Rofo 2023; 195(01): 71-74
DOI: 10.1055/a-1974-6685
DRG-Mitteilungen

Zum privatärztlichen Vergütungsanspruch von Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie für Magnetresonanztomographien – Urteil des OLG Frankfurt vom 02.06.2022

 

Einführung

Über mehrere zivilgerichtliche Urteile, die die Auffassung vertreten haben, dass die privatärztliche Durchführung und Abrechnung von Magnetresonanztomographien durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie zulässig ist, hatten wir in der RöFo bereits mehrfach berichtet.[1] In diesen Beiträgen wurden insbesondere die Entscheidungen des Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg (OLG Nürnberg) vom 09.01.2020 (Az.: 5 U 634/18) und die hierauf beruhende Revisionsentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) vom 18.01.2022 (Az.:1 Z RR 40/20) besprochen. In beiden Entscheidungen war die Erbringung privatärztlicher Leistungen der Magnetresonanztomographie (MRT) durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie als rechtmäßig angesehen worden.


#

Zur Begründung hatten beide Gerichte darauf abgestellt, dass MRT-Leistungen für Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie nach der Weiterbildungsordnung der Bayerischen Landesärztekammer nicht fachgebietsfremd seien. Soweit dies der Fall sein sollte, würde Art. 34 Abs. 1 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes (BayHKaG), der die Verpflichtung zur Einhaltung der ärztlichen Fachgebietsgrenzen vorschreibe, nicht zu einer Nichtigkeit des Behandlungsvertrages oder einer Unwirksamkeit des Vergütungsanspruchs führen, da die Regelung in Art. 34 Abs. 1 BayHKaG nach Auffassung der Gerichte kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB sei. Eine Beschränkung der ärztlichen Tätigkeit auf das eigene Fachgebiet werde durch Art. 34 Abs. 1 BayHKaG nicht ausnahmslos, sondern nur „grundsätzlich“ gefordert. Damit sei auch der Abschluss eines wirksamen Behandlungsvertrages über fachgebietsfremde Leistungen möglich.

Beide Gerichte haben sich nicht näher mit der Frage beschäftigt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie tatsächlich über eine fachliche Qualifikation zur Erbringung und Abrechnung von MRT-Leistungen verfügt, die hinsichtlich der theoretischen und praktischen Anforderungen mit der Zusatzweiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden vergleichbar sind.

In einer weiteren Entscheidung zu diesem Themenkomplex hat das Oberlandesgericht Frankfurt mit Urteil vom 02.06.2022 (Az.: 22 U 131/20) diese Rechtsauffassung bestätigt, sich aber mit der Frage auseinandergesetzt, welche Qualifikationsanforderungen an Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie oder andere Facharztgruppen zu stellen sind, die MRT-Leistungen privatärztlich erbringen und abrechnen wollen.

In dem Klageverfahren vor dem OLG Frankfurt hatte ein privater Krankenversicherer für seine Versicherungsnehmer die Rückzahlung ärztlicher Honorare für Leistungen geltend gemacht, die diese als niedergelassene Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis in den Jahren 2011 bis 2016 mit Hilfe eines in ihrer Praxis aufgestellten MRT durchgeführt hatten.

Bedeutung der Fachgebietsgrenzen in den Heilberufsgesetzen

Das OLG Frankfurt wies die Berufung der Krankenversicherung, ähnlich wie das OLG Nürnberg und das BayObLG, mit dem Argument zurück, dass das Gebot zur Fachgebietsbeschränkung in § 34 Hess. HeilberG weder zur (Teil-)Nichtigkeit des Behandlungsvertrages führe, noch stehe die Regelung einer Abrechnung der Leistung nach § 1 Abs. 2 S. 1 oder § 4 Abs. 2 S. 1 GOÄ entgegen.

