
zur CVS darstellen [69]. Im Vergleich der Gruppen mit niedrigem Risiko für einen Spontanabort fanden die
Autoren dieser Multizenterstudie einen Anstieg der Aborte von 3,5% nach CVS.
Die Wahl der Punktionsmethode (singuläre oder Mehrfachpunktion) scheint keinen Einfluss
auf die Abortrate zu haben [70]
[71].
Alloimmunisierung
Eine fetomaternale Blutung kann nach AZ und CVS nach älteren Studien in ca. 1% eine
Alloimmunisierung gegen fetale Blutgruppenantigene auslösen [55]
[72].
In einer dänischen Kohortenstudie wurden Rh-negative Schwangere mit RhD-positiven Feten
untersucht, die keine Anti-D-Prophylaxe erhielten. Es zeigte sich eine sehr geringe Rate an
Immunisierung (keine bei 189 AZ und eine bei 543 CVS) [73].
Trotzdem wird aktuell die Anti-D-Prophylaxe nach Punktion empfohlen, wenn der fetale
RhD-Status positiv oder nicht bekannt ist.
Einzig bei einem RhD-negativen Partner und glaubhaft versicherter Vaterschaft kann auf
die Anti-D-Prophylaxe verzichtet werden. In diesen Fällen sollte der Blutgruppenausweis des
Partners dokumentiert werden.
Frustrane Punktion
Bei erfolgloser AZ („Dry Tap“) kann eine erneute Punktion an einer anderen Lokalisation
durchgeführt werden, wobei mehr als 2 Eingriffe pro Sitzung wegen des deutlich ansteigenden
Abortrisikos nicht empfohlen werden [74]. Es ist ratsam, den Eingriff nach 2 frustranen Punktionsversuchen abzubrechen und
die Schwangere einer Einrichtung mit hoher Punktionserfahrung zuzuweisen.
Weitere Komplikationen
Zu weiteren extrem seltenen Komplikationen zählen Amnionablösung, Blutung in die
Fruchthöhle und die Ausbildung eines retrochorialen Hämatoms.
Aufklärung
Die aktuell geltenden rechtlichen Vorgaben sind zu beachten. Punktionen mit dem Ziel der
Analyse genetischer Eigenschaften des Fetus unterliegen dem Gesetz über genetische
Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG) vom 31.7.2009.
Die Schwangere hat nach dem 2013 in Kraft getretenen „Gesetz zur Verbesserung der Rechte
von Patientinnen und Patienten“ (Patientenrechtegesetz) ein Recht auf umfassende Informationen
über alle zur Verfügung stehenden und erforderlichen Untersuchungen, Diagnosen und Therapien.
Der Inhalt des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten
(Schwangerschaftskonfliktgesetz – SchKG) ist zu berücksichtigen.
Dokumentation
Die Dokumentation im Rahmen von diagnostischen Punktionen sollte folgende Punkte
umfassen:
-
Befunde, aus denen die Indikation zur diagnostischen Punktion hervorgeht
-
Dokumentation der Aufklärung vor der Punktion, einschließlich der schriftlichen
Einwilligung der Schwangeren in die Untersuchung
-
Dokumentation der Ultraschalluntersuchung vor dem Eingriff (s.o.)
-
Dokumentation des Eingriffs: verwendetes Instrument, Einstichstelle, Zahl der
Einstiche, Menge der Probe, Aussehen der Fruchtwasserprobe
-
Dokumentation der Vitalität des Fetus und der Fruchtwassermenge nach dem Eingriff und
evtl. Hinweise auf Frühkomplikationen (s.o.)
-
Dokumentation einer Anti-D-Prophylaxe (inkl. der Chargen-Nummer des applizierten
Präparats)
-
Dokumentation des Eingriffs im Mutterpass
-
Dokumentation der Einwilligung in eine genetische Untersuchung nach dem
Gendiagnostikgesetz.
Qualitätskontrolle
Ziel einer jeden diagnostischen Punktion in der Pränatalmedizin ist die Gewinnung einer
adäquaten Menge des für die jeweilige Fragestellung erforderlichen Materials und die
Vermeidung von Komplikationen. Dies ist nur bei einer hohen Qualifikation der Untersucherin
bzw. des Untersuchers zu gewährleisten.
Es gibt eine Assoziation zwischen der Komplikationsrate nach pränataldiagnostischer
Punktion und der Erfahrung der Untersucher, gemessen an der Zahl der jährlich durchgeführten
Eingriffe [75]. Allerdings wird die für eine adäquate Qualität erforderliche Zahl an Eingriffen in
der Literatur sehr unterschiedlich angegeben. Es ist derzeit nicht möglich, eine
evidenzgesicherte Mindestzahl an jährlich durchzuführenden Eingriffen zur Qualitätssicherung
zu nennen, da die Angaben in der Literatur hierzu weit gestreut sind [76]
[77]
[78]
[79]
[80]. In den Empfehlungen des RCOG werden mindestens 30 Eingriffe pro Jahr mit
kontinuierlichem Audit gefordert. Das RCOG (Royal College of Obstetricians and
Gynecologists) definiert die Kriterien für erfahrene Untersucher ab 100 Eingriffen pro Jahr
[81].
Aus- und Weiterbildung
Die Ausbildung für diagnostische Punktionen sollte mit einem Training an einem
Modell/Simulator beginnen, an dem die Führung der Nadel im Ultraschallfenster so erlernt
wird, dass die gesamte Nadel bis zur Spitze sichtbar bleibt und der anvisierte Punkt sicher
getroffen wird.
Erst wenn das Training am Modell sicher beherrscht wird, sollte die klinische Ausbildung
mit „einfachen“ Amniozentesen beginnen.
Hierzu zählen Eingriffe im fortgeschrittenen Schwangerschaftsalter (z.B.
Amniondrainagen), Eingriffe bei Hinterwandplazenta und bei ausreichender
Fruchtwassermenge.
Die Zahl der Eingriffe, die nötig ist, um den Eingriff sicher zu beherrschen, wird in
der Literatur unterschiedlich angegeben und liegt zwischen 30 und 400 Eingriffen, wobei nach
100 Eingriffen keine Verbesserung mehr zu erkennen sei [78]
[80]
[81].