2. Seltene Erkrankungen der Speicheldrüsen
2.1 Erkennen von seltenen Speicheldrüsenerkrankungen
Neben Anamnese, klinischem Befund und Labordiagnostik spielt v. a. die Bildgebung
zur Erkennung von seltenen Läsionen eine große Rolle.
2.1.1 Sonografie
Die schonendste und am leichtesten zugängliche Untersuchung ist die
Sonografie. Eine zuverlässige Befundung ist bei den seltenen
Erkrankungen sehr stark von der klinischen und sonografischen Erfahrung des
Untersuchers abhängig. Während die Identifikation von
tumorösen Strukturen oder Steinbildungen noch relativ leicht
gelingt, ist die Differenzierung von Sialadenitiden und Sialadenosen selbst
für den erfahrenen Untersucher herausfordernd. Akute und chronische
Sialadenitiden unterscheiden sich im Parenchymmuster. Dieses ist im akuten
Fall aufgelockert, echoarm und mit einer erweiterten Gangstruktur als
Hinweis auf eine Eiteransammlung gekennzeichnet. Im chronischen Fall kommt
es je nach Dauer und Ausmaß des Entzündungsprozesses eher
zur Verdichtung des Parenchyms mit inhomogener Textur als Folge narbiger
Fibrosierungen. Eventuell sind kleine zystische Areale sichtbar, die
Gangektasien entsprechen. Sonografisch kann nicht sicher zwischen den
verschiedenen pathogenetischen Formen einer akuten oder chronischen
Sialadenitis differenziert werden. Im Gegensatz dazu zeigen die seltenen
Sialadenosen entweder eine gleichmäßige echodichte
Vergrößerung aller Drüsen oder sehr spezielle
Veränderungen, wie beim M. Sjögren oder der Sarkoidose
(siehe unten) [16].
2.1.2 CT und MRT
MRT und CT haben gegenüber der Sonografie den Vorteil, dass sie die
Ausdehnung und Invasion von Nachbarstrukturen besser abbilden. Sie eignen
sich daher besonders gut zur Diagnostik von Tumoren. Die Bildgebung bei
Speicheldrüsentumoren ist zur Bestimmung der Entität
hilfreich. Allerdings ist die Treffsicherheit mit rein morphologischen
Verfahren (Ultraschall, CT, MRT), wenn keine
Lymphknotenvergrößerung vorhanden sind,
eingeschränkt und sehr von der Erfahrung der Untersucher
abhängig [17]. Die CT erlaubt eine
bessere Diagnose bei Entzündungen, Knocheninfiltration und
vaskulärer Beteiligung. Bei tumorösen Prozessen sollte
insgesamt der MRT der Vorzug gegeben werden, da sie das Ausmaß der
Infiltration und Tumordemarkierungen besser abbildet [18]. Tumorbegrenzung und das Vorhandensein
von zystischen Arealen geben Hinweise zur Unterscheidung zwischen High- und
Low-Grade-Tumoren [19].
2.2 Seltene kindliche Erkrankungen der Speicheldrüsen
Speicheldrüsenerkrankungen im Kindesalter sind insgesamt sehr selten.
Ausnahmen bilden die viral induzierten Erkrankungen und die chronisch juvenile
Parotitis, auf die deshalb hier nicht näher eingegangen werden soll.
Gerade bei Kindern ist es eine Herausforderung die seltenen
Speicheldrüsenerkrankungen zu erkennen, um dann auch die richtige
Therapie einzuleiten.
Speicheldrüsenerkrankungen äußern sich bei Kindern im
Allgemeinen eher unspezifisch mit einer schmerzhaften oder schmerzlosen
Schwellung, Speichelflussveränderung oder Facialisparese. Neben der
klinischen Untersuchung kommt v. a. die Sonografie zum Einsatz. Hier eignen sich
wegen der geringen Eindringtiefe Schallköpfe mit
7,5–12 MHz, um Entzündungen, Steine, Tumoren und
Lymphknoten zu diagnostizieren. Mittels Farbdoppler kann die Durchblutung
bestimmt werden, was bei Hämangiomen und arteriovenösen
(AV)-Malformationen hilfreich ist [20]. MRT
und CT kommen nur bei Raumforderungen oder speziellen Indikationen in Betracht.
Auch die Indikationsstellung zur Biopsie ist bei Kindern reduziert, da dies in
der Regel in Narkose erfolgen muss. Sie hat aber den Vorteil, dass einerseits
die Dignität von Tumoren bestimmt werden und andererseits auch Material
zur mikrobiologischen Abklärung oder zum Erregernachweis gewonnen werden
kann [20]. Im Kontext der Vollnarkose muss in
Betracht gezogen werden, gleich eine Komplettexstirpation der Raumforderung
vorzunehmen.
Wirklich selten sind angeborenen Erkrankungen der Speicheldrüsen. Die
Inzidenz der Parotisaplasien liegt bei 1 von 5000 Lebendgeborenen [21], von Submandibularaplasien wurde bisher
lediglich in ca. 40 Fällen berichtet [22]. Sie können alleine oder in Kombination mit anderen
Fehlbildungen des Gesichtes auftreten. Beim Treacher Collins Syndrom wurde bei
29% der Patienten eine Speicheldrüsendysplasie und bei
19% eine Speicheldrüsenaplasie festgestellt. Davon weisen mehr
als die Hälfte eine fehlende Parotissekretion auf. Dies führt
aber nur in 35% der Fälle zur Xerostomie, da
möglicherweise die kleinen Speicheldrüsen eine kompensatorische
Sekretion liefern können. Die kleinen Speicheldrüsen tragen bei
gesunden Personen zwar relativ wenig zum gesamten Speichelvolumen bei, aber
aufgrund ihrer Sekretion spielen sie eine wichtige Rolle bei der Befeuchtung der
Mundschleimhaut. Die kleinen Speicheldrüsen selbst wurden in dieser
Studie nicht untersucht [23]. Beim
lacrimo-auriculo-dento-digitalen Syndrom gibt es Fehlbildungen verschiedener
Ausprägungen. Die Kinder fallen durch Taubheit, Anomalien an
Zähnen und Gliedmaßen oder Ausprägung extremer Karies
durch Xerostomie auf [24]. Auch Ranulae, als
gutartige Tumoren der Glandula Sublingualis, können in seltenen
Fällen angeboren sein [25]. Ein
weiterer seltener kongenitaler Tumor ist das Sialoblastom, auch als Embryom
bekannt. Dieser Tumor sollte komplett chirurgisch entfernt werden, da er sehr
aggressiv wächst und zu Rezidiven neigt [26].
Neubildungen der Speicheldrüsen im Kindesalter gelten mit 5%
aller Speicheldrüsentumoren als selten. Sie machen jedoch insgesamt
39% aller diagnostizierten kindlichen
Speicheldrüsenläsionen aus [27], dabei sind 68% gutartig und 32%
bösartig. Häufigster gutartiger Tumor ist das pleomorphe Adenom
(>90%) [28]. Es tritt
überwiegend in der Glandula parotis (85%), gelegentlich aber
auch in der Glandula submandibularis (11,7%) und in der Glandula
sublingualis (3,2%) bzw. in den kleinen Speicheldrüsen auf [27]. Therapeutisch wird wie bei Erwachsenen die
chirurgische Sanierung durchgeführt. Maligne Tumoren sind in mehr als
50% der Fälle Mukoepidermoidkarzinome, seltener sind
Azinuszellkarzinome und adenoidzystische Karzinome [29]. Hier unterscheidet sich die Therapie von der bei Erwachsen
insofern, dass eine Strahlentherapie nur in Ausnahmefällen zu empfehlen
ist, denn die Rate an sekundär radioinduzierten Tumoren liegt bei etwa
60% [30]. Trotz allem empfehlen
Thariat et al. und Kupfermann et al. die adjuvante Radiotherapie bei High-Grade
Tumoren und bei Tumoren im fortgeschrittenem Stadium (T4 N+) [31]
[32].
Zwei Drittel aller kindlichen Tumoren sind Hämangiome, davon sind rund
80% in der Glandula parotis gelegen, 18% in der
Submandibularregion und 2% mit den kleinen Speicheldrüsen
assoziiert [33]. Histologisch unterscheidet
man echte Hämangiome (z. B. juvenile kapilläre
Hämangiome) von AV-Malformationen und Lymphangiomen [34].
Eine seltene Form der eitrigen akuten Sialadenitis ist die neonatale eitrige
Parotitis, die direkt nach der Geburt auftritt. Bisher sind nur wenige
Fälle in Fallberichten beschrieben worden. Das klinische Bild entspricht
mit Schwellung und Rötung dem der herkömmlichen eitrigen
Parotitis. Es ist mit Dehydration und niedrigem Geburtsgewicht, duktaler
Obstruktion und strukturellen Anomalien der Glandula parotis assoziiert.
Häufigste Erreger sind Staphylococcus aureus, gramnegative Streptokokken
und selten Anaerobier [35].
Die Pneumoparotitis ist eine seltene schmerzhafte Erkrankung, bei der sich die
betroffenen Kinder und Jugendlichen Luft in den Stenongang blasen. Dazu kommt es
beim Spielen von Blasinstrumenten oder im Rahmen von psychischen
Auffälligkeiten [36]. Die Diagnose
erfolgt mittels Sonografie, in der zahlreiche echoreiche Reflexe sichtbar sind.
Die Therapie ist symptomatisch mit Drüsenmassage, Sialogoga und
Analgesie sowie ggf. Psychotherapie [37].
Im Vergleich zur Infektion mit tuberkulösen Mykobakterien, die die
zahlreichen Lymphknoten in der Glandula parotis befallen können, ist die
Infektion mit atypischen Mykobakterien noch relativ selten. Da die Inzidenz aber
weltweit steigt, soll hierauf eingegangen werden [38]. Die typische Klinik sind einseitige, eher harte Schwellungen der
intraglandulären Lymphknoten. Kutane Fistelbildungen sind
möglich und können sogar Monate und Jahre bestehen bleiben. Die
Diagnostik umfasst den mikrobiologischen Erregernachweis mittels Kultur und PCR.
Therapeutisch kommt die chirurgische Exzision der betroffenen Lymphknoten oder
die medikamentöse Behandlung in Frage. Mahadevan et al. geben der
chirurgischen Behandlung den Vorzug, da sich die medikamentöse Therapie
(Clarithromycin und Rifabutin oder Ethambutol) mehrere Wochen hinzieht und damit
ein Compliancerisiko darstellt [39]. Die
Heilungsraten sind bei chirurgischer Therapie im Vergleich zur
medikamentösen Behandlung um 30% besser [40]. Die Läsionen können nach
Jahren auch selbstlimitierend sein, was aber mit einem schlechten kosmetischen
Ergebnis einhergeht [41].
Differentialdiagnostisch müssen auch andere granulomatöse
Erkrankungen in den Speicheldrüsen in Betracht gezogen werden. Beispiele
sind die Sarkoidose, die Katzenkratzkrankheit, die Kikuchi-Lymphadenitis oder
die Aktinomykose. Die Abgrenzung erfolgt mittels Erregernachweis und Histologie.
Die Aktinomykose wird von grampositiven anaeroben Bakterien, häufig
durch ein Trauma oder auch einer Zahnbehandlung ausgelöst. Die
Speicheldrüsen können bei der meist schmerzlosen, aber
häufig zu Fisteln führenden, nekrotisierenden Entzündung
mitbefallen sein. Die Therapie der Wahl ist die Gabe von Penicillin [20].
Auch Autoimmunerkrankungen können in seltenen Fällen kindliche
Speicheldüsen betreffen. Im Vordergrund steht das juvenile
Sjögren-Syndrom. Mädchen sind sechsmal häufiger
betroffen als Jungen. Die Diagnostik erfolgt nach den AECG-Kriterien [42]: So sollten mindestens 4 der folgenden
Kriterien erfüllt sein: Okuläre Symptome, orale Symptome,
positiver Schirmertest, lymphozytäre Infiltration,
Speicheldrüsenbeteiligung (reduzierter Speichelfluss, Sialektasen)
Autoantikörper (SSA, SSB). Weitere passende Befunde können eine
erhöhte Amylase, eine renale tubuläre Azidose, eine Leukopenie,
ANAs, positive Rheumafaktoren und eine Hypergammaglobulinämie sein [20]. Sonografisch zeigt sich wie beim Erwachsen
eine Vergrößerung der Glandula parotis mit einer echoarmen
wolkigen Strukturveränderung [43]. Die
Speicheldrüsenbiopsie der kleinen Speicheldrüsen der Unterlippe
hat eine Sensitivität von 78–84% und eine
Spezifität von 82–100%, die offene Parotisbiopsie nur 78
und 86% [44]
[45]. Die Therapie ist bei Kindern symptomatisch
[44].
2.3 Seltene entzündliche Erkrankungen
Akute und chronische Sialadenitiden können vielfach schon durch gezielte
Anamnese und die klinische Untersuchung erkannt werden. Zur genaueren
Differenzierung bedarf es weiterer Untersuchungen mittels Sonografie, ggf.
MRT/CT, Blutbild, Serologie und ggf. Biopsie.
2.3.1 Infektiöse Erkrankungen
2.3.1.1 Infektion mit tuberkulösen und
nicht-tuberkulösen Mykobakterien
Die mykobakteriöse Sialadenitis mit primärer oder
sekundärer Manifestation in den Lymphknoten der Glandula parotis
tritt hierzulande selten auf und ist häufiger in den
Entwicklungsländern anzutreffen. Durch zunehmende Globalisierung
und Flüchtlingsströme steigt aber deren Inzidenz in
Deutschland. Die Glandula parotis ist zu 70% betroffen. Bei
Befall der Glandula submandibularis ist häufig auch mit einer
aktiven Lungentuberkulose zu rechnen. Ursächlich wird eine
aufsteigende Infektion von den Tonsillen oder Zähnen vermutet
[46]. Desweiteren wird eine
hämatogene Infektion oder eine Infektion über zervikale
Lymphknoten diskutiert [47]. Bei
sonografisch unilateral diffus vergrößerter Glandula
parotis mit prominenten intraglandulären Lymphknoten muss an
diese Differenzialdiagnose gedacht werden. CT-morphologisch wird eine
asymmetrische Lymphadenopathie mit nekrotischen Arealen und ringartiger
Kontrastmittelanreicherung bis ins subkutane Fettgewebe beschrieben. Der
endgültige Nachweis erfolgt immer mikrobiologisch als Kultur und
dem Nachweis säurefester Stäbchen und mittels PCR. Das
Material kann mittels Feinnadelbiopsie gewonnen werden.
Sensitivität und Spezifität liegen zwischen
81–100 und 94–100% [48].
Man unterscheidet eine akute von einer chronischen Form. Die akute Form
präsentiert sich schmerzhaft mit kurzer Anamnese und
abszessartigen Formationen in der Drüse. Die chronische und
häufigere Form zeigt sich durch eine einseitige harte
Schwellung. Hier müssen ein Lymphom oder andere tumoröse
Läsionen ausgeschlossen werden [49]
[50].
Die Therapie ist medikamentös und muss über mehrere
Monate erfolgen. Bei der Infektion mit atypischen Mykobakterien steht
wie bei Kindern die chirurgische Therapie im Vordergrund [39]
[40].
2.3.1.2 HIV
Während der frühen HIV-Pandemie, bei der noch keine
antivirale Therapie zur Verfügung stand, kam es in 50%
bei HIV-positiven Patienten und in 80% bei Patienten mit AIDS zu
einer Speicheldrüsenbeteiligung im Sinne einer Schwellung [51]. Nach Einführung der
antiretroviralen Therapie war die Inzidenz von HIV-assoziierten
Speicheldrüsenerkrankung als Ausdruck einer Immun-Rekonstitution
sogar noch steigend [52]. Die
Schwellungen betreffen v. a. die Glandula parotis und sind in
40% der Fälle beidseitig. Begleitend berichten die
Patienten über Sjögren-artige Symptome mit Xerostomie
und trockenen Augen [53]
[54]. Unterdessen ist in den westlichen
Ländern die Inzidenz von HIV-bedingten Glandula parotis
Schwellungen durch den vermehrten Einsatz von hoch-aktiver antiviraler
Therapie zunehmend zurückgegangen [55]. Im Gegensatz dazu treten sie in afrikanischen
Ländern immer noch häufig auf. Eine
südafrikanische monozentrische Untersuchung berichtet von 168
Fällen innerhalb von 8 Jahren an nur einer Einzelklinik [56], was zeigt, dass man von einer sehr
hohen afrikanischen Gesamtanzahl ausgehen kann. Histomorphologisch kommt
es zu einer lymphatischen Infiltration mit Invasion von CD8 T-Zellen
[57]. Eingeschlossenes Epithel in
intraglandulären Lymphknoten führt zur Ausbildung von
charakteristischen lymphoepithelialen Zysten v. a. in der
Glandula parotis. Die Zysten lassen sich sonografisch deutlich
nachweisen. So resultiert das für eine HIV-Infektion
pathognomische Bild der zystendurchsetzten Drüse. Die wichtigste
Differenzialdiagnose ist somit das Sjögrensyndrom, bei dem
ebenfalls lymphoepithelialie Zysten nachweisbar sind. CT und MRT lassen
auch unspezifische zystische Läsionen erkennen [58]. Die Diagnosesicherung erfolgt
serologisch.
Bei AIDS-Patienten kann eine Speicheldrüsenschwellung auch durch
eine begleitende Hepatitis C- oder Mumpsinfektion bedingt sein. Neben
einem direkten Drüsenbefall kann es auch zu HIV-gebundenen
Malignitäten kommen, die sich v. a. in der Glandula parotis
manifestieren. Diese sind das Kaposi-Sarkom und ein Lymphombefall der
intraglandulären Lymphknoten [53].
2.3.1.3 Hepatitis C
Die Hepatitis C ist nicht nur mit einer chronischen Leberläsion
assoziiert, sondern auch mit zahlreichen extrahepatischen
Manifestationen. An den Speicheldrüsen kommt es zu einer
Sjögren-artigen Sialadenitis [59]. In einer französischen Studie von Haddad konnte
schon 1992 gezeigt werden, dass 57% der Hepatitis C-positiven
Patienten eine Grad 3 bis 4 Sialadenitis zeigen [60]. Der Unterschied zum
Sjögren-Syndrom besteht darin, dass die Xerostomie und die
Augentrockenheit weniger stark ausgeprägt sind. Die
Prädominanz des weiblichen Geschlechtes und der Nachweis von
anti-SSA-Antikörpern fehlen. Dafür kann das Virus in
83% der Fälle im Speichel nachgewiesen werden [61]. Doeffel-Hantz et al. beschreiben
eine Verbesserung der Sicca-Symptomatik durch die Behandlung mit
Interferon alpha und Ribavirin [62].
Wie auch beim Sjögren-Syndrom, so ist auch bei einer
HCV-Infektion die Entwicklung eines B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms eine
Komplikation [63]. In den meisten
Fällen ist dabei nur eine Speicheldrüse involviert,
hauptsächlich die Glandula parotis, selten auch die Glandula
submandibularis oder kleine Speicheldrüsen [64]. Hier ist der HNO-Arzt gefragt, um
die entsprechende Drüse mittels Sonografie zu untersuchen und
die Diagnose chirurgisch zu sichern.
Insgesamt sollte v. a. bei Männern mit Sjögren artigen
Symptomen an eine Hepatitis-C-Sialadenitis gedacht werden. Bei
Bestätigung der Diagnose muss der HNO-Arzt eine entsprechende
Nachsorge durchführen, damit die Entwicklung eines Lymphoms
rechtzeitig erkannt wird.
2.3.1.4 Aktinomykose
Bei der Aktinomykose handelt es sich um eine Mischinfektion mit anaeroben
und aeroben Aktinomyzeten, v. a. Actinomyces israelii [65]. Der Hals- und Gesichtsbereich ist
die am häufigsten befallene Körperregion. Eine rein
submandibuläre oder parotideale Manifestation ist selten. Sie
zeigt sich als eine derbe Schwellung mit multiplen Fisteln. In der Regel
ist der Verlauf langsam progredient und schmerzlos. Es gibt aber auch
eine akute fiebrige Form [66].
Differenzialdiagnostisch muss die Aktinomykose von der atypischen
Mykobakteriose abgegrenzt werden, die ebenfalls mit einer fistelartigen
Raumforderung einhergeht. Weitere Differenzialdiagnosen sind Neoplasien
und granulomatöse Läsionen. Prädisponierende
Faktoren sind Zahninfektionen, Zahnbehandlungen oder enorale
Verletzungen, wodurch der Erreger austritt und retrograd in die Glandula
parotis oder die Glandula submanibularis aufsteigt. Damit das
möglich wird, muss es zu einer massiven Vermehrung des auch in
der normalen Mundflora vorhandenen Bakteriums kommen. Eine
erhöhte anaerobe Begleitflora verstärkt durch
Enzymwirkung und Toxinbildung die relativ geringe Invasionskraft der
Aktinomyzeten und kann somit eine floride Infektion hervorrufen [67]. Die Diagnostik stützt sich
auf das klinische Bild und den mikrobiologischen Erregernachweis.
Hierfür eignet sich eine Feinnadelpunktion oder eine Biopsie.
Wichtig für den mikrobiologischen Nachweis ist die Angabe der
Verdachtsdiagnose, denn oft ergibt die Kultur ein negatives Ergebnis, da
keine strikten anaeroben Kulturbedingungen vorgehalten werden [68]. Die Therapie erfolgt chirurgisch
und antibiotisch. Abszessformationen und Nekrosen werden chirurgisch
entfernt. Die Antibiotikagabe mit Penicillin oder Cephalosporinen muss
über 3–12 Monate erfolgen [69].
2.3.1.5 Katzen-Kratz-Krankheit
Strenggenommen involviert die Katzen-Kratz-Krankheit nicht die
Speicheldrüsen, sondern die periparotidealen und
submandibulären Lymphknoten, von denen die Infektion auf die
Speicheldrüsen übergeht [46]. Die Inzidenz beträgt 0,77–0,86 auf
100 000 Einwohner [70]. Da die
Erkrankung beim Menschen häufig inapparent verläuft, ist
die tatsächliche Durchseuchungsrate in der Bevölkerung
höher anzunehmen. Die Erkrankung ist trotz allem nicht ganz
ungefährlich, denn in der Literatur wurden über 100
enzephalitische Komplikationen beschrieben [71]
[72]. Pathogenes Agens
ist das Bakterium Bartonella henselae, welches erst in den 90iger Jahren
mit dieser Krankheit in Verbindung gebracht werden konnte [73]. Übertragen wird die
Krankheit durch junge Katzen. Ältere Katzen haben die Infektion
durchlaufen und sind nicht mehr infektiös [74]. Die häufigsten Symptome
der Katzen-Kratz-Krankheit sind nach einer Untersuchung von Dalton et
al. regionale Lymphknotenschwellung (85%), Fieber (54%),
sowie allgemeines Krankheitsgefühl (45%). Aus den
Kratzdefekten der Haut, entstehen innerhalb von etwa 1–3 Wochen
papulomatöse bis pustulöse Effloreszenzen [75]. Bei positiver Anamnese erfolgt der
Nachweis über Antikörper, als Erregernachweis mit PCR
oder histologisch, bei einem erfahrenen Zytologen auch zytologisch durch
die Warthin-Starry-Silberfärbung. Bei immunkompetenten Patienten
kann die Spontanheilung abgewartet werden. Bei abszedierenden
Entzündungen sollte chirurgisch vorgegangen werden in
Kombination mit einem Makrolid oder Tetrazyklin [76].
2.3.2. Chronisch nicht-infektiöse Erkrankungen
Die chronischen Erkrankungen treten insgesamt seltener auf als die akuten
Speicheldrüsenerkrankungen. Als Schlüsselursache aller
chronischen nicht-infektiösen Sialadenitiden wird eine verminderte
Speichelsekretionsrate mit nachfolgender Stase angenommen. Davon ist
hauptsächlich die Glandula parotis betroffen. Im Laufe der Zeit
kommt es zu duktalen Ektasien und zur Destruktion der Azini in Kombination
mit einer lymphozytären Infiltration. Bis zu 80% der
Patienten entwickeln eine Xerostomie. Wichtig ist, dass zu Beginn
häufige obstruktive Erkrankungen, wie Steinleiden und Stenosen,
ausgeschlossen werden [46].
2.3.2.1 Autoimmunerkrankungen
2.3.2.1.1 Sjögren-Syndrom
Das Sjögren-Syndrom ist mit einer Prävalenz von 0,3
bis 1 pro 1000 Personen [77] zwar
durchaus nicht selten, soll aber wegen der Wichtigkeit und der mit
dieser Krankheit im Zusammenhang stehenden und hier beschriebenen
Pathologien nun betrachtet werden. Das Verhältnis von Frauen
zu Männern beträgt: 9:1. 80% der Patienten
beklagen die 3 Leitsymptome: Mund- und Augentrockenheit,
Müdigkeit und Gelenkschmerzen, was zu einer deutlichen
Reduktion der Lebensqualität führt [78]. Es wird von einer
primären oder sekundären Form gesprochen. Der
Begriff sekundär oder assoziiert, wird angewendet, wenn die
Krankheit in Verbindung mit anderen Pathologien, die auch die
Speicheldrüsen betreffen können auftritt, wie bspw.
den IgG4-assoziierte Erkrankungen, Lupus oder HIV- und Hepatitis
C-Infektionen. Die größte diagnostische
Herausforderung betrifft die Tatsache, dass Trockenheit der
Schleimhäute, Schmerzen in den Gliedmaßen und
Müdigkeit sehr häufig in der
Allgemeinbevölkerung auftreten ohne dass ein Krankheitswert
besteht. Von einem Sjögren-Syndrom spricht man deshalb nur,
wenn auch immunologische Befunde (Vorhandensein von
Serum-Anti-SSA-Antikörpern oder fokale lymphatische
Sialadenitis bei Biopsie labialer Speicheldrüsen)
nachzuweisen sind [79]. Die
kürzlich vom American College of Rheumatology (ACR) und der
Europäischen Liga gegen Rheuma (EULAR) zum Zweck der
Klassifizierung entwickelten Kriterien sind auch für die
Diagnose des Sjögren-Syndroms hilfreich ([Tab. 1]) [42]
[80].
Tab. 1 ACR-EULAR-Klassifizierungskriterien 2017
für das primäre
Sjögren-Syndrom.
|
|
Punkte
|
Labiale Speicheldrüse mit fokaler
lymphatischer Sialadenitis in der Histologie und
Punktzahl von ≥ 1
|
Eine Punktzahl, die sich aus der Anzahl der
mononukleären Zellinfiltrate ergibt und
aus ≥50 Entzündungszellen pro 4
mm2 kleiner
Unterlippenspeicheldrüsen besteht, die
durch eine Biopsie gewonnen wurden
|
3
|
Vorhandensein von anti-SSA
Antikörpern
|
Messung im Serum. Positive serologische
Ergebnisse für
Anti-SSB/La-Antikörper in
Abwesenheit von
Anti-SSA/Ro-Antikörpern sind nicht
spezifisch und kein Kriterium mehr für die
Diagnosestellung.
|
3
|
SICCA-Augenfarbwert von ≥5
|
Eine Punktzahl (0-12), die mittels Fluorescein-
und Lissamin-Grün-Färbung
ophthalmologisch ermittelt wird
|
1
|
Schirmer Test von ≤5 mm pro 5 min
|
Messung der Tränenproduktion durch
Einlegen von Filterpapier auf die Bindehaut des
Unterlides. Beurteilt wird die Feuchtigkeitsmenge
auf dem Papier.
|
1
|
Unstimulierter Gesamt-speichelfluss von
≤0.1 ml pro min
|
Sammeln von Speichel in einem Röhrchen
für mindestens 5 Minuten,
|
|
|
nachdem der Patient geschluckt hat
|
1
|
Gesamt
|
|
9
|
ACR-EULAR=American College of Rheumatology –
Europäische Liga gegen Rheuma. Die Diagnose des
Sjögren-Syndroms liegt bei einer Punktzahl von 4
oder mehr vor. Diese Kriterien gelten für Patienten,
bei denen mindestens ein Symptom für Augen- oder
Mundtrockenheit oder systemische Manifestationen
vorliegen.
Ergänzend zu diesen Kriterien kann der erfahrene Untersucher
in der Sonografie eine inhomogene
Drüsenvergrößerung sehen, durchsetzt von
zahlreichen echoarmen Raumforderungen, die einerseits zystischen
Gangerweiterungen, andererseits vergrößerten
intraglandulären Lymphknoten entsprechen. Es ergibt sich
eine insgesamt „wolkige“ Struktur [16]. Leider wurde die Sonografie
aus historisch-geografischen Gründen noch nicht in diese
Klassifizierungskriterien aufgenommen. Allerdings wird die
Integration der Sonografie als Diagnostikum unterdessen in Betracht
gezogen [80].
Die Sialendoskopie wird leider nach den Kriterien der
American-European-Consensus Group auch noch nicht als empfohlene
Untersuchung zur Beurteilung der Beteiligung der
Speicheldrüsen am Sjögren Syndrom
aufgeführt. Auch hier ist der Grund für den
Ausschluss bedingt: Die überarbeiteten AECG-Kriterien
stammen aus dem Jahr 2002, während die Sialendoskopie ein
relativ neues Verfahren darstellt und zu diesem Zeitpunkt noch keine
globale Ausbreitung erfahren hatte. Diese Technik ermöglicht
jedoch die endoskopische transluminale Visualisierung und bietet
einen Mechanismus zur Diagnostik und Behandlung. Sowohl
entzündliche als auch obstruktive Pathologien im
Zusammenhang mit dem Gangsystem können detektiert werden.
Das trägt zur Erkennung der Ganganomalien beim
Sjögren-Syndrom bei [81].
Pathophysiologisch wird aktuell von einer viralen Aktivierung des
Schleimhautepithels ausgegangen, was zur Produktion von
Autoantikörpern führt, wodurch Interferon alpha
produziert wird. Die erhöhte Expression von Genen, die mit
Interferon verwandt sind (entweder Typ I oder Typ II) kann in
Speicheldrüsen nachgewiesen werden [82]
[83].
Die Behandlung des Krankheitsbildes erfolgt symptomatisch mit
Anticholinergika (Pilocarpin), Cyclosporin-Augentropfen, analgetisch
und zahnärztlich zur Prophylaxe und Behandlung von Karies,
die durch die Xerostomie ausgelöst wird. Bisher konnte kein
Benefit einer speziellen Immuntherapie nachgewiesen werden [84].
Dem HNO-Arzt kommt eine besondere Bedeutung in der Nachsorge dieser
Patienten zu, da Patienten mit Sjögren-Syndrom ein 15- bis
20fache erhöhtes Risiko haben, an einem B-Zell-Lymphom zu
erkranken. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um
Non-Hodgkin-Lymphome. Es ist wichtig für den HNO-Arzt zu
wissen, dass sich die Lymphome oft in dem Organ entwickeln, in denen
das Sjögren-Syndrom erstmals aktiv wurde, somit
häufig in den Speicheldrüsen. Demzufolge handelt es
sich in der Regel um Mukosa-assoziiertes lymphatisches Gewebe
(MALT)-Lymphome [85].
Risikofaktoren für die Entwicklung eines MALT-Lymphoms sind
rezidivierende Schwellungen der Glandula parotis, Splenomegalie,
Purpura, positiver Rheumafaktor, Kryoglobulinämie,
erniedrigter C4- und CD4 T-Zell-Spiegel, Keimzellmutationen,
erhöhte mononukleäre Zellinfiltrate in der
Unterlippenbiopsie. Patienten mit diesem Risikoprofil sollten alle 6
Monate kontrolliert werden [79].
Hier ist eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Rheumatologie und
HNO-Arzt erforderlich, da Bildgebung mittels Sonografie der
Speicheldrüsen und bei Bedarf eine MRT erfolgen muss. Feste
Ultraschallcharakteristika sind allerdings bislang nicht beschrieben
worden. Bei Speicheldrüsenmanifestation sichert der HNO-Arzt
durch eine gezielte Lymphknotenentfernung meist in schonender
extrakapsulärer Technik die Diagnose.