Das BVerfG habe in seinem Facharztbeschluss 09.05.1972 (Az.: 1 BvR 518/62, 1 BvZ 308/64) ausgeführt, dass die grundsätzliche Verpflichtung zur Beschränkung auf das Fachgebiet lediglich eine „systematische“ Tätigkeit des Facharztes außerhalb seines Fachgebietes verbiete. In seinem Beschluss vom 01. 02.2011 (Az.: 1 BvR 2383/10) habe das BVerfG betont, dass es auf den Umfang fachgebietsfremder Behandlungen ankomme und festgestellt, dass sich ein Anteil von unter 5 % noch im geringfügigen Bereich bewege.

In dem vorliegenden Verfahren hatten die beklagten Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie in der Zeit von 2011 bis 2016 mit einem eigenen MRT-Gerät systematisch Untersuchungsleistungen erbracht. Dies zeigt auch die Höhe der Klageforderung der Krankenversicherung, die ausschließlich für die eigenen Versicherungsnehmer bei einem Betrag von deutlich über dreißigtausend Euro lag. Die Leistungserbringung im Bereich MRT für andere private Krankenversicherungsunternehmen blieb naturgemäß in dem Verfahren unberücksichtigt. Trotz dieser systematischen Leistungserbringung im Bereich der MRT sah das OLG Frankfurt keine Verpflichtung zu prüfen, ob die Durchführung von MRT-Untersuchungen durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie als „fachfremd“ eingestuft werden muss. Als Begründung führte das OLG aus, dass ein etwaiger Verstoß gegen § 34 Hess. HeilBerG nicht zur Nichtigkeit des Behandlungsvertrages nach § 630a Abs. 1 i. V. m. § 134 BGB führe.

Dieses Ergebnis des OLG Frankfurt deckt sich mit denjenigen des OLG Nürnberg und des BayOblG. Hierzu hatten wir bereits in den vorhergehenden RöFo-Beiträgen dargelegt, dass die Heilberufsgesetze der Länder in der Rechtsprechung durchaus als Verbotsgesetze ausgelegt worden sind und die Rechtsprechung des BVerfG insbesondere eine systematische fachgebietsübergreifende Tätigkeit verbietet.

Diese Auffassung hat beispielsweise das LG Mannheim im Bereich der Erbringung von MRT-Leistungen durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Urteil vom 17.11.2006 (Az.: 1 S 227/05 = MedR 2008, 93, 94) ausdrücklich bestätigt, wonach ein regelhafter Verstoß gegen das Verbot der fachgebietsfremden Tätigkeiten in den Heilberufsgesetzen dazu führt, dass der Behandlungsvertrag nach § 134 BGB als nichtig anzusehen ist:

„Gemäß § 37 Abs. 1 HBKG BW darf, wer als Arzt eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig sein, dessen Bezeichnung er führt. Die hierin enthaltene Beschränkung ärztlicher Tätigkeit stellt ein gesetzliches Verbot dar, das zur Nichtigkeit einer Vereinbarung über die Erbringung einer dem Arzt hiernach nicht gestatteten Leistung führt. Hierbei ist es unerheblich, dass das Verbot in einer landesrechtlichen Regelung enthalten ist (vgl. BGH, NJW 1986, 2360), da die Regelung in landesrechtlicher Zuständigkeit erfolgt ist. Die berufsrechtliche Regelungskompetenz steht den Ländern gemäß Art. 70 GG zu.

Der Nichtigkeit entsprechender Vereinbarungen entgegenstehende Regelungen (S 134 Halbs. 2 BGB) ergeben sich weder ausdrücklich aus dem Heilberufekammer-Gesetz noch aus dem Regelungszweck des § 37 Abs. 1 HBKG BW. Soweit die Regelung normiert, dass der Arzt grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig sein darf, dessen Bezeichnung er führt, lässt sie zwar auch erlaubte gebietsfremde Tätigkeiten zu. Diese sind aber auf einzelne Ausnahmefälle beschränkt, wie sie sich in der täglichen Praxis ergeben können, in der die Abgrenzung der Fachgebiete nicht immer eindeutig ist. Nicht zulässig ist es nach Auffassung der Kammer allerdings, wenn, wie das vorliegend der Fall ist, sämtliche im Praxisbetrieb des P. als notwendig angesehenen MRT gebietsfremd durchgeführt werden.“


#

Vergütungsanspruch bei fachgebietsfremder Tätigkeit nach der GOÄ

Darüber hinaus argumentiert das OLG Frankfurt, dass auch die Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) den Honoraransprüchen der beklagten Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie aus § 630a Abs. 1 BGB nicht entgegen würden.

