Nervenheilkunde 2021; 40(06): 395-397
DOI: 10.1055/a-1389-6471
Zu diesem Heft

Nervenheilkunde

Zeitschrift für interdisziplinäre Fortbildung
Stephan Heres
1   München
,
Johannes Hamann
1   München
› Author Affiliations
 
Zoom Image
Prof. Dr. med. Stephan Heres kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der kbo-Tagesklinik und Institutsambulanz Nord Schwabing, München (Quelle: © Nic Askew)
Zoom Image
Prof. Dr. med. Johannes Hamann Klinikum rechts der Isar, München (Quelle: ©privat)

Wie lässt sich die Behandlung der Schizophrenie nutzerorientiert gestalten?

Als wir vor einem Jahr das Angebot erhielten, ein Themenheft der Nervenheilkunde zur Behandlung der Schizophrenie zu gestalten, war uns eins sehr schnell klar – eine weitere Übersicht zu evidenzbasierter Pharmakotherapie, Behandlungsalgorithmen oder Leitliniengestaltung sollte es nicht werden. Zweifelsohne haben diese ihre Berechtigung und unterstützen uns alle darin, immer wieder unser Vorgehen zu reflektieren und auf dem aktuellsten Stand des Wissens zu halten. Vielmehr sahen wir die unverhoffte Gelegenheit gekommen, in einem Themenheft uns auf diejenigen Bereiche psychiatrischen Handelns zu fokussieren, die wir alle in unserem täglichen Handeln selbst in der Hand haben und die die Zufriedenheit von Behandelten und Behandlern, aber auch die Therapie-Outcomes maßgeblich beeinflussen. Mit diesen Bereichen meinen wir die Gestaltung des Umgangs und der Kommunikation in den Behandlungsteams und vor allem natürlich gegenüber den Patienten.

Gerade für Menschen, die aufgrund einer eigenen chronischen Erkrankung wie einer Schizophrenie oder der Erkrankung eines Dritten häufig in Kontakt mit psychiatrischen Einrichtungen sind, ist es essenziell, dass diese Kontakte möglichst positiv wahrgenommen und als hilfreich erlebt werden. Dementsprechend liegt eine Erhebung des Ist-Zustandes der Einbeziehung von Bezugspersonen und Angehörigen in die Behandlung von Patienten, die aufgrund einer Schizophrenie aktuell im süddeutschen Raum stationär behandelt wurden, als Ausgangspunkt dieser Ausgabe der Nervenheilkunde nahe. Florian Schuster und Kollegen von der Technischen Universität München legen dabei den Fokus darauf, die Einschätzungen zusammengehöriger Patient-Angehöriger-Behandler-Triaden zu untersuchen und nicht wie bisher üblich, die unterschiedlichen Parteien einzeln oder maximal in Tandems zu befragen. Die Ergebnisse sind einerseits ernüchternd, geben jedoch andererseits klare Fingerzeige, dass und auch wie die Einbeziehung der Angehörigen verbessert werden könnte.

Mit Matthias Jäger kommt ein Fürsprecher der Entwicklung von der bloßen multiprofessionellen zur interprofessionellen Zusammenarbeit aller Mitglieder des Behandlungsteams zu Wort. Aus einem Nebeneinander von Therapiestrukturen und Professionen sollen multiprofessionelles Führen, die gemeinsame Behandlungsplanung und die integrative Organisation der klinischen Abläufe entstehen.

Nahtlos knüpft das Schwabinger Modell aus München an diese Gedanken an. Dörte Ahnert und ihre Kolleginnen entlehnten in der Projektarbeit aus großartigen bestehenden Konzepten wie den Safewards-Modulen oder dem Weddinger Modell Bausteine, die sie mit integrativen Ansätzen zur besonderen Hilfestellung für Patienten mit Migrationshintergrund oder Geflüchtete ebenso wie Deeskalationstechniken kombinierten. Auch hier ist das Ziel der Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten und der maximalen Reduktion von Zwangsmaßnahmen spürbar.

Ganz zu Beginn aber entstammen die zugrunde liegenden Gedanken der Gruppe um Liselotte Mahler aus Berlin Wedding, die sich nicht nur auf das konzeptionelle Niveau beschränken. Die Beziehungsförderung und Zwangsvermeidung beschäftigen das Team dort seit vielen Jahren, und von den Früchten dieser Arbeit profitieren Betroffene, Bezugspersonen und Mitglieder des Behandlungsteams, selbst im oft nervenaufreibenden Kontext der Akutpsychiatrie, der allen Beteiligten viel abverlangt.

Dass aber auch in diesem Setting die Möglichkeit zur gemeinsamen Entscheidungsfindung funktionieren kann, dürfen wir in einer Studie zum Thema „partizipative Entscheidungsfindung (Shared-Decision-Making)“ darstellen. In einem cluster-randomisierten Design konnte gezeigt werden, dass auch Patienten in dieser für sie sehr schwierigen Krankheits- und Behandlungsphase die Einbeziehung sehr zu schätzen wissen. Letztlich wird aber auch vor dem Hintergrund früherer Studienansätze klar, dass nur die gleichzeitige Unterstützung der Patienten und des Behandlungsteams in der Kommunikation miteinander einen messbaren Effekt erzeugen kann. Und wiederum nahtlos ergibt sich die offene Frage, wie Bezugspersonen und Angehörige in Form des Trialogs mit einbezogen werden können, sollen oder müssen. Dieser Artikel ist CME-zertifiziert und Sie können Punkte für Ihre Weiterbildung bekommen, wenn Sie die dazugehörigen Fragen richtig beantworten.

Den Abschluss bildet der Blick auf die Versorgungsstruktur einer Klinik, die die dargestellten Inhalte seit Jahren lebt und ständig weiterentwickelt. Nicolay Marstrander und sein Team an der kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Fürstenfeldbruck starteten vor 4 Jahren in einen Prozess der Zusammenführung von Interessen der Patienten im Nordwesten von München, deren Therapeuten, Angehörigen, letztlich aber auch der Erwartungen der Bewohner der Region an eine moderne Psychiatrie im 21. Jahrhundert.

Wir wünschen Ihnen allen viel Vergnügen mit der Lektüre und dürfen im Namen aller Autoren um rege Rückmeldung bitten, damit die Gedanken weiter vorangetrieben werden können. Dem Herausgeber und Verlag danken wir alle gemeinsam für die Möglichkeit, dieses Themenheft zusammenstellen zu dürfen.

Stephan Heres und Johannes Hamann, München


#
#

Publication History

Article published online:
02 June 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

Zoom Image
Prof. Dr. med. Stephan Heres kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der kbo-Tagesklinik und Institutsambulanz Nord Schwabing, München (Quelle: © Nic Askew)
Zoom Image
Prof. Dr. med. Johannes Hamann Klinikum rechts der Isar, München (Quelle: ©privat)