Nervenheilkunde 2022; 41(06): 367-371
DOI: 10.1055/a-1755-7922
Zu diesem Heft

Interdisziplinär Diagnostizieren und Therapieren

Renate B. Schnabel
,
Karl Georg Häusler
,
Paulus Kirchhof
 
Zoom Image
Prof. Dr. Renate B. SchnabelUniversitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zoom Image
Prof. Dr. Paulus KirchhofUniversitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zoom Image
Prof. Dr. Karl Georg HäuslerNeurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg

Schnittmengen zwischen Neurologie und Kardiologie bei der Volkskrankheit Vorhofflimmern

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist uns eine Freude, Ihnen dieses Themenheft der Nervenheilkunde vorzulegen und darin über die Arbeit des Kompetenznetzes Vorhofflimmern e. V. (AFNET) zu berichten. Das AFNET ist aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetz Vorhofflimmern hervorgegangen. Mehrere Projekte des AFNET werden vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e. V. (DZHK) gefördert. Das AFNET bietet eine stetig wachsende Plattform für klinische Studien und wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Vorhofflimmern, dessen Bedeutung für die Gesellschaft aufgrund der im Kontext der alternden Bevölkerung zunehmenden Zahl der Betroffenen eine Herausforderung darstellt. Die Erfahrung des AFNET bei der Durchführung von klinischen Studien führt auch dazu, dass es als Partner bei Studien zu anderen kardiovaskulären Themen beteiligt wird.

Das erklärte Ziel des AFNET e. V. ist es, die Behandlung und Versorgung und damit das Leben von Patienten mit Vorhofflimmern in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Als eingetragener Verein hat das AFNET e. V. mehr als 120 Mitglieder, die die professionelle Planung und interdisziplinäre Durchführung nicht kommerzieller klinischer Studien und Register sowie transnationaler Forschungsprojekte in Deutschland, Europa und weltweit unterstützen. Hierfür wäre eine stärkere Beteiligung von Ärzten aus den Fachbereichen Neurologie und Psychiatrie sehr wünschenswert.

Einige abgeschlossene und laufende Projekte des AFNET e. V. sind für das neurologische und psychiatrische Fachgebiet relevant und sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Als erstes Großprojekt wurde im Jahr 2004 ein deutschlandweites, prospektives Register etabliert (AFNET1-Register), in das insgesamt 9582 Patienten mit dokumentiertem Vorhofflimmern eingeschlossen wurden. Anhand einer medianen Nachbeobachtung von 6,5 Jahren wurde insbesondere die Mortalität bei Vorhofflimmerpatienten analysiert, die vornehmlich von Begleiterkrankungen (wie Herzinsuffizienz, periphere arterielle Verschlusserkrankung, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, eingeschränkte Nierenfunktion und Diabetes mellitus) abhängig war und nur in einem vergleichbar geringen Maße durch einen Schlaganfall vor Studieneinschluss erhöht wurden [1], [2]. Mittels des von 2014 bis 2016 in Deutschland mit 3500 Patienten rekrutierenden AFNET2-Registers wurde das EURObservational Research Programme (EORP) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie erweitert, um Informationen zur nunmehr etablierten Anwendung der Nicht-Vitamin-K-abgängigen oralen Antikoagulation in der Schlaganfallprävention zu gewinnen [3].

In den Artikeln des vorliegenden Themenhefts der Nervenheilkunde sollen für Neurologen und Psychiater relevante klinische Fragestellungen zur Diagnostik und Therapie des Vorhofflimmerns und Ergebnisse von Studien mit AFNET-Beteiligung diskutiert werden.