Nach § 1 Abs. 2 GOÄ darf der Arzt nur Vergütungen für Leistungen berechnen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige Versorgung erforderlich sind. Die Formulierung „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ in § 1 Abs. 2 GOÄ konkretisiert die Erforderlichkeit der Leistung. Hierbei ist der Arzt bei der Behandlung den Regeln der medizinischen Wissenschaft verpflichtet. Insoweit wird der Vergütungsanspruch des Arztes mit dem „berufsrechtlichen Leitbild für die ärztliche Tätigkeit“ verknüpft. Allerdings ergibt sich daraus nach Ansicht des OLG Frankfurt nicht, dass einem Arzt für fachfremde Leistungen – von begründeten Ausnahmefällen wie etwa Notfallbehandlungen abgesehen – kein Honoraranspruch zustünde.

Dem Schutz der Patienten werde durch die dem Arzt obliegende Prüfung, ob er aufgrund seiner Fähigkeit und der sonstigen Umstände in der Lage sei, seinen Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln, und den bestehenden Haftungsrisiken Rechnung getragen. Haftungsrechtlich entscheidend ist, ob die tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des behandelnden Arztes dem nach einem objektiv-typisierenden Maßstab zu beurteilenden medizinischen Standard genügen.

Gegen die Ansicht, ein Arzt könne für eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung keine Vergütung nach § 1 Abs. 2 S. 1 GOÄ verlangen, weil sie Teil seiner systematischen Tätigkeit außerhalb seines Fachgebiets ist, spreche zudem, dass selbst bei unzureichender oder pflichtwidrig erbrachter ärztlicher Leistung der Vergütungsanspruch nach allgemeinen Grundsätzen des Dienstvertragsrechtes nicht gekürzt werden könne, sich vielmehr nur Gegenansprüche des Patienten aus § 280 Abs. 1 BGB ergeben könnten.

Diese Rechtsauffassung ist mit dem Selbstverständnis der Facharztweiterbildung und den Anforderungen an die Qualität ärztlicher Leistungen nur schwer in Einklang zu bringen. Sie stimmt auch nicht mit den Zielen der Regelung in § 1 Abs. 2 S. 1 GOÄ bei ihrer Einführung überein (vgl. hierzu Wehmeier, Clausen, ZMGR 2021, 219 ff.). Aus der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 295/82) vom 19.07.1982 ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Regelung auf die Verpflichtungen des Arztes aus dem Behandlungsvertrag und dem ärztlichen Berufsrecht abstellen wollte (vgl. Wehmeier, Clausen, a. a. O., 219, 225). In § 1 Abs. 3 der Muster-Berufsordnung und der Berufsordnung der in diesem Rechtsstreit relevanten Landesärztekammer Hessen ist jedoch geregelt, dass eine gewissenhafte Ausübung des Berufs „insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse“ erfordert. § 1 Abs. 2 S. 1 GOÀ wird man bei richtigem Verständnis deshalb nur so auslegen können, dass Ärzte gegenüber Privatpatienten nur solche ärztlichen Leistungen abrechnen können, die sie auch tatsächlich beherrschen. Die Frage, ob der Arzt eine ärztliche Leistung tatsächlich beherrscht, richtet sich allerdings nicht nach einer abstrakten Definition der Fachgebietsgrenzen, sondern allein danach, ob der Arzt über eine entsprechende Ausbildung verfügt, um die ärztliche Leistung gegenüber seinen Patienten fachgerecht erbringen zu können (vgl. Wehmeier, Clausen, a. a. O., 219, 225; vgl. auch Klakow-Franck (Hrsg.), Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), 2019, § 4 Rn. 9.).