2.3.2.1.2 IgG4-assoziierte Sialadenitis in Form von
Mikulicz-Syndrom und Küttner-Tumor
IgG4 assoziierte Erkrankungen manifestieren sich am
zweithäufigsten in der Kopf-Hals-Region nach dem Pankreas
und einigen pseudotumoralen Erkrankungen unbekannter Pathogenese. In
den letzten 10 Jahren wurden das Mikulicz-Syndrom und der
Küttner-Tumor den IGg4-assoziierten Erkrankungen zugeordnet
[86]. Die Identifizierung von
IgG4-positiven Plasmazellen sowohl beim Mikulicz-Syndrom als auch
beim Küttner-Tumor führte zu einem erneuten
Interesse an diesen Krankheiten und bewirkte basierend auf
immunologischen Analysen eine Reklassifizierung entzündeter
Speicheldrüsen [87].
Die von Küttner 1896 identifizierte
Speicheldrüsenerkrankung [88] betrifft üblicherweise eine oder beide
submandibulären Drüsen, die sich klinisch als harte
tumorähnliche Massen mit einer Tendenz zur knotigen
Schwellung präsentieren, die leicht mit bösartigen
Tumoren verwechselt werden können. Die Krankheit ist oft mit
einer Mikrolithiasis verbunden. Histologische Schnitte zeigen die
Erhaltung der lobulären Architektur, eine
ausgeprägte lymphoplasmatische Entzündung,
große unregelmäßige lymphoide Follikel mit
erweiterten Keimzentren und eine Azinusatrophie ohne
auffällige lymphoepitheliale Läsionen.
Charakteristischerweise wird eine ausgeprägte
zelluläre interlobuläre Fibrose aufgrund aktivierter
Fibroblasten und eine Infiltration von Lymphozyten und IgG4-positiv
gefärbten Plasmazellen beobachtet [87].
Auch die Beschreibung des Mikulicz-Syndrom entstammt dem Ende des 19.
Jahrhunderts durch den Freiherrn von Mikulicz-Radecki [89]. Er beschrieb erstmals eine
idiopathische, bilaterale, schmerzlose, symmetrische und anhaltende
Schwellung der Tränendrüsen, der Glandula parotis
und der submandibulären Drüsen. Da sich das
Mikulicz-Syndrom und das Sjögren-Syndrom histologisch
ähnlich sind, wurde das Mikulicz-Syndrom lange als Subtyp
des Sjögren-Syndroms angesehen. Bei der
Hämatoxylin-Eosin-Färbung zeigte
Speicheldrüsengewebe beim Mikulicz-Syndrom eine Infiltration
von mononukleären Zellen und lymphoide Follikel um die Gang-
und Azinuszellen herum. Die Unterscheidung vom
Sjögren-Syndrom gelang erst durch den Nachweis von
zahlreichen IgG4-positiven Plasmazellen in der Nähe von
Azinus- und Gangzellen beim Mikulicz-Syndrom im Gegensatz zum
Sjögren-Syndrom [90]. Das
Vorhandensein von IgG4-positiven Plasmazellen in der
entzündlichen Infiltration des Speicheldrüsengewebes
legt daher nahe, dass das Mikulicz-Syndrom und auch der
Küttner-Tumor nur 2 verschiedene Phänotypen einer
IgG4-assoziierten Erkrankung sind [81]. Die Begriffe Mikulicz-Syndrom und
Küttner-Tumor sind demzufolge nur noch historisch zu
sehen.
Derzeit wird angenommen, dass IgG4-assoziierte Erkrankungen
hauptsächlich Männer mittleren Alters betrifft, die
einseitig oder beidseitig eine anhaltende Schwellung der Glandula
parotis und/oder der submandibulären Drüsen
aufweisen. Klinisch kommt es nur in 30% der Fälle zu
einer Xerostomie. Häufige Begleiterscheinungen (70%)
sind die Tränendrüsenbeteiligung, sinunasale
Störungen und eine zervikale Lymphadenopathie [91].
Diagnostisch ist die Sonografie primäres bildgebendes
Verfahren. Bei der einst als Küttner-Tumor bekannten
Störung zeigt sich häufig ein noduläres
Muster mit erweiterten Gängen und einer Mikrolithiasis [87]. Die Diagnose wird histologisch
durch eine Biopsie der großen Speicheldrüsen
gesichert [81]. Labortests
bestätigen die Diagnose und zeigen erhöhte
Gesamt-IgG-, IgG2-, IgG4- and IgE-Level. Eine
Serum-IgG4-Konzentration>135 mg/dl gilt als
Schwellenwert für die Diagnose [92].
In der Literatur gibt es nur sehr wenige Veröffentlichungen,
die sich mit der Behandlung von IgG4-assoziierten Erkrankungen
befassen. Die meisten Autoren geben eine systemische Steroidtherapie
als Erstbehandlung an. Prednisolon ist das am häufigsten
verwendete Medikament. Eine Langzeitbehandlung mit Glukokortikoiden
scheint die Symptome im Zusammenhang mit einer verminderten
Speichelsekretion signifikant zu verbessern, was nach einigen
Studien sogar zur Wiederherstellung histologischer Anomalien
führt. Die Rolle anderer Immunsuppressiva wie Azathioprin
oder Methotrexat ist noch unklar [81]
[92]
[93].
2.3.2.1.3 Sarkoidose
Die Sarkoidose ist eine multisystemische Erkrankung unbekannter
Ursache, die durch die Bildung von Immungranulomen in den
beteiligten Organen gekennzeichnet ist. Es handelt sich um eine
Krankheit, die hauptsächlich 20– bis
40-Jährige betrifft. Die vorherrschende Hypothese ist, dass
verschiedene noch nicht identifizierte Antigene, entweder
infektiös oder umweltbedingt, bei genetisch
anfälligen Wirten eine überschießende
Immunreaktion mit Beschwerden auslösen können [94]. Hauptsächlich ist die
Lunge (90%) betroffen [95], aber die Erkrankung kann theoretisch jedes Organ
befallen. Die Speicheldrüsen sind in 5–10%
der Fälle involviert [58].
Dabei werden 3 klinische Manifestationen unterschieden: (1) Die
häufigste Manifestation geht mit Schwellung der
großen Speicheldrüsen und dem histologischen
Nachweis von nicht-verkäsenden Granulomen einher. Auch in
den kleinen Speicheldrüsen sind diese Granulome nachweisbar.
Die Patienten leiden unter Xerostomie, die proportional zum
Ausmaß der granulomatören Infiltration ist. (2) Bei
der zweiten Form fehlt die Speicheldrüsenschwellung. Die
nicht-verkäsenden Granulome sind trotzdem zu 38% am
harten Gaumen und zu 58% in der Unterlippe nachweisbar. (3)
Die dritte Manifestation ist das Heerfordt-Syndrom mit Schwellung
der Glandulae parotidea, Uveitis und Facialisparese. Diese Befunde
können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und
auch einseitig auftreten [96]
[97].
Die Diagnose ist aufgrund der zahlreichen weiteren Ursachen von
Speicheldrüsenschwellungen eine Herausforderung. Es gibt
keine spezifischen Labortests und keine charakteristischen
bildgebenden Befunde. Die Diagnose stützt sich allein auf
die Klinik und wird durch den histologischen Nachweis
nicht-verkäsender Granulome gesichert. Teymoortash und
Werner [98] untersuchten sechs
Fälle mit Parotissarkoidose hinsichtlich ihrer
sonografischen Befunde. Alle zeigten eine
Drüsenvergrößerung und sonst unspezifische
multiple echogene Septen, echoleere Foki oder echoarme Areale im
Drüsenrandbereich. Die Unspezifität der Befunde
konnte auch von anderen Autoren im deutschsprachigem Raum
bestätigt werden [99]
[100]. Lediglich beim
Heerfordt-Syndrom zeigt sich sonografisch eine echoreiche
Binnenstruktur, die durchsetzt ist von zahlreichen,
vergrößerten Lymphknoten entsprechenden echoarmen
Arealen [16]. Die MRT zeigt in der
T2-Wichtung ein homogenes Enhancement.
In der Speicheldrüsenbiopsie werden die verkäsenden
Granulome nachgewiesen, nicht zuletzt auch um Differentialdiagnosen,
wie Neoplasien und andere granulomatöse Erkrankungen,
auszuschließen.
Die Behandlung der Parotis-Sarkoidose erfolgt individualisiert und
medikamentös. Dabei stehen Kortikosteroide im Vordergrund.
Der grundlegende Ansatz sollte sein, die kleinstmögliche
Kortisondosis zu finden. Einige alternative Medikamente wie
Azathioprin, Chloroquin, Methotrexat, Pentoxifyllin,
Cyclophosphamid, Tetracyclinderivate und Infliximab können
bei refraktären Erkrankungen oder als kortikosteroidsparende
Alternativen verwendet. Isolierte Veränderungen der Glandula
parotis können auch facialis-schonend entfernt werden. Wenn
keine anderen Anzeichen der Krankheit vorliegen, ist auch keine
Pharmakotherapie erforderlich. Bei einigen Patienten kommt es zur
Spontanheilung [101]. Aufgrund der
Seltenheit der Speicheldrüsenmanifestation der Sarkoidose
gibt es nur wenige Daten bezüglich der
Spontanremissionsrate. Die Prognose wird für die meisten
Patienten als gut angesehen. Die schwerste und häufigste
Komplikation einer Sarkoidose ist das Auftreten einer pulmonalen
Fibrose in Verbindung mit pulmonaler Hypertonie [102]. Deshalb sollte die Behandlung
auch immer internistisch interdisziplinär erfolgen.
2.3.2.2 Kimura-Erkrankung
Die Kimura-Krankheit ist eine in Europa und Amerika sehr seltene,
chronisch entzündliche Erkrankung, die aber in Asien endemischen
Charakter hat. Sie ist durch eine starke lymphozytäre und
eosinophile Infiltration des subkutanen Fettgewebes gekennzeichnet und
manifestiert sich v. a. im Bereich der Speicheldrüsen [103]. Die Therapie besteht entweder aus
der chirurgischen Resektion oder einem Behandlungsversuch mit
Kortikosteroiden, wobei bei beiden Behandlungen Rezidive Auftreten
können [104].
2.3.2.3 Rosai-Dorfman-Erkrankung
Die Rosai-Dorfman-Krankheit ist eine seltene histiozytäre
proliferative Störung unbekannten Ursprungs. Sie wurde zuerst
1969 von Rosai und Dorfman beschrieben [105]. Klinisch-pathologisch präsentiert sie sich als
Sinushistiozytose mit massiver Lymphadenopathie und
Vergrößerung der Speicheldrüsen. In den meisten
Fällen handelt es sich aber um eine schmerzlose zervikale
Lymphadenopathie. Zweithäufigste Manifestation außerhalb
der zervikalen Lymphknoten sind die großen
Speicheldrüsen [106]. Die
Schwierigkeit in der Diagnose der Erkrankung liegt darin, sie von
anderen Drüsenschwellungen zu unterscheiden. Dies gelingt nur
histologisch nach einer Biopsie. Aber auch für den Pathologen
stellt diese Erkrankung eine Herausforderung dar. Hier muss zwischen
Rosai-Dorfman-Histiozyten, Langerhanszell-Histiocytosis und normalen
Sinus-Histiozyten unterschieden werden. Die ersten beiden lassen sich
nur durch die Expression des S100-Proteins von normalen
Sinus-Histiozyten unterscheiden, Langerhanszell-Histiozyten sind aber
CD1-negativ [107]. Die meisten
Patienten sind jung (mittleres Erkrankungsalter 20,6). Männer
sind etwas häufiger betroffen. Die Rosai-Dorfman-Krankheit hat
im Allgemeinen einen langfristigen klinischen Verlauf, der durch den
Wechsel von Exazerbationen und Remissionen gekennzeichnet ist. Letztlich
erfahren die meisten Patienten eine komplette Remission, es sei denn, es
liegt eine Prädisposition für andere immunologische
Erkrankungen vor [108].
2.4 Seltene Sialadenosen
Sialadenosen sind nichtentzündliche, nichtneoplastische,
parenchymatöse Speicheldrüsenerkrankungen, die auf Stoffwechsel-
und Sekretionsstörungen des Drüsenparenchyms beruhen [109]. Sie finden wenig Beachtung,
führen aber zur Einschränkung der Lebensqualität und
sollen deshalb im Kontext dieses Referats betrachtet werden.
2.4.1 Endokrine Sialadenosen
2.4.1.1 Diabetes mellitus
Mehrere epidemiologische Studien haben gezeigt, dass
Speichelsekretionsstörungen bei Diabetes-mellitus-Patienten
häufig sind [110]. Beide Typen
des Diabetes mellitus (I und II) sind davon betroffen [111]
[112]. Diese Speichelsekretionsstörungen
könnten mit einer schlechten Lebensqualität verbunden
sein und die Anfälligkeit für Karies und orale
Infektionen bei Diabetes-mellitus-Patienten erhöhen,
insbesondere bei Dehydration und unzureichender Blutzuckerkontrolle
[110]. Es kommt sowohl zur
Xerostomie als auch zu verminderter basalen und postprandialen
Speichelsekretion [113]. Eine
verlängerte Hyperglykämie, die für Diabetes
mellitus charakteristisch ist, kann nicht nur systemische
Veränderungen hervorrufen, sondern auch die Funktion der
Speicheldrüsen verändern sowie Veränderungen in
der Zusammensetzung und im Volumen des sekretierten Speichels
verursachen [114].
2.4.1.2 Schilddrüsenfunktionsstörungen
Es gibt nur wenig Literatur und Forschung zu den Auswirkungen von
Schilddrüsenerkrankungen auf die Speicheldrüsen.
Tierversuche haben gezeigt, dass eine Hyperthyreose eine Zunahme der
Größe und Anzahl der Tubuli in der Glandula
submandibularis von Ratten und eine verringerte Prävalenz von
Zahnkaries verursacht, während eine Hypothyreose zu einer
deutlichen Atrophie der submandibulären Speicheldrüsen
zusammen mit einer Zunahme von Zahnkaries führte [115]. Muralidharan et al. haben an
einer indischen Kohorte zeigen können, dass eine Hypothyreose zu
einer verminderten Speichelsekretionsrate führt. Die
Prävalenz der Hyposalivation war geringer ausgeprägt als
beim Diabetes mellitus. Die Speichelflussraten verbesserten sich nach
Behandlung der Hypothyreose [116].
2.4.2 Metabolische Sialadenosen
Unterernährung und Essstörungen haben Auswirkungen auf die
Funktion und Größe der Speicheldrüsen. Psoter et al.
haben an haitianischen Kindern festgestellt, dass eine frühe
postnatale Mangelernährung noch Jahre später zu einem
reduzierten basalen und postprandialen Speichelfluss führt
(n=1017) [117]. Bulimische
Patienten und Patienten mit Anorexia nervosa haben oft
Speicheldrüsenschwellungen. Da diese Patienten ihre
Essstörung häufig negieren oder nicht spontan offen legen,
ist eine Anamnese schwierig und in manchen Fällen ist die bilaterale
Schwellung der großen Speicheldrüsen das einzige sichtbare
Symptom [118]. Die Ursache der
Drüsenschwellung ist unklar, es wird eine trophische Stimulation der
Drüsen durch einen Pankreasreiz vermutet oder eine enzymatische
Sekretionsstörung, die mit einer Dysfunktion des autonomen
Nervensystems einhergeht [119]
[120]. Bei unklaren, nicht
entzündlichen bilateralen Speicheldrüsenschwellungen sollte
auch an bulimische Essstörungen gedacht werden. Die
Speicheldrüsenschwellungen werden sonografisch oder mittels MRT
verifiziert. Blutwerte, wie ein erniedrigter Serumkaliumgehalt,
erhöhtes Bikarbonat und Amylaseerhöhung können
weitere Hinweise geben. Die Behandlung erfolgt psychotherapeutisch und ggf.
begleitend mit Pilocarpin. Die beidseitige laterale Parotidektomie aus
kosmetischen und psychologischen Gründen ist umstritten [121].
2.4.3 Medikamentöse Sialadenosen
Die Speicheldrüsen werden vom autonomen Nervensystem kontrolliert,
hauptsächlich vom parasympathischen Anteil. Die Funktion der
Speicheldrüsen kann durch eine Vielzahl von Medikamenten
beeinträchtigt werden, die Xerostomie, Sialorrhoe oder
Drüsenschwellungen und -schmerzen hervorrufen können.
