Z Orthop Unfall 2021; 159(02): 209-215
DOI: 10.1055/a-1333-4099
Original Article/Originalarbeit

Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die deutschen TraumaZentren und AltersTraumaZentren DGU

Article in several languages: English | deutsch
1   Department of Orthopedic and Emergency Surgery, Alfried Krupp Hospital Steele, Essen, Germany
,
Daphne-Asimenia Eschbach
2   Center for Orthopedics and Trauma Surgery, University Hospital Giessen and Marburg, Marburg, Germany
,
Thomas Friess
3   Project Coordination Geriatric Trauma Centre, DGU Bochum, Germany
,
Sven Lendemans
1   Department of Orthopedic and Emergency Surgery, Alfried Krupp Hospital Steele, Essen, Germany
,
Christine Hoefer
4   AUC, Akademie der Unfallchirurgie GmbH, Munich, Germany
,
Steffen Ruchholtz
2   Center for Orthopedics and Trauma Surgery, University Hospital Giessen and Marburg, Marburg, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Die COVID-19-Pandemie stellt neben den gesellschaftlichen auch eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Im Rahmen einer internationalen Studie wurden die deutschen TraumaZentren DGU und AltersTraumaZentren DGU hierüber befragt.

Methodik Der englische Fragebogen wurde ins Deutsche übersetzt, mit spezifischen Fragen ergänzt und durch die Akademie der Unfallchirurgie an alle Ansprechpartner der Zentren verschickt. Die Auswertung erfolgte rein deskriptiv.

Ergebnisse Es nahmen 71 von 692 Zentren an der Umfrage teil. Die Vorgabe zur Einstellung von elektiven Behandlungen wurde von 68% der teilnehmenden Kliniken umgesetzt, der Rest führte nur noch dringliche Behandlungen durch. Es zeigte sich auch ein Rückgang unfallchirurgischer Patienten. Tatsächliche COVID-19-Infektionen traten bei über 90% der Kliniken nur in 0 – 4% der behandelten Patienten mit hüftgelenksnaher Femurfraktur auf. Bei 84% der Kliniken ist ein wirtschaftlicher Schaden für die Klinik eingetreten oder wird erwartet. Von fast allen Kliniken wurden personelle oder infrastrukturelle Ressourcen zur Bekämpfung der Pandemie bereitgestellt.

Schlussfolgerung Unsere Umfrage zeigt, dass die Pandemie einen starken Einfluss auf die TraumaZentren DGU und AltersTraumaZentren DGU hat. Die Kliniken erwarten wirtschaftliche Einbußen. Fast alle Kliniken stellten aber personelle und infrastrukturelle Ressourcen zur Bekämpfung der Pandemie bereit und leisteten so einen Beitrag für den bisher guten Pandemieverlauf in Deutschland im internationalen Vergleich.


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Einleitung

Am 11. März 2020 rief die Weltgesundheitsorganisation eine Pandemie, verursacht durch das neuartige Coronavirus-2 (COVID-19) aus [1]. Die COVID-19-Pandemie stellt eine große Herausforderung für sämtliche Gesundheitssysteme weltweit dar. Durch den Lockdown, der in Deutschland vom 13.03. bis 19.04.2020 galt, wurde neben dem öffentlichen Leben auch der Routinebetrieb in Krankenhäusern massiv eingeschränkt. Bundesgesundheitsminister Spahn erklärte, dass ab dem 16. März 2020 alle medizinisch nicht zwingenden Aufnahmen und Operationen verschoben werden sollten. Erst mit der Erklärung vom 27.04.2020 konnte ein Teil der Krankenhauskapazitäten wieder für elektive Operationen genutzt werden. So konnte eine aktuelle Studie anhand von Daten der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) einen deutlichen Rückgang der Krankenhausbehandlungen für bestimmte Diagnosen zeigen [2]. Insbesondere die Orthopädie, mit vornehmlich elektiven Behandlungen, zeigte einen deutlichen Rückgang. So wurden in diesem Zeitraum 78,3% weniger Hüft- und 83,5% weniger Knieprothesen implantiert. Aber auch in der Unfallchirurgie zeigte sich ein Rückgang. 34% weniger Polytrauma, 24,1% weniger Schenkelhalsfrakturen und 18,9% weniger pertrochantäre Femurfrakturen wurden behandelt [2]. In einer aktuellen Umfrage wurden alle Mitglieder des Konvents der Universitätsprofessoren für Orthopädie und Unfallchirurgie nach dem Einfluss der COVID-19-Pandemie befragt. Von den Befragten wurde eine Reduktion der Bettenkapazität um 45,3 ± 20,1%, eine Reduktion der OP-Kapazitäten um 49,4 ± 20,4% und ein Rückgang der Notfallpatienten um 72,0 ± 21,1% angegeben. In den universitären Abteilungen wurden 14,7 ± 17,2% der ärztlichen Mitarbeiter in anderen Abteilungen eingesetzt. Der durchschnittliche finanzielle Verlust der Abteilungen wurde mit 29,3 ± 17,9% angegeben [3].