#

Bedeutung der Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden nach der Weiterbildungsordnung[2]

Das OLG Frankfurt ist, wie bereits das OLG Nürnberg und das BayObLG, der Ansicht, dass die erforderliche Fachkunde für die Durchführung von Magnetresonanztomographien nicht ausschließlich durch die Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden erworben werden könne. Da es allein um die tatsächliche praktische Befähigung gehe, eine MRT-Untersuchung sach- und fachgerecht durchzuführen, seien hier vielfältige, auch alternative Möglichkeiten des Qualifikationsnachweises denkbar.

Geeignete Lehrgänge würden von medizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden (z. B. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Akademie Deutscher Orthopäden (ADO), des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU)) angeboten. Die beklagten Ärzte hätten eingehend dargelegt, dass sie durch verschiedene Lehrgänge zur Anwendung der Magnetresonanztomographie hinreichend qualifiziert seien. Inwieweit diese Zertifikate der Beklagten zum Nachweis ihrer Qualifikation nicht ausreichend seien, werde von der Klägerin nicht vorgetragen. Hieraus zieht das OLG Frankfurt den nachfolgenden unzutreffenden Schluss:

„Es bestand aus diesem Grund für den Senat kein Anlass, zu prüfen, ob die seitens der Beklagten vorgebrachten Zertifikate den Anforderungen der WBO Hessen genügen. Welche konkreten Tatsachen und Umstände sowie Maßstäbe, anhand derer festgestellt werden könnte, ob die Qualifikation eines Arztes, der nicht Facharzt für Radiologie ist und der auch die in der WBO vorgesehene Qualifikation eines Arztes, der nicht Facharzt für Radiologie und der auch die in der WBO vorgesehene Zusatzweiterbildung ‚MRT – fachgebunden‘ nicht hat, ausreichend sind, um ihn zur Abrechnung von magnetresonanztomographischen Diagnostik-Leistungen zu berechtigen, zeigt die Klägerin weder allgemein, noch konkret auf die Beklagten bezogen auf. Die von der Klägerin beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt nicht in Betracht.“

Diese Feststellungen werden jedoch dem tatsächlichen Sachvortrag der klagenden Krankenversicherung nicht gerecht. Es trifft nicht zu, dass seitens der klagenden Krankenversicherung keine Maßstäbe mitgeteilt worden sind, welche Qualifikationen eines Arztes zur Durchführung einer MRT-Untersuchung im Einzelfall erforderlich sind. Die von der privaten Krankenversicherung mitgeteilten Regelungen zur Erlangung einer Qualifikation außerhalb der Weiterbildungsordnung (§ 10 WBO Hessen) und nach den Übergangsbestimmungen (§ 20 Abs. 8 WBO Hessen) enthalten hierzu detaillierte rechtliche Maßstäbe, die von dem OLG Frankfurt nicht hinreichend berücksichtigt worden sind.


#

Voraussetzungen für den Erwerb einer hinreichenden fachlichen Befähigung außerhalb der Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden

Das OLG hätte die vorgelegten Zertifikate der beklagten Fachärzte für Orthopädie an den Anforderungen des § 10 WBO Hessen messen müssen. Die Regelung sieht neben den bereits genannten Möglichkeiten der Facharztweiterbildung auf dem Gebiet der Radiologie und der Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden die Möglichkeit vor, die Befähigung zur Durchführung von MRT-Leistungen auch dadurch zu erwerben, dass eine von der WBO abweichende Weiterbildung anerkannt wird.

Das ist nach § 10 S. 1 WBO Hessen dann möglich,

„wenn und soweit sie gleichwertig ist“.

Eine derartige Gleichwertigkeit ist gemäß § 10 S. 2 WBO Hessen wiederum anzunehmen,

„wenn die inhaltlichen und zeitlichen Anforderungen dieser Weiterbildungsordnung an den Erwerb der vorgeschriebenen ärztlichen Kompetenz erfüllt sind“.

Eine hinreichende Qualifikation der beklagten Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie zur Durchführung von MRT-Untersuchungen kann daher nur dann angenommen werden kann, wenn diese hinsichtlich der Weiterbildungszeiten und -inhalte solche Anforderungen erfüllen würden, die zu der Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden gleichwertig sind. Die Gleichwertigkeit der von den Beklagten angeführten Lehrgänge hätte das OLG also prüfen müssen. Beispielhaft für eine solche Auseinandersetzung mit der Gleichwertigkeit des Qualifikationserwerbs, gemessen an den Vorschriften des Regelerwerbs nach der Weiterbildungsordnung, sind die Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts (VG) Münster vom 13.02.2009, (Az.: 10 K 746/08), in dem es über die Zulassung eines Arztes zur Prüfung für die Anerkennung der Facharztbezeichnung Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie zu entscheiden hatte:

„Der Kläger kann eine Zulassung zur Prüfung auch nicht auf der Grundlage von § 10 WO beanspruchen. Danach kann eine von der WO abweichende Weiterbildung oder ärztliche Tätigkeit unter Anleitung vollständig oder teilweise angerechnet werden, wenn sie gleichwertig ist. Die Gleichwertigkeit ist gegeben, wenn die Grundsätze der WO für den Erwerb der vorgeschriebenen ärztlichen Kompetenz im Hinblick auf Inhalte und Zeiten gewahrt sind. Der Kläger hat keine Weiterbildung oder ärztliche Tätigkeit unter Anleitung nachgewiesen, die mit den Weiterbildungszeiten für die von ihm erstrebte Facharztanerkennung gleichwertig sind. Es fehlt bereits an einer Tätigkeit, welche die geforderte 24monatige Basisweiterbildung im Gebiet Chirurgie ersetzen kann. Nach seinen eigenen Angaben war der Kläger im Rahmen seiner Ausbildung zum Arzt für Orthopädie lediglich 12 Monate in der Unfallchirurgie tätig. Ebenso wenig kann der Kläger Zeiten vorweisen, die mit der geforderten 48monatigen Weiterbildung zum Facharzt [sic!] für Orthopädie und Unfallchirurgie insbesondere hinsichtlich der in Nr. 6.5 des Abschnitts B der WO festgelegten unfallchirurgischen Inhalte vergleichbar sind.“

(VG Münster, Urteil vom 13.02.2009, Az.: 10 K 746/08, abrufbar in juris, Rn. 13.)

Eine solche Auseinandersetzung mit den Anforderungen des § 10 WBO Hessen erfolgt, bezogen auf die beklagten Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie durch das OLG nicht, weil es das Urteil des VG Münster fälschlicher Weise nicht für anwendbar hält, da sich dieses auf eine Zulassung zur Prüfung für die Facharztbezeichnung Orthopädie und nicht auf eine Zusatz-Weiterbildung bezog. § 10 WBO Hessen, der mit der Regelung in § 10 WO Westfalen-Lippe identisch ist, ist jedoch nicht nur auf die Gleichwertigkeit von Facharztweiterbildungen beschränkt, sondern spricht allgemein von einer „von dieser Weiterbildungsordnung abweichenden Weiterbildung oder ärztliche Tätigkeit“. Die ärztliche Weiterbildung nach der WBO Hessen wird in § 2 Abs. 1 definiert:

„(1)
Der erfolgreiche Abschluss der Weiterbildung führt
zur Facharztbezeichnung in einem Gebiet,
zur Schwerpunktbezeichnung im Schwerpunkt eines Gebietes
oder
zur Zusatzbezeichnung.“

Daher sind die Maßstäbe des § 10 S. 2 WBO Hessen, entgegen der unzutreffenden Auslegung des OLG Frankfurt, auch auf Zusatz-Weiterbildungen anwendbar, so dass die Gleichwertigkeit der Ausbildung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vorliegen muss:

Für die zeitliche Komponente der Gleichwertigkeit eines anderweitigen, von der Weiterbildungsordnung abweichenden Kompetenzerwerbs ist gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 WBO Hessen Voraussetzung, dass die Weiterbildung

„in der Regel ganztägig und in hauptberuflicher Stellung durchzuführen“

ist. Eine Weiterbildung in Teilzeit ist zwar möglich. Sie muss dann aber mit Blick auf die Gesamtdauer, das Niveau und die Qualität den Anforderungen an eine ganztägige Weiterbildung entsprechen. Dies ist in der Regel gewährleistet, wenn die Teilzeittätigkeit mindestens die Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit beträgt. Die Weiterbildungszeit verlängert sich dann im Übrigen entsprechend (vgl. § 4 Abs. 6 S. 1–3 WBO Hessen).