In der Primärprävention des Schlaganfalls laufen internationale Projekte, die u. a. Förderung durch die Europäische Union erhalten wie das AFFECT-EU-Konsortium, das eine optimierte, digitale Screening-Strategie für Vorhofflimmern entwickelt. Es wird zusammen mit anderen kürzlich publizierten Endpunkstudien zum Thema Vorhofflimmer-Screening von Amelie H. Ohlrogge, Hamburg, et al. diskutiert und ein Fazit für die klinische Praxis gezogen. Des Weiteren hat das ebenfalls mit Förderung durch die Europäische Union ausgestattete Projekt MAESTRIA seine Arbeit aufgenommen, das eine digitale Plattform zur Diagnose der atrialen Kardiomyopathie etablieren soll, die die Therapie des Vorhofflimmerns und die Vermeidung von Schlaganfällen verbessern soll. Smart in OAC AFNET-9, geleitet von Simon J. Winkelmann, Hamburg, und Kollegen ist in der Pilotphase und testet eine komplett virtuelle Strategie, um Menschen ab 65 Jahren mit Risikofaktoren für die Entwicklung eines Vorhofflimmerns anhand von Smartphone-Applikation und Wearables zu monitorieren. Die Ergebnisse werden zudem Strategien aufzeigen, wie die digitalen Möglichkeiten des Rhythmusmonitoring in der klinischen Praxis integriert werden können.

Auch die unlängst in Lancet Neurology publizierte randomisierte MonDAFIS-Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde vom AFNET organisatorisch unterstützt. Karl G. Häusler, Würzburg, und Kollegen berichten, dass ein standardisiertes EKG-Monitoring zusätzlich zur diagnostischen Routine bei hospitalisierten Schlaganfallpatienten die Nachweisrate für ein paroxysmales Vorhofflimmern erhöht, was für die medikamentöse Sekundärprävention des Schlaganfalls relevant ist, wie im Kontext der Datenlage dargestellt wird [4]. Die im New England Journal publizierte EAST-AFNET4-Studie hat die Diskussion über die Wertigkeit einer rhythmuserhaltenden Therapie bei Vorhofflimmern nachdrücklich belebt und wird künftige Leitlinien-Empfehlungen prägen, zumal neben dem gewählten kombinierten Endpunkt auch das Auftreten von ischämischen Schlaganfällen signifikant reduziert werden konnte, wie Stephan Willems, Hamburg, und Koautoren berichten werden [5].

Im Kontext der jährlich allein in Deutschland fast 100 000 Katheterablationen pro Jahr sind die publizierten Ergebnisse der AXAFA-AFNET5-Studie zur periinterventionellen Antikoagulation zur Vermeidung von Schlaganfällen relevant [6]. Die Ergebnisse der laufenden und vom AFNET unterstützten OCEAN-Studie zur Dauer der post-interventionellen Antikoagulation nach Katheterablation dürfen zudem mit Spannung erwartet werden, wie Matthias D. Zink, Aachen, und Kollegen diskutieren. Da es trotz der hohen klinischen Relevanz nur wenige Studiendaten zur oralen Antikoagulation bei eingeschränkter Nierenfunktion und Dialyse gibt, berichten Shinwan Kany, Hamburg, und Günter Breithardt, Münster, unter Berücksichtigung der laufenden AXADIA-AFNET8-Studie. Abschließend wird die Datenlage zum Vorhofohrverschluss zur Vermeidung von vorhofflimmerassoziierten Schlaganfällen und zur Reduktion des mit einer Antikoagulation assoziierten Blutungsrisikos dargestellt werden. Carsten Skurk, Berlin, und Kollegen gehen dabei auf die vom AFNET unterstützte randomisierte Studie CLOSURE-AF ein, für deren Rekrutierung eine noch stärkere Zuweisung von Schlaganfallpatienten in die deutschlandweiten kardiologischen Studienzentren wünschenswert wäre.

Wir hoffen, Ihnen mit den ausgewählten Beiträgen eine anregende Lektüre zu praxisrelevanten klinischen Fragstellungen und einen Überblick zu wissenschaftlichen Aktivitäten des AFNET geben zu können.

Weitere Informationen zum AFNET finden Sie unter www.kompetenznetz-vorhofflimmern.de. Sollten Sie sich im AFNET Verein engagieren wollen, stehen Ihnen das Team der Geschäftsstelle in Münster und die Autoren des Sonderhefts gern für Rückfragen zur Verfügung.

