Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2020; 15(07): 14-17
DOI: 10.1055/a-1260-3330
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© Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG

Fernbehandlung durch Heilpraktiker?

Anette Oberhauser
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Publication Date:
10 November 2020 (online)

 

Summary

Während der Corona-Pandemie kommen Fragen zu Online-Beratungen und -behandlungen verstärkt auf. In beiden Fällen müssen verschiedene rechtliche Aspekte beachtet werden.


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Gerade durch die Erfahrungen während der Corona-Pandemie ist das Bedürfnis bei Patienten nach heilkundlicher Hilfe vielfach gestiegen. Um die besonderen Hygiene- und Abstandsbestimmungen nach den jeweiligen Infektionsschutzverordnungen zu erfüllen, wird die Frage der Online-Beratung und -Behandlung durch Heilpraktiker immer dringender.

Was ist der Unterschied zwischen Online-Beratung und On-line-Behandlung? Die Online-Behandlung zielt auf die Behandlung eines Krankheitsbildes ab und beinhaltet Anamnese- und Auskunftgespräche zur Therapiesicherung. Als Online-Beratung gelten vor allem gesundheitsbezogene Dienstleistungen außerhalb der Heilkunde. Das betrifft Coachinggespräche und Gespräche über gesunde Lebensführung, beispielsweise über Ernäh-rungs- oder Bewegungspläne. Auch Einzelunterricht und Stressprävention können in diesem Sinne Online-Beratung sein. Darüber hinaus lässt sich der Begriff der Online-Beratung auch auf therapeutische Nachbesprechungen, Befundbesprechungen etc. ausweiten (siehe Abschnitt „Was gilt für Heilpraktiker?“). Das sind dann Online-Beratungen im Sinne der Heilkunde.

Dieser Beitrag enthält weniger Ausführungen zur Online-Bera-tung außerhalb der Heilkunde, sondern fokussiert sich auf On-line-Behandlung und Online-Beratung im Sinne der Heilkunde. Hier greift aus juristischer Perspektive der Begriff der Fernbehandlung.

Was ist eine Fernbehandlung?

Aus dem § 9 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz wird der Fernbehandlungsbegriff abgeleitet: Die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung).


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Was gilt für Ärzte?

Das früher bestehende strikte Fernbehandlungsverbot gilt seit dem Jahr 2018 nicht mehr. Es erfolgte insoweit eine Liberalisierung und Öffnung der ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten. Das damalige Verbot leitete sich zum einen aus dem strikten Werbeverbot des § 9 HWG alter Fassung her – zum anderen daraus, dass unterstellt wurde, es könne keine sorgfaltsgerechte Befunderhebung und Anamnese stattfinden, ohne den Patienten körperlich untersucht zu haben.

Der neue § 7 Abs. 4 MBO-Ä (Musterberufsordnung für Ärzte) lautet wie folgt: „Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Durch die Formulierung in Satz 1 der Vorschrift wird der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient zwar als Goldstandard weiterhin in den Vordergrund gestellt. Daneben wird durch die Sätze 2 und 3 jedoch die unterstützende und sogar ausschließliche Nutzung von Kommunikationsmedien (zum Beispiel PC, Kamera, Telefon) ermöglicht. Bedingungen der ausschließlichen Nutzung von Kommunikationsmedien sind die ärztliche Vertretbarkeit und die Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflicht im Einzelfall.


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Was gilt für Heilpraktiker?

Ein ausdrückliches Verbot der Fernbehandlung für Heilpraktiker gibt es weder im HeilprG noch in sonstigen Gesetzen oder Verordnungen. Der § 7 Abs. 4 MBO-Ä gilt für Heilpraktiker nicht direkt. Auch eine analoge Anwendung dieser Bestimmung kommt nicht in Betracht, da der Gesetzgeber bewusst zwischen dem akademischen Beruf des Arztes und dem Heilpraktiker differenziert und insoweit keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. In jedem Fall wird man aber den Rechtsgedanken des § 7 Abs. 4 Sätze 2 und 3 MBO-Ä auf Heilpraktiker übertragen können. Hieraus ergibt sich, dass Heilpraktiker Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen können, aber auch im Einzelfall ausschließlich über Kommunikationsmedien beraten und behandeln dürften – unter der Voraussetzung, dass die Vorschriften aus den folgenden Abschnitten eingehalten werden. Somit ist also § 7 Abs. 4 MBO-Ä die Grundlage für Fernbehandlungen durch Heilpraktiker, sofern für die Fernbehandlung medizinische Notwendigkeit vorliegt.

Die für die Heilpraktikerschaft geltende, allerdings nicht rechtsverbindliche Berufsordnung stellt in ihrem Art. 2 Nr. 4 Satz 1 fest, dass Heilpraktiker laut HWG für Fernbehandlungen nicht werben dürfen. Bei einer Durchführung könne sich gemäß Satz 2 ein Verstoß gegen die medizinische Sorgfaltspflicht ergeben. Satz 3 bestimmt, dass eine Fernbehandlung unter anderem dann vorliegt, wenn Heilpraktiker den Kranken nie gesehen oder untersucht haben. Dabei stehe es nach Satz 4 nicht mit der medizinischen Sorgfaltspflicht in Einklang, Diagnosen zu stellen und Arzneimittel oder Heilverfahren zu empfehlen, wenn ausschließlich die Ergebnisse von eingesandtem Untersuchungsmaterial wie Blut, Urin oder andere Unterlagen zur Verfügung stünden.

Im Umkehrschluss würde aus der Berufsordnung hervorgehen, dass eine Fernbehandlung möglich sein kann, wenn der Heilpraktiker den Kranken schon gesehen und wegen des aktuellen Anliegens auch schon untersucht hat. Wichtig: Es ergibt sich hier eine heilkundlich orientierte Online-Beratung (im Sinne einer Nachbesprechung, Befundbesprechung, der Besprechung des weiteren Vorgehens beziehungsweise der Folgebehandlung).


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Es kommt auf den Einzelfall an

Es muss im Einzelfall jeder Heilpraktiker klären, ob eine Fernbehandlung medizinisch vertretbar ist und die medizinische Sorgfaltspflicht eingehalten werden kann.

Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Heilpraktikers werden durch eine Fernbehandlung nicht abgeschwächt, sondern grundsätzlich sogar verschärft. Er muss auf jeden Fall den Fachstandard in seiner Behandlungsmethode einhalten und insbesondere sicherstellen, dass er die üblichen Sorgfaltspflichten bei Gespräch und Behandlung einhält. Manche Patienten werden davon ausgehen, dass Video-Sprechstunden den Besuch in der Praxis ganz ersetzen könnten. Heilpraktiker sollten daher klar auf die Grenzen der Fernbehandlung hinweisen und, wann immer erforderlich, um einen Termin in der Praxis bitten. Gerade auch bei Telefon- oder Online-Terminen ist das Vorgehen sorgfältig zu dokumentieren – ebenso die Hinweise auf Grenzen der Fernbehandlung. Denkbar ist beispielsweise ein entsprechender Textbaustein für E-Mails mit Terminbestätigung, aber unbedingt empfohlen ist auch die Notiz in der Patientenakte.


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Wichtig: Aufklärungspflicht!

Besonderer Wert ist auf die Aufklärung des Patienten über die Nachteile der Fernbehandlung gegenüber der Diagnostik und Therapie in der Praxis zu legen. Das Risiko, dass sich eine fernmünd- liehe oder sonstige Aufklärung mit elektronischen Kommunikationsmedien im Nachhinein als unzureichend erweist, trägt der Heilpraktiker. Und dabei erscheint in besonderer Schärfe ein weiteres Problem der Fernbehandlung und Online-Beratung. Nach § 630 e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. BGB muss die Aufklärung über Risiken der Behandlung mündlich durch den Therapeuten erfolgen. Eine fernmündliche Aufklärung wird als ausreichend einzustufen sein.


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Wann sind Fernbehandlungen sinnvoll?

Fernbehandlungen (zum Beispiel Telefon oder datensichere Internetkommunikation) können auch unter dem Aspekt der medizinischen Sorgfaltspflicht im Einzelfall durchaus sinnvoll und effektiv sein, um zum Beispiel eine erforderliche engmaschige Verlaufsbeobachtung oder Anpassung der Dosierung durchzuführen. Dabei wird unterstellt, dass der Heilpraktiker den Patienten schon mindestens einmal physisch gesehen hat.

Wichtic

Grundsätzliches zur Fernbehandlung

Freiwilligkeit und Einwilligung

Die Teilnahme an einer Online-Sprechstunde ist freiwillig. Man sollte sich vom Patienten eine Einverständniserklärung unterschreiben lassen.

Sorgfaltspflicht

Die Sorgfaltspflicht muss stets gewahrt sein. Je nach Fall ist ein persönlicher Kontakt unerlässlich. Es sollte Rechenschaft abgelegt werden können, warum von einem persönlichen Kontakt abgesehen werden kann. Dies ist zu dokumentieren. Der Heilpraktiker sollte sich genau überlegen, zu welchen Themen er eine Online-Sprechstunde anbieten kann (zum Beispiel Befundbesprechung etc.). Die Verantwortung liegt vollumfänglich in seinen Händen. Dies gilt sowohl für die Art der Behandlung als auch für die Methode, die er wählt.

Datenschutz

Es ist bei den vom Heilpraktiker verwendeten Systemen (Software etc.) auf die Einhaltung der Bestimmungen der DSGVO zu achten. Man sollte sich auch das Einverständnis (zur Einverständniserklärung in der Behandlung selbst als separates Dokument) des Klienten zum verwendeten Kommunikationsmedium einholen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat eine Liste zertifizierter Anbieter herausgegeben. Die Aufzeichnung und Speicherung der Sitzungen sollte in der Einverständniserklärung geregelt werden, zum Beispiel dass die Auf-zeichnung/Speicherung für beide Seiten nicht gestattet ist. Dies sollte auch im Aufklärungsgespräch geklärt/versichert werden.


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Was eignet sich nicht als Online-Service?

Erstanamnesen und Anamnesen neuer Erkrankungen bekannter Patienten müssen weiterhin in der Praxis erfolgen. Dabei sind besondere hygienische Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten (Abstand, Desinfektion/Händewaschen, keine Wartezimmer-Begegnungen, körperliche Untersuchungen gegebenenfalls mit Mund-NasenSchutz).

Merke: Wenn dennoch unzulässige Fernbehandlungen vorgenommen werden und der Patient dabei Schaden erleidet, macht sich der Heilpraktiker im Einzelfall schadenersatzpflichtig und kann auch den Schutz der Berufshaftpflichtversicherung verlieren, wenn die Tätigkeit zumindest als grob fahrlässig eingestuft wird.


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Werbung für Fernbehandlungen

Zu beachten ist insbesondere der § 9 HWG: „Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“ Dabei ist der Begriff der Werbung grundsätzlich weit zu verstehen. Er umfasst insbesondere jede absichtsvolle Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, einen Kunden beziehungsweise Patienten zur Inanspruchnahme der Dienstleistung zu bewegen. Wenn man den § 9 Satz 2 HWG eng auslegt und den Begriff des persönlichen ärztlichen Kontakts nur auf Ärzte bezieht, dann verbleibt es für Heilpraktiker bei dem grundsätzlichen Werbungsverbot nach dem § 9 Satz 1 HWG. Ist man etwas mutiger und bezieht auch den § 9 Satz 2 HWG auf Heilpraktiker, dann könnte man vorsichtig und mit Einschränkungen auch für eine Online-Beratung wie folgt werben: „Mit Rücksicht auf die medizinische Sorgfaltspflicht biete ich Video-Sprechstunden nur bei dafür geeigneten Behandlungsfällen und auch nicht für den Beginn einer Behandlung (Erstanamnese) an“.


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Fazit

Eine Fernbehandlung durch Heilpraktiker ist im Einzelfall möglich. Die Werbung hierfür ist aber stark eingeschränkt und vorsichtig zu gestalten.

Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass auch nach den hier skizzierten Liberalisierungen Online-Beratungen außerhalb der Heilkunde das größtmögliche Maß an Rechtssicherheit geben. Online-Behandlungen innerhalb der Heilkunde, beispielsweise mit Auskunftgesprächen und psychotherapeutischen Interventionen, sind ebenfalls unter Einhaltung von Datenschutz und Sorgfaltspflichten möglich.

Untersuchungen des Gesundheitszustandes wären in der Fernbehandlung aus haftungsrechtlichen Aspekten nur dann möglich, wenn die technische Ausstattung dafür vorhanden ist. Es müsste absolut gesichert sein, dass bei der Untersuchung wesentliche Befunde nicht entgehen, also beispielsweise die Bildgebung im Kommunikationsmittel hohe Qualität hat. Gerade deshalb sind ausgeschlossen: Erstuntersuchungen sowie Untersuchungen, bei denen neben der Inspektion andere Verfahren wie Palpation oder Diagnoseinstrumente (Stethoskop, Röntgengerät, Sonografiegerät etc.) erforderlich wären.

Fernbehandlungen sind aus juristischer Sicht immer auf drei Ebenen zu bewerten, nämlich:

  • das Haftungsrecht

  • das Werberecht

  • das Berufsrecht

Auf allen drei Ebenen sind Fernbehandlungen mit den hier skizzierten Einschränkungen möglich und können auch sachlich und zurückhaltend benannt werden.

Dieser Artikel ist online zu finden:
http://dx.doi.org/10.1055/a-1260-3330


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Dr. Jur. Anette Oberhauser

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Anette Oberhauser, geboren 1969 in Altöt-ting, ist seit 1997 freiberufliche Dozentin und war zunächst als Anwältin in Anstellung tätig. Seit 2000 ist sie selbstständig in eigener Rechtsanwaltskanzlei. Sie hat sich früh spezialisiert auf Medizinrecht, insbesondere mit Schwerpunkt alternative Heilverfahren und Ff legerecht. Die Vielfalt der Themenstellungen, die das Gesundheitsrecht gerade in der Naturheilkunde und Pflege bietet, hat sie seit jeher auch persönlich interessiert. Es folgte 2005 die Promotion: „Die zivilrechtliche Haftung bei der Anwendung alternativer Heilverfahren“. Seit 2008 ist sie als Fachanwältin für Medizinrecht zugelassen. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind: Existenzgründungscoaching, Heilmittelwerberecht, Berufsrecht der Heilberufe. Sie ist Lehrbeauftragte bei Freien Bildungsträgern und der Hamburger Fernhochschule.


E-Mail: Info@kanzlei-oberhauser.de
Internet: www.kanzlei-oberhauser.de

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