Im Rahmen der internationalen Studie „International Multicentre Project Auditing COVID-19 in Trauma & Orthopaedics (IMPACT)“, initiiert von der Scottish Orthopaedic Research Trust into Trauma, des Scottish Hip Fracture Audit und der schottischen Regierung erfolgte eine Kontaktaufnahme der Initiatoren der Studie mit der Akademie der Unfallchirurgie (AUC), um eine Einbindung Deutschlands in dieser Studie zu ermöglichen. Im Rahmen einer Teilstudie „IMPACT Services Survey“ wurde eine Kooperation vereinbart. In dieser Teilstudie sollte der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf elektive Behandlungen in Orthopädie und Unfallchirurgie, der Einfluss auf die Behandlung von hüftgelenksnahen Femurfrakturen und die Strategien für die Eindämmung der Pandemie und für die anstehende Normalisierung evaluiert werden. Hierfür wurde der englische Fragebogen ins Deutsche übersetzt und mit spezifischen Fragen ergänzt. Hierdurch war die eigene Gestaltung des Fragebogens limitiert, um die Vorgaben der internationalen Studie einzuhalten. Von den Initiatoren der IMPACT-Studie ist eine Publikation der internationalen Ergebnisse der Umfrage geplant.

Ziel dieser Arbeit war, neben der Kooperation im Rahmen der IMPACT Studie, auch den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die deutsche Unfallchirurgie auf allen Versorgungsebenen zu erheben.


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Material und Methoden

Durch die Initiatoren der internationalen IMPACT-Studie wurde der AUC der verwendete Fragebogen zur Verfügung gestellt [4]. Dieser wurde von den Autoren ins Deutsche übersetzt und mit zusätzlichen Fragen ergänzt, um weitere Details zur Versorgungsstufe und zur Behandlung anderer Diagnosen zu erhalten. Insgesamt bestand der Fragebogen aus 24 Fragen. Die ersten beiden Fragen bezogen sich auf die Organisationsstruktur der Klinik, aus welchem Bundesland sie stammt und wie das zertifizierte TraumaZentrum DGU (TZ) eingestuft ist (lokal/regional/überregional) bzw. ob eine Zertifizierung zum AltersTraumaZentrum DGU (ATZ) vorliegt. Die nächsten 5 Fragen bezogen sich auf den allgemeinen und organisatorischen Einfluss der COVID-19-Pandemie.

Die folgenden 14 Fragen zielten auf den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Behandlung spezieller Diagnosen. Insbesondere wurde hier auf die Auswirkungen auf hüftgelenksnahe Frakturen, distale Radiusfrakturen, proximale Humerusfrakturen und auf die Behandlung polytraumatisierter Patienten eingegangen. Zusätzlich wurde der Einfluss auf die elektive Behandlung von Patienten abgefragt. Es wurde jeweils monatsweise für März, April und Mai 2020 untergliedert, und ein Vergleich mit diesen Monaten aus dem Vorjahr sollte von den Teilnehmern vorgenommen werden.

Die nächste Frage bezog sich auf die Erholungsphase und die erwarteten Langzeitauswirkungen der COVID-19-Pandemie. Die letzten beiden Fragen sollten aufzeigen, ob die Zahlenangaben Schätzungen oder konkrete Zahlen waren und ob die Teilnehmer noch weitere Kommentare zur COVID-19-Pandemie hatten.

Den Teilnehmern wurde freigestellt, ob sie den Fragebogen anonym oder mit Angabe ihrer persönlichen Daten, für eine etwaige Nennung in der Studygroup der IMPACT-Studie, ausfüllten.

Über die AUC wurde die Befragung als Onlinefragebogen an die hinterlegten Ansprechpartner der TZ und ATZ übermittelt. Hierbei wurden einige Fragen als erforderlich gekennzeichnet, ohne deren Beantwortung kein Abschließen des Bogens möglich war.

Die webbasierte Umfrage startete am 20.06.2020 und endete am 10.07.2020. Aufgrund der Vorgaben der Initiatoren der IMPACT-Studie konnte nur ein kurzer Umfragezeitraum verwirklicht werden.

Die Antworten der angeschriebenen Kliniken wurden dann mittels der Software Microsoft Excel ausgewertet. Die Beschreibung der Ergebnisse erfolgte rein deskriptiv, es wurden lediglich Mittelwerte und Kategorien angegeben.


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Ergebnisse

Insgesamt nahmen 72 von insgesamt 692 angeschriebenen Zentren an der Umfrage teil. Dies entsprach einer Rücklaufquote von 10,4%. Hiervon waren 76,4% gemeinsame orthopädisch-unfallchirurgische Kliniken und 23,6% reine Unfallchirurgien. Die Verteilung auf die einzelnen Bundesländer ist in [Abb. 1] dargestellt.

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Abb. 1 Vergleich der regionalen Verteilung von TraumaZentren DGU mit den Standorten der Kliniken der Umfrageteilnehmer. Aus Bremen, Thüringen und dem Saarland gab es keine Rückmeldung; BaWü: Baden-Württemberg; MW: Mecklenburg-Vorpommern; NRW: Nordrhein-Westfalen.

Bezogen auf die Versorgungsstufe waren 45,8% der teilnehmenden Kliniken als lokales TZ zertifiziert, 30,6% als regionales TZ und 19,4% als überregionales TZ, was die Verteilung im TraumaNetzwerk DGU widerspiegelt (49,7/32,9/17,5%). 33,3% der teilnehmenden Kliniken waren als ATZ zertifiziert ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Prozentuale Verteilung der unterschiedlichen Versorgungsstufen im TraumaNetzwerk DGU und bei den Umfrageteilnehmern. Es zeigt sich eine vergleichbare Aufteilung.

58,3% der Befragten gaben an, dass es durch die COVID-19-Pandemie zu einer Verschlechterung der unfallchirurgisch-orthopädischen Versorgung gekommen sei. 38,9% konnten keinen Einfluss feststellen. Nur 19,4% der Befragten konnten auf die volle OP-Kapazität während der Lockdown-Phase zurückgreifen. 50% der normalen Kapazität standen 43,1% der Befragten zur Verfügung ([Tab. 1]). Allerdings hat sich bei 59,7% der Befragten bereits eine Normalisierung der Kapazitäten eingestellt. Insgesamt gaben 84,7% der Kliniken an, dass es zu einer Verringerung der OP-Zahlen gekommen sei.

Tab. 1 Eingeführte Maßnahmen und Eingriffe in personelle und infrastrukturelle Ressourcen.

Frage

Antwortmöglichkeiten: Anteile

n: Anzahl der antwortenden Kliniken; zusätzlich zur prozentualen Verteilung wurden die Antwortmöglichkeiten angegeben

Kapazität:

Verfügbarkeit OP-Säle bis Eintritt Normalisierung
(n = 72)

> 100%

100%

75%

50%

≤ 25%

4,2%

19,4%

27,8%

43,1%

5,5%

Normalisierung eingetreten in (n = 42)

1. Hälfte April

2. Hälfte April

1. Hälfte Mai

2. Hälfte Mai

1. Hälfte Juni

2. Hälfte Juni

4,9%

0,0%

19,5%

19,5%

53,7%

2,4%

abgestelltes Personal (n = 49)

Fachärzte

Assistenzärzte

PJ-Studenten

exam. Krankenpflege

Chirurgisch-technische Assistenten

ortho-geriatrische Mitarbeiter

Krankenpflegehelfer

38,8%

79,6%

18,4%

79,6%

14,3%

71,4%

umgewidmete Bereiche (n = 55)

ganze Abteilung

Teile der Abteilung

OP-Säle

Untersuchungszimmer

Notaufnahme

7,3%

80,0%

27,3%

34,5%

47,3%

eingeführte COVID-19-Maßnahmen (n = 66)

Fragebogen nach Symptomen

obligatorischer Labortest

Labortest bei auffälliger Anamnese

sonstiges

unbekannt

74,2%

48,5%

54,5%

6,1%

0,0%

In etwa 70% der befragten Kliniken musste Personal zur Unterstützung der Pandemiemaßnahmen abgestellt werden und bei 76,4% Räumlichkeiten ([Tab. 1]).

Bezogen auf hüftgelenksnahe Femurfrakturen verzeichneten im März 2020 40,3% der Kliniken eine Abnahme der hüftgelenksnahen Femurfrakturen, im Durchschnitt um 35% pro Klinik, im Vergleich zu März 2019. Bei 54,2% zeigte sich keine Änderung. Für den April 2020 gaben noch 33,3% eine Abnahme an (61,1% keine Änderung) und im Mai 2020 kam es zu einer weiteren Normalisierung, noch 18,1% hatten eine reduzierte Fallzahl im Vergleich zum Vorjahr (75% keine Änderung). Allerdings gaben diese Kliniken im Durchschnitt eine Abnahme um 38% an ([Tab. 2]).

Tab. 2 Prozentuale Verteilung der Angaben der Kliniken über die Veränderung der Fallzahlen bezogen auf die abgefragten Diagnosen und im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Hüftfraktur

Polytrauma

distale Radiusfraktur

Humeruskopffraktur

März 2020

  • Abnahme

40,3%

48,6%

40,3%

34,7%

    • durchschnittlicher Rückgang/Klinik

35%

39%

31%

39%

  • keine Veränderung

54,2%

50,0%

54,0%

63,9%

  • Zunahme

5,5%

1,4%

5,7%

1,4%

April 2020

  • Abnahme

33,3%

47,2%

45,8%

34,7%

    • durchschnittlicher Rückgang/Klinik

39%

39%

32%

43%

  • keine Veränderung

61,1%

48,6%

48,6%

62,5%

  • Zunahme

5,6%

4,2%

5,6%

2,8%

Mai 2020

  • Abnahme

18,1%

30,6%

33,3%

29,2%

    • durchschnittlicher Rückgang/Klinik

38%

45%

17%

37%

  • keine Veränderung

75,0%

61,1%

59,7%

70,8%

  • Zunahme

6,9%

8,3%

7,0%

0,0%

Die Inzidenz von COVID-19-positiv getesteten Patienten mit einer hüftgelenksnahen Fraktur lag überwiegend bei 0 – 4% ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Anteil der COVID-19-positiven Patienten am Gesamtkollektiv der hüftgelenksnahen Frakturen.

In Bezug auf die Indikationsstellung zur operativen Therapie wurde bei 94% der Häuser keine Änderung hin zu mehr konservativer Therapie berichtet.

Bezüglich der elektiven orthopädisch-unfallchirurgischen Behandlung teilten 68,1% mit, dass diese vollständig eingestellt wurden, der Rest führte nur noch dringliche elektive Behandlungen auch mit einer eventuellen Operation durch. Auf die Behandlung von Tumorerkrankungen hatte die Einstellung oder Reduzierung des Elektivprogramms bei 83,3% keinen Einfluss, bei 16,7% wurde auch diese reduziert. Die Einstellung des Elektivprogramms brachte aber, insbesondere in gemeinsamen orthopädisch-unfallchirurgischen Abteilungen, eine deutliche Reduzierung der Einnahmesituation mit sich, 84,7% gaben dies an. Von einigen Teilnehmern wurde im Freitext angegeben, dass die Ausgleichszahlungen, die von der Bundesregierung beschlossen wurden, nicht zur Deckung der Verluste ausreichen würden. In 94,4% der Kliniken wurde das Elektivprogramm in der Zwischenzeit aber wieder aufgenommen. 90,3% gaben diesbezüglich auch keine Bedenken an.

In Bezug auf die Behandlung von Polytraumapatienten mit einem Injury Severity Score ≥ 16 zeigte sich im März und April 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine vergleichbare Abnahme bei etwa 50% der Kliniken. Im Mai 2020 konnte eine Abnahme der Fallzahlen noch von 30,6% der befragten Kliniken verzeichnet werden ([Tab. 2]).

Die gleiche Tendenz zeigte sich auch bei den Fallzahlen von behandelten distalen Radiusfrakturen. Im März und April fand sich noch eine Abnahme bei 40 – 45% der Kliniken, im Mai 2020 noch bei 33,3% ([Tab. 2]). Interessant war jedoch, dass in 16,7% der Kliniken die Indikationsstellung zur operativen Therapie angepasst wurde. In diesen Kliniken wurden mehr Patienten konservativ behandelt. Dies wurde häufig mit einem Patientenwunsch begründet aufgrund der Angst vor einer COVID-19-Infektion.

Etwas schwächer fiel die Abnahme bei proximalen Humerusfrakturen aus. Hier berichteten 34,7% der Kliniken über eine Abnahme im März und April 2020 und noch 29,2% im Mai 2020 ([Tab. 2]). Bei der Diagnose einer proximalen Humerusfraktur teilten 93,1% mit, dass es zu keiner Veränderung bez. der Indikation zur operativen Therapie gekommen ist. Lediglich ein kleiner Anteil gab an, mehr Humerusfrakturen konservativ behandelt zu haben.

Bei der Frage nach Erholungsphase und Langzeitauswirkungen der COVID-19-Pandemie gaben viele Kliniken an, keine größeren Effekte zu erwarten. Insgesamt befürchteten 30 Kliniken finanzielle Einbußen, 9 einen höheren organisatorischen Aufwand, 4 Personalkürzungen und 2 fehlende Fortbildungsmöglichkeiten. Als mögliche positive Effekte wurden ein erhöhter Hygienestandard (3 Kliniken), Überstundenabbau (6 Kliniken), Verbesserung der Abläufe (9 Kliniken) und Vergütung leerer Betten (2 Kliniken) angegeben. Die Zahlenangaben in der Umfrage basierten bei 80,6% der Befragten auf einer Schätzung, bei den Restlichen um konkrete Zahlenwerte.


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Diskussion

Unsere Umfrage zeigt die Entwicklung der deutschen Orthopädie und Unfallchirurgie unter dem Einfluss der COVID-19-Pandemie über alle Versorgungsstufen hinweg. Hier wurde die Einteilung der Traumazentren nach lokal/regional und überregional zugrunde gelegt. Insbesondere bei elektiven Eingriffen zeigte sich eine dramatische Reduktion. Etwa 70% der Kliniken stellten das Elektivprogramm vollständig ein, der Rest führte nur noch dringliche elektive Behandlungen durch. Dieses Ergebnis wird durch die Analyse der IQM-Daten von Kuhlen et al. bestätigt. Hier wurde ein Rückgang der Prothetik um mehr als 80% und von Wirbelsäuleneingriffen um fast 55% beschrieben [2]. Auch im DRG-Browser (DRG: Diagnosis-related Groups) des Institutes für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zeigte sich ein Rückgang der elektiven Knieendoprothetik um 52,5% (DRG I44C) und in der Hüftendoprothetik um 48% (DRG I47C) [5]. Diese Auswirkungen, insbesondere auf die elektive Orthopädie und Unfallchirurgie, wurden auch international bereits beschrieben [6], [7].

In unserer Umfrage konnten wir jedoch auch zeigen, dass auch unfallchirurgische Behandlungen in der Zeit des COVID-19-Lockdowns reduziert waren. So berichteten immerhin fast 50% der Kliniken, dass sie während des Lockdowns weniger hüftgelenksnahe Femurfrakturen behandelt hätten. In der Literatur wird demgegenüber allerdings gezeigt, dass insbesondere die Anzahl der fragilitätsbedingten hüftgelenksnahen Femurfrakturen auch während der Pandemie konstant geblieben wären [8], [9], [10]. Diese internationalen Ergebnisse konnten für Deutschland weder durch unsere Umfrage noch durch die IQM-Daten, mit einer Reduktion der Schenkelhalsfrakturen um etwa 24% und der pertrochantären Frakturen um etwa 19%, bestätigt werden [2]. Im InEK-DRG-Browser zeigte sich ein Rückgang von 41 975 hüftgelenksnahen Femurfrakturen im Zeitraum 01.03.2019–31.05.2019 auf jetzt 33 753 Fälle. Dies entspricht einem Rückgang um etwa 20% [5]. Eventuell scheint es hier einen Unterschied zwischen den deutschen und den spanischen bzw. englischen Daten zu geben, ohne den Grund hierfür angeben zu können. Auch im 1. Teil der IMPACT-Studie, eine multizentrische, retrospektive Auswertung der 30-Tage-Mortalität nach hüftgelenksnaher Femurfraktur und COVID-19-Infektion, wurde über keinen Rückgang der Inzidenz von hüftgelenksnahen Femurfrakturen während der Pandemie berichtet [11]. Interessant an den ersten Ergebnissen aus der IMPACT-Studie war der Anteil an COVID-19-positiven Patienten. Dieser betrug 8,5% aller Patienten, die im Untersuchungszeitraum behandelt wurden [10]. In unserer Umfrage lag der Anteil von COVID-19-Positiven von März bis Mai 2020 in etwa 90% der Kliniken bei 0 – 4%. Eine mögliche Erklärung ist, dass in der IMPACT-Studie alle Patienten getestet wurden und nur 26% der Patienten bereits bei Einlieferung entsprechende Symptome zeigten [10].

In Bezug auf die Entwicklung der Polytraumata, der distalen Radiusfrakturen und der proximalen Humerusfrakturen zeigen die internationalen Publikationen einen ähnlichen Verlauf. In einer monozentrischen epidemiologischen Studie an einem britischen Hospital konnte ebenfalls eine deutliche Reduktion der Polytraumata und der Frakturen an der oberen Extremität nachgewiesen werden [12]. Dies wird insbesondere durch die massive Einschränkung des öffentlichen Lebens durch den Lockdown erklärt, sodass insbesondere Verletzungen durch sportliche Aktivitäten, alkoholbedingte Verletzungen und Verkehrsunfälle [13] deutlich reduziert sind. Laut statistischem Bundesamt findet sich ein Rückgang von Straßenverkehrsunfällen im Zeitraum Januar bis April 2020 um 18,4%, verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Allein im April sank die Rate um 35% [14]. Ebenfalls ein deutlicher Rückgang um 10,3% von meldepflichtigen Arbeits- und Wegeunfällen wird von der Berufsgenossenschaft Verkehr für das 1. Quartal 2020 berichtet [15]. Dagegen zeigt sich die Berufsgenossenschaft BAU besorgt aufgrund steigender Todeszahlen während der COVID-19-Pandemie durch Unfälle auf Baustellen [16]. In unserer Umfrage berichtet eine Klinik aus einem deutschen Urlaubsgebiet über einen starken Rückgang der Patientenzahlen durch den fehlenden Tourismus. Auch aus Nordamerika wurden geringere Inzidenzen für Polytraumata und andere Verletzungen berichtet. Allerdings stieg hier gleichzeitig der Anteil an penetrierenden Verletzungen durch Schusswaffen [17]. Im InEK-DRG-Browser fand sich ein Rückgang von 15 273 proximalen Humerusfrakturen in 2019 auf 12 145 Fälle, was einer Reduktion um 20,5% entspricht. Auch die Fallzahl an Polytraumata ging von 1919 auf 1485 Fälle zurück (Reduktion um 20,6%). Die Behandlung von distalen Radiusfrakturen sank von 18 527 Fällen auf 16 797 Fälle (Reduktion um 9,3%). Es wurde jeweils der Zeitraum 01.03.2019 bis 31.05.2019 mit dem Zeitraum 01.03.2020 bis 31.05.2020 verglichen [5]. Insgesamt zeigen sich die von den teilnehmenden Kliniken beobachteten Fallzahlreduktionen mit den Datenlieferungen an das InEK von allen deutschen Kliniken vergleichbar.

Ein beachtlicher Teil der personellen und infrastrukturellen Ressourcen der Kliniken wurde zur Bekämpfung der Pandemie eingesetzt. Im Vergleich zur Befragung der Mitglieder des Konvents der Universitätsprofessoren für Orthopädie und Unfallchirurgie erscheint dieser Anteil an Ressourcen sogar noch höher. In der Studie von Haffer et al. wurde die zunächst etwas niedrige Quote damit begründet, dass universitäre Abteilungen neben der Patientenbehandlung auch Aufgaben in Forschung und Lehre nachkommen [3]. In der vorliegenden Umfrage waren jedoch vorrangig nicht universitäre Kliniken beteiligt.

Es gaben 84,7% der Kliniken an, dass sich die Klinikeinnahmen durch die COVID-19-Pandemie und trotz der Kompensationszahlungen, beschlossen durch die Bundesregierung [18], deutlich reduzieren. Dies wurde in einer retrospektiven Studie an einer deutschen universitären Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie bestätigt. Neben der deutlichen Fallzahlminderung zeigte diese Studie eine finanzielle Einbuße von etwa 57%. Sämtliche Kompensationen waren bereits eingerechnet. Die Kollegen ermittelten eine durchschnittliche Unterdeckung trotz Berücksichtigung einer Sachkostenkorrektur von 567 € pro Fall. In dieser Studie wurde der Zeitraum vom 16.03.2020 bis 17.04.2020 mit dem exakten Vorjahreszeitraum verglichen [19].

Die größte Limitation unserer Studie ist sicherlich die geringe Rücklaufquote. Diese bietet eine hohe Gefahr für einen Bias. Die prozentuale Verteilung der Versorgungsstufe der Traumazentren ist jedoch vergleichbar mit der tatsächlichen Verteilung in Deutschland und kann so vermutlich ein realistisches Abbild zeigen. Darüber hinaus wurden vor allem Schätzungen durch leitende Ärzte in den jeweiligen Kliniken abgegeben. Eine Schätzung der angegebenen Zahlen muss auch als eindeutige Limitation benannt werden.

Die Ergebnisse unserer Umfrage zeigten dennoch, dass die deutsche Orthopädie und Unfallchirurgie über alle Versorgungsstufen hinweg dem Aufruf der Politik nachgekommen ist und fast das komplette elektive Programm eingestellt hatte während des Lockdowns. Darüber hinaus hat die Orthopädie und Unfallchirurgie durch Bereitstellung von Ressourcen und Abstellung von Personal erfolgreich die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie unterstützt.


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Schlussfolgerung

Unsere Umfrage zeigte einen starken Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die TraumaZentren DGU und AltersTraumaZentren DGU. Neben der deutlichen Reduktion der elektiven Behandlungen von Patienten zeigt sich auch bei vielen Kliniken eine Abnahme der unfallchirurgischen Patienten mit Frakturen. Dies ist durch den Lockdown und der damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu erklären. Hierdurch ist auch bei dem Großteil der teilnehmenden Kliniken die Befürchtung von wirtschaftlichen Einbußen erklärbar.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The authors declare that they have no conflict of interest./Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Correspondence/Korrespondenzadresse

PD Carsten Schoeneberg
Department of Orthopedic and Emergency Surgery
Alfried Krupp Hospital Steele
Hellweg 100
45276 Essen
Germany   
Phone: 02 01/8 05-18 42   
Fax: 02 01/8 05-21 83   

Publication History

Article published online:
01 February 2021

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 Comparison of regional distribution of TraumaZentren DGU with location of clinics of the survey respondents. No reports from Bremen, Thuringia and Saarland; BaWü: Baden-Württemberg; MV: Mecklenburg-Vorpommern; NRW: North Rhine-Westphalia.
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Fig. 2 Percentile distribution of the different levels of care in TraumaNetzwerk DGU and among the survey respondents. The distribution is comparable in the two groups.
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Fig. 3 Percentile of patients who tested positive for COVID-19 in the total collective of fractures close to the hip joint.
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Abb. 1 Vergleich der regionalen Verteilung von TraumaZentren DGU mit den Standorten der Kliniken der Umfrageteilnehmer. Aus Bremen, Thüringen und dem Saarland gab es keine Rückmeldung; BaWü: Baden-Württemberg; MW: Mecklenburg-Vorpommern; NRW: Nordrhein-Westfalen.
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Abb. 2 Prozentuale Verteilung der unterschiedlichen Versorgungsstufen im TraumaNetzwerk DGU und bei den Umfrageteilnehmern. Es zeigt sich eine vergleichbare Aufteilung.
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Abb. 3 Anteil der COVID-19-positiven Patienten am Gesamtkollektiv der hüftgelenksnahen Frakturen.