Schlüsselwörter Anaphylaxie - Allergie - Impfung - Therapie - COVID-19
Key words anaphylaxis - allergy - vaccination - therapy - COVID-19
Einleitung
Als Anaphylaxie bezeichnet man eine schwere Überempfindlichkeitsreaktion mit potenziell tödlichem Verlauf. Sie tritt in der Regel im Rahmen der allergischen Sofortreaktion (Typ I, IgE-vermittelt) auf, kann mehrere Organe gleichzeitig erfassen und sich auf den gesamten Organismus ausweiten. Allerdings sind auch Nicht-IgE-vermittelte Anaphylaxien bekannt [1 ]
[2 ].
Die Therapie der Anaphylaxie erfordert unmittelbares Handeln und erfolgt in erster Linie symptomorientiert. Es existiert eine aktuelle deutsche Leitlinie zur Akutbehandlung der Anaphylaxie [1 ], aber auch internationale Richtlinien mit Handlungsempfehlungen [3 ].
Da naturgemäß ein Mangel an aussagekräftigen Studien zu diesem Thema herrscht, beruhen die Empfehlungen der Anaphylaxie-Behandlung vorwiegend auf empirischen Daten und auf pathophysiologischen Überlegungen [4 ].
Die Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen [5 ]
[6 ]. Auch andere allergische Reaktionen auf Medikamente und Impfstoffe wurden beschrieben, insbesondere wurde über schwere Anaphylaxien auf Nahrungsmittel und Medikamente berichtet [7 ]
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[26 ].
Die Inzidenz schwerer anaphylaktischer Reaktionen liegt in Deutschland bei ca. 4,5 pro 100 000 Einwohner [27 ]. Die tatsächlichen Zahlen liegen wahrscheinlich deutlich höher, da von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist aufgrund nicht gemeldeter Fälle oder uneinheitlicher ICD-10-Kodierungen [28 ].
Medikamente als Auslöser von Anaphylaxien
Medikamente als Auslöser von Anaphylaxien
Unter den Medikamenten waren die häufigsten Auslöser NSAID und im Besonderen Diclofenac, ASS und Ibuprofen, darüber hinaus β-Lactam-Antibiotika (Penicilline und Cephalosporine) [28 ]
[29 ]. Auch Präparate, die im Rahmen einer allergenspezifischen Immuntherapie (AIT) verabreicht werden, Chemotherapeutika, Röntgen-Kontrastmittel, Blutprodukte und natürlich auch Impfpräparate gehören zu den Medikamenten, die häufiger Anaphylaxien auslösen.
Diagnostische Möglichkeiten bei Verdacht auf COVID-19-Impfstoffallergie
Diagnostische Möglichkeiten bei Verdacht auf COVID-19-Impfstoffallergie
Eine gründliche Anamneseerhebung ist eine wichtige Voraussetzung, um schwere Anaphylaxien zu vermeiden. Reaktionen auf Polyethylenglykol (PEG) in z. B. Abführmitteln, Gelen, Wundauflagen, Lotionen, Zahnpasta, Mundspülungen, Kosmetika und Shampoos müssen erfragt werden. Die Einnahme von Beta-Adrenozeptor-Antagonisten, Angiotensin-Converting-Enzym (ACE)-Hemmern und nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) kann zu einer Zunahme anaphylaktischer Symptome führen [1 ]
[30 ].
Bei Patienten mit erhöhter basaler Serumtryptase und/oder Mastozytose kann die Anaphylaxie besonders schwerwiegend sein [1 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ].
Allergietests sollten in spezialisierten Allergiezentren durchgeführt werden. Haut-Prick-Tests mit PEG können sehr vorsichtig mit Verdünnungen von 0,001–10 % durchgeführt werden, mit 30-minütiger Beobachtung nach jedem Dosierungsschritt. Da spekuliert wird, dass der individuelle Schwellenwert für positive Reaktionen auf PEG mit unterschiedlichem Molekulargewicht variiert [18 ]
[53 ], sollte die Testung mit PEGs mit einem Molekulargewicht von 2000 g/mol, die in beiden Impfstoffen verwendet werden, durchgeführt werden und den veröffentlichten Algorithmen folgen [19 ]
[34 ]. Identisches gilt für Polysorbat als ein hoch kreuzreaktives Allergen zu PEG.
Hauttests sollten entweder vor oder frühestens 2 Wochen nach Auftreten der Überempfindlichkeitsreaktion durchgeführt werden. Zusätzlich können Basophilen-Aktivierungstests und ein Screening auf spezifisches IgE (auch IgG und IgM) gegen PEG im Blutserum bei Patienten mit Verdacht auf eine Allergie gegen Hilfsstoffe des Impfstoffs erfolgen [19 ]
[34 ]. Wenn eine PEG-Allergie bestätigt werden kann, sollte ein Notfallset verschrieben und Informationen über die PEG-Allergie bereitgestellt werden. Wenn dies nicht der Fall ist, kann ein intradermaler Test mit PEG verschiedener Molekulargewichte in einer Verdünnung von 0,01 % vorsichtig in Betracht gezogen werden, jedoch nicht bei Hochrisikopatienten, da systemische Reaktionen auftreten können [34 ]. In einigen Fällen kann bei Bedarf ein oraler Provokationstest durchgeführt werden [35 ].
Trometamol als Kontaktsensibilisator wird normalerweise epikutan auf allergische Reaktionen vom verzögerten Typ getestet. Bei Verdacht auf Typ-1-Reaktionen kann ein Haut-Prick-Test (Konzentration 1:1) mit anschließender intradermaler Testung mit Verdünnungen von Trometamol von 1:1000–1:10 durchgeführt werden [19 ]
[34 ]
[36 ]
[37 ].
