Nervenheilkunde 2022; 41(09): 618-621
DOI: 10.1055/a-1826-7558
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Stefan Evers
,
Stefan Leis
,
Elisabeth Storch
,
Bianca Raffaelli
 

Der CGRP-Antikörper Eptinezumab ist wirksam zur Akuttherapie – die Grenzen zwischen Prophylaxe und Akuttherapie verschwimmen zunehmend

****Winner PK, McAllister P, Chakhava G, et al. Effects of intravenous eptinezumab vs placebo on headache pain and most bothersome symptom when initiated during a migraine attack: a randomized clinical trial. JAMA 2021; 325: 2348–2356

Mit Eptinezumab steht der vierte CGRP-Antikörper kurz vor der Einführung in Deutschland, in den USA ist er bereits zugelassen. Das Besondere an Eptinezumab ist die intravenöse Gabe. Daher liegt es nahe, diesen Antikörper auch als Akutmedikation bei besonders schweren Attacken oder im Status migränosus einzusetzen. Die Wirksamkeit in der Prophylaxe wurde für Eptinezumab vom ersten Tag an gezeigt. In dieser Studie wurden 480 Patienten eingeschlossen, von denen 476 Patienten in einer mäßigen oder schweren Migräneattacke mit 100 mg Eptinezumab intravenös behandelt wurden. Primäres Zielkriterium war die Zeit bis zur Schmerzfreiheit oder Abwesenheit des am meisten beeinträchtigenden Symptoms. Bemerkenswerterweise war der Anteil von schmerzfreien Patienten nach 2 Stunden hier nur sekundäres Kriterium, dieses ist ansonsten primäres Kriterium bei Akutstudien. Der Median für Schmerzfreiheit betrug nach Eptinezumab 4 Stunden und nach Placebo 9 Stunden. Die Zeit bis zur Abwesenheit des am stärksten beeinträchtigenden Symptoms betrug für Eptinezumab 2 Stunden im Median und für Placebo 3 Stunden. Beide Ergebnisse waren signifikant. Schmerzfreiheit nach 2 Stunden hatten nach Eptinezumab 23,5 % der Patienten und nach Placebo 12,0 % der Patienten. Nebenwirkungen bezogen auf die Behandlung wurden bei 10,3 % der Patienten nach Eptinezumab und 10,0 % der Patienten nach Placebo gesehen. Die Autoren schließen, dass die intravenöse Gabe von Eptinezumab eine geeignete Methode zur Akuttherapie der Migräne ist und sehr gut vertragen wird.

Kommentar

In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass die intravenöse Gabe von Eptinezumab in der akuten Migräneattacke signifikant wirksam ist. Bereits bei den subkutanen CGRP-Antikörpern wurde mit statistischen Methoden gezeigt, dass sie auch eine Wirksamkeit in der akuten Migräneattacke haben, jedoch natürlich verzögerter als nach intravenöser Gabe. Der Aspekt, dass Migränemedikamente sowohl als Akuttherapie als auch als Prophylaxe wirksam sein können, ist nicht neu. Er ist allerdings in der Vergangenheit nur wenig beachtet worden. Tatsächlich ist es so, dass für fast alle Migränemedikamente sowohl eine prophylaktische als auch eine akute Wirksamkeit gezeigt worden ist. Dies berührt viele Aspekte in der Migränetherapie. Unter anderem muss diskutiert werden, ob Leitlinien noch strikt in Akutmedikamente und prophylaktische Medikamente unterteilt werden sollten. Gleichzeitig impliziert dies, dass Medikamente gegen Migräne auch auf beiden Ebenen untersucht werden sollten. Der Aspekt berührt unsere Vorstellung darüber, wie Akutmedikamente und prophylaktische Medikamente wirken. Spielt die Applikationsform z. B. eine größere Rolle als der Wirkmechanismus der Substanz?

Die Studie beantwortet noch nicht die Frage, wie gut die Wirksamkeit der CGRP-Antikörper in der Akuttherapie im Vergleich zu unseren Standardsubstanzen ist. Die Responderrate nach 2 Stunden ist mit 23,5 % im Vergleich zu anderen intravenösen oder subkutanen Behandlungsformen (z. B. Sumatriptan 6 mg subkutan) eher gering. Von großem Interesse wäre es hier zu untersuchen, ob Eptinezumab eine geeignete Therapie für den Status migränosus sein kann. Die normale Migräneattacke wird man sicherlich nicht mit Eptinezumab behandeln. Weiterhin sollte bei der Interpretation der Studie berücksichtigt werden, dass sie fast ausschließlich in den USA durchgeführt worden ist, wo es sehr viel mehr die Regel ist, dass Patienten mit einem Migräneattacke eine Notfallambulanz aufsuchen und intravenös behandelt werden. Die Behandlung fand daher erst spät im Verlauf der Migräneattacke statt. Außerdem ist die Erwartungshaltung zur intravenösen Therapie in den USA größer.

