Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(02): 99-100
DOI: 10.1055/a-1387-6806
Journal Club
Geburtshilfe

Zervixkarzinom: Übertragung auf das Kind bei vaginaler Geburt?

Contributor(s):
Judith Lorenz
Arakawa A. et al.
Vaginal Transmission of Cancer from Mothers with Cervical Cancer to Infants.

N Engl J Med 2021;
384: 42-50
DOI: 10.1056/NEJMoa2030391.
 

    Die Übertragung maligner Zellen von der Mutter auf ihr ungeborenes Kind stellt eine Rarität dar. Meist handelt es sich dabei um eine hämatogene, transplazentare Transmission mit Befall multipler kindlicher Organe. Tumore können allerdings auch über den Geburtsweg auf das Kind übertragen werden: Ein japanisches Forscherteam schildert 2 entsprechende Konstellationen.


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    Leidet die Mutter an einem Zervixkarzinom, können maligne Zellen offenbar während der Vaginalgeburt vom Neugeborenen aspiriert werden und sich im Verlauf zu pädiatrischen Lungenkarzinomen entwickeln, berichten die Wissenschaftler/innen. Auf die beiden geschilderten Fälle stießen sie per Zufall: Im Rahmen einer prospektiven Studie untersuchten sie solide Tumore mittels Next-Generation-Sequenzierung auf krebsspezifische Gene. Gleichzeitig unterzogen sie Proben von gesundem Gewebe der Betroffenen einer Genanalyse.

    Ergebnis

    Bei einem Patienten handelte es sich um einen 23 Monate alten Jungen, der aufgrund eines produktiven Hustens mittels CT untersucht wurde. Hierbei zeigte sich ein bilateraler disseminierter Tumorbefall entlang des Bronchialbaums. Eine videoassistierte Thorakoskopie mit Biopsie ergab ein neuroendokrines Karzinom mit fokaler glandulärer Differenzierung. Bei der Mutter des Jungen war 3 Monate nach seiner Geburt – das Kind war vaginal zur Welt gekommen – ein Plattenepithelkarzinom der Zervix diagnostiziert worden. Angesichts vermeintlich unterschiedlicher histologischer Charakteristika wurden der maternale und der kindliche Tumor zunächst als separate Entitäten betrachtet. Als die Mutter 3 Jahre nach der Primärtherapie Metastasen, darunter auch pulmonale Filiae mit neuroendokriner Differenzierung, entwickelte, wurde das Hysterektomiematerial erneut histologisch begutachtet. Hier zeigten sich nun nachträglich ebenfalls fokale Tumoranteile mit neuroendokriner Differenzierung. Anhand der molekulargenetischen Tumorprofile von Mutter und Kind sowie anhand der gesunden Gewebeproben des Jungen konnten die Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass es sich bei dem Lungenkarzinom des Kindes um eine Absiedelung des maternalen Zervixkarzinoms handelte. Initial hatten einige Lungenherde des Jungen spontan an Größe ab-, andere jedoch zugenommen. Trotz zweier Chemotherapien verlief die Tumorerkrankung allerdings weiterhin progredient, sodass das Kind im Rahmen einer klinischen Studie mit dem Immun-Checkpoint-Inhibitor Nivolumab behandelt wurde. Unter dieser Therapie bildeten sich alle Herde zurück und es traten über mehrere Monate keine weiteren Herde auf. Eine anschließend durchgeführte Lobektomie bestätigte eine pathologische Komplettremission. 12 Monate später ist der Junge anhaltend rezidivfrei. Seine Mutter verstarb hingegen an einem Tumorprogress.

    Bei dem zweiten Patienten handelte es sich um einen 6 Jahre alten Jungen, bei welchem aufgrund von Thoraxschmerzen eine CT-Diagnostik erfolgte. Ein 6 cm großer, inoperabler Tumor am linken Hilus erwies sich histologisch als muzinöses Adenokarzinom. Das Kind war ebenfalls per Vaginalgeburt zur Welt gekommen. Ein bereits in der Schwangerschaft aufgefallener, zytologisch jedoch als unauffällig eingestufter und klinisch stabiler Zervixpolyp der Mutter wurde nach der Geburt histologisch abgeklärt. Hier zeigte sich ein Adenokarzinom, an welchem die Mutter 2 Jahre später verstarb. Der Junge erhielt eine Chemotherapie, auf welche der Tumor zunächst partiell ansprach, im Verlauf jedoch in der linken Lunge rezidivierte. Daraufhin erfolgte eine linksseitige Pneumonektomie, bei welcher sich – genau wie bei der Mutter – ein muzinöses Adenokarzinom bestätigte. 15 Monate nach der Operation lebt der Junge ohne Tumorrezidiv. Auch in diesem Fall konnte die Arbeitsgruppe molekulargenetisch belegen, dass es sich bei dem Lungenkarzinom des Kindes um eine Absiedelung des maternalen Zervixkarzinoms handelte.

    Fazit

    Die peribronchiale Lage der kindlichen Lungentumore sowie die molekulargenetischen Analysen deuten darauf hin, dass in beiden Fällen in der Amnionflüssigkeit vorhandene maternale Zervixkarzinomzellen während der Vaginalgeburt von den Kindern aspiriert wurden und sich zu Lungenkarzinomen entwickelten, so die Forscher/innen. Ihre Empfehlung: Da eine vaginale Tumortransmission nicht sicher ausgeschlossen werden kann, sollten Schwangere mit einem Zervixkarzinom per Sectio entbunden werden.

    Dr. med. Judith Lorenz, Künzell


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    Publication History

    Article published online:
    19 April 2021

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