Obwohl allergische Reaktionen auf mRNA-1273-Komponenten wie PEG und Trometamol nicht häufig berichtet wurden, ist allein durch die hohe Zahl an Impflingen bei Verabreichung der Impfstoffe für COVID-19 mit Anaphylaxien bei Personen zu rechnen, die zuvor auf die Komponenten der Impfstoffe sensibilisiert wurden, insbesondere auf PEG und PEG-Analoga und kreuzallergene Substanzen (v. a. Polysorbat) sowie auf Trometamol im Fall von mRNA-1273 [17 ]
[19 ].
Pathophysiologie
Ursächlich liegt der Anaphylaxie meist eine immunologische Reaktion – am häufigsten als Immunglobulin-E-vermittelte Allergie – zugrunde. IgE aktiviert dabei über Kreuzvernetzungen von hoch affinen IgE-Rezeptoren Mastzellen und basophile Granulozyten, was in einer erhöhten Expression von Oberflächenmarkern (CD63, CD203c) auf Basophilen indirekt messbar ist [1 ]
[32 ].
Die Symptome anaphylaktischer Reaktionen werden insbesondere durch Mediatoren verursacht, die vor allem aus Mastzellen und basophilen Granulozyten freigesetzt werden, wie Histamin, Prostaglandine, Leukotriene (LTB4, LTC4 und LTD4), Tryptase, Plättchen-aktivierender Faktor (PAF), Heparin, Proteasen, Serotonin und Zytokine [1 ]
[32 ].
Andere Antikörperklassen können zudem eine ähnliche Symptomatik auslösen oder eine IgE-vermittelte Reaktion verstärken [1 ]. Hierbei gelten die Komplementspaltprodukte C3a, C4a und C5a (Anaphylatoxine) als besonders wichtige Mediatoren und neben Basophilen auch Neutrophile und Makrophagen als relevante Effektorzellen, die über Immunkomplexrezeptoren (CD16, CD32 bzw. CD64) aktiviert werden können [1 ]
[32 ].
Daneben gibt es anaphylaktische Reaktionen, bei denen keine immunologische Sensibilisierung fassbar ist. Die Mechanismen dieser nicht allergischen Anaphylaxie umfassen eine IgE-unabhängige Freisetzung vasoaktiver Mediatorsubstanzen eventuell über den „MAS-related“ G-Protein-gekoppelten Rezeptor [1 ]
[32 ], eine direkte Aktivierung des Komplementsystems, Interaktionen mit dem Kallikrein-Kinin-System, Interaktionen mit dem Arachidonsäurestoffwechsel sowie psychoneurogene Reflexmechanismen.
Bei Patienten mit erhöhter basaler Serumtryptase und/oder Mastozytose kann die Anaphylaxie besonders schwer verlaufen [1 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ].
Eine vorangegangene Einnahme von Beta-Adrenozeptor-Antagonisten und ACE-Inhibitoren (Angiotensin-konvertierendes Enzym, ACE) kann zu einer Verstärkung der anaphylaktischen Symptome führen [1 ]
[30 ].
Bei Beta-Adrenozeptor-Antagonisten spielt die Blockade der kardiostimulatorischen sowie der mastzellstabilisierenden Wirkung von Adrenalin eine Rolle, bei den ACE-Inhibitoren ein verminderter Bradykininabbau mit daraus resultierender ausgeprägter Vasodilatation. Auch nach Einnahme von Zyklooxygenase-Inhibitoren (nichtsteroidale Antirheumatika, NSAR) kann es durch eine vermehrte Leukotrienbildung und durch Erleichterung der Absorption oral zugeführter Allergene zu verstärkten anaphylaktischen Reaktionen kommen.
Für die Akutbehandlung anaphylaktischer Reaktionen spielt die Differenzierung in allergisch/immunologisch oder nichtallergisch/nichtimmunologisch ausgelöste Anaphylaxien allerdings keine Rolle [18 ]
[38 ].
Einteilung und Symptome
Die Einteilung des Schweregrades der Anaphylaxie erfolgt entsprechend der Empfehlung von Ring und Messmer [1 ]
[2 ] in die Schweregrade I–IV. Charakteristischerweise betrifft die Anaphylaxie die Haut, die Atemwege, das Herz-Kreislauf-System und den Gastrointestinaltrakt; das ZNS und der Urogenitaltrakt können ebenfalls beteiligt sein. Alle denkbaren Varianten von Verläufen sind möglich. Zum Beispiel kann ein leichtes Symptom wie Rhinorrhoe spontan abklingen oder zu schweren Symptomen mit Manifestationen in mehreren Organen fortschreiten. Ebenso kann sich die Maximalvariante der Anaphylaxie innerhalb kürzester Zeit ohne jegliche Prodromalzeichen entwickeln.
In 20 % der Fälle nimmt die Anaphylaxie einen biphasischen Verlauf, wobei erneute Symptome bis zu 24 Stunden nach Abklingen der Sofortreaktion auftreten können [40 ]. Die vermutete Ursache ist eine Abnahme der Medikamentenwirksamkeit bei fortgesetzter Allergenexposition [41 ]. Auch primäre verzögerte Reaktionen sind möglich, wie bei Allergien auf Säugetierfleisch [42 ], bei denen klinische Symptome erst Stunden nach der Aufnahme auftreten.
Nach eventuellen Prodromalzeichen manifestieren sich kutane Reaktionen in Form von Juckreiz, Rötung („flush“), Quaddelbildung und/oder Schwellungen (Angioödem) an expositionsfernen Regionen. Auch die Schleimhäute können betroffen sein. Erstes Anzeichen eines Larynxödems kann eine heisere Stimme sein, eine Zungenschwellung kann sich durch kloßige Sprache bemerkbar machen.
Asthmatische Symptome treten als Folge der Bronchokonstriktion auf. Gastrointestinale Symptome manifestieren sich als krampfartige Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu unwillkürlicher Defäkation. Bei urogenitalen Manifestationen können Uteruskrämpfe, Harndrang und unwillkürlicher Harnabgang auftreten.