Stefan Evers, Coppenbrügge


#
#

Eine retrospektive Studie zeigt eine additive Wirkung von Botulinumtoxin und CGRP-Antikörpern zur Prophylaxe der chronischen Migräne

**Blumenfeld AM, Frishberg BM, Schim JD, et al. Real-world evidence for control of chronic migraine patients receiving CGRP monoclonal antibody therapy added to onabotulinumtoxin A: A retrospective chart review. Pain Ther 2021; 10: 809–826

Diese Studie widmet sich der Kombinationstherapie von CGRP-Antikörpern und Botulinumtoxin bei chronischer Migräne. Es handelt sich um eine monozentrische Studie in den USA in einem großen Kopfschmerzzentrum, das für seinen weit verbreiteten Einsatz von Botulinumtoxin in der Kopfschmerzbehandlung bekannt ist. Eingeschlossen wurden Patienten, die wenigstens 2 Zyklen mit Botulinumtoxin und wenigstens einen Monat mit einem CGRP-Antikörper behandelt worden waren. Ausgangspunkt war der Monat, in dem erstmals ein CGRP-Antikörper verschrieben worden war. Von dem Zeitpunkt an wurden 12 Monate retrospektiv analysiert und statistisch alle 3 Monate ausgewertet in Bezug auf Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Adhärenz. Insgesamt wurden 257 Patienten eingeschlossen (50 Jahre alt; 82 % Frauen). Die durchschnittliche Kopfschmerzfrequenz vor Beginn von Botulinumtoxin lag bei 21,5 Tagen pro Monat und bei Einschluss in die Analyse bei 12,1 Tagen (also ca. 50 % Reduktion durch Botulinumtoxin). Als CGRP-Antikörper wurden Erenumab (78 %), Fremanezumab (6 %) und Galcanezumab (16 %) verschrieben. Während des Studienzeitraums wurden CGRP-Antikörper häufiger abgebrochen als Botulinumtoxin (23 % versus 3 %). Nebenwirkungen traten bei 28 % der Patienten auf, vor allem Obstipation (9 %). Der Effekt von Botulinumtoxin wurde durch einen zusätzlichen CGRP-Antikörper im Durchschnitt um nochmals 3,5 bis 4,0 Tage verbessert über einem Zeitraum von 6 bis 12 Monaten.

Kommentar

Der kombinierte Einsatz von Botulinumtoxin und CGRP-Antikörpern ist in den USA weit verbreitet und hängt in erster Linie davon ab, ob die Krankenversicherung des Patienten dies erstattet. In Deutschland wäre der kombinierte Einsatz vordergründig unlogisch, da die CGRP-Antikörper nur eingesetzt werden können, wenn Botulinumtoxin nicht wirksam ist. Es gibt jedoch Einzelfälle in Deutschland, in denen private Krankenversicherungen die kombinierte Therapie erstatten. Diese Studie vermittelt den Eindruck, dass Botulinumtoxin deutlich besser wirkt als die CGRP-Antikörper, da letztere nur einen zusätzlichen Gewinn von 3 bis 4 Kopfschmerztagen pro Monat bringen. Dies liegt aber an dem Studiendesign. Es wurden nur Patienten eingeschlossen, die schon Botulinumtoxin wenigstens 2-mal erhalten hatten und somit eine gewisse Wirksamkeit hatten. Würde die Studie mit einer umgekehrten Reihenfolge der Therapien durchgeführt werden, könnten sich dieselben Zahlen für die erste Therapie und dann die zweite Therapie ergeben. Diese Studie ist somit unbrauchbar für die Beantwortung der Frage, wie groß der Zusatznutzen der kombinierten Therapie gegenüber der jeweiligen Einzeltherapie ist. Die Zahl der Therapieabbrecher vermittelt vordergründig den Eindruck, dass die Therapie mit CGRP-Antikörpern häufiger abgebrochen wird als die mit Botulinumtoxin. Hier muss erneut berücksichtigt werden, dass die meisten Patienten mit Botulinumtoxin teilweise zufrieden waren, bevor die CGRP-Antikörper zusätzlich gegeben wurden. Im Grunde zeigt dies nur, dass die CGRP-Antikörper bei einem Viertel der Patienten keinen relevanten Zusatznutzen hatten, was in der umgekehrten Reihenfolge der Therapien für Botulinumtoxin genau so hätte sein können. Zur Interpretation der Studie gehört auch, dass ein Teil der Autoren Mitarbeiter der Firma Abbvie sind, die das in der Studie untersuchte Botulinumtoxin herstellt, und das Manuskript wurde von einer Firma geschrieben, die von der Firma Abbvie bezahlt worden ist.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass es eine kleine Untergruppe von Migränepatienten gibt, die von der Kombinationstherapie mit Botulinumtoxin und CGRP-Antikörpern relevant profitieren im Vergleich zur Einzeltherapie. Hier braucht es jedoch andere Studien, um den genauen Effekt zu ermitteln und eventuelle Subgruppen zu identifizieren. Für Deutschland bedarf es der Diskussion, inwieweit eine solche Therapie in der gesetzlichen Krankenversicherung abgebildet werden kann.

Stefan Evers, Coppenbrügge


#
#

Intravenöses Lacosamid zur Behandlung der akuten Exazerbation einer Trigeminusneuralgie: ähnlich wirksam wie Phenytoin, aber besser verträglich

***Muñoz-Vendrell A, Teixidor S, Sala-Padró J, et al. Intravenous lacosamide and phenytoin for the treatment of acute exacerbations of trigeminal neuralgia: A retrospective analysis of 144 cases. Cephalalgia 2022. doi: 10.1177/03331024221092435

Hintergrund

Die Studienlage zur Akutbehandlung der schweren Exazerbation einer Trigeminusneuralgie ist unzureichend, die Empfehlungen dazu beruhen im Wesentlichen auf Expertenmeinungen. Die Therapie erfolgt häufig durch die intravenöse Gabe des Natriumkanalblockers Phenytoin. Auch wenn kontrollierte Studien fehlen, ist Phenytoin neben Carbamazepin das einzige zugelassene Medikament zur Behandlung „neurogener Schmerzzustände vom Typ des Tic-douloureux“, wenn andere Therapiemaßnahmen nicht erfolgreich waren oder nicht durchführbar sind. Der intravenöse Einsatz von Phenytoin wird allerdings limitiert durch seine kardialen und gewebsnekrotischen Nebenwirkungen und sollte unter EKG-Monitoring erfolgen. Als Alternative wird Lacosamid i. v. angewandt, welches eine langsame Inaktivierung spannungsabhängiger Natriumkanäle bewirkt. Hierzu lagen aber keine Studien vor. Auch diese Therapie sollte wegen möglicher schwerer Herzrhythmusstörungen unter Monitoring erfolgen.


#

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie vergleicht retrospektiv die Ergebnisse der Akutbehandlung einer exazerbierten Trigeminusneuralgie (ICHD-3-Kriterien) mit entweder erstmalig Phenytoin oder erstmalig Lacosamid i. v.. Primäre Endpunkte waren Schmerzlinderung – definiert als Schmerzfreiheit, fehlende Notwendigkeit weiterer Rescuemedikation oder Entlassung innerhalb 10 Stunden nach Infusion – sowie das Auftreten von Nebenwirkungen.

An einer spanischen Universitätsklinik wurden zwischen 2012 und 2020 144 solcher Episoden bei 121 Patienten behandelt und über mindestens 6 Monate nachverfolgt. Bei 23 Patienten wurden 2 Episoden behandelt und jeweils erstmalig Phenytoin oder erstmalig Lacosamid gegeben. In 9,9 % lag eine sekundäre Trigeminusneuralgie vor. 63 Patienten erhielten Lacosamid i. v. in einer mittleren Dosis von 180 (50–400) mg, 81 erhielten Phenytoin i. v. in einer mittleren Dosis von 757 (100–1500) mg. Unter Lacosamid kam es zu einer Schmerzlinderung bei 49 von 63 (77,8 %) Patienten, unter Phenytoin bei 59 von 81 Patienten (72,8 %). Milde unerwünschte Nebenwirkungen fanden sich unter Lacosamid in 1,6 % (Müdigkeit bei 1 Patient), unter Phenytoin in 12,3 % (10 Patienten, davon bei 6 mehr als 1 Symptom: 5× Schwindel, 2× Übelkeit, 2× Hypotension, 2× Schmerz während Infusion, 2× Hautausschlag, 1× Parästhesien, 1× Juckreiz). Dieser Unterschied war signifikant (exakter Fisher-Test, p = 0,023). Bei Entlassung wurde in 57,1 % Lacosamid weiter verordnet, Phenytoin in 23,5 %. Signifikant unterschiedlich zugunsten von Lacosamid waren als sekundäre Endpunkte der Anteil der Wiederaufnahmen innerhalb von 6 Monaten (25,0 % vs. 68,4 %), die Zeit bis zur Wiederaufnahme (146,8 ± 63,6 Tage vs. 74,58 ± 79,0 Tage) sowie der Anteil mit Schmerzlinderung zum Zeitpunkt der ersten Kontrollvorstellung (61,1 % vs. 16,7 %).


#

Kommentar

Diese retrospektive Untersuchung mit definierten Endpunkten liefert einen empirischen Beleg aus einer Real-life-Situation in der Notaufnahme für den Einsatz von Lacosamid i. v. als vergleichbar wirksame, aber besser verträgliche Alternative zu Phenytoin in der Behandlung der exazerbierten Trigeminusneuralgie. Allerdings wurden in der Studie die Schmerzen nicht näher quantifiziert. Auch wird nicht angegeben, zu welchen Anteilen die Kriterien (Schmerzfreiheit, fehlende Notwendigkeit weiterer Rescuemedikation, Entlassung innerhalb von 10 Stunden) zur Schmerzlinderung beitragen. Kritisch anzumerken ist außerdem, dass nur unmittelbar nach Infusion aufgetretene Nebenwirkungen dokumentiert sind. Durch die Ungleichverteilung der Verschreibung von Lacosamid und Phenytoin bei Entlassung ist schließlich ein Effekt auf die Resultate der sekundären Endpunkte möglich. Dennoch dienen die Ergebnisse dazu, das Angebot in dieser schwierigen Therapiesituation zu erweitern, auch wenn randomisierte Studien weiterhin fehlen.

Stefan Leis, Salzburg


#
#

Aus dem Journal Club der Jungen DMKG: Erstmals ist die pharmakologische Auslösung von Migräneanfällen mit Aura gelungen (durch die Öffnung ATP-sensitiver Kaliumkanäle)

****Al-Karagholi MA, Ghanizada H, Nielsen CAW, et al. Opening of ATP sensitive potassium channels causes migraine attacks with aura. Brain 2021; 144 (8): 2322–2332

Hintergrund

Zahlreiche intravenös applizierte Substanzen können Migräneattacken auslösen. Zu diesen Substanzen gehören Vasodilatatoren wie Nitroglycerin, Prostaglandine oder Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP). In den letzten Jahren hat sich Levcromakalim als potenter Migräneauslöser etabliert. Levcromakalim ist ein Öffner der ATP-abhängigen Kalium (KATP)-Kanäle [1]. KATP-Kanäle kommen ubiquitär im Körper vor. Im zentralen Nervensystem befinden sie sich unter anderem in intrakraniellen Arterien, im trigeminalen Ganglion, Nucleus trigeminus caudalis sowie Gliazellen [2]. Trotz zahlreicher Modelle zur Migräneprovokation, gab es kein pharmakologisches Model zur Auraprovokation. Der pathophysiologische Hintergrund der Aura ist die Cortical-Spreading-Depression, eine sich langsam über den Kortex ausbreitende Depolarisationswelle. Die Entstehung einer Aura wird unter anderem mit der Veränderung von Glutamat- und Kaliumkonzentrationen assoziiert. Der genaue Mechanismus ist unbekannt, ebenso ist der Zusammenhang zwischen Aura und Migräneschmerz noch nicht endgültig verstanden [3]. KATP-Kanäle könnten im Rahmen der Aurapathophysiologie einen Einfluss haben, da sie direkten Einfluss auf die Kaliumkonzentration nehmen und in vielen Bereichen des zentralen Nervensystems vorkommen. Diesbezüglich haben Al-Karagholi et al. diese Provokationsstudie durchgeführt.


#

Zusammenfassung

Es handelt sich um eine randomisiert-kontrollierte doppelblinde Studie mit Cross-over-Design. Patienten, die an dieser Studie teilnahmen, hatten eine Migräne mit Aura gemäß den ICHD-3-Kriterien und mussten mindestens 6 Migräneattacken pro Jahr aufweisen. Insgesamt 17 Patienten erhielten an 2 Tagen eine Infusion mit Levcromakalim oder Placebo (isotonische Kochsalzlösung). Es wurden migränespezifische Symptome, inklusive des Auftretens einer Aura, der Kopfschmerzintensität sowie Vitalparameter alle 10 Minuten bis 120 Minuten nach Infusion erfasst. Das Auftreten von visuellen, sensorischen oder sprachlichen Symptomen einer Aura wurde von den Patienten mittels eines Auratagebuchs alle 5 Minuten aufgemalt bzw. dokumentiert. Die teilnehmenden Personen dokumentierte anschließend noch weitere 12 Stunden Kopfschmerzen und Aura. Der primäre Endpunkt der Studie umfasste Unterschiede im Auftreten von Migräneattacken mit und ohne Aura (Klassifikation anhand der ICHD-3) sowie Kopfschmerzen unter Levcromakalim im Vergleich zu Placebo.

Unter Levcromakalim entwickelten 14 von 17 Patienten eine Migränattacke im Vergleich zu einer Person unter Placebo (p < 0,0001), davon 10 mit (meist visueller) Aura, im Vergleich zu 0 Personen unter Placebo (p = 0,002). Kopfschmerzen entwickelten 16 von 17 Patienten unter Levcromakalim im Vergleich zu 4 von 17 Personen unter Placebo (p < 0,0001). Des Weiteren zeigte sich unter Levcromakalim höhere Kopfschmerzstärken, Herzfrequenzen und mittlere arterielle Blutdruckwerte im Vergleich zu Placebo. Die Studie zeigt, dass die Eröffnung von KATP-Kanälen unter Levcromakalim bei Patientinnen mit Migräne mit Aura eine Migräneattacke mit Aura auslösen kann und der KATP-Kanal eine gemeinsame Zielstruktur in der Kaskade der Migräne- und Aurapathophysiologie sein könnte.


#

Kommentar

Diese Provokationsstudie liefert wichtige Hinweise über den möglichen molekularen Pathomechanismus der Migräne mit Aura. Der KATP-Kanalöffner Levcromakalim erwies sich in vorangegangenen Studien als geeignete Migräneprovokationssubstanz und führt zur Entstehung einer Aura. Dies könnte wichtige Impulse für das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Aura und Kopfschmerz geben. Die Studie überzeugt mit einem klaren Studienkonzept sowie klar vordefinierten primären und sekundären Endpunkten. Die wichtigste Limitation dieser Studie ist die geringe Fallzahl mit nur 17 Teilnehmenden. Ebenso wurde diese Studie nur an Migräne-mit-Aura-Patienten ohne gesunde Kontrollgruppe durchgeführt. Eine Replikation in einer größeren Kohorte aus Patienten mit Migräne mit und ohne Aura und gesunder Kontrollgruppe würde eine differenziertere Darstellung innerhalb der erkrankten und der gesunden Gruppe ermöglichen und bisherige Ergebnisse sichern. Darüber hinaus führt die intravenöse Gabe von Levcromakalim zu einer Flushsymptomatik. Dies kann den Verblindungsprozess für die teilnehmende Person und Ärzte beeinflussen.

Sollte Levcromakalim in weiteren Studien zu einer erfolgreichen Provokation von Migräne- und Auraattacken führen, könnte dies therapeutische Konsequenzen haben. Das orale Antidiabetikum Glibenclamid blockiert unspezifische KATP-Kanäle. In einer Levcromakalim-induzierten Migränestudie mit prophylaktischer Glibenclamidgabe zeigte sich nur eine Verzögerung, aber keine Verhinderung von Migräneattacken. Dies erklären die Autoren durch eine zu unspezifische Wirkung von Glibenclamid an den KATP-Kanälen kranialer Arterien [4]. Eine spezifischere Blockade von KATP-Kanälen im trigeminovaskulären System könnte wichtige Information liefern, ob hierbei eine effizientere Linderung von Migränekopfschmerz und/oder Aura erzielt wird.

Elisabeth Storch und Bianca Raffaelli, Berlin


#

INFORMATION

*****

Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

****

Gute experimentelle oder klinische Studie

***

Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

**

Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

*

Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


#
#
#

Publication History

Article published online:
02 September 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany