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DOI: 10.1055/a-1291-7342
Drachenspannung – Hatha-Yoga trifft Spiraldynamik
- Schulterposition und Gelenkzentrierung sind elementar
- Übungsziel Schultergürtel: Längs- und Querspannung aufbauen
- Übungsziel: Schultergelenk-Zentrierung
- Vertiefen – Web-Symposium zum Thema
Wie lässt sich Yoga mit Spiraldynamik und Bewegungstherapie verbinden? Und wie schließt man die Lücke zwischen Anatomie, Therapie und Yogapraxis? Damit und mit vielen weiteren spannenden Fragestellungen hat sich das Autorentrio Christian Larsen, Theda van Lessen und Eva Hager-Forstenlechner im Buch „Medical Yoga professional“ beschäftigt, das nun in zweiter Auflage erschienen ist.
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Theda van Lessen studierte Philosophie, Germanistik und Pädagogik in Hamburg und anschließend Tanz und Bewegung in Boulder (Colorado). Seit 1984 ist sie als Yogalehrerin sowie im Fitnessbereich tätig. Sie unterrichtet Pilates, Yoga und Rückenfitness, arbeitet als Heilpraktikerin mit Spiraldynamik und Azidosetherapie und gibt Fortbildungen in Spiraldynamik.
Das 421 Seiten starke Standardwerk enthält Erkenntnisse, die nicht nur im Yoga anwendbar sind, sondern auch im Alltag und in der Therapie. Damit richtet sich das Buch an Therapeuten, die sich für Hatha-Yoga interessieren, und an Yoga-Praktizierende, die ihre Praxis vertiefen möchten. Es gliedert sich in sechs umfassende Kapitel, woraus Kapitel 4 in diesem Artikel näher vorgestellt wird. Im Buch dreht sich im ersten Kapitel alles um den aufrechten Stand, im zweiten geht es um Standhaltungen, es folgt ein Kapitel zu Wirbelsäulendrehung, zu Stützhaltungen (S. 40–43), zu Vorbeugen und schließlich zu Rückbeugen. Jedes der Buchkapitel umfasst drei bis vier übergeordnete Übungsziele à fünf Übungen. Jedes Übungsziel enthält sogenannte „Medical Fehlmuster“, einen „Medical Test“ und einen „Medical Tipp“. Am Ende folgen Tipps jeweils für den Yoga-Flow und für Yogalehrer bzw. Therapeuten, wie sie Schüler bzw. Patienten verbal richtig anleiten und die Haltung beurteilen können.
Schulterposition und Gelenkzentrierung sind elementar
Im hier vorgestellten Kapitel „Stützhaltungen“ dreht sich alles um starke Schultern und starke Arme. Beim Begriff „Schultern“ handelt es sich genau genommen um zwei Systeme: den Schultergürtel – bestehend aus Schulterblättern und Schlüsselbeinen – und das Schultergelenk – bestehend aus der Gelenkpfanne – ein Teil des Schulterblatts – und zugehörigem Oberarmkopf. Entsprechend umfasst die Definition von „breiten Schultern“ zwei Kernpunkte. Erstens wird die Position der Schulterblätter definiert – sie liegen breit und flächig dem Rücken an. Zweitens wird die zentrierte Stellung von Kugel und Pfanne im Schultergelenk genau definiert. Davon leiten sich die beiden wichtigsten Lernziele der Stützhaltungen ab: Schulterposition und Gelenkzentrierung. Schmal gezogene Schultern mit halb nach vorne ausgekugelten Oberarmköpfen hingegen bieten keinen Halt, wenn es darauf ankommt – weder am Geländer, am Steuer noch auf dem Boden.
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Übungsziel Schultergürtel: Längs- und Querspannung aufbauen
Eines der drei Übungsziele im Kapitel Stützhaltungen ist: „Schultergürtel – breite Jochform auf sanft gewölbtem Rücken“ (S. 40–41). Dabei gibt das Buch Tipps, worauf es beim Stemmen grundsätzlich ankommt. Es geht um eine Längsspannung der Wirbelsäule und um eine Querspannung zwischen den Schultern. Zuerst richtet man eine Längsspannung ein: Scheitelpunkt und Steiß stößt man aktiv auseinander, das lässt die Rumpfstabilisierung anspringen. Dann folgt die Querspannung: Die Eckpunkte der Schultern werden noch extra in die Breite gestoßen. Im Rumpf baut man eine spürbare Spannkraft auf. Dann erhöht die Trainierende den Druck der Hände gegen den Boden, sodass sich die Rumpfspannung intensiviert. Man sollte vorne und hinten im Gleichgewicht sein, Brust und Rücken sind gleichermaßen offen. Beim Stützen und Stemmen braucht die Trainierende genau diese Längs- und Queraufspannung des Rumpfes, um eine gleichmäßige Spannungserhöhung der bauchseitigen Rumpfmuskulatur zu erreichen. Die Schulterblätter sind in der Gesamtstabilität des Rumpfes verankert, sie liegen breitflächig dem Rücken an, können weder verrutschen noch abstehen. Im Kinder-Yoga heißt diese Übung „Drachen“: Mit zwei Verstrebungen in die Länge und in die Breite aufgespannt, fliegt der Drachen hoch. Ohne Längs- und Querspannung drückt der Wind den Drachen durch und lässt ihn abstürzen. Der springende Punkt: Trotz longitudinaler und transversaler „Drachenspannung“ hält man den Brustkorb locker, die Rippen müssen im Wind nachgeben, damit sich der Drache mühelos in die Luft erheben kann.
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Übungsziel: Schultergelenk-Zentrierung
Wichtig ist auch hier die „Drachenspannung“ – die Längsspannung der Wirbelsäule und Querspannung der Schultern. Dann platziert man den Humeruskopf als breitesten Eckpunkt der Stützschulter. Die Gelenkkugel wird vorne unsichtbar und schiebt sich nach hinten ins Gelenk hinein. Der Kraftfluss fließt ungebrochen vom Rumpf, durch die Schulter in den Arm – und umgekehrt. Man bekommt das Gefühl, sich aus der Schulter herauszuheben. Man spürt rings um das Schultergelenk gleichmäßige Spannung und viel Halt.
Im Seitstütz beispielsweise lässt man den Druck des Armes gegen den Boden unmittelbar und anschaulich in die breit gezogene Schulter übersetzen und prüft, ob das Schultergelenk halb nach vorne auskugelt oder ob einem die Schultergelenkzentrierung perfekt gelingt. Die Trainierende sitzt dafür seitlich auf dem Boden. Das untere Bein ist langgestreckt, das obere Bein setzt sie überkreuzt auf. Ein Arm ist seitlich neben dem Brustkorb auf dem Boden aufgestützt – entweder auf die Hand oder auf den Unterarm. Die andere Hand liegt vor dem Bauch am Boden. Nun stellt sie Drachenspannung her, was zu einer besseren Schultergelenk-Zentrierung führt. Die noch passiv durchhängenden Rippen werden vom Boden weggestoßen, Kopf und Becken richten sich in der schrägen Linie auf. So erreicht sie Länge entlang ihrer Körperlängsachse. Jetzt stemmt sie die Stützschulter in die Breite. Aus der Länge entsteht sekundär die Breite zwischen den Schultern. Stemmen Sie jetzt Ihr Becken hoch, stützen Sie nur auf einem Arm und beiden Füßen. Spüren Sie die vermehrte Drachenspannung. Der andere Arm zieht unbelastet hoch in die breite Schulter. Nehmen Sie den Atem zu Hilfe: kräftig ausatmen und hochstemmen ([ABB. 1]).
Christian Larsen, Theda van Lessen, Eva Hager-Forstenlechner
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Vertiefen – Web-Symposium zum Thema
Exklusiv für physiopraxis-Abonnenten bieten die Autoren am16. Feburar 2021 von 18.15–19.45 Uhr ein Web-Symposium an. Unter www.spiraldynamik.com/medicalyoga.htm können Sie sich vorab anmelden, die Teilnahmegebühr beträgt 20 Euro.
Das Programm in Kürze:
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Begrüßung
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das Wesen des Hatha-Yoga (je 8 Min. Live-Input der Autoren)
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Breakout-Session in Gruppen mit Live-Diskussion
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Bewegungsanalyse: Was läuft hier falsch?
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YOGA praktischer Teil: Asanas mit Eva Hager-Forstenlechner
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MEDICAL Fallbeispiele mit Christian Larsen
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Schlussrunde, Perspektiven
Übung Wahrnehmung
Ziel: mit geringer Belastungsintensität Gefühl für die Richtung der Breite bekommen; dabei spüren, wie sich unwillkürlich Becken und Brustkorb aufrichten mit angenehmer Grundspannung
Start: Sie stützen mit beiden Händen frontal gegen die Wand. Ihre Füße haben etwas Abstand von der Wand.
Aktion: Stellen Sie sich vor, Sie wollten die Wand wegschieben. Anschwellend den Druck gegen die Wand steigern. Ihre Wirbelsäule bleibt stabil, Ihr Brustbein wächst noch mehr empor. Die Kraft kommt aus der Mitte des Rumpfes, die Schultern stoßen nicht isoliert nach vorne mit isoliertem Krafteinsatz.
Kleine Liegestütze gegen die Wand ausführen. Nur die Ellbogen beugen und strecken, Drachenspannung halten.
Übung Beweglichkeit
Ziel: Sie erspüren die kurvige Drehbewegung des Schulterblattes in die Außenspirale. Sie kräftigen den vorderen Sägemuskel, den M. serratus anterior.
Start: Sie sitzen mit gebeugten Beinen seitlich am Boden. Becken auf dem Boden, nicht in der Luft. Das ist wichtig für die Schulterkorrektur, denn bei zu viel Belastung spannt alles an, was Beine hat. Sie stützen eine Hand oder den Unterarm auf den Boden.
Aktion: Gemütlich in die Stützschulter reinhängen: Beobachten Sie, wie das Schulterblatt hochrutscht, wie Ihr Schlüsselbein gestaucht wird, wie Ihre Rippen durchhängen, wie Ihre Wirbelsäule nachlässig wird, wie Sie auch in der Hüfte hängen. Probieren Sie, sich so mit hochgerutschter Schulter vom Boden wegzustemmen. Typischerweise haben Sie so wenig Stemmkraft.
Jetzt in die breite Schulter stemmen. Sie heben die durchhängenden Rippen seitlich weg vom Boden, stoßen sie gegen die Schwerkraft nach oben weg – zugleich stemmen Sie das belastete Schulterblatt in die Breite. Lassen Sie Bauch und Taille dabei relativ entspannt.
Bauen Sie eine kleine Drehung des Brustkorbes ein: Die Rippen der Stützseite drehen etwas nach vorne oben. Legen Sie Ihre freie Hand seitlich an die Rippen, unterhalb der Achselhöhle. Dort spüren Sie die Spannung des vorderen Sägemuskels.
Übung Dynamik
Ziel: Die Vierfüßlervariationen mobilisieren rhythmisch Brustkorb und Wirbelsäule in die Vor- und Rückbeuge – dies bei gleichzeitig in die Breite stabilisierten Schultern.
Start: Vierfüßlerstand „Katze“
Aktion:
Judorolle: Rollen Sie sich so weit ein, bis die tiefere Schulter auf dem Boden liegt (A). Der Stützarm beugt sich dabei mit leicht abgespreiztem Ellenbogen, die Stützschulter bleibt breit. Das Becken bleibt horizontal und dreht in Gegenrichtung zur tiefen Schulter. Genießen Sie die lösende Dehnung zwischen den Schulterblättern. Beide Knie bleiben fest am Boden verankert.
Aufgedrehte Katze: Sie lösen eine Hand vom Boden, der Stützarm bleibt gestreckt. Die Wirbelsäule ist in die Länge gespannt. Die freie Hand geht auf das Brustbein und dreht den Brustkorb auf, als wollten Sie diese Brust zur Decke hindrehen. Wieder zurück ins Umgedrehte, und wieder aufdrehen. Die Hand hilft, jedes Mal ein Stückchen weiter aufzudrehen. Die Stützschulter bleibt breit aufgespannt. Strecken Sie diesen Arm jetzt hoch in die Luft, Richtung Decke, und zwar nur so weit, wie der Arm in Verlängerung des Schlüsselbeines bleiben kann (B). Drehimpuls und Drehradius werden vom Brustkorb vorgegeben, der Arm folgt.
Übung Wahrnehmung
Ziel: Kraftpunkt vorne wecken. Die breiten Schultern mit zentrierten Oberarmköpfen finden.
Start: aufrechter Stand, Handflächen in Gebetshaltung vor dem Brustbein aneinandergelegt
Aktion: Legen Sie die Hände zunächst nur lose aneinander, ohne Druck, die Oberarme „kleben“ eng am Rumpf. Spüren Sie in Ihre Schultern. Sind sie leicht vorgerundet dabei? Schauen Sie auf Ihre Oberarmköpfe, ob sie sich vorwölben. Nun spreizen Sie die Ellenbogen ab und pressen die Hände aneinander. Beobachten Sie Ihre Oberarmköpfe: Sie drehen mit dem abspreizenden Anheben der Ellenbogen mehr in Innenrotation und gleiten schraubend nach hinten unten zu Ihren Pfannen. Der Druck hilft auch Ihrem Brustbein, sich anzuheben, er hilft Ihren Schultern in die Breite.
Variante: Dieselbe Übung können Sie in Rückenlage ausführen.
Übung Mobilität
Ziel: Beweglichkeit im Schultergelenk trainieren. Außerdem fördern Sie die Beweglichkeit des Schulterblattes in seine Außenspirale.
Start: Sie stehen seitlich zu einer Wand und stützen Ihre rechte Hand in Schulterhöhe an die Wand.
Aktion: Mit leichtem Druck gegen die Wand schieben Sie Ihre Oberarmkugel rückenwärts zur Pfanne hin. Dort erspüren Sie den elastischen Widerstand der hinteren Gelenkkapsel samt Muskelhülle. Genau diese Strukturen sind oft verkürzt, genau diese Strukturen werden jetzt gedehnt. Achten Sie darauf, Ihr Schulterblatt nicht zur Wirbelsäule hin schieben zu lassen.
Nun tauchen Sie unter dem Armtor durch. Hand und Arm bewegen sich dabei zwanglos mit, sie müssen nicht an Ort und Stelle fixiert bleiben, wobei die Handfläche im Wandkontakt bleiben soll. Ihre Oberarmkugel dreht sich so zentriert in der Pfanne. Sie drehen weiter unter dem Armtor durch, bis Sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Nutzen Sie den Druck der Hand, um die Oberarmkugel rücken- und beckenwärts zu schieben. Mit zunehmender Drehung kommt Ihr Oberarm in eine außenrotierte Überkopf-Position. Dann drehen Sie zurück in die Ausgangsstellung.
Übung Stabilität
Ziel: Unterschied wahrnehmen zwischen Belastung mit Humeruskopfhochstand und zentrierter Schultergelenkbelastung
Start: Seitlage links, Beine leicht gebeugt. Rechter Arm stützt in Brusthöhe auf, die Hand zeigt Richtung Kopf. Der Kopf liegt bequem auf dem linken Arm.
Aktion: Sie wollen seitlich den Oberkörper hochstemmen – Brustkorb samt Kopf. Probieren Sie zwei Möglichkeiten aus:
Stützen Sie Ihren Oberkörper hoch mit enger Schulter. Ziehen Sie absichtlich Ihre linke Stützschulter etwas vorne hoch, bis sich der Oberarmkopf im Schultergelenk vorwölbt. So stemmen Sie sich ein wenig vom Boden hoch. Beobachten Sie, wie der Oberarmkopf dabei noch weiter entgleist, wie beide Partner – Schulterblatt und Oberarmkopf – in dieselbe Richtung hoch- und vorgeschoben werden.
Vor dem Hochstemmen erst die Stützschulter in die Breite führen. Oberarmkugel bewusst nach hinten unten schieben. Zupackende Muskelhülle wahrnehmen. Das Gefühl der Sicherheit im Schultergelenk spüren. Spielen Sie Scheibenwischer mit dem Ellenbogen des Stützarmes: Mal höher zum Kopf wedeln bedeutet mehr Innenrotation im Schultergelenk, mal tiefer Richtung Füße bedeutet mehr Außenrotation des Oberarms. Dabei immer die zupackende Muskelhülle bewahren.
Übung Dynamik
Ziel: Sie drehen sich um das Schultergelenk herum, bei fortwährend zentriert bleibender Gelenkkugel. Dabei wird die hintere Kapsel-Muskel-Struktur des Schultergelenks und gedehnt.
Start: Stütz rücklings auf beiden Händen, die Finger weisen nach vorne, die Knie sind gebeugt, beide Füße stemmen auf den Boden. Heben Sie Ihren Rumpf so, dass Bauch und Brust gerade zur Decke hinweisen. Das Becken ist in einer Linie mit Brust und Knien – eine halbe Tisch-Haltung.
Aktion: Lösen Sie die linke Hand vom Boden, der freie Arm zieht nun in einer Kreisbewegung vorm Oberkörper bis lang über den Kopf. Erlauben Sie, dass die Finger der rechten Hand dabei nach hinten drehen. Im stützenden Schultergelenk spüren Sie nun eine starke Spannung der vorderen Strukturen, die den Oberarmkopf zentriert halten.
Aus dieser Stützposition drehen Sie Ihren Brustkorb Richtung Boden zum Stützarm hin. Der linke Arm taucht unter den Stützarm. Die Fersen heben sich vom Boden. Erlauben Sie den Beinen, auf den Fußballen drehend der Bewegung des Brustkorbes zu folgen. Von da drehen Sie wieder in die Ausgangsstellung.
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
08. Januar 2021
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Georg Thieme Verlag KG
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