Währende Xerostomie und Sialorrhoe häufige
Medikamentennebenwirkungen sind, soll hier auf die selteneren schmerzhaften
Drüsenschwellungen eingegangen werden. [Tab. 2] zeigt eine Auflistung von Medikamenten, die
Drüsenschwellungen verursachen können. Es wird vermutet,
dass es sich dabei um Hypersensitivitätsreaktionen handelt [122].
Tab. 2 Medikamente mit schmerzhafter
speicheldrüsenschwellender Nebenwirkung.
Katecholamininhalate
|
Naproxen
|
Chlorhexidin
|
Nifedipin
|
Cimetidin
|
Phenytoin
|
Clonidin
|
Ranitidin
|
Jod
|
Sulfanomide
|
Methyldopa
|
Trimipramin
|
2.5 Seltene obstruktive Erkrankungen
Die obstruktive Sialadenitis macht ungefähr die Hälfte aller
gutartigen Drüsenerkrankungen aus. Die Obstruktionen betreffen in 80 bis
90% der Fälle die Glandula submandibularis und in
5–10% die Glandula Parotis. Als Ursachen kommen die
Sialolithiasis, Stenosen, Schleimretentionen, Polypen, Fremdkörper,
externe Kompression oder anatomische Variationen der Gangsysteme in Frage. Die
mit Abstand häufigste Ursache ist mit 60% aller Obstruktionen
die Sialolithiasis [123]. Die
Häufigkeit beträgt circa 6/100 000. Im Folgenden
werden die selteneren nicht-steinbedingten obstruktiven Erkrankungen
näher beschrieben.
2.5.1 Speichelgangstenosen und Gangstrikturen
Zehn bis fünfzehn Prozent aller obstruktiven Erkrankungen sind
Stenosen. Sie führen zu einer Verstopfung mit verringerten
Speichelfluss, einer Infektion des aufsteigenden Ganges und der Bildung von
schleimigen oder fibrinösen Plaques. Duktale
Wandveränderungen, insbesondere Strikturen, sind die Folge.
Strikturen betreffen häufiger die Parotisgänge und treten
typischerweise im vierten, fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt,
insbesondere bei Frauen auf. Sie entwickeln sich sekundär nach
eosinophiler Entzündung der Speichelgänge und können
einfach oder multipel auftreten [124]. In
den stenosierten Gängen sammelt sich Schleim und Fibrin an. Schleim
kann die organische Matrix für eine spätere Steinbildung
sein. Stenosen und Strikturen sind nicht ohne weiteres von einer
Sialolithiasis zu unterscheiden. Sie führen ebenfalls zu
Schwellungen der großen Speicheldrüsen und können
oftmals nicht mit herkömmlichen radiologischen Mitteln oder sogar
mit hochauflösendem Ultraschall gestellt werden [125]. Mit dem Ultraschall können
indirekte Anzeichen einer Striktur, die aus einer Gangerweiterung ohne
Anzeichen einer Sialolithiasis besteht, nachgewiesen werden. Bei korrekter
Durchführung ist der Ultraschall ein kostengünstiges,
schnelles, nichtinvasives und hochprädiktives Diagnosewerkzeug. Die
Qualität der Diagnose hängt jedoch von der Erfahrung des
Untersuchers ab. Alternativ wurde die Sialografie in vielen Zentren als
Goldstandard etabliert und mit hohen Erfolgsraten eingesetzt [126]
[127]
[128]. Der Hauptvorteil der
Sialografie gegenüber dem Ultraschall besteht darin, dass die Anzahl
und auch die Länge der Strikturen angemessener bestimmt werden
können. Im Vergleich zu Ultraschall handelt es sich jedoch um ein
invasives Verfahren, das mit Bestrahlung, möglichen allergischen
Reaktionen aufgrund der Anwendung von Kontrastmittel und
zusätzlichen Kosten verbunden ist. Eine Alternative zur
konventionellen Sialografie ist die MR-Sialografie. Hiermit können
Stenosen visualisiert werden und der Zustand der Drüsenfunktion
angezeigt werden [129]. Diese Technik
basiert auf Prinzipien der MR-Hydrografie, bei denen sehr stark
T2-gewichtete (T2W) Pulssequenzen verwendet werden, um eine statische
Flüssigkeit abzubilden. Die Vorteile der MR-Hydrografie liegen in
ihrer nicht-invasiven Natur. Der Speichelfluss wird mittels
Zitronensäure angeregt. Es sind weder Kontrastmittel noch
Strahlenexposition oder ein erfahrener Untersucher erforderlich. Der
Nachteil ist die geringere räumliche Auflösung [130]. Bei angemessener Durchführung
sind sowohl Ultraschall als auch Sialografie wertvolle Instrumente zur
Diagnose von Gangstenosen und -strikturen der großen
Speicheldrüsen [131].
Seit der Implementierung der Sialendoskopie in den frühen 90er Jahren
[132] hat sie sich zum diagnostischen
und therapeutischen Goldstandard bei Speicheldrüsenerkrankungen
entwickelt [133]
[134]
[135]. Die Sialendoskopie kann die Diagnose erhärten und die
Störung charakterisieren. Im selben Eingriff kann die Behandlung
durchgeführt werden. Koch et al. beschrieben, dass eine endoskopisch
kontrollierte, entzündungshemmende Behandlung die Symptome von
parotidealen Strikturen verbesserte und das Fortschreiten der Krankheit bei
17,9% ihrer Patienten verhinderte. In ihrem Patientengut war die
interventionelle Sialendoskopie bei 75,8% zur Erweiterung der
Stenongangstrikturen wirksam und 56,4% aller Patienten wurden
erfolgreich im „Single-Mode“-Verfahren damit behandelt [131]. Für Patienten, bei denen
diese Behandlung fehlschlägt wird ein operatives Vorgehen
vorgeschlagen. Im Falle einer distalen Stenose sollte ein breites Neoostium
geschaffen werden, indem der Stenongang reinseriert wird und mit der
Wangenschleimhaut zirkulär vernäht wird. Ein
zusätzlicher Stent kann zur temporären Schienung hilfreich
sein. Damit bleibt die Parotidektomie als ultima ratio nur wenigen
Fällen (<6%) vorbehalten [131]
[136].
Auf Grund der Seltenheit gibt es nur sehr wenige ausführliche
Berichte zu Diagnose und Behandlung von submandibulären Stenosen
[124]
[137]
[138]. Wegen des langen
Gangverlaufs im Mundboden spielen Lage und Ausmaß der Stenose eine
wichtige Rolle bei der Wahl der Behandlungsmethode [124]
[138]. Bei Stenosen im distalen Gangbereich ist die transorale
Gangschlitzung und Marsupialisation die Methode der Wahl. Bei mehr zentral
gelegenen Stenosen ist die interventionelle Sialendoskopie eine sehr
wichtige Methode. Bei proximalen und posthilären Stenosen erwies
sich die interventionelle Sialendoskopie als wichtigstes therapeutisches
Instrument. Durch endoskopische Verfahren kann in 80% bis
90% Symptomfreiheit erreicht werden [126]
[139]. Bei Patienten mit
begleitender Entzündungsreaktion hat sich die intraduktale
Spülung mit Kortison als erfolgreich erwiesen [137]. Vereinzelt werden Erfolge mit einer
Sialografie-gesteuerten Ballondilatation beschrieben. Dieses Verfahren hat
den Nachteil, dass es nur eine indirekte Visualisierung der Stenose
ermöglicht, eine Strahlenexposition beinhaltet und das Risiko einer
Kontrastmittelreaktion mit sich bringt [140]. Die Submandibulektomie bleibt nur noch den diffusen und
langstreckigen Stenosen vorbehalten oder den Fällen in denen alle
konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden
[137]
[139].
2.5.2 Speichelgangentzündungen und andere seltene
Obstruktionen
Die Speichelgangsentzündung (Sialodochitis) ist eine besondere und
frühe Form der Gangstenose. Sie mach etwa 5–10%
aller Obstruktionen aus. Man findet eine ödematöse
Verdickung der Wandstruktur. Das Gangsystem ist durch eingedickten Schleim
und Plaques verlegt. Im Sekret von entzündeten Drüsen zeigte
sich eine deutlich erhöhte Anzahl an eosinophilen Zellen [125]. Die Sialodochitis betrifft v. a. die
Glandula parotis. Therapie der Wahl ist die mechanische Entfernung von
Schleim und Plaques über einen interventionellen endoskopischen
Eingriff. Im Rahmen dessen ist die zusätzliche intraduktale
Applikation von Kortison essentiell [131]
[134].
Obstruktionen durch anatomische Variationen oder Fremdkörper treten
in nur 1–5% aller Fälle auf. Hierzu zählen
starke Knickbildungen, segelartige Einziehungen des Gangsystems oder Polypen
der Gangwand. ([Abb. 1]) Auch diese
Pathologien führen zu Speichelaufstau mit nachfolgenden
rezidivierenden Entzündungen [141]. Hier liefert die endoskopische interventionelle Behandlung die
Möglichkeit die einengenden Strukturen zu extrahieren [142]
[143].
Abb. 1 Sialendoskopischer Blick in den Stenon-Gang mit einen
großen Schleimhautpolypen ausgehend von der seitlichen
Wand.
2.6 Seltene Speicheldrüsentumoren
2.6.1 Gutartige Tumoren
Gutartige Speicheldrüsentumoren haben eine Inzidenz von ca.
6/100 000 Einwohnern. Die mit Abstand häufigsten
Benignome sind das pleomorphe Adenom (70–94%) und der
Warthintumor (25%) [144]. Im
Folgenden wird auf seltenere und trotzdem klinisch relevante
Läsionen eingegangen.
2.6.1.1 Basalzelladenome
Basalzelladenome sind seltene benigne monomorphe
Speicheldrüsentumoren und treten mehrheitlich in der Glandula
parotis auf. Die Abgrenzung zum Basalzelladenokarzinomen ist schwierig.
Das Basalzelladenom repräsentiert 54% aller monomorphen
Adenome und 1–3% der Tumoren der großen
Speicheldrüsen. Das Erkrankungsalter liegt später als
bei den meisten gutartigen Tumoren zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr.
Histologisch werden 4 Formen unterschieden: solide, trabekulär,
tubulär und membranös. Klinisch präsentiert sich
der Tumor als glatt begrenzte, gut verschiebliche und etwas
prallelastische Raumforderung. Die Therapie besteht aus der operativen
Entfernung im Sinne eines lateralen oder in seltenen Fällen auch
kompletten Parotidektomie. Maligne Entartungen sind sehr selten [145]
[146]. Ein Rezidiv beim Basalzelladenom ist selten, mit
Ausnahme des membranösen Subtyps, von dem berichtet wurde, dass
er in bis zu 25% der Fälle erneut auftritt [147].
2.6.1.2 Lipome
Lipome in den Speicheldrüsen sind selten (<0,5%)
und betreffen normalerweise die Glandula parotis. Sie sind gut
umschrieben und werden als Sialolipom bezeichnet, wenn sie eine
intratumorale duktale Komponente haben. Das onkozytische Lipoadenom
scheint ein charakteristischer Subtyp des Sialolipoms mit Onkozyten und
Talgresten zu sein. Sie zeigen eine hohe Signalintensität auf
T1-gewichteten MRT Bildern, während das Signal auf
T2-gewichteten Bildern abnimmt. Die Behandlung besteht aus einer
einfachen Resektion. Bisher wurden keine Rezidive beschrieben [148].
2.6.1.3 Onkozytome und noduläre Hyperplasien
Bei Onkozytomen handelt sich überwiegend um Tumoren, die bei
Frauen mittleren Alters und darüber hinaus auftreten. Die
Glandula parotis ist die häufigste Lokalisation (80%).
Onkozytome können aber in auch in zahlreichen anderen Organen
auftreten. Das Tumorwachstum ist langsam und ggf. auch bilateral.
Namensgeber für das Onkozytom war der histologische
schichtartige Aufbau aus Onkozyten. Pathogenetisch liegt eine
mitochondriale Fehlfunktion vor, die zu einer Degeneration der
epithelialen Drüsenzellen führt. Maligne Entartungen zum
onkozytärem Karzinom sind möglich. Die Therapie besteht
aus der chirurgischen Resektion. Die noduläre onkozytäre
Hyperplasie ist seit 2017 eine eigenständige, dem Onkozytom
verwandte Läsion. Im Gegensatz zum Onkozytom präsentiert
sich diese Läsion nicht als solitär abgrenzbare
Raumforderung, sondern als Läsion bestehend aus multiplen
onkozytären Knötchen. Sie ist oft nur ein Zufallsbefund
und es besteht keine Tendenz zur malignen Entartung [149]
[150].
2.6.1.4 Sklerosierende polyzystische Adenose
Die sklerosierende polyzystische Adenose ist eine seltene Erkrankung der
Speicheldrüsen mit histologischen Merkmalen, die
fibrinös-zystischen Veränderungen in der
Brustdrüse ähneln. Die Läsion tritt
häufig bilateral in den Parotiden auf. Klinisch zeigt sich eine
gut abgrenzbare Raumforderung mit knotiger Struktur. Betroffen sind
überwiegend Frauen im höheren Lebensalter. Pathologisch
kann diese Erkrankung mit einem pleomorphen Adenom oder einem invasivem
Karzinom verwechselt werden. Rezidive wurden zu 19% beschrieben
und können sogar noch nach mehr als 20 Jahren auftreten.
Vermutlich kommt es durch inkomplette Resektionen oder ein multifokales
Auftreten zur Wiederkehr der Läsion. Bis jetzt gibt es keinen
Hinweis auf eine maligne Entartung [146]
[149].
2.6.1.5 Mesenchymale Tumoren
Primär benigne Weichteiltumoren des Kopf- und Halsbereichs sind
relativ selten. Die meisten sind nicht charakteristisch für
diese Region obwohl sie im allgemeinen häufig sind, aber im
Kopf-Hals-Bereich und speziell in den Speicheldrüsen selten
vorkommen [151]. Die meisten
berichteten Fälle waren Einzelberichte oder kleine Fallserien.
Hierzu gehören Leiomyome, Rhabdomyome oder Myoepitheliome.
Leiomyome gehören zu den benignen mesenchymalen Tumoren. Dieser
Tumor besteht aus glatten Muskelzellen und kommt v. a. im Uterus vor.
Die Kopf-Hals-Region ist in 8–13% betroffen, wobei
hiervon die Speicheldrüsen in weniger als 1% betroffen
sind [152]
[153]
[154]. Leimyome wachsen
sehr langsam und weisen eine niedrige Entartungsrate auf. Deshalb sollte
eine komplette Resektion nur bei entsprechender Klinik und nach
Abwägung der Operationsrisiken angestrebt werden [152].
Das Rhabdomyom ist ein gutartiger mesenchymaler Tumor mit einer
Skelettmuskeldifferenzierung. Topografisch werden kardiale und
extrakardiale Typen unterschieden. Die extrakardialen Rhabdomyome werden
noch in die adulte, die fetale und die genitale Form unterschieden.
Adulte extrakardiale Rhabdomyome können auch die Kopf-Halsregion
betreffen. Es tritt überwiegend bei älteren Menschen mit
einer männlichen Prädilektion auf [155]. Es wurden Manifestationen im
Bereich der kleinen Speicheldrüsen, der Glandula sublingualis
und der Glandula submandibularis beschrieben [156]
[157]
[158]
[159]. Wegen der hohen Lokalrezidivrate
(bis zu 42%) wird eine vollständige Exzision empfohlen.
Von malignen Entartungen wurde bisher nicht berichtet [160].
Das benigne Myoepitheliom ist eine sehr seltene Form eines
Speicheldrüsentumors, der vollständig aus
Myoepithelzellen besteht [161]. Es
macht weniger als 1% aller Speicheldrüsentumoren aus und
befindet sich am häufigsten in der Glandula parotis
(40%) und in den kleinen Speicheldrüsen des harten
Gaumens (21%). Eine maligne Transformation ist selten und ihr
geht oft ein längerer klinischer Verlauf mit mehreren Rezidiven
der benignen Form voraus. Im Gegensatz zur gutartigen Läsion
zeigt die bösartige Form ein infiltratives Wachstumsmuster auf
[151]. Die Prognose für
Myoepitheliome der Speicheldrüsen ist günstig. Die
Behandlung besteht in einer chirurgischen Resektion. Wegen der hohen
Lokalrezidivrate müssen die Patienten regelmäßig
nachkontrolliert werden [161].
2.6.1.6 Vaskuläre Formationen im Bereich der Glandula
parotis
Schwellungen im Glandula Parotisbereich können selten auch durch
vasculäre Formationen, wie Aneurysmen oder Pseudoaneurysmen der
A. carotis externa oder ihrer Äste, bedingt sein. Bei
älteren Menschen kommt ursächlich am ehesten eine
Arteriosklerose in Betracht. Bei jüngeren Menschen ist die
häufigste Ursache ein Trauma, seltener auch
Bindegewebserkrankungen oder Vaskulitiden [162]. Bei Pseudoaneurysmen handelt es sich fast
ausschließlich um traumatische Läsionen [163]. Klinisch wird eine
Parotisraumforderung vorgetäuscht. In der Bildgebung mittels
Sonografie oder Ultraschall zeigt sich dann aber eine
unauffällige, durch eine meist medial gelegene Raumforderung,
nach außen verlagerte Drüse. In der Literatur werden
Fallberichte von Aneurysmen und Pseudoaneurysmen der A. carotis interna
oder A. carotis externa bzw. ihrer Äste beschrieben, die durch
eine einseitige Schwellung im Kieferwinkel aufgefallen sind [162]
[164]
[165]
[166]. Interessanterweise wurden auch 2
Fälle beschrieben, in denen ein Aneurysma der A. temporalis
superficials nach einer Parotidektomie entstanden ist [167]
[168]. Aneurysmen mit Beteiligung der A. carotis externa und
ihrer Abgänge sind selten und machen 0,4–4%
aller Aneurysmen aus [165].
Sonografisch zeigt sich eine stark vaskularisierte Raumforderung. Bei
teilthrombosierten Aneurysmen ist in der Dopplersonografie ein
zweifarbiges Bild durch zirkulierendes Blut im Aneurysma zu sehen. Das
Blut fließt auf den Schallkopf zu und wieder weg. Damit liegen
die rote und die blaue Farbkodierung im Bereich des Aneurysmas
nebeneinander („Yin-Yang-Zeichen“).
Weiterführende Bildgebung ist eine CT, MRT oder Angiografie
[167]. Differenzialdiagnostisch
müssen Kinking und Coiling der A. carotis interna,
Lymphadenopathie, Glomustumoren, Neurinome oder Lymphangiome in Betracht
gezogen werden [162]. Auch
arterio-venöse Fisteln kommen differentialdiagnostisch in
Betracht und können mit Aneurysmen oder Pseudoaneurysmen
zusammen auftreten [169].
Therapeutisch kommt für ältere asymptomatische Patienten
ein beobachtendes Vorgehen in Frage. Weitere Behandlungsoptionen sind
die Embolisation oder die chirurgische Entfernung. Da eine Schwellung im
Glandula Parotisbereich die Patienten meist zuerst zum HNO-Arzt
führt, sollten dem HNO-Arzt die vielfältigen Ursachen
bewusst sein, die auch diese z.T. bedrohlichen vaskulären
Erkrankungen einschließt.
2.6.1.7 Metastasierendes pleomorphes Adenom
Das metastasierende pleomorphe Adenom tritt nach mehreren Lokalrezidiven
eines pleomorphen Adenoms auf und breitet sich typischerweise auf Lunge
und Knochen aus. Das Phänomen wurde schon in den 1940er Jahren
beschrieben. Man geht davon aus, dass die Metastasierung durch
hämatologische Tumoraussaat bei wiederholten Resektionen im
Lokalgebiet entsteht. Die Metastasen können bis zu 22 Jahre
später auftreten, 20% der Patienten sterben an dieser
Krankheit [170].
Wegen seines infiltrativen und metastasierendem Wachstums wurde es
früher zu den malignen Tumoren gezählt. Die aktuelle
Reklassifikation der WHO orientiert sich vorrangig am histologischen
Erscheinungsbild und nachrangig am biologischen Verhalten. Histologisch
entspricht das metastasierende pleomorphe Adenom „nur“
einem pleomorphen Adenom und muss rein histologisch gesehen vom
Carcinoma ex pleomorphen Adenom abgegrenzt werden [171]. Deshalb wurde es aus der
Kategorie der malignen Neoplasien herausgenommen und zu einem gutartigen
epithelialen Tumor „herabgestuft“ [171]
[172]. Ob diese Einordnung unter Berücksichtigung der
aggressiven Natur des Tumors so bestehen bleiben kann, gilt es
abzuwarten.
2.6.2 Bösartige Tumoren
Trotz ihrer extremen Seltenheit weisen Speicheldrüsenneoplasien eine
Vielfalt auf, die im Vergleich zu anderen Organen ihresgleichen sucht.
Basierend auf dem „Surveillance, Epidemiology, and End
Results“ (SEER) Register ist hinsichtlich der Epidemiologie von 1975
bis 2015 ein leichter Aufwärtstrend der primären
Speicheldrüsenkarzinome von 1,1 auf 1,3
Fälle/100 000 Einwohner zu verzeichnen. Das
Verhältnis von Mann zu Frau liegt bei 1,6: 1. Die Inzidenz steigt
nach dem 50. Lebensjahr auf mehr als 7 Fälle/100 000
im Alter von 70 Jahren an [173]. In der
klinischen Praxis weisen die folgenden 5 Karzinome eine gewisse
Häufigkeit auf: Mukoepidermoidkarzinom (20%),
adenoidzystisches Karzinom (16%), Carcinoma ex pleomorphem Adenom
(12%), Azinuszellkarzinom (10%), polymorphes
(früher: Low-Grade) Adenokarzinom (10%) [174]
[175]. Diese Karzinome sollen in dieser Arbeit nur hinsichtlich ihrer
molekulargenetischen und transformierenden Bedeutung betrachtet werden. Im
Folgenden wurden von den vielen seltenen Speicheldrüsenkarzinomen
diejenigen mit einer noch relevanten klinischen Bedeutung
ausgewählt.
2.6.2.1 Epithelial-myoepitheliales Karzinome
Das epithel-myoepithele Karzinom ist eine seltene Malignität der
Speicheldrüsen und macht ca. 1% aller
Speicheldrüsenkarzinome aus [176]. Die Entität ist insofern bedeutungsvoll, da sie
leicht mit dem hochmalignen adenoidzystischen Karzinom verwechselt
werden kann. Beide Karzinome zeigen ein biphasisches Muster mit klaren
Myoepithelzellen, die Speichelgänge mit einer Epithelauskleidung
einschließen. Sie unterscheiden sich aber deutlich im
Wachstumsverhalten und in der Prognose. Das klassische
epithelial-myoepitheliale Karzinom ist ein Low-Grade Karzinom mit guter
Prognose, während die Prognose bei adenoidzystischen Karzinom
schlecht ist. Selten treten Intermediate- oder High-grade auf. Die
Unterscheidung zum aggressiveren adenoidzystischen Karzinom gelingt nur
molekulargenetisch durch den Nachweis einer MYB-NIF-Fusion, die
nur bei adenoidzystischen Karzinomen auftritt. Klinisch tritt das
epithelial-myoepitheliale Karzinom am häufigsten in der Glandula
parotis auf. Die Regionär- und Fernmetastasierungsraten sind
niedrig. Das krankheitsspezifische Überleben liegt bei mehr als
90% für Low-Grade epithelial-myoepitheliale Karzinome
[177]. Derzeit gibt es noch kein
Standardbehandlungsschema. Die chirurgische Resektion ist die Therapie
der Wahl. Einige Autoren beschreiben eine adjuvante Radiotherapie mit 60
Gy/30 Fraktionen für Intermediate- oder
High-grade-Varianten [178]
[179]
[180].
2.6.2.2 Adenokarzinome not otherwise specified (NOS)
Bis zum Jahre 2005 war das Adenokarzinom NOS noch einer der
häufigsten Speicheldrüsenmalignitäten [181]. Aktuell ist es seltener geworden,
denn viele Tumoren mit kribriformer bis mikropapillärer
Differenzierung und häufiger Positivität für
Androgenrezeptoren und für HER2/neu werden nun dem
Speichelgangkarzinom zugeordnet. Durch die Fortschritte in der
Molekulargenetik (siehe unten) können heutzutage etliche Tumoren
richtig zugeordnet werden und fallen aus der
„NOS“-Kategorie heraus. Andererseits ordnet die aktuelle
Klassifikation die bisher eigenständigen Entitäten des
Zystadenokarzinoms, des muzinösen Adenokarzinoms und des
intestinalen Adenokarzinoms dem Adenokarzinom NOS zu [149]. Das Überleben wird
entscheidend von der histologischen Graduierung geprägt.
High-Grade-Adenokarzinome NOS weisen im Vergleich zu Low-Grade
Karzinomen eine schlechte Prognose mit einer sehr hohen Rate an
Lymphknotenmetastasen (>40%) und an Fernmetastasen auf
(>40%) auf. Hierbei verbessert nach chirurgischer
Resektion eine postoperative Radiotherapie mit 64–66 Gy,
2 Gy/d die Überlebensrate [182].
2.6.2.3 Speichelgangkarzinome
Das Speichelgangkarzinom gilt als hochaggressiver Tumor unter den
Speicheldrüsenkarzinomen, denn die meisten Patienten leben nicht
länger als 3 Jahre nach Diagnosestellung [183]. Es ist ein seltenes Karzinom,
welches erstmals 1968 von Kleinsasser als
Speicheldrüsenmalignom, das histologisch dem Milchgangskarzinom
der Brust ähnelt, beschrieben wurde [184]. Die Inzidenz wird mit 1,8–6% aller
Speicheldrüsenkarzinome beschrieben [185]
[186]. Die Mehrheit
exprimiert Androgenrezeptoren. Der Nachweis dieser Rezeptoren kann
für die Unterscheidung zu anderen Tumortypen von entscheidender
Bedeutung sein [187]. Es tritt
häufiger in der Glandula parotis als in den
submandibulären oder den kleinen Speicheldrüsen auf.
Charakteristisch sind die frühzeitige regionäre
Lymphknotenmetastasierung, die Ausbildung von Fernmetastasen sowie eine
hohe Rezidivrate. Das erklärt auch den aggressiven
Behandlungsansatz mit Tumorresektion im Sinne einer kompletten
Parotidektomie und häufiger Facialisresektion
(40–73%), um eine onkologisch einwandfreie R0-Situation
zu erreichen [181]
[188]. Da das Risiko einer okkulten
Metastasierung 24% beträgt wird auch bei einem cN0-Hals
eine elektive Neck dissection empfohlen [189]. In den meisten beschriebenen Fallserien wird eine
adjuvante Bestrahlung durchgeführt. Neben dem Nachweis von
Androgenrezeptoren ist auch die HER2/neu-Rezeptorexpression ein
unabhängiger Prognosefaktor für ein vermindertes
krankheitsspezifisches und fernmetastasen-freies Überleben
([Abb. 2]). Deshalb sollten neben
der Radiotherapie künftig auch Erstbehandlungsschemata mit einer
an den Rezeptorstatus angepassten Target-Therapie oder
Antiandrogen-Therapie evaluiert werden [190].
Abb. 2 Speichelgangkarzinom. Mit freundlicher Genehmigung
von Professor Alexander Marx, Pathologie
Universitätsklinikum Mannheim. a
HE-Färbung mit typischer Kommedonekrose
(ursprüngliche Vergrößerung×25).
b Speichelgangkarzinom mit nukleärer
Expression des Androgenrezeptors (IHC; ursprüngliche
Vergrößerung×150). c ERB-B2
(=HER2/neu) Expression mit charakteristischem
vollständigem Membranmuster (IHC; ursprüngliche
Vergrößerung×200). d
Ki67-Färbung (IHC; ursprüngliche
Vergrößerung×150).
2.6.2.4 (Mamma-analoge) sekretorische Karzinome
Das sekretorisches Karzinom, wurde 2010 von Skalova et al. erstmals
beschrieben [191]. Im Jahr 2017 wurde
es offiziell in die WHO-Klassifikation aufgenommen [192]. Wie das Speichelgangkarzinom hat
auch dieses Karzinom Ähnlichkeiten mit einem Mammakarzinom
(sekretorisches juveniles Mammakarzinom). Früher wurden diese
Karzinome dem Azinuszellkarzinom oder dem Adenokarzinom NOS zugeordnet.
Das sekretorische Mammakarzinom und das sekretorische
Speicheldrüsenkarzinom weisen beide die ETV6-NTRK3-Genfusion
auf. Angesichts dieser Ähnlichkeit und um die Nomenklatur
über die Organstandorte hinweg zu standardisieren, lautet die
offizielle Bezeichnung für diese Entität auch in den
Speicheldrüsen jetzt einfach „sekretorisches
Karzinom“ [171]. Das
sekretorische Karzinom ist typischerweise eher indolent, so wie das
Azinuszellzarzinom. Es kann jedoch eine geringfügig
höhere Lymphknoten-Metastasierungsrate (bis zu 25%) als
das echte Azinuszellzarzinom aufweisen [193]. Zu den prognostischen Merkmalen gehören das
Tumorstadium und die High-Grade-Transformation (siehe unten). Der
zunehmendem Einsatz von selektiven Tyrosinkinase-Inhibitoren kann
möglicherweise auch für fortgeschrittene Stadien des
sekretorischen Karzinoms direkte therapeutische Relevanz haben [194].
2.6.2.5 High-Grade transformierende Tumoren
High-Grade-Transformation ist die bevorzugte Terminologie
(gegenüber Dedifferenzierung) für das Fortschreiten
eines normalerweise niedriggradigen Karzinoms zu einem hochgradigen
Karzinom [195]. Zu den Tumoren,
für die dieses Phänomen gut charakterisiert ist,
gehören das Azinuszellkarzinom, das adenoidzystische Karzinom,
selten das Mukoepidermoidkarzinom, das epithel-myoepitheliale-Karzinom,
das sekretorische Karzinom und das polymorphe (früher:
Low-Grade) Adenokarzinom. Das war der Grund, den Terminus
„Low-Grade“ beim polymorphen Adenokarzinom nicht mehr
aufzuführen. Tumoren mit High-Grade-Transformation
können Speichelgangkarzinome imitieren, und tatsächlich
sind die meisten nicht-apokrinen Androgenrezeptor-negativen
„Speichelgangkarzinome“ eigentlich nicht erkannte
High-Grade-Transformationen eines anderen Tumortyps [196].
2.6.2.6 Translokationen und Genfusionen
Wegen der wachsenden klinischen Bedeutung soll auf das neue Paradigma der
Translokationen und Genfusionen, die häufig bei
Speicheldrüsentumoren vorkommen, besonders eingegangen werden.
Einen Überblick gibt [Tab.
3]. In vielen Fällen sind molekulare
Veränderungen, insbesondere die Fusionsgene, zur Diagnosefindung
wichtig. Somit konnte bei etlichen Karzinomen das Suffix „not
otherwise specified“ effektiv vom Terminus Adenokarzinom
entfernt und der jeweilige Speicheldrüsentumor zur richtigen
Entität zugeordnet werden. Damit wird die Gruppe der
Adenokarzinome NOS immer kleiner.
Tab. 3 Wichtigste genomische Alteration bei
Speicheldrüsentumoren.
Pleomorphes Adenom
|
PLAG 1 Fusion
|
HMGA2 Fusion
|
Carcinoma ex pleomorphem Adenom
|
PLAG 1 Fusion
|
HMGA2 Fusion
|
Adenoidzystisches Karzinom
|
MYB-NIFB
|
Mukoepidermoidkarzinom
|
CRTC1-MAML2
|
CRTC2-MAML3
|
Speichelgangkarzinom
|
TP53 Mutation
|
ERB2 Amplifikation
|
PIK3CA Mutation
|
Klarzellkarzinom
|
EWSR1-ATF1
|
Sekretorisches Karzinom
|
ETV6-NTRK3
|
Das Mukepidermoidkarzinom weist die klinisch relevantesten
Translokationen auf, an denen die Gene MAML2 und CRTC1 oder CRTC3
beteiligt sind. Das Vorhandensein einer MAML2-Translokation ist
prognostisch höchst bedeutsam, denn sie korreliert mit der
Prognose und dem Tumorstadium. Tumoren mit dieser Translokation sind
tendenziell weniger aggressiv und meistens niedrig maligne. Dies kann
für die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante
Therapie nach operativer Tumorresektion eine Rolle spielen [197].
Beim sekretorischen Karzinom gelang durch die Entdeckung der
t(12;15)(p13;q25) chromosomalen Translokation mit ETV6-NTRK3-Fusion die
Unterscheidung zum Azinuszellkarzinom oder Adenokarzinom NOS.
Darüber hinaus kodiert die ETV6-NTRK3- Fusion eine
Tyrosinkinase, die als therapeutischer Angriffspunkt genutzt werden
könnte [198].
Auch etliche hyaline Klarzellkarzinome wurden früher zu den
Adenokarzinomen NOS eingruppiert. Die meisten Klarzellkarzinome weisen
eine t(12; 22) (q13; q12)-chromosomale Translokation auf, was zur Fusion
der EWSR1- und ATF1-Gene führt. Damit ist diese Entität
leichter einzuordnen. Das ist von klinischer Bedeutung, da
Klarzellkarzinome häufiger als andere
Speicheldrüsenkarzinome zur Knochen- und Nerveninfiltration
neigen [199].
Das adenoidzystische Karzinom, gekennzeichnet durch langsames,
hochinfiltratives Wachstum mit Tendenz zur perineuralen Invasion, ist
durch die t(6;9)(q22–23;p23–24) Translokation mit
MYB-NIFB-Fusion charakterisiert. Es wurde nicht konsistent gezeigt, dass
der MYB-Status mit der Prognose oder anderen klinisch-pathologischen
Merkmalen korreliert, aber der Nachweis dient als robuster Marker bei
der routinemäßigen Diagnostik von
Speicheldrüsentumoren, bei denen ein adenoidzystisches Karzinom
differentialdiagnostisch in Frage kommt [200]
[201].
Wie das duktale Mammakarzinom ist auch das Speichelgangkarzinom durch die
fast einheitliche Expression des Androgenrezeptors charakterisiert. Der
Nachweis der Androgenrezeptor-Expression hilft bei der
Differenzialdiagnose zu anderen High-Grade-Karzinomen.
Zusätzliche häufige molekulare Veränderungen
sind Mutationen in TP53, PIK3CA und HRAS. Eine weitere
Ähnlichkeit zum duktalen Mammakarzinom umfasst die HER2
(ERBB2)-Genamplifikation, die aber nur zu 20 bis 30% auftritt.
Beide Rezeptorexpressionen (Androgen- und HER2-Rezeptor) gewinnen durch
den gezielten Einsatz von Antikörpern (Taget-Therapy mit
Bicalutamid oder Trastuzumab) zunehmend an Bedeutung. Die Behandlung mit
einer Anti-HER2-Therapie in Kombination mit einer Antiandrogentherapie
und einer Radio(chemo)therapie hat bei einigen Patienten zu einer
nachweislichen Tumorreduktion geführt. In Einzelstudien wurden
beispielsweise Paclitaxel und/oder Carboplatin in Kombination
Trastuzumab gestestet [202]
[203]. Ob die Reduktion der Tumorlast
durch die zusätzliche Gabe einer Chemotherapie zur
Target-Therapie bedingt war ist fraglich. Eine vollständige
Remission auf eine Anti-HER2-Therapie ist jedoch auch selten. Es gibt
Hinweise darauf, dass zusätzliche Mutationen die Wirksamkeit der
HER2-Blockade verringern [202]
[204]
[205].
2.7 Aktuelle Studienlandschaft im Bereich der Speicheldrüsen
Da Speicheldrüsenerkrankungen insgesamt selten sind, ist die
Durchführung von Studien mit adäquaten Fallzahlen nur sehr
begrenzt möglich. Es gibt viele monozentrische Studien, die
hauptsächlich retrospektiver Natur sind oder im prospektivem Ansatz nur
kleine Fallzahlen haben. Wünschenswert sind Untersuchungen in einem
multizentrischen Setting. In der U.S. National Library of Medicine sind derzeit
285 Studien zum Thema Speicheldrüsen gelistet, 66 davon als
Multicenterstudien. Von den sieben angegebenen deutschen Studien ist keine
Studie multizentrisch. Die onkologischen Speicheldrüsenstudien erfahren
in neuester Zeit einen starken Aufwärtstrend. Allein zum Thema
Speicheldrüsenonkologie werden 115 Studien aufgeführt. Der
größte Teil davon beschäftigen sich mit einer
Antikörpertherapie oder Chemotherapie (81). Top-Themen der Studien zu
malignen Speicheldrüsentumoren sind die Identifizierung von
Hochrisikopatienten [206], die Anwendung von
Targettherapien und Checkpointinhibitoren sowie Genpanelanalysen. Am
vielversprechendsten ist der Einsatz des HER2-Antikörpers Trastuzumab,
entweder in Reinform oder als Konjugat. Es werden Gesamtansprechraten von bis zu
90% und teilweise sogar ein vollständiges Ansprechen beschrieben
[206]. Obwohl viele
Speicheldrüsenkarzinome Androgenrezeptor-positiv sind, scheinen erste
Ergebnisse der Targettherapie mit einem Antiandrogen noch nicht sehr
vielversprechend zu sein (NCT02749903) [207].
Weitere Studien, wie z. B. die multizentrische EORTC-Phase-2-Studie zur
Wirksamkeit und Sicherheit der Chemotherapie
(Cisplatin+Doxorubicin/Carboplatin+Paclitaxel) versus
einer Antiandrogentherapie (Bicalutamide+Triptorelin) bei Patienten mit
rezidivierenden und/oder metastasierten Androgenrezeptor-positivem
Speichelgangskarzinom (EORTC-1206-HNCG; NCT01969578 [208]), befinden sich noch in der Rekrutierungsphase. Genpanelanalysen
zu Speicheldrüsenkarzinomen liegen noch in den Anfängen, sodass
zwar anwendbare Zielstrukturen bei Patienten identifiziert werden
können, aber derzeit nur mit einem erheblichen Aufwand, der den
klinischen Kosten-Nutzen-Effekt noch in Frage stellt [209]. Checkpointinhibitoren erzielen beim
Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich sehr gute Ansprechraten. Bei den
Speicheldrüsenkarzinomen sind die Ergebnisse eher ernüchternd
(NCT03132038) [210], NCT03087019 [211], NCT03172624) [212].
2.8 Speicheldrüsenregister
Neben der Durchführung von Studien und Meta-Analysen ist die Fallsammlung
in Krankheitsregistern eine weitere Möglichkeit, große
Krankheitskohorten zu erstellen. Guntinas-Lichius geht in seinem Referat zur
Qualität der Therapie von Speicheldrüsenerkrankungen auf die
noch bestehende Problematik der Speicheldrüsenregistererstellung ein und
zeigt gleichzeitig die enormen Chancen, die mit solchen Registern verbunden
sind. Er veranschaulichte, dass durch niederländische und
dänische Register bspw. Aussagen zu Rezidivraten und malignen
Transformationen von pleomorphen Adenomen oder die Inzidenz von Speichelsteinen
sehr valide bestimmt werden konnten, da sich die Untersuchungen auf mehrere
Tausend (!) Fälle beziehen [213]. Die
Geschichte deutscher Krankheitsregister ist noch keine 100 Jahre alt. Das
älteste deutsche Register ist das 1926 gegründete Krebsregister
der Stadt Hamburg. Es wurde durch den Stadtphysikus Sieveking
ursprünglich für die Nachsorge und Überwachung
eingerichtet und war das erste Krebsregister der Welt. Es folgten weitere
regional begrenzte (Krebs)register [214].
Große nationale Krankheitsregister werden in den USA (SEER, NCDB), in
skandinavischen Ländern und den Niederlanden geführt. Hier
werden auch Speicheldrüsenerkrankungen erfasst. So konnten allein aus
den SEER- und NCDB-Daten über 100 Studien zu
Speicheldrüsentumoren mit immensen Fallzahlen entstehen. Ein Beispiel
dafür ist die NCDB-Analyse von 2362 Acinuszellkarzinomen der
Speicheldrüsen. Nur durch die nationale Registerstruktur ist es
gelungen, von einem so seltenen Tumor eine sehr große Fallzahl zu
analysieren. So haben die Untersuchungen ergeben, dass dieses bisher als
prognostisch günstig angesehene Karzinom eine aggressive Untergruppe
(G3, N+, T3/4) aufweist, bei der das 5-Jahresüberleben
von sonst über 90% auf unter 20% reduziert ist [215]. Deutsche Vorreiter bei
Krankheitsregistern sind die Kinder- und Jugendmediziner. Allein für
chronische Erkrankungen und Fehlbildungen existieren mehr als 20 nationale
Register [216]. Dazu kommen noch onkologische
Register. Somit ist offensichtlich, dass auch von und an deutschen HNO-Kliniken
ausgefeilte Registerstrukturen etabliert werden können, die für
die zukünftige Weiterentwicklung der Therapie von
Speicheldrüsenerkrankungen unabdingbar sind.
3. Seltene Erkrankungen des N. facialis
Der N. facialis ist der siebte Hirnnerv. Die Tatsache, dass der periphere anatomische
Verlauf des Gesichtsnervs fast durch den kompletten HNO-Bereich zieht, gibt ihm eine
zentrale Bedeutung für den HNO-Arzt. Er ist ein multifunktioneller Nerv, der
motorische, sensorische, sekretorische und sensible Fasern führt. Einerseits
macht diese „Multitasking-Fähigkeit“ den N. facialis zum
wichtigsten Hirnnerven. Andererseits birgt sie Schattenseiten, die dementsprechend
von multifunktionalen Störungen gekennzeichnet sind.
3.1 Erkennen von seltenen Erkrankungen des N. facialis
Die primäre Diagnostik sollte zunächst klinisch und mittels
Funktionstests erfolgen. Eine direkte Diagnostik ist aufgrund seines langen im
Felsenbein verborgenen Verlaufs nicht möglich. Bei etlichen
Läsionen müssen indirekte bildmorphologische Zeichen
herangezogen werden.
Die Darstellung des N. facialis gelingt aufgrund seiner Weichteilstruktur und
seines geringen Durchmessers nur erschwert. Er ist sonografisch lediglich durch
hochauflösende Techniken darstellbar. Lo et al und Tawfik et al konnten
damit einen vergrößerten Durchmesser des N.
facialis-Hauptstammes bei der idiopathischen Facialisparese im Vergleich zum
Normalbefund beschreiben [217]
[218]. Wegscheider et al gelang es mittels
hochauflösendem Ultraschall nicht nur den Hauptstamm, sondern auch die
peripheren Äste bis zum M. orbicularis oculi und M. zygomaticus major am
Leichenpräparat sichtbar zu machen. Je nach Nervenabschnitt werden
verschiedene Schallköpfe empfohlen. Ein konvexer
6,6 MHz-Schallkopf ist optimal für den Hauptstamm. Ein linearer
13 MHz-Schallkopf eignet sich für die Darstellung der ersten
Aufteilung. Mit einem linearen 22 MHz-Schallkopf lassen sich die
Endäste des M. orbicularis oculi und M. zygomaticus major abbilden [219].
In der CT lässt sich der N. facialis über seinen
knöchernen Kanal im Bereich des Innenohres und des Mittelohres
darstellen. Mit der MR-Bildgebung lassen sich die intrakraniellen Anteile [220] und die Segmente im Felsenbein [221] visualisieren. Mit konventionellen
MR-Techniken ist der extrakranielle Anteil des N. facialis nur begrenzt
bewertbar [222]
[223]
[224]. Allerdings haben
Einzelberichte schon gezeigt, dass auch diese Anteile sichtbar gemacht werden
können [223]
[225]. Die Bewertung des intraparotidealen
Verlaufs ist schwierig, da die Gefäßstrukturen in der Glandula
parotis auf T2-gewichteten Bildern eine ähnliche Hypointensität
aufweisen [226]. Außerdem werden
derzeit noch viele verschiedene MR-Protokolle mit unterschiedlichen
Identifikationsraten verwendet. Die beste periphere Darstellbarkeit des N.
facialis in der MRT (3-Tesla) kann durch hochauflösende Protokolle mit
einer Schichtdicke von unter 1 mm und einer diffusionsgewichteten
Sequenz erreicht werden [227].
3.2 Facialisanomalien
Anomalien des N. facialis sind sehr selten und treten in der Regel zusammen mit
anderen Fehlbildungen auf.
3.2.1 Facialisanomalien und Dehiszenzen des Fallopio-Kanals
Die Häufigkeit intraoperativ nachgewiesener Dehiszenzen des
Fallopio-Kanals variiert in der Literatur zwischen 6,0 und 33% [228]
[229]. 2 Drittel der Dehiszenzen werden während Ohroperationen
entdeckt [230]. [Abb. 3] zeigt einen erweiterten
dehiszenten N. facialis Kanal bei einem Patienten mit Mittelohrdysplasie,
der das runde Fenster verdeckt. Bei einer Dehiszenz des Kanals kann der N.
facialis nur von einer dünnen Membran bedeckt sein und in die
Paukenhöhle hernieren. Hier zieht er entweder über die ovale
Nische oder das Promontorium und kann sogar Verzweigungen aufweisen. Damit
ist er exponiert. Das Risiko für unbeabsichtigte Verletzungen
während einer Mittelohroperation steigt. Eine
Schalleitungsschwerhörigkeit kann das einzige Symptom sein. Die
meisten Patienten weisen jedoch keine klinischen Symptome auf [231]. Allerdings kann es durch das Fehlen
der knöchernen Umhüllung des N. facialis zu
entzündlichen Nervenalterationen kommen. Somit können
Fallopio-Kanal-Dehiszenzen sowohl bei akuter als auch bei chronischer
Mittelohrentzündung und beim Cholesteatom mit dem Auftreten von
Facialisneuritis und Facialisparese assoziiert sein [232]. Die Ursache von
Fallopio-Kanal-Dehiszenzen liegt in einer Fehlbildung des 2. Kiemenbogens.
Bei Fehlbildung des Reichert-Knorpels, als Knorpelspange des 2.
Kiemenbogens, kommt es zu einem unvollständigen oder fehlenden
Verschluss des Sulcus des N. facialis. Dies führt zu Dehiszenzen
oder sogar zum Fehlen seines knöchernen Kanals im Mittelohr.
Abgesehen von ontogenetischen Ursachen können Dehiszenzen auch
infolge früherer Operationen, lang anhaltender Entzündungen
oder Tumoren auftreten [230]. Deshalb ist
die Häufigkeit der Dehiszenzen zum Zeitpunkt der
Cholesteatomoperation bei pädiatrischen Patienten geringer als bei
nicht pädiatrischen Patienten [233].
Abb. 3 Transmastoidaler Blick auf einen erweiterten N.
facialis. a Dehiszenter und aberrant verlaufender linker N.
facialis (Sternchen), detektiert während einer Cochlea
Implant Operation. Die Spitze des gestrichelten Pfeiles deutet auf
das vom N. facialis Kanal verdeckte runde Fenster. Pfeilkopf:
vergrößertes Hammer-Amboß-Rudiment. b
CT-Felsenbein mit erweitertem N. facialis Kanal links (gelber
Pfeil).
3.2.2 Facialisanomalien und Ohrfehlbildungen
Die Entwicklung des Gesichtsnervs hängt eng mit der Entwicklung des
Mittelohrs und der Ohrmuschel zusammen. Ohrmuschelatresien und Atresien des
äußeren Gehörgangs treten bei etwa
1/10 000 bis 20 000 Geburten infolge einer
aberranten Entwicklung des ersten und zweiten Kiemenbogens auf [234] (siehe auch Referat „Seltene
Erkrankungen Mittelohres und der lateralen Schädelbasis“,
Nora M. Weiss). Aufgrund einer fehlenden Verschmelzung der
Ossifikationszentren neigt der tympanale Anteil des N. facialis dazu, bei
angeborenen Ohrmuschelatresien dehiszent zu verlaufen. Infolge der
beeinträchtigten Entwicklung des Mastoids und des Trommelfells liegt
das vertikale Facialissegment anteriorer und lateraler und nimmt auf seinem
Weg zum Foramen stylomastoideum einen horizontaleren Verlauf ein. Das zweite
Facialisknie befindet sich weiter lateral und kann den Zugang zum Mittelohr
verdecken. Zusätzlich kommt es häufiger zu
Überkreuzungen des ovalen Fensters und zum Kontakt mit dem
Stapesoberbau. Ein fehlgebildeter Stapes ist somit ein Warnzeichen
für eine Facialisanomalie. Es ist auch möglich, dass der N.
facialis nicht aus dem Foramen stylomastoideum austritt, sondern weiter
superior in Höhe des Kiefergelenkes [235]. Diese anatomischen Variationen gefährden den Nervus
facialis bei Mittelohr- und Atresieoperationen erheblich. Deshalb ist es
sehr wichtig, dass präoperativ eine hochauflösende CT
durchgeführt wird, damit der Operateur die Position des Nervus
facialis präoperativ einschätzen und die Operation
entsprechend planen kann. Dennoch ist zu beachten, dass die Auswertung der
CT nicht immer dem intraoperativen Befund entspricht. Auf jeden Fall sollte
bei Ohroperationen bei Patienten mit Ohrmuscheldystrophien immer ein
intraoperatives Facialismonitoring verwendet werden. Der N. facialis kann
durch seinen untypischen Verlauf leicht mit der Chorda tympani, Weichgewebe
oder Narbensträngen verwechselt werden.
3.3 Seltene Ursachen für eine Parese des peripheren N.
facialis
Die häufigsten Ursachen der peripheren Facialisparese sind die
idiopathische (Bell) Facialisparese (die mit einer Inzidenz von
30–40/100 000 keine seltene Erkrankung ist), gefolgt von
iatrogenen Läsionen durch Kleinhirnbrückenwinkeloperationen und
Tumoroperationen. Auch traumatische Ursachen (Felsenbeinfrakturen,
Gesichtsverletzungen) kommen mit 20% aller peripherer Ursachen sehr
häufig vor [236]. Weiterhin kommen
virale (Herpes Zoster), bakterielle (Borrelien) und entzündliche
Läsionen im Rahmen von Otitis media und Mastoiditis als
häufigere Ursachen in Betracht. Neben diesen Erkrankungen gibt es eine
Vielzahl von seltenen Störungen, die zu einer peripheren Facialisparese
führen können. Die klinisch relevantesten sollen in diesem
Referat erörtert werden.
3.3.1 Periphere Facialisparesen im Rahmen von Systemerkrankungen
Der Zusammenhang von peripheren Facialisparesen und systemischen Erkrankungen
wird oft nicht erkannt und die Facialisparese als idiopathisch eingestuft.
Deshalb ist es wichtig einige systemische Erkrankungen, bei denen
Facialisbeteiligungen beschrieben wurden, zu betrachten.
Bindegewebserkrankungen, wie die Sklerodermie, können mit
neurologischen Läsionen einhergehen, die auch Hirnnerven betreffen
können. In erster Linie ist der N. trigeminus betroffen, aber auch
Facialisaffektionen wurden beschrieben. In einer von Treadsdall et al.
beschriebenen Serie von zehn Sklerodermie-Patienten mit Hirnnervenparese
betraf allein die Facialisbeteilung 50% [237]. Auch das Melkersson-Rosenthal-Syndrom gehört zu den
Bindegewebserkrankungen. Es ist durch die Trias aus Lippenschwellung
(Cheilitis granulomatosa), Faltenzunge (Lingua plicata) und peripherer
Facialisparese gekennzeichnet. Es ist eine autosomal vererbte Erkrankung mit
unklarer Ätiologie. Die Diagnose wird klinisch und
familienanamnestisch gestellt. Die Erkrankung neigt zu rezidiverenden
Episoden und kann mono- oder bilateral auftreten. Bis heute ist keine
kausale Therapie bekannt. Am häufigsten werden Kortikosteroide
eingesetzt [238].
Im Rahmen einer subakuten Sonderform der Sarkoidose, dem Heerfordt
Waldenström-Syndrom, kommt es auch zu einer Trias mit
Facialisparese, Vergrößerung der Kopfspeicheldrüsen
und einer Uveitis anterior. In den betroffenen Organen finden sich
Granulome. Diese Form der Sarkoidose ist normalerweise nach ein bis 3 Jahren
selbstlimitierend. Es wurden aber auch letale Fälle beschrieben. Die
Sterblichkeitsrate liegt zwischen 1 und 5% der Fälle. Die
Diagnose wird klinisch gestellt. Die Behandlung hängt vom Grad der
systemischen Beeinträchtigung ab und erfolgt mittels
Kortikosteroiden [239]. Auch im Rahmen
einer Amyloidose kommt es zur Beteiligung des peripheren Nervensystems. Bei
der Leichtketten-Amyloidose gehen die Hirnnervendefizite, auch isolierte
Facialisparesen, der Diagnose einer Amyloidose voraus. Die periphere
Facialisparese kann der systemischen Beteilung um Monate und Jahre
vorausgehen. Tatsächlich schlagen einige Autoren vor, dass eine
Leichtketten-Amyloidose vermutet werden sollte, wenn eine Facialisparese mit
einer Proteinurie oder einer monoklonalen Gammopathie einher geht [240]
[241].
3.3.2 Seltene infektiöse periphere Facialisparesen
Neben Herpes zoster- und Herpes simplex-Infektionen und der Lyme-Borreliose
als häufigste infektiöse Ursachen für eine
Facialisparese [242] gibt es noch eine
Reihe weiterer, seltener, v. a. viraler Infektionen, die im Folgenden
betrachtet werden sollen. Bakteriell verursachte Facialisparesen treten
abgesehen von der Infektion mit Borrelia burgdorferi (Lyme-Borreliose)
hauptsächlich als Komplikation einer akuten Otitis media oder einer
Mastoiditis auf. Neurotrope Viren, wie das Humane Immundefizienz-Virus, das
Epstein-Barr-Virus, das Cytomegalovirus und das humane Herpesvirus 6
können auch eine Gesichtsnervenlähmung hervorrufen [243].
Eine Gesichtsnervenlähmung ist die häufigste mit einer
HIV-Infektion verbundene Neuropathie im Kopfbereich. In Abhängigkeit
von der Immunkompetenz des Wirtes können sich sowohl eine
unilaterale als auch eine bilaterale Lähmung im Verlauf der
HIV-Infektion jederzeit über verschiedene pathogene Mechanismen
entwickeln. Wichtig ist, dass sie insbesondere als erstes oder einziges
Symptom einer asymptomatischen HIV-Infektion auftreten kann und der
idiopathischen Form (Bell-Lähmung) ähnelt. Die
Bell-Lähmung ist viel häufiger und der Zusammenhang zwischen
Facialisparese und HIV-Infektion wird in der Literatur selten
erwähnt. Deshalb wird der Zusammenhang zwischen Facialisparese und
einer HIV-Infektion oft nicht erkannt und die Diagnose einer frühen
HIV-Infektion nicht gestellt [244].
Zur Epstein-Barr-Virus-Infektion beschränkt sich die Literatur auf
pädiatrische und adulte Fallbeschreibungen. Ähnlich der
HIV-Infektion tritt die Parese uni- oder bilateral auf. Die Diagnose wird
serologisch gestellt mit einer Erhöhung der anti-VCA
IgM-Antikörper ohne Erhöhung der EBNA-Antikörper bei
der primären Infektion. In uneindeutigen Fällen kann eine
In-situ-Hybridisierung das Vorhandensein von EBV-spezifischer RNA
bestätigten. Die primäre Infektion tritt häufiger
bei Kindern auf, während es bei Erwachsenen auch zu einer
Virusreaktivierung kommen kann. Hierbei sind auch EBNA-Antikörper
erhöht [245]. Vogelnik und Matos
beschreiben 5 eigene und 4 berichtete pädiatrische Fälle,
bei denen klinisch die Facialisparese im Zusammenhang mit einer akuten
Otitis media stand [246]. Die Prognose war
in allen beschriebenen Fällen gut. Im Verlauf kam es zu einer
Restitutio ad integrum. Die Behandlung erfolgte symptomatisch. Ein Benefit
durch eine antivirale Therapie wird nicht beschrieben.
Das humane Herpesvirus 6 als Verursacher des Drei-Tages-Fiebers von
Kleinkindern gilt auch als Verursacher von Gesichtsnervenlähmungen.
Es wurde im Liquor bei Kindern und Erwachsenen mit Facialisparese
nachgewiesen. Humane Herpes 6-Viren haben eine besondere Affinität
zum Gehirn. Sie wurden post mortem auch bei asymptomatischen Patienten im
Hirngewebe nachgewiesen. Eine enzephalitische Komplikation der
Facialisparese ist dennoch möglich und sollte bedacht werden. Die
Lähmung kann während einer primären Infektion oder
im Rahmen einer Virusreaktivierung auftreten. Bei der primären
Infektion tritt die Parese nach dem dreitägigen Fieber auf. Die
optimale Behandlung ist bislang nicht bekannt. Ganciclovir und Foscarnet
können einen antiviralen Effekt gegen das humane Herpes 6-Virus
haben und sollten insbesondere bei einer Assoziation mit einer Enzephalitis
eingesetzt werden [247]
[248].
3.3.3 Periphere Facialisparesen während der
Schwangerschaft
Die Angaben zur Häufigkeit einer Facialisparese während der
Schwangerschaft sind uneinheitlich. Während einige Autoren das
Auftreten als nicht häufiger als in der Normalbevölkerung
einschätzen [249], sprechen andere
Autoren von einer erhöhten Inzidenz, v. a. im 3. Trimenon [250]. Ätiologisch werden eine Reihe
von Faktoren diskutiert. Darunter sind Präeklampsie,
veränderte Immunitätslage, eine erhöhte
Empfindlichkeit gegenüber Virusinfektionen und vermehrte
Ödemneigung insbesondere im letzten Trimenon. Hinsichtlich der
Therapie herrscht eine Unsicherheit, ob die übliche Kortisontherapie
für Schwangere vertretbar ist. Nach neuerer Meinung wird eine
rechtzeitige Behandlung mit Kortikoiden empfohlen [251]. Bei Schwangeren gelten die gleichen
diagnostischen und therapeutischen Prinzipien. Die Glukokortikoidtherapie
sollte allerdings unter stationären Bedingungen in einer
spezialisierten geburtshilflichen Klinik vorgenommen werden [252]. Der Einsatz von Virustatika konnte
bisher keinen therapeutischen Benefit belegen [253] und sollte deshalb erst recht nicht in der Schwangerschaft
erfolgen.
3.3.4 Kongenitale periphere Facialisparesen
Kongenitale Facialislähmungen treten nur bei
0,8–18/10 000 Geburten auf. Bei einer isolierten
angeborenen Gesichtslähmung geht man von einem perinatalen Trauma
aus, das durch den oberflächlichen extrakraniellen Verlauf des
Gesichtsnervs verursacht wird. Zusätzlich zu isolierten angeborenen
Fällen gibt es eine Reihe von Syndromen, die
Facialisläsionen umfassen. Dazu gehören das
Möbius-Syndrom, das Goldenhar-Syndrom und das CHARGE-Syndrom [254]. Während bei der perinatalen
traumatischen Facialisläsion in 90% eine komplette Remission
ohne Therapie auftritt, bleibt bei den Syndromen die Facialisparese teil der
Erkrankung.
Patienten mit einem klassischen Möbius-Syndrom haben eine
vollständige bilaterale Gesichts- und Abducens-Nervenlähmung
und einen fehlenden M. pectoralis major. Bei Patienten mit
unvollständigem Möbiussyndrom tritt, obwohl sie das
klinische Bild des Syndroms haben, eine Restmotorik auf einer Seite des
Gesichts auf. Neben der Behandlung der Anomalien der Gliedmaßen und
des Gaumens besteht das Hauptziel der Behandlung darin, eine
Facialisrehabilitation mittels eines dynamischen chirurgischen Eingriffs zu
ermöglichen. Die mikroneurovaskuläre freie
Muskeltransplantation ist das Verfahren der Wahl. Ideal dafür
geeignet ist der Gracilis-Muskel, da er gut zugänglich ist und kein
Funktionsdefizit hinterlässt [255].
Das Goldenhar-Syndrom ist durch eine beeinträchtigte Entwicklung der
Augen, Ohren (mit oder ohne Hörverlust), Lippen, Zunge, Gaumen,
Unterkiefer, Oberkiefer und Zahnstrukturen gekennzeichnet. Außerdem
werden Anomalien in inneren Organen, im Zentralnervensystem oder im Skelett
beobachtet. Aus diesem Grund sollte die Bezeichnung „Hemifaziale
Mikrosomie“ nicht mehr verwendet werden. Das Spektrum der Anomalien
umfasst Patienten mit kaum wahrnehmbarer Gesichtsasymmetrie bis zu sehr
ausgeprägten Gesichtsdefekten mit mehr oder weniger
ausgeprägter Facialisparese. Die Behandlung von Patienten mit
Goldenhar-Syndrom ist komplex und sollte je nach Alter des Patienten auf das
Ausmaß und den Schweregrad der beobachteten Anomalien abgestimmt
werden. Die Therapie beginnt normalerweise früh und ist lang
anhaltend [256].
Das CHARGE-Syndrom wurde erstmals 1979 von Hall et al. bei 17 Kindern mit
multiplen angeborenen Anomalien beschrieben, die zunächst durch eine
Choanalatresie auffielen [257]. Es ist
neben der Choanalatresie, Kolobomen, Herzvitien, mentaler Retardierung,
Ohrmuschelfehlbildung und Hörminderung/Taubheit auch
häufig mit einer kongenitalen Facialisparese vergesellschaftet.
(siehe auch Referat „Seltene Erkrankungen Innenohres“,
Athanasia Warnecke). Die Therapie ist von zahlreichen chirurgischen
Interventionen geprägt. Angefangen vom Atemwegs- und
Ernährungsmanagement über Herzoperationen,
Cochlea-Implant-Operationen bis hin zur dynamischen Facilialisrehabilitation
[258].
3.4 Hemispasmus facialis
Der Hemispasmus facialis ist eine seltene Erkrankung mit einer Prävalenz
von etwa 1/10 000 und einer Prädominanz des weiblichen
Geschlechts von 2:1 [259]. Schultze berichtete
1875 wahrscheinlich über den ersten Fall eines Hemispasmus facialis in
der Literatur, als er einen 56-jährigen Mann mit unwillkürlichen
linksseitigen Gesichtsbewegungen beschrieb, die Folge eines Aneurysmas der A.
vertebralis waren [260]. Der Spasmus kann
entweder primär oder sekundär auftreten. Der primäre
Hemispasmus facialis resultiert aus der Kompression des N. facialis in seinem
Kerngebiet in der hinteren Schädelgrube durch ein aberrantes
Gefäß (A. cerebelli superior, anterior, inferior oder A.
vertebralis). Sekundäre Ursachen sind vielschichtig und beinhalten
Tumoren, Malformationen, Hirninfarkte, Traumata oder demyelinisierende
Erkrankungen. Der Spasmus betrifft in der Regel die obere Gesichtshälfte
und nimmt erst mit der Zeit untere Partien ein. Eine sofortige gleichzeitige
Beteiligung des oberen und unteren Gesichts ist typisch für
sekundäre Fälle [261].
Bilaterale Erkrankungen wurden beschrieben, sind aber sehr selten
(<1%) und selbst dort beginnt die Erkrankung einseitig und
bezieht nach einigen Monaten bis Jahren, die andere Seite mit ein. Die
Kontraktionen bleiben bei solchen Patienten asymmetrisch, wobei die Seite, die
später betroffen ist, die leichteren Manifestationen aufweist. Bei der
primären Form wird ursächlich eine arterielle Hypertonie
diskutiert, die zur Bildung ektoper Gefäße führt, die
möglicherweise das Facialiskerngebiet komprimieren oder einen
parasympatischen Reiz in der hinteren Schädelgrube auslösen
[259]. Die Diagnose wird klinisch
gestellt. Zum Ausschluss sekundärer Ursachen sollte eine MRT
durchgeführt werden. In jedem Fall sollte eine weitergehende
elektrophysiologische Diagnostik durchgeführt werden. Aufgrund der
geringen Prävalenz der Erkrankung wurden nur wenige kontrollierte
klinische Studien durchgeführt, um die beste therapeutische
Modalität zu bestimmen. Aufgrund des klinischen Effekts gilt eine
Behandlung mit Botulinumtoxin als Therapie der Wahl. Die Symptome werden sehr
effektiv reduziert und die Lebensqualität gesteigert. Dosis und
Injektionsstelle hängen vom klinischen Befund ab. Meist wird nur der M.
orbicularis oculi und der platysmale Anteil behandelt. Die Behandlung des
Mundwinkels ist wegen der Gefahr des hängenden Mundwinkels kritisch.