Gemessen an diesem Maßstab, können die vorgelegten MRT-Kurse und Zertifikate der beklagten Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie in zeitlicher Hinsicht nur dann gleichwertig sein, wenn die Fortbildung wie die Zusatz-Weiterbildung „MRT-fachgebunden“ ganztägig und hauptberuflich durchlaufen wurde und eine Weiterbildungszeit von insgesamt 24 Monaten gegeben ist, wovon jedenfalls die Hälfte unter einem weiterbildungsbefugten Radiologen (gem. § 5 Abs. 1 S. 3 WBO Hessen) absolviert wurde.

Zum anderen muss sich aus den MRT-Kursen und Zertifikaten ergeben, dass Weiterbildungsinhalte in einem gleichwertigen Umfang vermittelt wurden, wie sie im Rahmen einer den Vorgaben der Weiterbildungsordnung und der Weiterbildungsrichtlinien entsprechenden Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden Gegenstand sind.

Das zeigt ohne Weiteres den erheblichen Umfang der im Rahmen der Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie – fachgebunden anhand von vorgegebenen Richtzahlen verpflichtend zu erbringenden Leistungen. So wird Fachärzten zum Erwerb der Zusatzbezeichnung „MRT-fachgebunden“ nach der WBO Hessen abverlangt, mindestens 1.000 gebietsbezogene Magnetresonanztomographien selbständig zu erbringen; dies wird konkretisiert durch die Angabe

„Indikationsstellung, Durchführung und
Befunderstellung von gebietsbezogenen MRT-Untersuchungen“.

(vgl. WBO Hessen, S. 371, 372: https://www.laekh.de/fileadmin/user_upload/Aerzte/Weiterbildung/WBO_2020.pdf)

Diese Vorgaben nach § 10 WBO Hessen hätte das OLG mit den vorgelegten Nachweisen der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie abgleichen müssen. Es hat demgegenüber keinerlei Feststellungen dazu getroffen, welche Anforderungen an den Erwerb von ärztlichen Qualifikationen außerhalb der Weiterbildungsordnung erforderlich sind bzw. welche inhaltlichen Nachweise die Ärzte im Einzelfall und insbesondere der mit der Leistungserbringung beauftragte Arzt im konkreten Fall erbracht haben, sondern lediglich festgestellt, dass die Darlegung Aufgabe der Klägerin sei.


#

Weiterer Verfahrensgang

Das OLG Frankfurt hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Die Private Krankenversicherung hat hiergegen die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH erhoben.

Der BGH wird zu prüfen haben, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen aufwirft, die sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, oder wenn andere – tatsächliche oder wirtschaftliche – Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interesse in besonderem Maße berühren. Im Hinblick darauf, dass die Weiterbildungsordnungen aller Landesärztekammern inhaltlich überwiegend identisch sind, die Abrechnung von privatärztlichen Leistungen durch die GOÄ bundeseinheitlich geregelt ist und bereits mehrere Urteile verschiedener Obergerichte aus unterschiedlichen Bundesländern zu diesen Rechtsfragen ergangen sind, könnte eine grundsätzliche Bedeutung anzunehmen sein.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwälte Wigge
Scharnhorststraße 40
48151 Münster
Telefon: (0251) 53 595–0
Telefax: (0251) 53 595–99
E-Mail: kanzlei@ra-wigge.de
www.ra-wigge.de


#
#

1 RöFo 2020, 100 ff.; 199 ff.; RöFo 2020, 1219 ff.; RöFo 2022, 570 ff.


2 In der aktuellen (Muster-)Weiterbildungsordnung 2018 in der Fassung vom 20.09.2019 wurde die Bezeichnung geändert in „Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie“.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
01. Januar 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany