Einleitung
Die EBV-assoziierte infektiöse Mononukleose wurde erstmals von dem Wiesbadener Arzt Emil Pfeiffer im Jahr 1889 als infektiöses „Drüsenfieber“ mit generalisierter Lymphknotenschwellung beschrieben. Durch Hämatologen des frühen 20. Jahrhunderts wurden morphologisch veränderte, „reaktive“ Zellen der weißen Reihe beschrieben [1]
[2]
[3]. Da die Größe und Kernrelation denen von Monozyten ähnelten, wurden die Begriffe „Monocytenangina“ [4] und infektiöse Mononukleose (IM) geprägt.
Das EBV-Virus wurde erst in den 1970er-Jahren als über Tröpfchen-, Kontakt- oder Schmierinfektion übertragenes und ursächliches Agens des Krankheitsbildes identifiziert [1]. Die IM im Sinne einer Epstein-Barr-Virus-Primärinfektion (EBV, humanes Herpesvirus 4 (HHV4)) ist eine systemische Erkrankung des Kindes- und Jugendalters und verläuft meist asymptomatisch. Die höchste Prävalenz der symptomatischen Primärinfektion liegt bei den 15–20-Jährigen [5]. Klinisch wegweisend für eine IM durch EBV sind flächenhafte schmierige Beläge einer beidseitigen, schmerzhaften Tonsillitis (sog. exsudative Pharyngitis) sowie Fieber und eine generalisierte Lymphadenopathie. Zudem können weitere Organe des lymphatischen Systems betroffen sein und sich als Hepato- und/oder Splenomegalie manifestieren. Da vital bedrohliche Komplikationen, wie unter anderem eine kardiale Beteiligung oder eine spontane Milzruptur, möglich sind [2], ist die Diagnosesicherung bei klinischem Verdacht auf eine EBV-Primärinfektion obligat. Das klinische Bild einer IM kann selten auch durch andere Viren, wie CMV, HIV oder andere humane Herpesviren, ausgelöst werden [6]. Zudem muss das systemische Krankheitsbild von anderen, lokal begrenzten, viral verursachten akuten Tonsillitiden abgegrenzt werden. Bei den akuten Tonsillitiden sind mit 5–30 % klassische bakterielle Tonsillitiden wesentlich seltener. Als häufigster Erreger gilt hier Streptococcus pyogenes [7].
Das EBV-Virus befällt vorzugsweise Epithelzellen des Nasopharynx (lytischer Infektionsweg) und B-Lymphozyten (latenter Infektionsweg), wobei die genauen immunologischen Mechanismen weiterhin nicht vollständig verstanden sind ([Abb. 1]). Die latente Infektion von B-Lymphozyten führt zu deren Proliferation und unter anderem zur Aktivierung von CD8-positiven T-Zellen, welche ca. 60 % der laborklinisch auffallenden Lymphozytosen im peripheren Differenzialblutbild ausmachen [6]. Die atypische Morphologie einiger reaktiven T-Lymphozyten führte zur veralteten Bezeichnung als „Pfeiffer-Drüsenfieber-Zellen“. In der Literatur wird beschrieben, dass ca. 14 Tage nach der EBV-Infektion 70 % aller Lymphozyten mononukleär verändert sein können [8].
Abb. 1 Infektionsweg einer Primärinfektion mit dem Epstein-Barr-Virus (rot) in Anlehnung an: Murray PG, Young LS. Epstein-Barr virus infection: basis of malignancy and potential for therapy. s. l.: Expert reviews in molecular medicine 2001; 3(28): 1–20 [22].
Bei der Diagnostik stehen Mononukleose-Schnelltests zur Verfügung. Dabei werden IgM-Antikörper im Serum über die Bildung von Heteroagglutininen nachgewiesen. In der Literatur wird die Sensitivität mit 80–90 % angegeben. Es gibt jedoch einige Störfaktoren, welche eine geringe Sensitivität und Spezifität bedingen können. Bei Kindern unter 4 Jahren ist die Sensitivität des Schnelltests wesentlich geringer und zeigt sehr hohe falsch positive Raten. Auch der Zeitpunkt der Schnelltestabnahme beeinflusst das Testergebnis, da heterophile Antikörper die höchste Konzentration zwischen der 2. und 6. Woche nach der Erstinfektion zeigen. Schnelltestabnahmen zu frühen Infektionszeitpunkten ergaben in Studien erhöhte Raten an falsch negativen Ergebnissen. Die Schnelltests sind zudem wenig spezifisch, können auch bei anderen Virusinfektionen (vor allem CMV, auch HIV, Röteln, HSV) oder Erkrankungen (Lupus, Lymphome) falsch positiv ausfallen und werden daher in der Zusammenschau aktuell zur Diagnosesicherung nicht empfohlen, da sie wenig zuverlässig sind [9].
Als Goldstandard wird weiterhin die Bestimmung von spezifischen IgM- und IgG-VCA und Anti-EBNA-1-IgG angesehen. Diese haben eine Sensitivität von 95–100 % und eine Spezifität von 90–95 % für die Diagnosesicherung einer akuten EBV-Primärinfektion [10]. Daher wird in der aktuellen Leitlinie zur Abgrenzung von einer rein bakteriellen Tonsillitis eine EBV-Serologie empfohlen [2].
Die Serologie dauert jedoch in der Regel einige Tage und verzögert eine gezielte weitere Diagnostik und Therapie. Schneller verfügbar als die aufwendige EBV-Serologie ist in der klinischen Praxis ein maschinell erstelltes Differenzialblutbild.
Ergebnisse
Patientenkollektiv
Eingeschlossen wurden alle in der elektronischen Patientenakte dokumentierten stationären Patienten mit V. a. EBV-Primärinfektion bei Aufnahme oder im Verlauf des stationären Aufenthalts von 01/2008 bis 01/2019. Als obligate Einschlusskriterien galten zudem die elektronisch dokumentierten Ergebnisse einer EBV-Serologie oder die elektronisch dokumentierte Befundung einer in Papierform übermittelten EBV-Serologie (bei Fällen bis 2012). Ausgeschlossen wurden doppelt gelistete Fälle, Patienten, bei denen keine EBV-Serologie dokumentiert wurde, und Patienten mit Immundefizienz.
Es wurden primär n = 140 Patienten eingeschlossen, bei welchen das Ergebnis einer EBV-Serologie vorlag. Hiervon waren 72 (51 %) weibliche und 68 (49 %) männliche Patienten. Das mittlere Alter betrug im Gesamtkollektiv 21,4 ± 6,6 Jahre (Range 6–56 Jahre), zwischen den Geschlechtern ergab sich kein signifikanter Unterschied bzgl. des Alters (♀ 21,7 ± 7,1, ♂ 21,1 ± 6,0; p = 0,935).
Im Mittel betrug die Dauer des stationären Aufenthalts 4,9 ± 2,0 Tage (Range 1–12 Tage). Hierbei zeigte sich, dass männliche Patienten mit 5,3 ± 2,2 Tagen signifikant länger stationär blieben als weibliche Patientinnen mit 4,5 ± 1,8 Tagen (p = 0,04).
Therapie
Zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme waren 101 (72,1 % Gesamtkollektiv) der Patienten bereits oral antibiotisch ambulant anbehandelt. Bei Aufnahme wurde bei allen Patienten eine Antibiose angesetzt (Cefuroxim 80 %, Clindamycin 11,4 %, Unacid 7,1 %, anderes Cephalosporin und Ciprofloxacin jeweils 0,7 %).
Bei 15 Patienten (10,7 %) war im Verlauf des stationären Aufenthalts eine „Tonsillektomie à chaud“ notwendig, entweder aufgrund einer massiven Obstruktion oder eines zeitgleichen Peritonsillarabszesses. Hierbei waren mit n = 12 männlichen Patienten (17,6 % aller männlichen Patienten) signifikant mehr männliche Patienten betroffen als weibliche (n = 3, entsprechend 4,2 % aller weiblichen Patienten, Chi-Quadrat-Test p = 0,014).
Diagnostik
EBV-Serologie
Insgesamt lag bei n = 140 Patienten das Ergebnis einer serologischen EVB-Diagnostik vor.
Hierbei handelte es sich entweder um Patienten, bei denen bereits bei Aufnahme der Verdacht auf eine EBV-Primärinfektion bestand, oder eigentlich zunächst eine bakterielle Tonsillitis vermutet wurde, jedoch zum sicheren Ausschluss eine EBV-Serologie abgenommen wurde.
Bei hiervon 88 Patienten (62,9 %) bestätigte sich anhand der Serologie eine EBV-Primärinfektion, bei 52 Patienten (37,1 %) ergab sich kein Hinweis auf eine akute EBV-Infektion oder eine Reaktivierung. Bei insgesamt 3 Patienten waren gar keine Antikörper gegen EBV nachzuweisen.
Blutbild
Im Blutbild ergab sich im Gesamtkollektiv eine mittlere Leukozytenzahl von 13,4 ± 4,8 Giga/l (Range 3,2–29,2 Giga/l), welche bei einem Referenzwert von 4,5–11,3 Giga/l einer Leukozytose entsprach. Bei der überwiegenden Mehrheit von 93 Patienten (66,5 %) lag eine Leukozytose, bei 45 Patienten (32,1 %) normalwertige Leukozyten und bei nur 2 Patienten (1,4 %) eine Leukopenie vor.
Zwischen Patienten mit serologischer EBV-Primärinfektion und akuter bakterieller Tonsillitis zeigte sich kein signifikanter Unterschied im Mittelwert der Leukozytenzahl bei stationärer Aufnahme (13,0 ± 4,2 Giga/l vs. 14,0 ± 5,8 Giga/l; p = 0,258).
In [Abb. 2] ist die prozentuale Verteilung innerhalb der serologischen Diagnosegruppen im Vergleich dargestellt (n = 140). Auch im Geschlechtervergleich fand sich kein signifikanter Unterschied (♂ 14,1 ± 5,1 Giga/l, ♀ 12,9 ± 4,3 Giga/l; p = 0,189).
Abb. 2 Prozentualer Anteil der Fälle für die klassifizierte gesamte absolute Leukozytenzahl aus dem „kleinen Blutbild“, jeweils für die Gruppen nach serologisch bestätigter Diagnose (Mononukleose, bakterielle Tonsillitis). Eine Leukopenie wurde definiert mit einem Wert von unter 4,5 Giga/l, eine Leukozytose mit einem Wert von über 11,3 Giga/l.
Differenzialblutbild
Ein maschinelles Differenzialblutbild lag bei 78 von 140 Patienten vor (EBV-Primärinfektion n = 42, bakterielle Tonsillitis n = 36).
Die absolute Lymphozyten-Konzentration im Gesamtkollektiv lag bei einem Referenzwert von 1,2–3,5 Giga/l im Mittel mit 2,1 ± 2,8 Giga/l (Range: 0,5–11,8 Giga/l) im Normbereich. Der relative Anteil an Lymphozyten im maschinellen Differenzialblutbild war bei einem Referenzwert von 22,3–49,9 % im Mittel normwertig mit 30,2 ± 21,7 % (Range: 3,8–74,8 %).
Bei Patienten mit EBV-Primärinfektion zeigte sich mit 5,5 ± 2,6 Giga/l im Mittel eine Lymphozytose im Differenzialblutbild.
Bei Patienten mit akuter bakterieller Tonsillitis zeigte sich dagegen mit 1,6 ± 1,3 Giga/l eine signifikant geringere mittlere absolute Lymphozytenzahl (p < 0,05).
In [Abb. 3] ist die prozentuale Verteilung der Klassifizierung der absoluten Lymphozytenzahlen im Vergleich von EBV-Primärinfektion und bakterieller Tonsillitis dargestellt.
Abb. 3 Prozentualer Anteil der Fälle für die klassifizierte absolute Lymphozytenzahl aus dem instrumentellen Differenzialblutbild, jeweils für die Gruppen nach serologisch bestätigter Diagnose (Mononukleose, bakterielle Tonsillitis). Eine Lymphopenie wurde definiert mit einem Wert von unter 1,2 Giga/l, eine Lymphozytose mit einem Wert von über 3,5 Giga/l.
Analog zeigten sich in der Berechnung der relativen prozentualen Lymphozytenzahlen bei EBV-Primärinfektion signifikant höhere Werte als bei bakterieller Tonsillitis (47,4 ± 17,9 % vs. 12,8 ± 9,1 %; p < 0,05).
Es wurde auch das Verhältnis von absoluter Lymphozytenzahl zu absoluter Leukozytenzahl für die 78 Patienten mit vorliegendem Differenzialblutbild berechnet. Hier zeigte sich insgesamt ein mittlerer Quotient von 0,31 ± 0,24 (Range 0,04–1,20). Bei serologisch bestätigter EBV-Primärinfektion war der mittlere Quotient mit 0,47 ± 0,22 (0,05–1,2) signifikant höher als bei bakterieller Tonsillitis 0,16 ± 0,18 (Range 0,04–1,03); p < 0,01.
Die absolute Monozyten-Konzentration war bei den 78 Patienten, bei welchen ein instrumentelles Differenzialblutbild vorlag, bei einem Referenzwert von < 0,5 Giga/l im Mittel mit 1,2 ± 0,70 Giga/l (Range: 0,1–4,0 Giga/l) pathologisch erhöht. Auch der relative Anteil an Monozyten im maschinellen Differenzialblutbild war bei einem Referenzwert von 0,7–7,5 % im Mittel mit 9,2 ± 4,27 % (Range: 0,8–32,5 %) erhöht.
Im Vergleich der Monozytenzahlen zwischen den Patienten mit EBV-Primärinfektion und bakterieller Tonsillitis ergaben sich jedoch weder für die absoluten (1,2 ± 0,8 vs. 1,2 ± 0,6 Giga/l; p = 0,617) noch für die relativen (8,5 ± 3,6 vs. 9,6 ± 5,2 %; p = 0,746) Monozytenzahlen signifikante Unterschiede.
CRP
Der CRP-Wert wurde bei allen Patienten (n = 140) bestimmt. Dieser betrug im Mittel 89,2 ± 88,2 (Range: 1,8–463,0 mg/l). Der CRP-Wert war damit bei insgesamt 134 (95,7 %) der Patienten erhöht. Bei Patienten mit EBV-Primärinfektion war der Mittelwert des CRP mit 45,7 ± 40,1 mg/l (Median 35) bei Aufnahme signifikant niedriger als bei Patienten mit bakterieller Tonsillitis mit einem mittleren CRP von 157,2 ± 100,4 mg/l (Median 132; p < 0,05). Die Verteilung der CRP-Werte ist in [Abb. 4] dargestellt.
Abb. 4 Box-Whisker-Plot zur Verteilung des CRP-Werts für Patienten mit serologisch bestätigter EBV-Primärinfektion oder bakterieller Tonsillitis. Der mittlere Wert zwischen den jeweiligen Medianen ist als imaginärer „Cut-off“ bei 83,5 mg/l als rote Linie eingezeichnet und schlägt eine mögliche Grenze vor, um anhand des CRP-Werts zwischen EBV-Primärinfektion oder bakterieller Tonsillitis differenzieren zu können.
Leberwerte
Bei Aufnahme wurde bei 74 Patienten die ALT-Konzentration bestimmt. Diese betrug im Mittel 55,0 ± 115,0 U/l (max. 756 U/l). Bei 94 Patienten wurde die AST-Konzentration bestimmt. Diese betrug im Mittel 43,1 ± 65,4 U/l (max. 429 U/l). Bei 89 Patienten wurde der γGT-Wert bestimmt. Dieser betrug im Mittel 49,5 ± 779,6 U/l (max. 444 U/l). Für alle Leberwerte zeigte sich, dass diese im Mittel bei Patienten mit primärer IM signifikant höher waren als bei Patienten mit bakterieller Tonsillitis (ALT: 73,1 ± 130,4 vs. 24,2 ± 74,0 U/l; AST: 56,5 ± 65,7 vs. 20,6 ± 58,9 U/l; γGT: 63,5 ± 89,5 vs. 25,8 ± 51,9 U/l; jeweils p < 0,05). Bei vorausgesetzten Normwerten (ALT ♂ < 40 U, ♀ < 34 U/l; AST < 35 U/l; γGT 6–30 U/l) war bei 69 Patienten (67 %) mindestens einer der Leberwerte erhöht.
Sonografie
Bei n = 47 (26,9 %) Patienten wurde eine Sonografie der Halslymphknoten dokumentiert. In allen Fällen wurde hierbei eine Lymphadenitis colli bds. beschrieben.
Bei n = 119 der 140 Patienten mit vorliegenden Serologie-Ergebnissen (EBV-Primärinfektion n = 84, akute bakterielle Tonsillitis n = 35) wurde eine Sonografie des Abdomens dokumentiert, hiervon wurde bei 93 Patienten (78,2 %) eine Spleno- und/oder Hepatomegalie beschrieben. Bei 75 von 84 (89,3 %) Patienten mit EBV-Primärinfektion und Sonografie des Abdomens war diese auffällig. Bei Patienten mit akuter bakterieller Tonsillitis und vorliegender Sonografie des Abdomens wurde bei signifikant weniger Patienten eine Auffälligkeit beschrieben (18 von 35 Patienten (51,4 %); Chi-Quadrat-Test p < 0,05).
Bei insgesamt 117 Patienten lagen Befunde einer Abdomensonografie und einer serologischen Leberwertbestimmung vor. In [Abb. 5] ist die Verteilung der Fälle nach Diagnose und Auffälligkeiten in der Lebersonografie und pathologischen Leberwerten dargestellt.
Abb. 5 Anzahl der Patienten mit vorliegender Leberwert-Serologie und Sonografie des Abdomens mit auffälligen (= mindestens AST, ALT oder gamma-GT oberhalb der jeweiligen Normwerte) oder unauffälligen Leberwerten.
Diskussion
In der vorliegenden Studie wurde für die Erstellung des instrumentellen Blutbildes das Gerät „Sysmex XN-1000“ von der Firma Sysmex (Sysmex Deutschland GmbH, Norderstedt) verwendet, welches einen Durchsatz von 100 Proben/h [11] ermöglicht. Damit sind die Ergebnisse im klinischen Alltag bereits nach wenigen Stunden verfügbar. Das maschinelle Differenzialblutbild wird mittels hydrodynamisch fokussierter Impedanz-Technologie in Kombination mit einer Fluoreszenz-Durchflusszytometrie erstellt. Es werden, vereinfacht dargestellt, die Leukozyten durch unterschiedliche Fluoreszenz- und Seitwärtsstreulichter differenziert und auch unterschiedliche Zellvolumina berücksichtigt [12]
[13].
Hierdurch ergeben sich mögliche Einschränkungen für die Einsetzbarkeit des maschinellen Differenzialblutbildes bei einer EBV-Primärinfektion. Durch die atypische Lymphozytose mit veränderter Morphologie der Lymphozyten ist anzunehmen, dass eine maschinelle Auswertung des Blutbildes erschwert sein kann.
Die Lymphozytose in der postakuten Infektionsphase einer EBV-Primärinfektion wird zu großem Anteil von Subgruppen der T-Lymphozyten gebildet und zu einem geringen Anteil aus nicht infizierten, aktivierten B-Lymphozyten. Die für die EBV-Primärinfektion typischen aktivierten T-Lymphozyten, welche historisch als „Pfeifer-Zellen“ bezeichnet werden, können weder maschinell noch händisch rein anhand ihrer Morphologie einem bestimmten Zelltyp zugeordnet werden. Die Kern-Zytoplasma-Relation kann bei diesen Zellen typischerweise zugunsten der Kerngröße verändert sein. Durch ein verstärktes Seitwärtsstreulichtsignal werden die Zellen somit maschinell im Scattergramm näher bei den Monozyten dargestellt. Vermehrte Zellen zwischen Lymphozytenwolke und Monozytenwolke generieren automatisch eine Fehlermeldung [4]. Die EBV-Primärinfektion führt generell zu einer veränderten Lymphopoese, welche zu morphologischen Veränderungen von natürlichen Killerzellen (T-Zell-Reihe), Plasmazellen und lymphoplasmozytoiden Zellen (B-Zell-Reihe) führt. Veränderungen im Streulicht oder in der Fluoreszenz werden in den modernen Geräten detektiert und generieren einen automatischen Warnhinweis für atypische Lymphozyten.
Ob mit dem verwendeten Sysmex-Gerät auch mononukleär veränderte Lymphozyten fälschlich als Monozyten gewertet werden, ist den Herstellerangaben nicht zu entnehmen. Es finden sich keine konkreten Angaben in der Literatur, inwieweit die atypische Form, Größe und Kernrelation einen Einfluss auf mögliche Fehlerzahlen im maschinellen Blutbild haben könnten.
Ein manuelles Differenzialblutbild, bei welchem in der Regel händisch 100 Leukozyten im Blutausstrich unter dem Lichtmikroskop differenziert werden, ist dem maschinellen Differenzialblutbild in der Genauigkeit der Differenzierung sicherlich überlegen und folgt einer einheitlichen Nomenklatur [14]. Diese sollte bei einem Hinweis auf atypische Lymphozyten nachgefordert werden. Das manuelle Differenzialblutbild ist jedoch wesentlich zeit- und personalaufwendiger.
Fragestellung der vorliegenden Arbeit war es demnach, ob sich die morphologisch atypische Lymphozytose im maschinellen Blutbild mit modernen Geräten im Mittel korrekt darstellen lässt, einen Unterschied zur bakteriellen Tonsillitis zeigt und das maschinelle Differenzialblutbild damit eine verlässliche erste Einschätzung der vorliegenden Krankheitsentität erlaubt.
Während sich in den vorliegenden Daten in der Zahl der Leukozyten kein relevanter Unterschied zwischen einer EBV-Primärinfektion und einer bakteriellen Tonsillitis zeigte, ergab sich im Differenzialblutbild in der absoluten und relativen Lymphozytenzahl ein signifikanter Unterschied. Während sich bei der bakteriellen Tonsillitis im Mittel eine verminderte Zahl an Lymphozyten zeigte, ergab sich für Patienten mit EBV-Primärinfektion, analog zu den Angaben der Literatur, eine deutliche Lymphozytose [15].
Für die EBV-Infektionen ist zunächst eine anfängliche Leukopenie typisch, auf welche eine Leukozytose folgt. In der Literatur finden sich Angaben, welche einen Anteil von ca. 80–90 % Monozyten und atypischen Lymphozyten an der Leukozytose bei EBV-Primärinfektion beschreiben [16].
Für das EBV-Virus ist auch der direkte Befall von Monozyten beschrieben [17]
[18], welcher zu proinflammatorischen Reaktionen führt [19]. Der Einfluss der angeborenen Immunantwort bei der EBV-Infektion ist Gegenstand der aktuellen Forschung [20]. Das Gros der antiviralen Reaktion wird sicherlich jedoch von Zellen der adaptiven Immunantwort getragen, sodass die Rolle der Monozyten bei der akuten Infektion vernachlässigbar ist. Tatsächlich fand sich in unserer Studie in beiden Patientengruppen, sowohl bei Patienten mit infektiöser Mononukleose durch EBV als auch bei Patienten mit bakterieller Tonsillitis, gleichermaßen eine Monozytose, jedoch ohne signifikante Unterschiede. Anhand unserer Daten ist nicht auszuschließen, dass mononukleär veränderte Zellen fälschlicherweise als Monozyten gewertet werden, offenbar jedoch nicht in relevantem Maße. Diese kann im Rahmen der generellen Leukozytose gewertet werden, ist jedoch als klinischer Parameter nicht spezifisch für eine EBV-Infektion. Daher ist der Begriff „infektiöse Mononukleose“ heutzutage eigentlich irreführend.
Diese Ergebnisse können somit ein Hinweis sein, dass moderne Geräte zur Erstellung eines Differenzialblutbildes atypische Lymphozyten und Monozyten korrekt differenzieren. Damit kann allein die erhöhte Zahl der Lymphozyten im klinischen Alltag bereits ein Hinweis auf eine EBV-Tonsillitis sein. Einschränkend ist zu sagen, dass in der vorliegenden Studie der Zeitpunkt und Fortschritt der EBV-Infektion nicht dokumentiert wurde. Wie in der Einleitung beschrieben, finden sich zu verschiedenen Zeitpunkten der Infektion unterschiedliche Phasen der zellulären Immunantwort, welche sich auch in unterschiedlichen Ergebnissen des maschinellen Blutbildes zeigen kann.
Es wurde bereits 2006 durch eine britische Arbeitsgruppe von Wolf et al. vorgeschlagen, anhand des Verhältnisses von Lymphozytenzahl zu Leukozytenzahl eine Differenzierung zwischen einer EBV-Tonsillitis und einer rein bakteriellen Tonsillitis vorzunehmen. Anhand dessen solle dann entschieden werden, ob ein EBV-Schnelltest indiziert sei. Ein Verhältnis über 0,35 zeigte in dieser Arbeit eine Spezifität von 100 % und eine Sensitivität von 90 % bei der Vorhersage des positiven Schnelltest-Ergebnisses [21]. Auch in unserer Arbeit konnte ein signifikanter Unterschied im mittleren Quotienten festgestellt werden, welcher bei Patienten mit EBV-Primärinfektion signifikant höher war. Bei 33 von insgesamt 42 Patienten mit vorliegendem Differenzialblutbild und serologisch gesicherter EBV-Infektion lag ein Lymphozyten/Leukozyten-Quotient > 0,35 vor. Dies entspricht in unserer Studie einer Sensitivität von 79 % bei der Vorhersage des serologischen Ergebnisses und bestätigte die mögliche Eignung des Quotienten bei der Vorhersage des serologischen Ergebnisses. Bei 34 von 36 Patienten mit bakterieller Tonsillitis lag ein Quotient < 0,35 vor; dies entspricht einer hohen Spezifität des Quotienten von 94 %. Zur Bestimmung des Quotienten bedarf es allerdings eines Rechenschritts, welcher sich in der klinischen Praxis ggf. als umständlich erweisen mag, jedoch durchaus sinnvoll erscheint.
Sensitivität und Spezifität des Lymphozyten-/Leukozyten-Quotient sind in unseren Studienergebnissen mit den Literaturangaben zu den entsprechenden Werten des Mononukleose-Schnelltests zu vergleichen. Es sind ähnliche Fehlerquellen, wie z. B. der Zeitpunkt des Tests nach Primärinfektion, anzunehmen.
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen zudem, dass bei EBV-Primärinfektion signifikant geringere CRP-Werte gemessen wurden. Im Box-Plot zeigte sich eine klar unterschiedliche Verteilung der CRP-Werte zwischen den 2 Diagnosegruppen mit eher geringen CRP-Werten bei der infektiösen Mononukleose durch EBV und eher hohen Werten bei einer bakteriellen Tonsillitis. Daher wurde überlegt, ob sich ein experimenteller CRP-Cut-off-Wert definieren lässt, um dem Kliniker eine Tendenz bei EBV-Tonsillitis vs. bakterieller Tonsillitis zu ermöglichen, bevor die Ergebnisse der EBV-Serologie vorliegen. Explorativ wurde daher der mittlere Wert zwischen den Medianen der CRP-Werte beider Patientengruppen ermittelt (35 mg/l für bakterielle Tonsillitis und 132 mg/l für EBV-Primärinfektion), welcher bei 83,5 mg/l lag ([Abb. 4]). Dieser Cut-off-Wert zeigte in unserer Studie eine Sensitivität von 83 % und eine Spezifität von 75 % bei der Vorhersage des Serologie-Ergebnisses anhand des CRP-Werts.
Bei Patienten mit EBV-Primärinfektion wurden signifikant häufiger erhöhte Leberwerte als bei einer bakteriellen Tonsillitis gefunden. Dies entspricht damit den gängigen Angaben in der Literatur. Sowohl CRP-Wert als auch die Leberwerte können additiv zur Lymphozytenzahl als Wegweiser zur richtigen Diagnose führen ([Tab. 1]).
Tab. 1
|
EBV-Primärinfektion
|
bakterielle Tonsillitis
|
absolute Lymphozytenzahl
|
Lymphozytose
|
Lymphopenie
|
absolute Lymphozytenzahl/Leukozytenzahl
|
> 0,35
|
< 0,35
|
CRP-Wert
|
< 80–90 mg/l
|
> 80–90 mg/l
|
Leberwerte
|
erhöht
|
unauffällig
|
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Hinweise aus der Labordiagnostik eine serologische Diagnosesicherung nicht ersetzen können.