Mediatorbedingte Permeabilitätsstörung und Vasodilatation führen zu Blutdruckabfall und Pulsbeschleunigung. Im dramatischsten Fall ist ein Herz-Kreislauf-Stillstand die Folge.
Eine ZNS-Beteiligung kann in Form von Unruhe, Aggressivität, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen bis hin zu Krämpfen und Bewusstlosigkeit auftreten.
Da die differenzialdiagnostische Abgrenzung zur Anaphylaxie oft nicht eindeutig ist, gelten die folgenden Symptome als charakteristische Kriterien für eine Anaphylaxie [1 ]
[43 ]:
plötzliches Auftreten von kutanen Symptomen zusammen mit plötzlichen respiratorischen Symptomen oder plötzlichen hypovolämischen Symptomen oder
plötzliches Auftreten von Symptomen in 2 oder mehr Organsystemen (Haut, Magen-Darm-Trakt, Atmungsorgane oder Kreislauf) nach Kontakt mit einem vermuteten Allergen oder verstärkenden Faktor oder
Blutdruckabfall nach Kontakt mit einem dem betroffenen Patienten bekannten Allergen oder einem anderen augmentierenden Faktor.
Augmentationsfaktoren einer Anaphylaxie
Augmentationsfaktoren einer Anaphylaxie
Bestimmte Faktoren können eine Anaphylaxie verstärken oder, bei Zusammentreffen mehrerer Faktoren, eine Anaphylaxie auslösen. Folgende Augmentationsfaktoren sind bekannt [44 ]:
Therapie
Die Akuttherapie der anaphylaktischen Reaktion orientiert sich an der klinischen Symptomatik [4 ]. Entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung sind das frühzeitige Erkennen der Symptome und ein umgehendes Ergreifen therapeutischer Maßnahmen. In klinischen Einrichtungen kann eine adäquate Vorgehensweise nur durch regelmäßige Notfallschulungen aller Mitarbeiter gewährleistet werden.
Basismaßnahmen
Unterbrechung der Allergenzufuhr
Erster Schritt in der konsequenten Behandlung der Anaphylaxie sollte, sofern umsetzbar, das Entfernen bzw. die Unterbrechung der Zufuhr des vermuteten auslösenden Allergens sein [4 ]
[45 ].
Anfordern von Hilfe
Umgehend sollten zusätzliche Helfer herbeigerufen werden. Dies kann im Einzelfall entweder durch die Alarmierung einer internen Rettungskette oder des externen Rettungsdienstes erfolgen.
Die Basisuntersuchung zur Erfassung von Leitsymptomatik und Akuität beinhaltet folgende Maßnahmen [4 ]:
Prüfung von Lebenszeichen (spontane Bewegung und Atmung).
Beurteilung von Puls und Blutdruck (Stärke, Frequenz, Regelmäßigkeit).
Beurteilung der Atmung (Sprechdyspnoe, inspiratorischer oder exspiratorischer Stridor, Giemen; optional: Auskultation, Bestimmung des „Peak Flow“ mittels mechanischen Peak-Flow-Meters, Pulsoximetrie).
Inspektion leicht einsehbarer Hautareale sowie der Schleimhäute.
Erfragen weiterer Beschwerden (z. B. Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen, thorakales Druckgefühl, Sehstörung, Pruritus).
Erfragen bekannter Allergien.
Monitoring
Um im Verlauf eine Verschlechterung des klinischen Zustandes eines Patienten rechtzeitig zu erkennen, ist ein kontinuierliches Monitoring der Vitalparameter essenziell. Dieses umfasst Herzfrequenz (HF), Blutdruck (RR), Atemfrequenz (AF) sowie im erweiterten Sinn Hautkolorit bzw. Auftreten von Hauterscheinungen. Ein Pulsoximeter erleichtert hierbei die Überwachung der Sauerstoffsättigung im Blut. Die bedrohlichste Symptomatik bestimmt dabei die erste Therapiemaßnahme (Herz-Kreislauf-Stillstand > Störung des Herz-Kreislauf-Systems > Störung des Atemwegssystems > Störung des Gastrointestinaltraktes > Störung des Hautorgans).
Lagerung
Die Lagerung des Patienten sollte symptomorientiert erfolgen: Bei Kreislaufdysregulation ist die Flachlagerung mit erhöhten Beinen zu bevorzugen (Trendelenburg-Lagerung), um der Hypovolämie entgegenzuwirken. Bei dyspnoischen Beschwerden sollte der Oberkörper hochgelagert werden (halbsitzend), bei Bewusstseinseintrübung sollte der Patient in die stabile Seitenlage gebracht werden, um einer Atemwegsverlegung durch Zurückfallen der Zunge und möglichem Erbrechen vorzubeugen.
Einsatz von Notfallmedikamenten
Einsatz von Notfallmedikamenten
Adrenalin
Schwere systemische allergische Reaktionen erfordern die zügige Gabe von Adrenalin [4 ]
[45 ]
[46 ]. Adrenalin ist das einzige Medikament, welches gegen Beschwerden an allen betroffenen Organsystemen wie Haut, Atemwege, Herz-Kreislauf und Gastrointestinaltrakt wirkt. Gemäß aktueller Leitlinie wird die Gabe von Adrenalin ab einem Anaphylaxie-Schweregrad II (nach Ring und Messner) empfohlen [4 ]. Bei vielen anaphylaktischen Reaktionen ist die intramuskuläre Applikation die Therapie der Wahl [4 ]: Einerseits ist eine i. m.-Applikation einfach in der Anwendung, andererseits ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwirkungen im Vergleich zur i. v.-Gabe deutlich geringer. Darüber hinaus wirkt intramuskulär verabreichtes Adrenalin – im Gegensatz zur subkutanen Applikation – ohne zeitliche Verzögerung [45 ]. Letztere wird aus diesem Grund nicht mehr empfohlen. Die empfohlene Einzeldosis Adrenalin bei Einsatz durch Fachpersonal beträgt, unabhängig von der Applikationsform, 10 μg/kg KG (= 0,01 mg/kg KG) [44 ].
Die i. m.-Injektion erfolgt in die Außenseite des Oberschenkels in einer Dosierung von 0,01 mg/kg KG [4 ]
[44 ]. Bei ausbleibender Wirkung kann die Injektion alle 5–10 Minuten wiederholt werden [4 ].
Adrenalin wirkt über α-Rezeptor-gesteuerte Vasokonstriktion direkt den Ursachen des Schockgeschehens (erhöhte Kapillarpermeabilität und Vasodilatation) entgegen.
Die β1-mimetische Aktivität hat direkte kardiale Wirkungen und führt zu erhöhter Schlagfrequenz und Schlagkraft (positive Chronotropie und Inotropie). Des Weiteren führen die β2-Rezeptorwirkungen zu einer Bronchodilatation [47 ]. Adrenalin stellt somit das wichtigste Notfallmedikament für die Behandlung der Anaphylaxie dar.
β-Sympathomimetika
Der Einsatz von inhalativen kurzwirksamen β2 -Sympathomimetika (z. B. Fenoterol, Salbutamol) hat einen wichtigen Stellenwert bei der Behandlung des allergischen Asthmas. Bei Vorherrschen einer Bronchokonstriktion im Rahmen der anaphylaktischen Reaktion können initial 2–4 Hübe verabreicht werden [4 ]. Patienten, die ungeübt sind in der Anwendung von Asthma-Sprays (Nichtasthmatiker, Kinder), sollten mithilfe eines sog. Spacers inhalieren. Dieser ermöglicht eine Inhalation über die normale Atmung und steigert ggf. die Effizienz der verabreichten Dosis.
Antihistaminika
Antihistaminika sind ein weiterer Bestandteil der leitliniengerechten Anaphylaxie-Behandlung. Sie blockieren mehr oder weniger selektiv die Histaminrezeptoren an den Zellwänden. H1 -Rezeptoren sind überwiegend pulmonal und vasal zu finden, H2 -Rezeptoren vorwiegend am Herzen und im Gastrointestinaltrakt.
Antihistaminika der ersten Generation wirken Histaminrezeptor-unspezifisch und haben anticholinerge Wirkung [4 ]. Sie passieren die Blut-Hirn-Schranke, was der Grund ist für ihre zentralen Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schläfrigkeit und Schwindel. Für die Akuttherapie der Anaphylaxie sind zur intravenösen Gabe nur Clemastin (Tavegil® ) und Dimetinden (Fenistil® ) zugelassen. Die im Notfall zu verabreichende Dosis beträgt 0,1 mg/kg KG Dimetinden bzw. 0,05 mg/kg KG Clemastin [4 ]. Sie sollte langsam intravenös (alternativ als Kurzinfusion) verabreicht werden.
Bei oraler Gabe eines Antihistaminikums sollte stets die Maximaldosis verabreicht werden. In der aktuellen Leitlinie wird darauf hingewiesen, dass in Einzelfällen eine Dosissteigerung bis zur 4-fachen Maximaldosis vertretbar ist [4 ].
Es besteht keine Evidenz über den Nutzen einer zusätzlichen Gabe von H2 -Blockern, wobei es aus praktischen Erwägungen sinnvoll erscheint, auch H2 -Rezeptor-vermittelte Effekte zu blockieren. Wir wenden daher außer bei Kindern die kombinierte Gabe von H1 - und H2 -Antagonisten an, zumal sie nebenwirkungsarm sind [48 ].
Glukokortikosteroide (GKS)
Aufgrund ihres verzögerten Wirkeintritts spielen Glukokortikoide in der Akuttherapie der Anaphylaxie nach heutigem Stand eine untergeordnete Rolle. Ein systematischer Review [49 ] zum Einsatz von GKS in der Anaphylaxie kommt zu dem Ergebnis, dass GKS keinen klaren Vorteil bringen. Da sie aber effektiv wirksam sind (insbesondere zur Beseitigung der Bronchokonstriktion), können sie dennoch sinnvoll eingesetzt werden, um protrahierten oder biphasischen Verläufen einer anaphylaktischen Reaktion vorzubeugen [4 ]
[50 ].
GKS wirken einerseits auf genomischer Ebene, d. h. sie interagieren mit intrazellulären GKS-Rezeptoren in den Zielorganen [51 ]. Ihre antiinflammatorische Wirkung beruht u. a. auf einer Hemmung der Phospholipase 2, was eine verminderte Produktion von Prostaglandinen und Leukotrienen zur Folge hat [52 ].
Die nichtgenomische Wirkung andererseits findet durch Interaktion auf Zellmembranebene statt [52 ]. Physikochemische Veränderungen der Membraneigenschaften führen zur Membranstabilisierung mit verminderter Durchlässigkeit für Kationen. Solche unspezifischen Effekte sollen nur bei Gabe hoher GKS-Mengen (d. h. 500–1000 mg Prednisolon für Erwachsene) innerhalb von 10–30 Minuten nach Verabreichung auftreten [51 ], während genomische Wirkeffekte erst 1–2 Stunden nach GKS-Gabe einsetzen.
Als Alternative bei fehlendem intravenösem Zugang stehen Suppositoren oder Tropflösungen zur oralen Applikation zur Verfügung.
Um diese Therapie zu gewährleisten, wird eine Mindestausstattung an Pharmaka ([Tab. 1 ]) und medizinischem Material benötigt ([Tab. 2 ]), die in jeder impfenden Stelle verfügbar sein müssen.
Tab. 1
Pharmakotherapie einer Anaphylaxie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter ambulanten Bedingungen (nach Ring 2021 [1 ] und Klimek 2021 [53 ]).
Wirkstoff
Applikationsweg
< 7,5 kg KG
7,5–25 (–30)[
1
] kg KG
30–60 kg KG
> 60 kg KG
Adrenalin
intramuskulär
50–600 μg
Adrenalin
Autoinjektor i. m.
nicht zugelassen
150 µg
300 µg
1–2-mal 300 µg
oder 500 µg
Adrenalin
Inhalativ-Vernebler
2 ml[
2
]
Adrenalin
intravenös[
3
]
titrierend Boli 1μg/kg KG
Dimetinden
intravenös
1 ml3
1 m/10 kg KG[
4
]
(max. 4 ml)
1 Amp = 4 ml[
3
]
1–2 Amp = 4–8 ml[
3
]
(1 ml/10 kg KG)
Prednisolon
intravenös
50 mg
100 mg
250 mg
500–1000 mg
Salbutamol
Terbutalin
inhalativ
2 Hübe DA
per Spacer
2 Hübe DA
per Spacer
2–4 Hübe DA
per Spacer
2–4 Hübe DA
per Spacer
Volumen
Bolus (NaCl 0,9 %)
20 ml/kg KG
20 ml/kg KG
10–20 ml/kg KG
10–20 ml/kg KG
Sauerstoff
inhalativ
2–10 l/min
5–12 l/min
5–12 l/min
5–12 l/min
1 Unterschiedliche gewichtsabhängige Zulassungen bei unterschiedlichen Autoinjektoren.
2 Für die Inhalation wird die Stammkonzentration verwendet (1 mg/ml).
3 Für die intravenöse Gabe wird von einer 1 mg/ml Adrenalinlösung 1 ml auf 100 ml NaCl 0,9 % verdünnt (Endkonzentration 10 μg/ml).
4 Eine (Stamm-) Konzentration von 1 mg/ml (1 ml enthält 1 mg Dimetindenmaleat).
Tab. 2
Materielle Ausstattung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen in ambulanten Einrichtungen/Impfzentren (nach [1 ]).
Stauschlauch, Venenverweilkanülen (in verschiedenen Größen) , Spritzen, Infusionsbesteck, Pflaster zur Fixierung der Kanülen
kurzwirksamer ß2-Adrenozeptoragonist, z. B. Salbutamol zur Inhalation (bevorzugt als Inhalationslösung zur Anwendung über Verneblerset mit Maske, ggf. alternativ als Dosieraerosol mit Inhalierhilfe/Spacer/Maske, Autohaler o. Ä.)
Zudem muss das Impfpersonal in der Erkennung und Behandlung schwerer allergischer Reaktionen geschult sein.
Weitere Notfallmaßnahmen
Venöser Zugang
Es ist von entscheidendem Vorteil, bereits in der Frühphase einer Notfallsituation venöse Zugänge zu legen, um einer drohenden Hypovolämie entgegenzuwirken. Da schwere anaphylaktische Reaktionen oft große Flüssigkeitsmengen erfordern, sollten als Standard mindestens ein, besser 2 großlumige Zugänge von mindestens 18G gelegt werden.
Intraossäre Zugänge sind eine mögliche Alternative, wenn keine venösen Zugänge vorhanden sind. Sie bleiben in der Regel Notärzten überlassen.
Volumensubstitution
Die bereits in der Frühphase der allergischen Sofortreaktion einsetzende Steigerung der Kapillarpermeabilität bewirkt einen massiven Volumenabstrom vom Intravasalraum in interstitielle Kompartimente. Aus diesem Grund stellt die frühzeitige und ausreichende Volumensubstitution eine wichtige Säule in der Therapie der anaphylaktischen Reaktion dar. Um diesem Effekt schnellstmöglich entgegenzuwirken, sollten zügig innerhalb der ersten 5–10 Minuten 500–1000 ml Flüssigkeit und ggf. noch mehr infundiert werden können [54 ]. Bei Kindern sollte die initiale Volumenmenge 20 ml/kg KG betragen [4 ].
Aufgrund fehlender Evidenz ist eine klare Empfehlung zur Wahl des Volumenersatzmittels aktuell nicht möglich. Zur initialen Volumensubstitution werden physiologische Kochsalzlösung oder balancierte Vollelektrolytlösungen empfohlen [4 ]. Ebenso können Kristalloidlösungen (Ringer-Laktat, Glukoselösung) verabreicht werden.
Sauerstoff
Jeder Notfallpatient mit akuten respiratorischen oder Kreislaufproblemen sollte Sauerstoff erhalten, ebenso Patienten mit bekannten kardiovaskulären oder pulmonalen Grunderkrankungen [45 ]. Es empfiehlt sich die Gabe von reinem Sauerstoff (100 %) mit hoher Flussgeschwindigkeit [4 ]. Die Verwendung von transparenten Atemmasken mit Reservoirbeutel hat sich dabei bewährt. Die Sauerstoffapplikation über Sauerstoffbrillen oder Nasensonden ist aufgrund fehlender Effektivität nicht mehr angebracht [4 ].
Sicherung der Atemwege
Die endotracheale Intubation stellt den Goldstandard in der Atemwegssicherung dar. Die Durchführung allerdings ist aufgrund potenzieller Fehlerquellen, die fatale Folgen für den Patienten haben können, nur geübten Personen zu empfehlen.
Als Alternative hat sich in den letzten Jahren der Larynxtubus etabliert. Seine Handhabung ist im Vergleich zur endotrachealen Intubation einfach und schnell erlernbar. Ob er zur Behandlung von Anaphylaxie-Patienten das ideale Instrument darstellt, müssen weitere Untersuchungen klären [54 ].
Kardiopulmonale Reanimation
Bei Herz-Kreislauf-Versagen wird umgehend mit einer Herzdruckmassage im Verhältnis 30:2 und mit einer Frequenz von 100 bis max. 120/min begonnen. Druck- und Entlastungsdauer sollten gleich lang sein. Dabei sind die Arme des Helfers durchgestreckt, die Kompressionskraft wird aus dem Gewicht des eigenen Körpers geschöpft.
Ein verfügbarer automatischer Defibrillator ist umgehend anzulegen, im Fall von Kammerflimmern erfolgt eine Defibrillation.
Kinder und Säuglinge erhalten initial 5 Beatmungsversuche, erst dann wird mit der Herzdruckmassage im Verhältnis 15:2 und mit einer Frequenz von 120/min begonnen.
Prävention
Betroffene Patienten sollten ggf. mit einem Anaphylaxie-Notfallset ausgestattet werden (Beschreibung des Notfallsets siehe unten). Eine ambulante allergologische Ursachenabklärung mit Auslotung therapeutischer Optionen und Präventivmaßnahmen ist notwendig. Therapeutische Optionen umfassen z. B. eine Allergie-Immuntherapie (AIT) gegen Insektengifte oder eine strenge Nahrungsmittel- bzw. Medikamentenkarenz. Der Patient sollte einen Allergiepass erhalten und diesen stets mit sich führen.
Praktische Gesichtspunkte
Als mögliche unerwünschte Reaktionen nach einer Impfung sind, neben einer sehr selten auftretenden Anaphylaxie, verstärkte Lokalreaktionen und Verschlechterung der Symptome einer bestehenden allergischen Erkrankung wie z. B. Asthma, Rhinokonjunktivitis, atopisches Ekzem (= Neurodermitis) möglich, aber auch kontaktallergische Reaktionen und Exantheme, die in sehr seltenen Fällen erst nach mehreren Tagen einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen können.
Aktuell geht es um die Möglichkeit einer unmittelbar akut auftretenden Anaphylaxie und die Beantwortung der folgenden Fragen:
Wer ist gefährdet?
Wann besteht eine eindeutige Kontraindikation?
Was muss vorbereitend getan werden?
Wann ist eine Allergietestung vor Impfung erforderlich?
Was ist bei der Applikation des Impfstoffs zu beachten?
Wie lange sollte eine Nachbeobachtung sein?
Ist eine pharmakologische Prämedikation sinnvoll?
Ergebnisse
Wer ist gefährdet? Wann besteht eine eindeutige Kontraindikation?
In [Abb. 1 ] sind verschiedene allergische Krankheiten bzw. Zustände und ein damit einhergehendes Risikopotenzial für eine SARS-CoV-2-Impfung dargestellt.
Abb. 1 Ampelschema zum Vorgehen bei unterschiedlichen allergologischen Erkrankungen oder anamnestischen Angaben (nach Klimek 2021 [53 ]).
Eine frühere schwere allergische Reaktion (Anaphylaxie) auf einen Bestandteil des SARS-CoV-2-Impfstoffs ist eine absolute Kontraindikation für die Impfung, so wie auch in der aktuellen Empfehlung der EMA formuliert. Weitere risikobehaftete Patienten sind aus allergologischer Sicht Patienten, die eine Anaphylaxie bei Mastozytose, eine Anaphylaxie auf frühere Impfungen und eine Anaphylaxie mit unklarem Auslöser erlitten haben.
Anaphylaxien nach Insektenstichen oder Nahrungsmitteln stellen keine Kontraindikation zur Impfung dar. Als Vorsichtsmaßnahme wurden zunächst auch Patienten mit einer anaphylaktischen Reaktion auf Nahrungsmittel in der Vorgeschichte von der Impfung ausgeschlossen, da vereinzelt residuelle Bestandteile von Nahrungsmittelallergenen allergische Reaktionen bei Impfungen auslösen können [8 ]
[19 ]. Der Corona-Impfstoff der Firma BioNTech/Pfizer enthält jedoch solche Inhaltsstoffe nicht (siehe Teil 1 dieser Publikationsreihe). Daher ist bei nahrungsmittelallergischen Patienten nicht per se von einem erhöhten Allergierisiko für eine COVID-19-Impfung auszugehen.
Die in [Abb. 1 ] angegebenen Erkrankungen sollten fortwährend im Verlauf in Bezug auf ein mögliches Risiko für den Patienten geprüft werden, einer Allergiediagnostik zur Ermittlung der auslösenden Substanz bei unklarer Konstellation zugeführt werden und bei entsprechendem Ergebnis geimpft werden, wie z. B. bei Patienten mit Anaphylaxie auf definierte, nicht im Impfstoff enthaltene Medikamente oder Zusatzstoffe.
Insgesamt wird deutlich, dass eine absolute Kontraindikation für die SARS-CoV-2-Impfung auch bei allergischen Individuen sehr selten sein dürfte.
Es folgt daraus aber auch, dass in unklaren Fällen eine adäquate Allergiediagnostik rechtzeitig vor der Impfung durchgeführt werden sollte. Dies setzt entsprechende Information und Aufklärung sowohl der Impf-Teams als auch der impfwilligen Personen voraus.
Was muss vorbereitend getan werden?
Wann ist eine Allergietestung vor Impfung erforderlich?
Gibt es eine Möglichkeit der pharmakologischen Prämedikation?
Im Rahmen der Bekanntmachungen zur Durchführung der SARS-CoV-2-Impfungen sollten auch Hinweise auf die Notwendigkeit einer allergologischen Abklärung bei bestimmten Risiken in der Vorgeschichte gegeben werden. So wird das Eingangsgespräch mit Anamnese im Impfzentrum erleichtert.
Bei unklarem Ergebnis der allergologischen Diagnostik, z. B. „Zustand nach Anaphylaxie unklarer Genese“, kann eine antiallergische Prämedikation – wie z. B. bei Vorliegen einer perioperativen oder kontrastmittelinduzierten Anaphylaxie – mit Antihistaminika (Histamin-H1 und H2-Antagonisten) und einem oralen Glukokortikoid erwogen werden [1 ].
Personen hingegen mit einer Allergie auf andere Allergene wie Pollen, Hausstaubmilben, Pilzsporen, Tierepithelien, Nahrungsmittel, Insektengifte oder auf Arzneimittel und Hilfsstoffe, die nicht zu den Inhaltsstoffen der Impfstoffe gehören oder kreuzreaktiv sind, stellen keine Risikopopulation für eine Anaphylaxie auf die COVID-19-Impfstoffe dar. Bezogen auf allergische Krankheitsbilder weisen Personen kein erhöhtes Risiko auf, die an einer atopischen Erkrankung leiden, wie Rhinokonjunktivitis allergica, Asthma bronchiale, atopisches Ekzem, allergisches Kontaktekzem oder Arzneimittelexanthem, Urtikaria, Angioödemen oder Polyposis nasi.
Ein praktikables Ampelschema zur Patientenidentifikation wird bei Klimek et al. [53 ] und Worm et al. 2021 dargestellt [55 ].
Was ist bei der Applikation des Impfstoffs zu beachten? Wie lange sollte die Nachbeobachtung sein?
Nach Kurzanamnese und Ausschluss der Kontraindikation ([Abb. 1 ]) kann die Injektion erfolgen.
Wegen möglicher Nebenwirkungen empfiehlt sich bei Personen mit Anaphylaxie in der Vorgeschichte eine Nachbeobachtung von 30 min nach der Injektion.
Das Impf-Team muss über die Möglichkeit einer Anaphylaxie informiert und in der dann notwendigen Akutbehandlung geschult sein. Die dazu nötigen Medikamente und Hilfsmittel müssen vor Ort verfügbar sein, einschließlich Adrenalin-Autoinjektoren [53 ].
Diskussion
Die weltweite Zunahme der Prävalenz allergischer Erkrankungen sowie eine häufigere Diagnosestellung allergischer Erkrankungen haben zu einer wichtigen öffentlichen Wahrnehmung der „Volkserkrankung Allergie“ geführt. In der aktuell teils emotional geführten Diskussion über Impfungen gegen COVID-19 wird der Aspekt möglicher Impfnebenwirkungen im Vergleich zum Nutzen überproportional gewichtet. Es wäre irrational und für die Gesundheit der Bevölkerung fahrlässig, ca. 30 % der Bevölkerung, dem ungefähren Anteil allergischer Menschen in westlich geprägten postindustriellen Gesellschaften, keine SARS-CoV-2-Impfung zuteil kommen zu lassen. Bei Vorliegen einer plausiblen Risikoanamnese sollte vor der Impfung eine fachlich adäquate allergologische Diagnostik inkl. Bestimmung der Serumtryptase erfolgen.
Alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die aktuell Impfungen gegen COVID-19 durchführen, sollen geschult werden, anaphylaktische Reaktionen zu erkennen und sofort leitliniengerecht zu behandeln. Eine Notfallausstattung inkl. Adrenalin-Autoinjektoren sollte verpflichtend sein. Eine evtl. Prämedikation mit systemischen Antihistaminika und Glukokortikoiden sollte im Ermessen der impfenden Ärztinnen und Ärzten liegen.
Patient*innen mit einer Anaphylaxie-Anamnese sollen nach der Impfung 30 Minuten nachbeobachtet werden.
Notfallset
Abhängig vom Auslöser der Anaphylaxie (vermeidbar/nicht vermeidbar) wird dem betroffenen Patienten ein Notfallset verordnet, bestehend aus einem Adrenalin-Autoinjektor, einem oralen Antihistaminikum und Glukokortikoid sowie ggf. einem Asthma-Spray (z. B. Salbutamol) [4 ]
[44 ]. Aus praktischen Erwägungen empfiehlt es sich, Antihistaminikum und Glukokortikoid je nach Verfügbarkeit in Form von Schmelztabletten oder Tropfen zu verordnen. Die Medikamente können so auch ohne Wasser geschluckt werden bzw. im Fall auftretender Schwellungen im oberen Gastrointestinaltrakt leichter eingenommen werden.
Der Adrenalin-Autoinjektor ermöglicht gefährdeten Patienten eine Selbstverabreichung im Notfall und ist essenzieller Bestandteil des Anaphylaxie-Notfallsets. In Deutschland sind mehrere Modelle zugelassen, erhältlich in den Dosierungen 150 μg (Emerade® 150, Fastjekt® junior, Jext® 150), 300 μg (Emerade® 300, Fastjekt® , Jext® 300) und 500 μg (Emerade® 500, zugelassen nur für Erwachsene). Laut deutscher Anaphylaxie-Leitlinie steht die Dosierung 150 μg für Kinder zwischen 15 und 30 kg KG zur Verfügung (Anaphylaxie-Leitlinie), wobei der Fastjekt® junior bereits ab 7,5 kg KG zugelassen ist entsprechend den Dosierungsempfehlungen der europäischen Anaphylaxie-Leitlinie [3 ] (Fachinformation Fastjekt® , Stand September 2015). Es gibt Hinweise, dass auch mit anderen Autoinjektoren eine Dosis von 15 μg Adrenalin für gesunde Kinder mit 10–15 kg KG keine Gefährdung darstellt [4 ], weshalb hier eine Verordnung als „Off Label Use“ mit entsprechender Aufklärung der Eltern eine mögliche Option darstellt. Die Dosierung von 300 μg wird bei einem Gewicht ab 30 kg KG empfohlen, ab einem Gewicht über 60 kg wird eine Adrenalin-Dosis von 300–600 μg empfohlen [1 ]
[3 ]. Es hat sich bewährt, mit 300 µg zu beginnen und die weitere Dosierung dem klinischen Verlauf, der Entwicklung der klinischen Symptomatik und dem Ansprechen auf die Therapie anzupassen.