Renate B. Schnabel, Hamburg-Eppendorf, Paulus Kirchhof, Hamburg-Eppendorf, und Karl Georg Häusler, Würzburg

KONTAKT

Kompetenznetz Vorhofflimmern e. V. (AFNET)
Mendelstr. 11, 48149 Münster
Tel/Fax: 0251/9801330/1349
info@kompetenznetz-vorhofflimmern.de
www.kompetenznetz-vorhofflimmern.de

Vorstand
Prof. Dr. med. Andreas Goette, Paderborn
Prof. Dr. med. Paulus Kirchhof, Hamburg (Vorsitzender)
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Schotten, Maastricht, NL (Schatzmeister)
Prof. Dr. med. Stephan Willems, Hamburg

Geschäftsstelle

Projektmanagement: B. A. Emilia Czarnecki, Dr. rer. physiol. Sabine Jürgensmeyer, M.Sc. Annett Müller, Dr. rer. nat. Beatriz Lorente, Dr. rer. physiol. Vincent Beuger, Finanzen: Dipl.-Kfm. Arndt Sachs

Assistenz: Magdalene Jambor, Simone Mähner, M.Sc. Inna Miller


#
#
  • Literatur

  • 1 Nabauer M, Oeff M, Gerth A. et al Prognostic markers of all-cause mortality in patients with atrial fibrillation: data from the prospective long-term registry of the German Atrial Fibrillation NETwork (AFNET). Europace 2021; 23: 1903-1912
  • 2 Haeusler KG, Gerth A, Limbourg T. et al Use of vitamin K antagonists for secondary stroke prevention depends on the treating healthcare provider in Germany – results from the German AFNET registry. BMC Neurol 2015; 15: 129
  • 3 Boriani G, Proietti M, Laroche C. et al Association between antithrombotic treatment and outcomes at 1-year follow-up in patients with atrial fibrillation: the EORP-AF General Long-Term Registry. Europace 2019; 21: 1013-1022
  • 4 Haeusler KG, Kirchhof P, Kunze C. et al Systematic monitoring for detection of atrial fibrillation in patients with acute ischaemic stroke (MonDAFIS): a randomised, open-label, multicentre study. Lancet Neurol 2021; 20 (06) 426-436
  • 5 Kirchhof P, Camm AJ, Goette A. et al Early Rhythm-Control Therapy in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2020; 383 (14) 1305-1316
  • 6 Kirchhof P, Haeusler KG, Blank B. et al Apixaban in patients at risk of stroke undergoing atrial fibrillation ablation. Eur Heart J 2018; 39 (32) 2942-2955

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. Juni 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Nabauer M, Oeff M, Gerth A. et al Prognostic markers of all-cause mortality in patients with atrial fibrillation: data from the prospective long-term registry of the German Atrial Fibrillation NETwork (AFNET). Europace 2021; 23: 1903-1912
  • 2 Haeusler KG, Gerth A, Limbourg T. et al Use of vitamin K antagonists for secondary stroke prevention depends on the treating healthcare provider in Germany – results from the German AFNET registry. BMC Neurol 2015; 15: 129
  • 3 Boriani G, Proietti M, Laroche C. et al Association between antithrombotic treatment and outcomes at 1-year follow-up in patients with atrial fibrillation: the EORP-AF General Long-Term Registry. Europace 2019; 21: 1013-1022
  • 4 Haeusler KG, Kirchhof P, Kunze C. et al Systematic monitoring for detection of atrial fibrillation in patients with acute ischaemic stroke (MonDAFIS): a randomised, open-label, multicentre study. Lancet Neurol 2021; 20 (06) 426-436
  • 5 Kirchhof P, Camm AJ, Goette A. et al Early Rhythm-Control Therapy in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med 2020; 383 (14) 1305-1316
  • 6 Kirchhof P, Haeusler KG, Blank B. et al Apixaban in patients at risk of stroke undergoing atrial fibrillation ablation. Eur Heart J 2018; 39 (32) 2942-2955

Zoom Image
Prof. Dr. Renate B. SchnabelUniversitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zoom Image
Prof. Dr. Paulus KirchhofUniversitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zoom Image
Prof. Dr. Karl Georg HäuslerNeurologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg