Nervenheilkunde 2022; 41(03): 192
DOI: 10.1055/a-1690-0400
Gesellschaftsnachrichten

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Tom Bschor
 

Erstes BGPN-Symposium auf dem DGPPN-Kongress

Sehr geehrte BGPN-Mitglieder, liebe Interessierte,

an dieser Stelle (Heft 9/2021) konnten wir Sie bereits informieren, dass die BGPN nun eine kooperierende Fachgesellschaft der DGPPN ist. Teil der Kooperation ist, dass die BGPN in der Regel ein eigenes Symposium beim jährlichen DGPPN-Kongress in Berlin ausrichtet. Das fand erstmals auf dem letzten DGPPN-Kongress am 25. November 2021 zum Thema „Psychiatrie und psychisches Leid im 20. Jahrhundert“ statt.

Gut 20 Jahre nach dem Ende des 20. Jahrhunderts warf das Symposium einen Blick auf eine Menschheitsepoche, die wie keine andere neben bahnbrechenden Fortschritten in Kommunikation, Raumfahrt, Computerisierung, Medizin und Gesellschaft geprägt war von Gewalt, Ideologien und menschengemachten Katastrophen. Beginnend mit der Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs trägt das 20. Jahrhundert die Signatur des Massenmords und des millionenfachen gewaltsamen Sterbens. Den absoluten Tiefpunkt erreichte das Jahrhundert mit dem Bruch jeder zivilisatorischen Errungenschaft in der Shoah. Als Berliner Fachgesellschaft war es der BGPN ein besonderes Anliegen, einen psychiatriehistorischen Blick auf das 20. Jahrhundert in Deutschland zu werfen, war doch Berlin als Hauptstadt Deutschlands Ausgangs- und Kristallisationspunkt vieler einschneidender Ereignisse. In chronologischer Ordnung wurden in 3 Vorträgen zentrale Aspekte von psychischem Leid und Psychiatrie betrachtet.

T. Bschor, Berlin, referierte zum Thema „Suizide in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Die dramatischen Ereignisse lassen sich auch an den recht validen Suizidzahlen nachvollziehen. So kam es in beiden Weltkriegen zu einem Rückgang der Suizide, insbesondere bei Männern, während die Zahlen während der Weimarer Republik parallel zu Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise anstiegen. Eine mit allen anderen Epochen unvergleichbare Höchstzahl erreichten die Suizide unter der jüdischen Bevölkerung seit Beginn der Deportationen 1941. Ein Suizid war oft der letzte verbliebene Ausdruck von Autonomie und Widerstand. Mit Kriegsende kam es dann auch bei der übrigen deutschen Bevölkerung zu dramatischen Suizidwellen.

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Prof. Dr. med. Ekkehardt Kumbier, Rostock, bei seinem Vortrag (Abbildung und Foto: ©E. Kumbier)

S. Dörre, Düsseldorf, stellte zum Thema „Nach der „T4-Aktion“. Psychisches Leid in den ehemaligen „Zwischenanstalten““ eigene Forschungsergebnisse zu einem wenig untersuchten Thema vor. Die Zwischenanstalten waren während der „T4-Aktion“ den Mordanstalten vorgeschaltet und sollten der planmäßigen Abwicklung der Tötungen dienen. Nach dem offiziellen Stopp der Aktionen 1941 waren sie dann unmittelbarer Ort der „wilden“ oder „regionalisierten“ Patiententötungen.

E. Kumbier, Rostock, betrachtete in seinem Vortrag „Psychiatrie in der DDR – eine Bestandsaufnahme“ die zweite Hälfte des Jahrhunderts. Kumbier zeigte auf, dass es keine durchgehende, eigene „DDR-Psychiatrie“ gab und grenzte 4 Phasen ab. Die der Bewältigung der Kriegsfolgen und der Neugründung bis 1949, eine Phase des Versuchs der politischen Ausrichtung bis 1960, eine Phase der Konsolidierung, als mit dem Mauerbau 1961 die kontinuierliche Abwanderung qualifizierter Fachkräfte stoppte, und eine vierte Phase ab Mitte der 1970er-Jahre mit einer Öffnung und Liberalisierung bei gleichzeitigen finanziellen und personellen Problemen. Auch wenn große Schritte in Richtung einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Psychiatrie in der DDR gegangen wurden, bleiben wichtige Fragen offen.

Die Vorträge stießen auf großes Interesse beim Publikum, das sich mit zahlreichen Diskussionsbeiträgen aktiv einbrachte. Die BGPN freut sich über den gelungenen Auftakt und hofft, über eine Fortsetzung dieser BGPN-Symposien weiter die nationale Wahrnehmung unserer Gesellschaft zu fördern.

Tom Bschor, Berlin


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IMPRESSUM

Prof. Dr. Tom Bschor
Redaktion: Dr. Anja M. Bauer
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.
Schlosspark-Klinik, Abteilung für Psychiatrie
Heubnerweg 2
14059 Berlin   
eMail: info@bgpn.de   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
03. März 2022

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Prof. Dr. med. Ekkehardt Kumbier, Rostock, bei seinem Vortrag (Abbildung und Foto: ©E. Kumbier)