Für stark übergewichtige Patienten (> 100 kg) ist abzuwägen, ob auch mit einer Erstdosis von 500 µg begonnen werden kann. Bei bekannter Neigung zu heftigen oder biphasischen Anaphylaxie-Verläufen, die eine Adrenalin-Nachdosierung erforderlich machen, können auch 2 Autoinjektoren verordnet werden. Das entspricht einer Empfehlung der EMA, dass Risikopatienten 2 Autoinjektoren mit sich führen sollten [56 ].
Die Gefahr von Adrenalin-Überdosierung oder -Nebenwirkungen ist im Kindesalter gering, bei Erwachsenen und insbesondere älteren Patienten mit kardiovaskulären Grunderkrankungen jedoch unbedingt zu berücksichtigen. Andererseits sind gerade Patienten mit koronarer Herzkrankheit durch anaphylaktische Reaktionen auch besonders gefährdet. Ein ausreichender Perfusionsdruck im Koronarkreislauf kann oft nur durch gleichzeitige Gabe von intravenösem Volumen und Vasokonstriktion gelingen [4 ] ([Tab. 3 ]).
Tab. 3
Übersicht der Charakteristiken der in Deutschland zugelassenen Autoinjektoren nach aktuellen Fachinformationen.
Charakteristiken
FastJekt Junior 150
FastJekt 300
Emerade 150/300/500[* ]
Jext 150/300
Dosierung nach Körpergewicht (KG)
ab 7,5 kg/ab 25 kg
ab 15 kg/ab 30 kg/ab 60 kg[** ]
ab 15 kg/ab 30 kg
Sicherungskappe
gegenüber vom Nadelaustritt
vorhanden
keine
vorhanden
farbliche Kennzeichnung
blau: Sicherheitskappe
orange: Nadelaustritt
keine
gelb: Sicherheitskappe
schwarz: Nadelaustritt
Haltedauer bei Injektion
3 s
5 s
10 s
Nadellänge
13/16 mm
16/23/23 mm
13/15 mm
Haltbarkeit
19/20 Monate
18 Monate
18 Monate
Sichtfenster zur Kontrolle der Injektion und Injektionslösung
offen/direkt sichtbar
verdeckt/nicht direkt sichtbar
offen/direkt sichtbar
Doppelpackung (N2)
verfügbar
verfügbar
keine
* keine Kinderzulassung
** abhängig von klinischer Beurteilung: Emerade 300 oder 500.
Eine Schulung zur korrekten Handhabung des Autoinjektors ist unerlässlich, da sich die in Deutschland erhältlichen Modelle in ihrer Handhabung unterscheiden. Aus diesem Grund erscheint es nicht sinnvoll, einem Patienten verschiedene Modelle zu verordnen. Eine Studie hat gezeigt, dass nur 50–75 % der mit Autoinjektor versorgten Patienten diesen ständig bei sich tragen [47 ]. Von diesen konnten nur 30–40 % eine korrekte Handhabung demonstrieren [47 ]. Ggf. müssen auch Angehörige in die Schulung mit einbezogen werden.
Praktische Hilfen und Hinweise für Ihre Patienten
Die Anwendung des Adrenalin-Autoinjektors (AAI) sollte regelmäßig geübt werden, damit jeder Handgriff zur Routine wird. AAI-sind als Trainingsgeräte ohne Wirkstoff von allen Herstellern kostenlos erhältlich. Schulen Sie Ihre Patienten in der korrekten Handhabung des Autoinjektors und erinnern Sie Ihre Patienten daran, dass die Handhabung in Abständen von ca. einem Vierteljahr regelmäßig geübt werden sollte. Weisen Sie Ihre Patienten auf die Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V. (AGATE) hin, welche regelmäßig Schulungen für Patienten und Angehörige anbietet.
Achten Sie darauf, dass Ihre Patienten immer den gleichen Adrenalin-Autoinjektor erhalten, indem Sie – wie von Experten empfohlen – bei der Verschreibung stets das Aut-idem-Feld ankreuzen. Damit gewährleisten Sie, dass Ihre Patienten einen Adrenalin-Autoinjektor erhalten, mit dessen Anwendung sie und ihr persönliches Umfeld wie Eltern, Betreuungspersonal, Lehrer, Kollegen und Freunde vertraut sind.
Für die betroffenen Patienten sollte der Adrenalin-Autoinjektor ein selbstverständlicher Begleiter sein – so wie Schlüssel, Handy und Portemonnaie. Rufen Sie daher Ihren Patienten ins Bewusstsein, dass die Injektion von Adrenalin bei Anaphylaxie lebensrettend ist. Jede Minute zählt! Bei den ersten sicheren Anzeichen einer Anaphylaxie sollte dieser eingesetzt werden.
Wichtig für den Behandlungserfolg bei Anaphylaxie sind ein frühzeitiges Erkennen der Situation und eine adäquate Behandlung inklusive der Gabe von Adrenalin bei systemischen Reaktionen ab Grad II.
Die intramuskuläre Verabreichung von Adrenalin (vorzugsweise mittels Autoinjektor) ist unter ambulanten Bedingungen Goldstandard bei der Behandlung einer Anaphylaxie ab Grad II.
Die empfohlene Einzeldosis Adrenalin beträgt, unabhängig von der Applikationsform, 10 μg/kg KG (= 0,01 mg/kg KG).
Patienten mit einer Anaphylaxie ≥ Grad II sollten 24 Stunden stationär überwacht werden.
Ein Notfallset für Anaphylaxie-Patienten enthält einen Adrenalin-Autoinjektor, ein Antihistaminikum und ein Glukokortikosteroid sowie ggf. zusätzlich ein β-Sympathomimetikum.
Eine Ursachenabklärung nach durchgemachter Anaphylaxie ist unbedingt notwendig.
Eine Schulung von Patienten und Angehörigen, insbesondere bei Minderjährigen, ist ein wichtiger Beitrag zur Anaphylaxie-Prävention.