CC BY-NC-ND 4.0 · Z Geburtshilfe Neonatol 2021; 225(01): 74-79
DOI: 10.1055/a-1350-3953
Originalarbeit

Qualität der Versorgung sehr kleiner Frühgeborener in Deutschland – Auswertung öffentlich verfügbarer Daten der Perinatalzentren von 2014 bis 2018

Quality of Care for Very Low Birth Weight Infants in Germany – Evaluation of Publicly Available Data from 2014 to 2018
Andreas Trotter
1   Klinik für Kinder und Jugendliche, Verband Leitender Kinderärzte und Kinderchirurgen Deutschlands, Singen, Deutschland
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Hintergrund Seit 2014 werden Ergebnisdaten der Versorgung sehr kleiner Frühgeborener (FG) in Deutschland zentral erfasst und sind unter www.perinatalzentren.org abrufbar. Mit den online verfügbaren Daten soll der Zusammenhang zwischen Fallzahl und Ergebnisqualität untersucht werden.

Methoden Bei der Ergebnisveröffentlichung für den 5-Jahreszeitraum 2014–2018 werden die Fallzahl pro Perinatalzentrum und Überleben bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen in Relation zum Bundesdurchschnitt für FG<1500 g Geburtsgewicht ausgewiesen. Neben der Fallzahl wird auch eine nach Risikofaktoren adjustierte Fallzahl ausgewiesen. Mittels Regression wurde der Zusammenhang zwischen Fallzahl, adjustierter Fallzahl und Überlebenswahrscheinlichkeit untersucht.

Ergebnisse Von den 212 Perinatalzentren waren 163 (77%) als Level 1 und 49 (23%) als Level 2 Zentren gelistet und versorgten 9300 (94%; Median 51; Min 13 bis Max 186) bzw. 538 (6%; 9; 4–28) FG<1500 g pro Jahr. Für die Fallzahl ließ sich keine signifikante Korrelation mit der Überlebenswahrscheinlichkeit nachweisen. Die adjustierte Fallzahl zeigte einen schwachen linearen Zusammenhang mit dem Überleben ohne schwere Erkrankungen (p=0,02; R2=0,03). Bei nicht-parametrischer Regression stellten sich signifikante Effekte ab einer adjustierten Fallzahl von mehr als 170 (Überleben) bzw. 100 (Überleben ohne schwere Erkrankungen) FG pro Jahr und Zentrum ein. Im Bereich darunter erklärt die Fallzahl keinen Anteil der Streuung.

Schlussfolgerung Es findet sich nur ein schwacher linearer und nichtlinearer Zusammenhang zwischen adjustierter Fallzahl und relativer Überlebenswahrscheinlichkeit, der maßgeblich durch sehr große Zentren getrieben ist.


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Abstract

Introduction Since 2014 outcome data for the treatment of very low birth weight (VLBW) infants in Germany have been available at www.perinatalzentren.org. This study explores the relationship between volume of VLBW infants and outcome.

Methods Volumes of VLBW infants for each perinatal centre are available for the 5-year period from 2014 to 2018, and survival and survival without severe morbidity in relation to the national average survival rate is reported. In addition to volume an adjusted volume is specified considering several risk factors. Using regression, the relationship between volume, adjusted volume and survival was investigated.

Results Of 212 perinatal centres 163 (77%) were level 1 centres (highest level in Germany) and 49 (23%) were level 2 centres caring for 9300 (94%; median 51; min 13 max 186) and 538 (6%; 9; 4–28) VLBW infants per year, respectively. No significant correlation between volume and survival and survival w/o severe morbidity was found. Adjusted volumes showed a weak linear correlation to survival w/o severe morbidity (p=0.02, R2=0.03). Non-parametric regression was significant for adjusted volumes of more than 170 (survival) and 100 (survival w/o severe morbidity) VLBW infants per year and centre, respectively. Below these limits volume does not affect variation.

Conclusion Linear and non-linear regression between adjusted volumes and survival was only weak and was driven by the very large perinatal centres.


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Einleitung

Seit dem Jahr 2005 wird in Deutschland die perinatologische Versorgung durch umfangreiche strukturelle und personelle Vorgaben seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung für die Versorgung von Frühgeborenen (FG) reguliert [1]. Im Jahr 2009 wurde eine Regelmäßigkeitszahl [2] und schließlich eine Mindestmenge von 14 zu versorgenden FG mit einem Geburtsgewicht (GG) <1250g/Jahr und Perinatalzentrum festgelegt [3]]. Eine Erhöhung der Mindestmenge wurde nach Klagen mehrerer Kliniken bei nicht ausreichender Studienlage 2012 vom Bundessozialgericht abgelehnt [4].

Daten aus verschiedenen retrospektiven Studien, die allesamt nur einen hypothesengenerierenden Charakter haben können, zeigen einen Zusammenhang zwischen Fallzahl und Mortalität bei sehr kleinen Frühgeborenen [5] [6] [7] [8] [9] [10]. Die Übertragung dieser Daten auf die Verhältnisse in Deutschland ist jedoch nur bedingt möglich, da z. B. strukturierte Vorgaben zu Personal und Ausstattung wie in der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) nicht uneingeschränkt mit den Vorgaben in Deutschland vergleichbar sind. Der G-BA hat am 20.11.2014 eine verpflichtende zentrale Ergebnisveröffentlichung für alle Krankenhäuser mit Perinatalzentren der Level 1 und 2 beschlossen [11]. Seither ist die Ergebnisqualität bei der Versorgung von FG mit einem GG unter 1500 g aller Perinatalzentren in Deutschland unter https://www.perinatalzentren.org/ abrufbar. Anhand dieser Daten wird der Zusammenhang zwischen Fallzahl und Ergebnisqualität unter den Bedingungen in Deutschland untersucht.


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Methoden

Um zu prüfen, ob innerhalb der letzten 5 Jahre ein signifikanter Zusammenhang zwischen Fallzahl bzw. adjustierter Fallzahl und Überleben bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen in Perinatalzentren nachweisbar ist, wurden die Daten aller Perinatalzentren in Deutschland (https://www.perinatalzentren.org/) analysiert. Die Datenübernahme fand für den am 28.04.2020 verfügbaren 5-Jahreszeitraum 2014–2018 statt. Bei der zentralen Ergebnisveröffentlichung fliessen die Daten der jeweils entlassenden Klinik bzw. der Klinik, in der ein FG verstorben ist, ein. Eventuell im Verlauf stattgefundene Verlegungen sind nicht abgebildet. Ausgewiesen wird das relative Risiko hinsichtlich Überleben und Überleben ohne schwere Erkrankungen bei FG<1500 g für jede Klinik einzeln im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, adjustiert hinsichtlich verschiedener Risikofaktoren. Auf der Internetseite sind folgende Parameter abrufbar:

  • Fallzahl (durchschnittliche Anzahl der behandelten FG <1500 g GG in einem Perinatalzentrum pro Jahr bezogen auf die letzten 5 Jahre).

  • Risikoadjustierte Fallzahl (Risikoadjustierung siehe [12])

  • Überleben von FG in Relation zum Bundesdurchschnitt

  • Überleben von FG ohne schwere Erkrankungen (nekrotisierende Enterokolitis, schwere Hirnblutungen, Retinopathie oder bronchopulmonale Dysplasie) in Relation zum Bundesdurchschnitt

Mittels linearer Regression wurde der Zusammenhang zwischen Fallzahl, adjustierter Fallzahl und relativer Überlebenswahrscheinlichkeit zum Bundesdurchschnitt untersucht. Für die bivariate Regressionsanalyse wurde als abhängige Variable das relative Risiko des Überlebens bzw. Überlebens ohne schwere Erkrankungen für FG mit GG<1500 g verwendet. Das relative Überleben wurde in Abhängigkeit der (adjustierten) Fallzahl der FG geschätzt. Zur Überprüfung nicht-linearer Zusammenhänge wurde eine grafische Analyse mittels nicht-parametrischer Regression (Nadaraya-Watson-Schätzer) durchgeführt. Hierbei wird die Regressionsfunktion nicht global durch eine lineare Regressiongerade abgebildet, sondern lokal für jeden Punkt der erklärenden Variablen (Fallzahlen) lokal mit einer konstanten Funktion approximiert. Die statistische Auswertung erfolgte durch das RWI–Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Essen.


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Ergebnisse

Von den 212 Perinatalzentren (PNZ) waren 163 (77%) als Level 1 und 49 (23%) als Level 2 Zentren gelistet. In den Level 1 Zentren wurden im Jahresdurschnitt 9300 (94%; im Median 51/Zentrum; Min 13 bis Max 186) und in den Level 2 Zentren 538 (6%; 9; 4–28) FG mit GG <1500 g/Jahr versorgt.

Unter der Annahme eines linearen Zusammenhangs zeigte die Fallzahl in PNZ Level 1 keinen signifikanten Zusammenhang mit den relativen Überlebenswahrscheinlichkeiten ([Tab. 1]). Für die adjustierte Fallzahl ließ sich keine statistisch signifikante Korrelation mit relativem Überleben (p=0,08; ([Tab. 1] und [Abb. 1a]) und ein schwacher linearer Zusammenhang mit Überleben ohne schwere Erkrankungen (p=0,02; R2=0,03; ([Tab. 1] und [Abb. 1b]) nachweisen. Für PNZ Level 2 fand sich weder für die Fallzahl noch für die adjustierte Fallzahl ein signifikanter Zusammenhang mit relativem Überleben bzw. Überleben ohne schwere Erkrankung ([Tab. 1]), weshalb auf eine grafische Darstellung verzichtet wurde.

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Abb. 1 Adjustierte Fallzahl von Frühgeborenen <1500 g Geburtsgewicht und Überleben a bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen b in 163 PNZ Level 1 für den Zeitraum 2014–2018 in Relation zum 5-Jahres Bundesdurchschnitt. Scatter Plot und lineare Regression. (Daten nach: Perinatalzentren.org).

Tab. 1 Effekt der durchschnittlichen Fallzahlen im Zeitraum 2014–2018 auf das relative Überleben bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen. 95% Konfidenzintervall in eckigen Klammern. p−Wert in runden Klammern. Regressionskoeffizienten entsprechen dem marginalen Effekt von 100 zusätzlichen Frühgeburten. Standardfehler sind robust gegen Heteroskedastie. Daten nach: Perinatalzentren.org.

Regressor

Überleben

Überleben ohne schwere Erkrankungen

Level I

Fallzahl

0,009 [− 0,003, 0,020]
(0,145)

0,022 [− 0,005, 0,048]
(0,108)

R-squared

0,013

0,017

adjustierte Fallzahl

0,007 [− 0,001, 0,015]
(0,077)

0,021 [0,003, 0,039]
(0,023)

R-squared

0,017

0,027

Zentren

163

163

Level II

Fallzahl

− 0,022 [− 0,087, 0,043]
(0,496)

0,083 [− 0,136, 0,302]
(0,451)

R-squared

0,006

0,009

adjustierte Fallzahl

− 0,092 [− 0,447, 0,262]
(0,603)

0,406 [− 0,414, 1,226]
(0,342)

R-squared

0,023

0,044

Zentren

49

49

Bei der nicht-parametrische Regression für beide PNZ Level ([Abb. 2a] und b) stellen sich statistisch signifikante Effekte erst ab einer adjustierten Fallzahl von mehr als 170 (Überleben) bzw. 100 (Überleben ohne schwere Erkrankungen) ein. Im Bereich darunter erklärt die Fallzahl keinen Anteil der Streuung.

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Abb. 2 Adjustierte Fallzahl von Frühgeborenen <1500 g Geburtsgewicht und Überleben a bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen b in PNZ Level 1+2 für den Zeitraum 2014–2018 in Relation zum 5-Jahres Bundesdurchschnitt. Local linear Regression, nicht parametrisch. (Daten nach: Perinatalzentren.org).

Die Fallzahlen liegen mit und ohne Adjustierung für Risikocharakteristika vor. Im Streudiagramm zeigen sich für PNZ Level 1 mit Fallzahlen über 100 FG höhere adjustierte Fallzahlen ([Abb. 3]). Für PNZ Level 2 zeigt sich ein gegenläufiger Trend.

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Abb. 3 Tatsächliche Fallzahlen von FG <1500 g im Vergleich zu den adjustierten Fallzahlen. Oberhalb der 45◦ Linie liegen Zentren mit risikoreicheren Geburten. Daten nach: Perinatalzentren.org.

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Diskussion

Da sich für die nicht adjustierten Fallzahlen weder für PNZ Level 1 noch PNZ Level 2 signifikante Regressionen zur Überlebenswahrscheinlichkeit ergeben haben, werden nur die Ergebnisse der adjustierten Fallzahlen diskutiert. Unter der Annahme eines linearen Zusammenhangs ließ sich für Überleben ohne schwere Erkrankungen ein signifikanter Zusammenhang nachweisen und ist in Übereinstimmung mit den in der Einleitung zitierten Studien zu einem Zusammenhang zwischen Fallzahl und Outcome. Die Effektstärke ist als klein zu beurteilen (r<0,1) und deckt sich mit Ergebnissen der Studie von Rogowski et al. mit einer Fallzahl von über 94 000 FG <1500 g [13], in der sich nur etwa 9% der Variablitiät der Mortalität von Frühgeborenen über die Fallzahl eines PNZ erklären. In den hier analysierten Daten erklären sich nur 3% der Varianz des relativen Überlebens ohne schwere Erkrankungen zwischen Zentren aus der adjustierten Fallzahl. Bei nicht parametrischer Betrachtung zeichnet sich erst ab einer adjustierten Fallzahl von ca. 100 Frühgeborenen ein Trend zu einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit ohne schwere Erkrankungen ab. Dieser Trend schwächt sich bei einer Fallzahl von 200 FG wieder ab. Bei Betrachtung des relativen Überlebens unabhängig von Begleiterkrankungen stellt sich dieser Trend erst ab einer Fallzahl von 170 FG (Daten von 5 PNZ) dar. In [Abb. 3] wird deutlich, dass ab einer Fallzahl von ca. 100 FG die adjustierten Fallzahlen bis auf eine Ausnahme oberhalb der 45° Linie zu liegen kommen. Dies kann als Hinweis für eine Risikoselektion in große Perinatalzentren gedeutet werden und erklären, warum das PNZ mit der größten Fallzahl ein Ergebnis unterhalb des Bundesdurchschnitts aufweist. Auch eine unzureichende Adjustierung für Risikofaktoren (z. B. pulmonale Hypoplasien) oder ein vermehrtes Verlegungsgeschehen kann zu diesem Ergebnis geführt haben.

In der aktuell erschienenen Publikation von Heller et al. [14] zum Effekt unterschiedlicher angenommener Mindestmengengrenzen basierend auf den Daten von www.perinatalzentren.org aus den Jahren 2010–2018 berechneten die Autoren eine maximal vermeidbare Zahl von 25–40 Todesfällen bei einer als optimal klassifizierten Mindestmenge von 50 FG<1250g GG pro Jahr und Zentrum. Die Zahl an FG<1250g wurde hochgerechnet unter der Annahme eines linearen Zusammenhangs mit der Zahl von FG<1500 g (150 FG<1500 g entsprechen ca 100 FG<1250g, aus [Abb. 3s] in [14]). Ein durchgängiger Volume-Outcome-Zusammenhang ließ sich nicht nachweisen. Die Zahl der vermeidbaren Todesfälle liegt bei einer angenommenen Mindestmengen zwischen 14–20 FG <1250g/Jahr um 0 und steigt zunächst bis zur Mindestmenge 25 an, um danach wieder bei 25–35 FG <1250g/Jahr abzufallen. Es ist bemerkenswert und überrascht auch die Autoren, dass sich die Zahl der vermeidbaren Todesfälle bei angenommenen Mindestmengen jenseits von 60 FG stetig wieder Richtung 0 bewegt. Die Autoren spekulieren, dass in großen Einheiten z. B. häufigere Personalwechsel negative Auswirkungen haben könnten. Solche Effekte könnten eventuell erklären, warum die Regressionslinien in [Abb. 2a] und b bei sehr hohen Fallzahlen wieder einen Abwärtstrend zeigen. Im Rahmen einer Folgenabschätzung würde die Einführung einer Mindestmengen von 50 FG <1250g und damit die Konzentration auf nur noch ein Viertel der bestehenden Perinatalzentren Level 1 die Fallzahl in den verbleibenden Zentren in den Bereich verschieben, in dem die Zahl vermeidbarer Todesfälle wieder gegen Null tendiert. Die als optimal identifizierte Mindestmenge und eine damit einhergehende enorme Zentralisierung würde am Ende nicht das Outcome verbessern, sondern zum Abbau von QFR-RL-konform arbeitenden Perinatalzentren führen, die nicht zuletzt aufgrund der vorgehaltenen Struktur auch eine hochwertige Versorgung von der in Zahlen etwa 10 mal größeren Gruppe von Neugeborenen jenseits von 1500 g GG sicherstellen. Das angeführte Argument einer nicht vollständigen Risikoadjustierung für den Rückgang jenseits einer Mindestmenge von 60 FG ist denkbar und lässt sich auch aus unseren Daten ab einer Mindetsmenge von 100 aus Abb. 3 vermuten. Die von Heller et al. [14] dazu zitierte Arbeit von Hentschel et al. [15] stammt aus 2018, beschreibt jedoch ein Kollektiv aus dem Zeitraum 2003–2008, also beginnend vor der ersten QFR-RL in 2005. Bei einer Zentralisierung auf weniger Perinatalzentren besteht das Risiko, den bereits bestehenden Pflegekräftemangel weiter zu verschärfen, da Pflegekräfte nicht automatisch der Zentralisierung folgen werden. Pflegekapazitätsbedingte Verlegungen von Frühgeborenen z. T. über weite Entfernungen sind bereits Realität.

Die Strukturvorgaben der QFR-RL haben dazu geführt, dass Deutschland international führend gute Ergebnisse bei der Versorgung von FG vorweisen kann [16] [17] [18]. Dies kann anhand der erst kürzlich erschienenen Publikation von Helenius et al. [19] im Vergleich mit den Bundesauswertungen des Aqua-Instituts (https://sqg.de) bestätigt werden ([Tab. 2]). Neben Japan, das angesichts eine nur 61%tigen Erfassungsrate nicht als repräsentativ gelten kann, erreicht Deutschland bei FG mit 24 und 26 bis 29 Schwangerschaftswochen beste Überlebensraten, auch gegenüber Schweden (bei 25 SSW bestes Ergebnis) mit einer hochzentralisierten neonatologischen Versorgung (häufig als Argument für eine stärkere Zentralsierung angeführt). Dabei werden die Ergebnisse seit 2010 stetig besser. Nach Heller et. al sank die Sterblichkeit von FG<1500 g an PNZ Level 1 und 2 kontinuierlich von 5,09% (2010–2014 auf 4,38% (2014–2018). Angesichts dieser sehr guten Ergebnisse und der nach aktueller Datenlage allenfalls geringen Effektgröße einer weiteren Zentralisierung mit weitreichende Konsequenzen für die Struktur der neonatologischen Versorgung – auch auf die weitaus größere Zahl an Neugeborenen oberhalb eines GG von 1500 g – erscheint eine Erhöhung der bisher bestehenden Mindestmenge ohne Studienergebnisse mit konfirmativer Beweiskraft nicht hinreichend begründet und birgt das Risiko eine Ergebnisverschlechterung. Ergebnis- und nicht fallzahlorientierte Maßnahmen haben das Potenzial die Zahl an Todesfällen weiter zu reduzieren [20].

Tab. 2 Überlebensraten von Frühgeborenen mit einem Gestationsalter (SSW) zwischen 24+0 und 29+6 Wochen und einem Geburtsgewicht <1500 g im internationalen Vergleich.

Helenius et al, Pediatrics 2017 Daten aus 2007–2013 n=88.327 Frühgeborene

Bundesauswertung Neonatologie Aqua-Institut (https://sqg.de) n=9407 2010/2013

SSW

Israel

Spanien

Italien

Schweiz

Kanada

UK

Australien

Finnland

Schweden

Japan

Deutschland

24

34,9

36,0

52,2

57,5

61,8

63,7

64,5

70,5

70,2

83,7

71,1/78,2

25

57,4

59,5

71,6

67,1

79,0

76,7

79,8

78,7

84,8

89,3

82,7/84,4

26

77,8

73,2

76,9

83,8

87,0

85,0

87,5

84,8

88,4

93,3

90,2/90,7

27

85,4

81,8

84,3

90,8

91,5

89,9

92,2

89,7

92,6

94,4

93,4/94,9

28

92,0

88,6

94,6

94,8

94,7

92,8

94,8

92,8

92,9

96,5

96,3/97,2

29

94,4

92,4

96,0

97,5*

96,9

96,0

97,2

96,9

96,4

97,0

97,6/98,3

24–29

79,9

78,1

83,0

87,0

88,1

86,9

89,0

88,1

89,7

93,3

91,0/92,1

Überlebensraten in Prozent, Spitzenwert/Zeile fett markiert (Japan nicht berücksichtigt, da mit nur 61,1% aller Frühgeborenen nicht repräsentativ)

95,0

76,1

100

99,7

92,5

73,5

92,5

99,1

100

61,1

100

Anteil der dokumentierten Frühgeborenen an der Gesamtzahl Frühgeborener eines Landes in Prozent.

Bei der rückblickenden Darstellung von Heller et al. [14] bis 2010 fällt auf, dass insgesamt die Fallzahl von Level 1 FG von 39 050 (2010–2014) auf 46 240 (2014–2018) zugenommen hat. Bei einer in der Arbeit angegebenen Sterblichkeit von 4,6% (2114/46 240) würde die Verhinderung von 7190 FG in den letzen 5 Jahren insgesamt 331 (66/Jahr) vermeidbare Todesfälle bedeutet haben. In Anbetracht deutlich steigender Zahlen an sehr kleinen FG sollte die Erfolgsrate bei der Vermeidung einer Frühgeburt als Qualitätskriterium eines PNZ Einzug in die QFR-RL finden. Dies umso mehr, da bereits gezeigt wurde, dass signifikante Unterschiede zwischen PNZ bei der Erfolgsrate existieren, eine Frühgeburt zu verhindern [18].

Zusammenfassend findet sich nur ein schwacher linearer und nichtlinearer Zusammenhang zwischen adjustierter Fallzahl und relativer Überlebenswahrscheinlichkeit, der maßgeblich durch sehr große Zentren getrieben ist. Sowohl in der Arbeit von Heller et al. als auch in dieser Erhebung besteht bei der Interpretation der Daten die Einschränkung, dass das Verlegungsgeschehen keine Berücksichtigung findet und damit Verzerrungen der klinikbezogenen Ergebnisqualität nicht auszuschließen sind. Ein Kausalzusammenhang (oder Abwesenheit dessen) zwischen der relativen Überlebenswahrscheinlichkeit von FG und Fallzahl bzw. adjustierter Fallzahl ist anhand der der Ergebnisse dieser Untersuchung und bisher publizierter Daten aufgrund des retrospektiven und damit lediglich hypothesengenerierenden Charakters nicht zu belegen. Auch aus den Reihen des G-BA wird aus systematisch recherchierten internationalen Daten der Jahre 2008–2013 zu Volumen-Outcome Beziehungen lediglich eine statistische Assoziation zwischen höherer Leistungsmenge und verbesserten Versorgungergebnis beschrieben, auf deren Basis eine Ableitung von konkreten Schwellenwerten nicht möglich erscheint [21]. Dennoch hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil bzw. in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass kausalitätsbeweisende Studien nicht erforderlich, auf einen Zusammenhang „hinweisende“ Studien für eine Mindestmenge ausreichend seien [4]. Für eine Erhöhung der Mindestmengen von 14 auf 30 FG<1250g/Jahr sah das Bundessozialgericht die Studienlage als nicht ausreichend an, um dadurch die Güte der Versorgung in relevanter Weise zusätzlich zu fördern. An dieser Studienlage hat sich bis heute nichts geändert. Dennoch hat der G-BA am 17.12.2020 der gestuften Erhöhung der Mindestmenge von 14 auf schließlich 25 ab 01.01.2024 zugestimmt (www.g-ba.de).

Es benötigt Analysen auf individueller Patientenebene mit a) hinreichend guter Kontrolle für Confounding oder b) quasi-experimentellen Ansätzen. Zudem sollte die absolute Überlebenswahrscheinlichkeit einbezogen werden, um eine qualitativ und quantitativ validere Einschätzung vornehmen zu können.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Andreas Trotter
Klinik für Kinder und Jugendliche
Hegau-Bodensee-Klinikum
Virchowstraße 10
78224 Singen
Deutschland   
Telefon: 07731-89-2800   
Fax: 07731-89-2805   

Publikationsverlauf

Eingereicht: 30. Oktober 2020

Angenommen nach Revision: 11. Januar 2021

Artikel online veröffentlicht:
18. Februar 2021

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Abb. 1 Adjustierte Fallzahl von Frühgeborenen <1500 g Geburtsgewicht und Überleben a bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen b in 163 PNZ Level 1 für den Zeitraum 2014–2018 in Relation zum 5-Jahres Bundesdurchschnitt. Scatter Plot und lineare Regression. (Daten nach: Perinatalzentren.org).
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Abb. 2 Adjustierte Fallzahl von Frühgeborenen <1500 g Geburtsgewicht und Überleben a bzw. Überleben ohne schwere Erkrankungen b in PNZ Level 1+2 für den Zeitraum 2014–2018 in Relation zum 5-Jahres Bundesdurchschnitt. Local linear Regression, nicht parametrisch. (Daten nach: Perinatalzentren.org).
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Abb. 3 Tatsächliche Fallzahlen von FG <1500 g im Vergleich zu den adjustierten Fallzahlen. Oberhalb der 45◦ Linie liegen Zentren mit risikoreicheren Geburten. Daten nach: Perinatalzentren.org.