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DOI: 10.1055/a-1826-7528
Digital Health
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wenn Patienten an digitale Gesundheitsdienstleistungen denken, stellen sie sich zunächst die Möglichkeit vor, einen telemedizinischen Arztbesuch in einer Online-Sprechstunde wahrzunehmen, um sich dort beraten zu lassen. Digitale Lösungen sind schon jetzt deutlich breiter angelegt. Immer häufiger werden tragbare medizinische Sensoren in der Gesundheitsversorgung eingesetzt. Der weltweite Markt für tragbare medizinische Geräte wird laut Grand View Research von 2021 bis 2028 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 26,8 % aufweisen. Dies ermöglicht, ein breites Spektrum an Vitalzeichen und physiologischen Aktivitäten zu überwachen, die für das Verständnis von Wohlbefinden und Krankheit wichtig sind.
Doch Daten allein reichen für das Gesundheitsmanagement oft nicht aus. Der eigentliche Mehrwert digitaler Gesundheitstechnologien entsteht erst durch die Analyse von Daten basierend auf künstlicher Intelligenz (KI). Dank maschinellen Lernens können personalisierte klinische Erkenntnisse aus Datenmengen und Trends extrahiert und spezifisch, d. h. für Ärzte, aber auch für Patienten aufbereitet werden. Dies ermöglicht Ärzten individuell und auf Augenhöhe mit den Patienten zusammenzuarbeiten, z. B., um einen Gesundheitsmanagementplan zu erstellen und definierte Ziele zu verfolgen. Auf diese Weise verbessert vorausschauendes, personalisiertes digitales Gesundheitsmanagement insbesondere die Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen.
Eine zweite Komponente ist die Vernetzung medizinischer Expertise. Auf diese Weise können Diagnostik und Behandlung telemedizinisch interdisziplinär und krankenhausübergreifend durch Expertenkonsultation und fachärztliche Expertise unterstützt werden. Die Vernetzung auf Datenebene wird durch die Medizininformatik-Initiative (MII) und die „Digitalen FortschrittsHubs“ umgesetzt, mit dem Ziel, durch Daten Forschung zu stärken und Versorgung zu verbessern. Beispielhaft setzt sich das Konsortium SMITH u. a. mit den Möglichkeiten zur algorithmischen Überwachung in der Intensivversorgung sowie der zielgerichteten Antibiotikatherapie in der Infektionsmedizin auseinander.
Schlüsselkomponente der virtuellen Versorgung ist das Fernmonitoring in Form tragbarer Sensoren, welches beispielsweise bereits in der Kardiologie genutzt wird. Medizinische Begleitung und Monitoring im häuslichen Umfeld maximieren Ressourcen und helfen bei der postakuten ambulanten Versorgung von Patienten. Die Pandemie unterstreicht dabei die Herausforderungen, vor denen die Gesundheitssysteme stehen, wenn die Zahl der verfügbaren Krankenhausbetten und die stationäre Versorgungskapazität knapp sind. Der Einsatz digitaler Gesundheitsplattformen kann dabei helfen, Patienten in ihrem häuslichen Umfeld medizinisch zu begleiten. Behandelnde Ärzte können hiermit Vitalfunktionen unmittelbar verfolgen und werden auf Komplikationen bspw. kardiale Rhythmusstörungen direkt aufmerksam gemacht. Das Ergebnis ist eine Win-Win-Win-Situation: Ärzte können die Versorgungsqualität verbessern, Krankenhäuser können unnötige und kostspielige Wiedereinweisungen reduzieren und Patienten können länger, bequemer und selbstbewusster in ihren eigenen 4 Wänden bleiben.
Der Einsatz tragbarer körpernaher Sensorik bzw. APPs zur Erfassung von Gesundheitsdaten könnten insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Demenz das Screening und die Früherkennung unterstützen. In unserem Beitrag „Parkinson Companion – Unterstützung bei Früherkennung, Diagnose und Management der Erkrankung“ wird die Entwicklung von Smart Device und App für diesen Zweck vorgestellt. Diese Entwicklung zielt einerseits darauf ab, einen Überblick über die Ausprägung der vielfältigen Parkinson-Symptome aus Sicht der Patienten zu erhalten und andererseits das Monitoring nicht motorischer parkinsontypischer Veränderungen des Schlafes und Vegetativums zu erhalten. Es handelt sich um die Ergebnisse des BMBF-Projektes ParkinsonCompanion – Mobile Health Device für Früherkennung, und Management der Parkinson-Erkrankung.
Die verfügbare Bewegungssensorik ermöglicht es, nicht nur die Schritte und Schrittgeschwindigkeit zu erfassen. Beschleunigungssensorik macht alle Komponenten der Bewegungsstörung bei Parkinson wie Tremor, Rigor und Hypokinese bei Parkinson-Patienten messbar. Das junge Unternehmen Motognosis beschreibt in seinem Artikel, wie durch den Einsatz eines Computer-Vision-Ansatzes – also per 3-D-Kamera eine Ganzkörperbewegungsanalyse erfolgen kann. Dies kann helfen, Therapieeffekte aus der Ferne zu beurteilen und rascher zu optimieren.
Veränderungen des Schlafes und Schlafstörungen gehören zu den frühesten Symptomen bei Parkinson- und Demenzerkrankungen. Screening neurodegenerativer Veränderungen des Schlafes bringt jedoch besondere Herausforderungen mit sich: stabiles EEG-Monitoring über Nacht im häuslichen Umfeld, die simultane Detektion von Schlafstadien anhand des EEG und Bewegungsinformationen anhand weniger Oberflächen-EEG-Elektroden. Im Beitrag „Insomniescreener – HomeSleepTest“ wird von Elisabeth Hofmann und Kollegen eine technische Innovation vorgestellt, die das Monitoring des EEG während des Schlafes vereinfachen könnte.
Digitale Gesundheitsdienstleistungen maximieren nicht nur die Ressourcen medizinischer Versorgung. Auch das Spektrum und die Verfügbarkeit rehabilitativer physiotherapeutischer und ergotherapeutischer Therapiemethoden werden verbreitert. Mit einer spielerischen und individuellen Gestaltung des Trainingsprogramms steigt die Therapiemotivation erheblich. Im Beitrag von Anne Mainz „Spielerisch gegen Parkinson“ wird das für Parkinson-Patienten entwickelte physiotherapeutische Training zur Gangschulung, Dehnübungen, Muskelaufbau und das Trainieren von Alltagsbewegungen vorgestellt. Der Beitrag von Judith Stemick und Kollegen „Gesteigerte Therapiemotivation durch immersive VR-Therapie“ zeigt, wie ergotherapeutische und physiotherapeutische Ziele durch den Einsatz von VR-unterstützter Therapie auch direkt miteinander verbunden werden können.
Im Beitrag von Sven Meister und Anja Burmann zur Bedeutung digitaler Biomarker für die Diagnostik und Behandlung neurologischer Erkrankungen werden Ergebnisse der BMBF-Projekte EPItect und MightyU vorgestellt. Beide Projekte eint der Einsatz digitaler Biomarker zum Monitoring unbewusster Aktivität. Im Projekt EPItect sind es die über einen In-Ohr-Sensor erfassten Parameter wie Bewegung, Körpertemperatur und Herzrate, welche mithilfe von KI verarbeitet werden, um epileptische Anfälle zu detektieren. Im Projekt MightyU hilft die Oberflächen-EMG-Sensorik, die Muskelaktivität während des Trainings kontinuierlich zu beurteilen, die Spielmechanik zu steuern und das Trainingsniveau auf die Leistungsfähigkeit der Patienten mit infantiler Zerebralparese anzupassen.
Wie wünschen Ihnen eine anregende Lektüre mit neuen Impulsen für den Klinik- und Praxisalltag.
Christina Haubrich, Düsseldorf, und Sven Meister, Witten
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Publication History
Article published online:
14 October 2022
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