Obwohl Botulinumtoxin die effektivste Therapie ist, sind andere Optionen,
einschließlich medikamentöser und mikrochirurgischer
Dekompressionen, in Einzelfällen ebenfalls indiziert. Zu den
eingesetzten Medikamenten gehören Antikonvulsiva wie Carbamazepin,
Clonazepam, Gabapentin, Pregabalin, Baclofen und andere. Nachteil der oralen
Medikation sind die inkonsistente Wirksamkeit und die sedierenden Nebenwirkungen
[262]. Als operatives Verfahren gilt die
Dekompression nach Jannetta, bei der der pathologische
Gefäß-Nerven-Kontakt beseitigt wird, als Standardverfahren. Bei
sorgfältiger bzw. kritischer Indikationsstellung sind die Erfolgsraten
mit 80 bis zu>90% sehr hoch [263]. Aber auch Rezidive (25%) und Komplikationen sind nicht
selten (Hörverlust 20%, Facialisparese 2%, Liquorfistel
2%). Infolgedessen ist die chirurgische Option hauptsächlich
denjenigen Patienten vorbehalten, die entweder nicht auf eine
Botulinumtoxin-Therapie ansprechen oder sich für eine dauerhafte Heilung
der Erkrankung entscheiden [259].
3.5 Seltene Tumoren des N. facialis
Primärtumoren des Gesichtsnervs sind selten und stellen eine schwierige
Behandlungsherausforderung dar. Jeder Tumor kann in der Regel anhand der
Bildgebung diagnostiziert werden. Die Auswahl der optimalen Behandlungsoption
ist anspruchsvoll, da die Literatur spärlich und häufig
inkonsistent ist. Es ist jedoch eindeutig, dass die Behandlung von N.
facialis-Tumoren im Laufe der Zeit viel konservativer geworden ist.
3.5.1 Schwannome
Facialisschwannomen auch als Neurinome und Neurilemmome bezeichnet, sind zwar
die häufigsten Facialistumoren, aber immer noch so selten, dass die
echte Inzidenz in der Bevölkerung schwer zu bestimmen ist. Saito und
Baxter fanden 5 (0,83%) zufällige Facialisschwannome in 600
Felsenbeinpräparaten, was natürlich nicht
repräsentativ für die allgemeine Bevölkerung ist,
aber eine gewisse Abschätzung darstellt [264]. Im Rahmen einer Neurofibromatose Typ II treten sie mit
einer häufigen Inzidenz von 58% auf [265]. Bei der Läsion handelt sich
es um einen gut abgekapselten, langsam wachsenden Tumor, der aus den
Schwannschen Zellen des N. facialis hervorgeht. Prinzipiell kann jedes
Segment des Nervens betroffen sein. Meistens ist das Ganglion geniculum oder
der tympanale Anteil involviert [266].
Viele Tumoren sind asymptomatisch. Die Symptome variieren je nach
Tumorgröße und Lokalisation. In bis zu 78,6% kommt
es zu einem Hörverlust, ein Tinnitus tritt in 7 bis 51,8%
und Schwindel in 46% der Fälle auf. Speziell in Bezug auf
die Facialisfunktion haben die meisten Patienten eine schleichend
einsetzende Parese oder rezidivierende Lähmungen über
mehrere Monate. Rezidivierende Facialislähmungen sollten immer an
ein Facialisschwannom denken lassen [267]
[268]. Die rein klinische
Diagnosestellung gestaltet sich wegen der vielschichtigen Symptome
schwierig. Die Ohrmikroskopie ist in der Regel normal, es sei denn, das
tympanale Segment ist betroffen, dann zeigt sich eventuell eine
Raumforderung hinter dem Trommelfell [269]. MRT und CT können hilfreich sein. In der
Dünnschicht-MRT mit Gadolinium kann sich eine
kontrastmittelanreichernde Läsion entlang der N. facialis im
Felsenbein zeigen. Wenn die Facialissegmente der ventralen Fraktion im
Bereich des N. petrosus major und der dorsalen Fraktion im Bereich des
tympanalen Verlaufes betroffen sind, tritt das typische Sandurbild im MRT
auf ([Abb. 4]). In der CT zeigt sich
typischerweise einen vergrößerter Fallopkanal im Vergleich
zur kontralateralen Seite [270]. Die
Therapie richtet sich sehr stark nach individuellen Gesichtspunkten. Das
übergeordnete Ziel ist die Erhaltung der Facialisfunktion. In der
Literatur wird eine Vielzahl von Behandlungsmethoden beschrieben, die von
konservativem „Wait-and-Scan“-Management über
Dekompression, Tumordebulking bis hin zur Resektion mit
Facialistransplantaten reicht. Eine der Hauptschwierigkeiten bei der
Diagnose und Behandlung von Facialisschwannomen besteht darin, dass viele
Facialisschwannome zunächst als das häufigere
Vestibularisschwannom angesehen werden, bis der Tumor während der
Operation freigelegt wird. Solange die Facialisfunktion normal ist,
empfehlen viele Autoren ein konservatives Vorgehen mit
regelmäßiger Durchführung einer MRT [270]
[271]
[272]. Angeli und Brackmann
beschrieben die Facialisdekompression als „konservative“
chirurgische Behandlung. Dabei wird der Druck entlastet, aber die
Nervenkontinuität gewahrt. Der Tumor wächst zwar weiter,
aber langsam und mit weniger neuronalen Verletzungen [273]. Die Methode des Tumordebulkings ist
äußerst umstritten wegen der hohen Gefahr der
Facialisparese. Befürworter des Debulkings argumentieren, dass unter
Facialisneuromonitoring Teile des Tumors, die sich nicht stimulieren lassen,
entfernt werden können. Mowry et al. berichteten sogar von einer
Verbesserung der Facialisfunktion von House-Brackman III und IV auf I oder
II nach Tumordebulking [274]. Für
Patienten mit einer schlechten Facialisfunktion (House-Brackmann>IV)
ist eine vollständige Resektion mit einer Facialisrekonstruktion
(Interponat, selten End-zu-End-Anastomose) die beste Option. Das zu
erwartende Ergebnis ist nicht besser als House-Brackmann III. Bei keiner
Verbesserung oder Verschlechterung der Facialisparese kommen andere
Facialisreanimationsverfahren in Frage [271]. Eine Alternative zur chirurgischen Intervention stellt die
stereotaktische Radiochirurgie mittels Gamma-knife, als
Einzel-Fraktions-Therapie dar. Die Tumorkontrollraten variieren hierbei in
der Literatur zwischen 83,3 und 100%. Die Raten einer
posttherapeutischen Facialisparese liegen zwischen null und 50%.
Eine weitere Alternative stellt die fraktionierte Radiotherapie mit 50Gy in
25 Fraktionen dar. Bei beiden Bestrahlungsmodalitäten wird die
Hörverlustrate mit bis zu 15% oder höher angegeben
[275]
[276]
[277]. Für die
individuelle Therapieentscheidung sind die postoperativen und postradiogenen
Komplikationen (v. a. Facialisparese und Hörverlust) in
Abhängigkeit vom Patientenalter und Gesamtkonstellation dem Risiko
einer permanenten Facialisparese und ggf. auch Taubheit bei fehlender
Behandlung zu diskutieren. Beachtet werden sollte auch, dass sowohl beim
konservativen Wait-and-Scan-Vorgehen, als auch beim strahlentherapeutischen
Management die histologische Bestätigung der Diagnose fehlt und eine
Abgrenzung zum Vestibularisschwannom fast nicht möglich ist.
Lebenslange regelmäßige MRT-Kontrollen sollten sowohl nach
Resektion als auch nach einer Bestrahlung durchgeführt werden, um
einen Tumorprogress bzw. ein Rezidiv auszuschließen.
Abb. 4 T1-gewichtete MRT mit Kontrastmittel eines N. Facialis
Schwannoms. Die axiale Ansicht zeigt ein typisches
Sanduhr-Phänomen (Pfeil). Die ventrale Fraktion befindet
sich im Bereich des N. petrosus major und die dorsale Fraktion ist
im Bereich des tympanalen Verlaufes des N. facialis. Mit
freundlicher Genehmigung von Professor Christoph Groden,
Neuroradiologie Universitätsklinikum Mannheim.
3.5.2 Neurofibrome
Neurofibrome sind ebenfalls gutartige Tumoren der peripheren Nervenscheide.
Histologisch gesehen handelt es sich um eine plexiforme Mischung von
Schwannschen Zellen, perineuralen Elementen, Fibroblasten und
hämatopoetischen Zellen eingebettet in Kollagen. Das Neurofibrom
kann sporadisch auftreten oder mit einer Neurofibromatose assoziiert sein.
Zur assoziierten Form gehören der kutane Subtyp (Neurofibromatose 1
oder 2), der massive Subtyp (Neurofibromatose 1) und der plexiforme Subtyp
(Neurofibromatose 1) [278]. Eine maligne
Transformation ist zwar selten kommt aber dennoch im Zusammenhang mit der
Neurofibromatose Typ 1 (Morbus von Recklinghausen) vor. Deshalb sollten auch
gutartige Läsion engmaschig kontrolliert werden [279]. Im Gegensatz zum Schwannom des
peripheren N. facialis kommt es beim sporadischen Neurofibrom, auch bei sehr
großen Läsionen, nur selten zur Facialisparese. Bei der
Behandlung ist zu beachten, dass sich die Axone des Neurofibroms anders
verhalten als die des Schwannoms. Beim Schwannom haben sie keine Beziehung
zum Tumor. Beim Neurofibrom dringen die Axone direkt in den Tumor ein. Das
ist der Grund warum ein Facialis-Schwannom vom Nerven schonend getrennt
werden kann, ein Neurofibrom aber nicht. Eine Komplettexzision ist deshalb
gleichbedeutend mit einer Nervenschädigung. Somit sollte das
Neurofibrom, mit Ausnahme bei maligner Entartung oder Typ I
Neurofibromatose, möglichst nicht chirurgisch behandelt werden [280]. Falls eine Resektion
unumgänglich ist, sollte eine Nervenrekonstruktion mittels
Interponat oder (selten möglich) End-zu-End-Anastomose erfolgen.
3.5.3 Hämangiome
Hämangiome des N. facialis gehen vom Ganglion geniculi aus. Sie sind
sehr selten und machen 0,7% der Tumoren im Schläfenbereich
aus [281]. Diese Tumoren sind
genaugenommen keine neuralen Tumoren, sondern extraneurale Neoplasien, die
aus dem den Nerv umgebenden Gefäßplexus entstehen. Am
Ganglion geniculi ist dieser Gefäßplexus besonders dicht
[282]. Hämangiome wachsen zwar
sehr langsam, aber schon im Frühstadium kommt es zu einer
fortschreitenden Facialisparese. Eine signifikante Anzahl von Patienten
leidet zusätzlich unter Facialisspasmen. Fünfundzwanzig
Prozent der Patienten erleiden eine Hörminderung. Mit zunehmendem
Wachstum entsteht entweder eine Cochleafistel mit sensorineuralen
Hörverlust oder eine Destruktion der
Gehörknöchelchenkette mit einer
Schallleitungsschwerhörigkeit oder beides [283]. Elektroneurografisch zeigt sich eine
signifikante Abnahme der Amplituden. In der Elektromyografie zeigt sich ein
charakteristisches Wechselmuster von Regeneration und Degeneration bei
gleichzeitiger Anwesenheit von Fibrillationspotentialen und mehrphasigen
Aktionspotentialen. Diese anhaltende Degeneration und Regeneration scheint
für das Facialishämangiom charakteristisch zu sein [284]. Computertomografisch zeigt sich ein
sogenanntes „Mottenfraßbild“ bedingt durch eine
Erosion des Bodens der mittleren Schädelgrube mit fein punktierten
Verkalkungen. In der MRT zeigt sich auf T2-gewichteten Bildern im Gegensatz
zu den isointensen Schwannomen eine heterogene hyperintense Raumforderung.
Zu beachten ist, dass 80% der Hämangiome kleiner als 1cm
sind und damit leicht übersehen werden [284]. Die optimale Behandlungsmethode für das
Facialishämangiom ist angesichts der geringen Anzahl von Berichten
in der Literatur schwer zu bestimmen. Basierend auf den wenigen
verfügbaren Daten sollten diese zunächst überwacht
werden, sofern keine Parese oder einer Hörverlust vorliegt. Bei
guter Hörfunktion sollte ab einer Facialisparese
House-Brackmann-Grad III, eine schonende Resektion über einen
transkraniellen (subtemporalen) Zugang zur mittleren Schädelgrube
erfolgen. Hierbei ist eine gute Exposition des Ganglion geniculis mit einer
hohen Chance des Hörerhalts möglich. Die Resektion erfolgt
mikrochirurgisch unter Facialismonitoring. Bei bereits bestehender Taubheit
oder hochgradiger Schwerhörigkeit kann der Zugang
translabyrintär erfolgen [284].
3.5.4 Paragangliome
Das Paragangliom des N. facialis ist eine äußerst seltene
Erkrankung. Die meisten Paragangliome (Glomustumoren) der Region
manifestieren sich als Glomus tympanicum oder als Glomus jugulare. Wenn
diese Läsionen wachsen, kann der Gesichtsnerv sekundär
beteiligt sein. Primäre faciale Paragangliome sind extrem selten. In
der Literatur konnten seit der ersten Beschreibung im Jahr 1986 nur 21
weitere primäre Fälle gefunden werden [285]
[286]
[287]
[288]
[289]
[290]
[291]
[292]
[293]
[294]
[295]
[296]
[297]
[298]
[299]
[300]. Die meisten dieser Tumoren wurden im
vertikalen Anteil des N. facialis in der Nähe des Bulbus venae
jugularis und des Foramen stylomastoideum identifiziert. In den wenigen
beschriebenen Fällen scheint die Facialisparese das
häufigste Symptom zu sein, gefolgt von einem pulsierenden Tinnitus.
Die Bildgebungseigenschaften von CT und MRT ähneln denen anderer
Paragangliome: Knochendestruktion, hohes T2 Signal, „Salz und
Pfeffer“-Bild mit deutlichem Enhancement auf den T1 gewichteten
Bildern. Die 18F-Dihydroxyphenylalanin (DOPA)
-Positronenemissionstomografie (PET) scheint bei sehr kleinen Tumoren
(<1 cm) der MRT überlegen zu sein [301]. Der Großteil der
beschriebenen Tumore wurde reseziert. Wie bei anderen Paragangliomen richtet
sich die Therapie nach der Lage des Tumors und seiner Größe.
Die Behandlung der Paragangliome hat sich allgemein im letzten Jahrzehnt von
einer radikalen Resektion hin zu einer chirurgischen Tumorreduktion unter
Beibehaltung der Funktion sowie lokaler Kontrolle von Residualgewebe bewegt.
Je nach Einzelfall kann die lokale Kontrolle eine primäre oder
postoperative Strahlentherapie oder eine
„Wait-and-Scan“-Strategie umfassen.
Die vorliegende Arbeit stellt eine Übersicht über die
aktuelle Literatur seltener Speicheldrüsenerkrankungen und
seltener Erkrankungen des N. facialis dar. Besonders herausfordernd ist
die Diagnostik und Behandlung seltener chronischer
nicht-infektiöser Sialadenitiden und Sialadenosen. Ein
interdisziplinäres Vorgehen ist hierbei entscheidend. Die rapide
Entwicklung in der Molekulargenetik macht die Behandlung von seltenen
Speicheldrüsentumoren noch komplexer, bietet aber gerade
hinsichtlich zielgerichteter medikamentöser Therapien
möglicherweise bald neue Optionen. Bei der Behandlung der sehr
seltenen Tumoren des N. facialis hat sich die Therapie zu Gunsten des
Funktionserhalts von einem radikalen Vorgehen zu einer eher
zurückhaltenden Behandlung verändert. Die Betrachtung
aller in dieser Arbeit beschriebenen Erkrankungen macht deutlich, dass
gerade die Behandlung der seltenen Pathologien den spezialisierten
Zentren vorbehalten sein sollte. In diesen Zentren kann auf ausreichend
Erfahrung zurückgegriffen werden. Unter dem Aspekt der Erlangung
von großen Fallzahlen ist die Initiierung multizentrischer
Studien und eine Sammlung der Fälle in nationalen und
internationalen Registern wünschenswert.