Notaufnahme up2date 2020; 2(03): 203-206
DOI: 10.1055/a-1161-3718
Leitlinie kompakt: Fokus Notaufnahme

Palliativtherapie bei COVID-19

Martin Fandler
 

Patienten mit respiratorischer Insuffizienz bei COVID-19 leiden häufig an starker Dyspnoe, Angst und anderen belastenden Symptomen. Auch wenn (noch) keine Allokation von limitierten intensivmedizinischen Ressourcen notwendig ist, muss der Notfallmediziner regelhaft schwer vorerkrankte Patienten mit Therapielimitierung symptomorientiert und unter palliativmedizinischen Aspekten (an)behandeln. In dieser Rubrik finden Sie eine übersichtliche Zusammenstellung der Aspekte der aktuell verfügbaren Leitlinien, die für Sie in der täglichen Praxis wichtig sind.


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Originaltitel: Handlungsempfehlung zur Therapie von Patient*innen mit COVID-19 aus palliativmedizinischer Perspektive 2.0
Veröffentlicht: AWMF (Reg.-Nr. 128 – 002), 30.03.2020
Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (unterstützt durch Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin)
Relevante Inhalte für die Notaufnahme: Initiale und weiterführende symptomatische Therapie bei Patienten mit COVID-19
Ergänzungen des Autors sind kursiv dargestellt

Versorgung von Patienten mit COVID-19

Aufgaben der Notfallmedizin in der Versorgung von Patienten mit COVID-19 bei bestehender Therapielimitierung:

  1. Ressourcenallokation bei limitierten Behandlungskapazitäten

  2. Festlegung von Therapielimitierungen

  3. Kompetente symptomatische Behandlung bei Patienten mit Therapielimitierung

Ressourcenallokation

Bisher wurde im Rahmen der COVID-19 Pandemie noch keine Situation dokumentiert, in der in Deutschland die notfall- und intensivmedizinischen Ressourcen systemisch derart limitiert waren, dass Entscheidungen zur Allokation von beschränkten Ressourcen getroffen werden mussten.

Bezüglich eines möglichen Vorgehens wurden von der DIVI, DGINA und weiteren Fachgesellschaften klinisch-ethische Empfehlungen „Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“ veröffentlicht ([Abb. 1]) [1].

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Abb. 1 Flowchart der Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie. Vereinfacht nach DIVI „Entscheidungsfindung bei nicht ausreichenden Intensiv-Ressourcen im Kontext der COVID-19 Pandemie“ [1] (Im Internet: https://www.divi.de/empfehlungen/publikationen/covid-19, Stand: 15.5.2020).

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Festlegung Therapielimitierung

Auch bei vorhandenen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten sollte möglichst bei allen stationären Aufnahmen von Patienten mit bestätigter oder vermuteter COVID-19-Erkrankung das Ausmaß einer etwaigen Therapieintensivierung festgelegt werden. Dies gilt auch in der Akutsituation bei kritisch kranken Patienten in der Notaufnahme, besonders bei schwer vorerkrankten Patienten. Hier sollte nach lokalen Richtlinien und Vorgaben gehandelt werden und die nötigen Ressourcen zur Unterstützung (z. B. Ethikkomitee, Palliativmedizin, Psychologie) dem Notfallmediziner zur Verfügung stehen. Die Entscheidung basiert zunächst auf der ärztlich festzulegenden medizinischen Indikation für eine Maßnahme und dann auf dem (mutmaßlichen) Willen und der Einwilligung des Patienten. Angehörige und bestehende Patientenverfügungen / Äußerungen des Patienten sowie Meinungen des interprofessionellen Behandlungsteams sind möglichst miteinzubeziehen.

Zentrale Fragestellungen sind in der Notaufnahme:

  • Reanimation Ja/Nein

  • Intubation Ja/Nein

  • Intensivstation Ja/Nein

  • NIV/High-Flow Ja/Nein


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Symptomkontrolle

Besteht die Festlegung auf eine Therapielimitierung ohne intensivmedizinische Therapie (insbesondere ohne invasive Beatmung) fokussiert sich die Behandlung primär auf Symptomkontrolle.

COVID-19 in voller Ausprägung führt vor allem zu einer ausgeprägten respiratorischen Insuffizienz mit schwerer Dyspnoe und Angst/Panik. Eine schnelle Symptomkontrolle ist essenziell. Bei diesen Patienten liegt die Prognose eher im Rahmen von Stunden bis (wenigen) Tagen.

Symptomkontrolle von schwerer Symptomatik

Während bei leichter Symptomatik oft auch nichtmedikamentöse Maßnahmen (Lagerung, Kühlung etc.) ausreichend sind, wird bei ausgeprägter, therapierefraktärer Dyspnoe zusätzlich eine rasche medikamentöse Therapie mit Opioiden empfohlen.

Wegen der zu erwartenden hohen Viruslast bei bestätigtem oder vermutetem Infekt mit Sars-CoV-2 sollte eine Manipulation im Nasen-/Rachenraum vermieden und möglichst parenterale Applikationsformen gewählt werden. Primär sollte eine kontinuierliche Gabe via Perfusor (siehe Perfusortabelle, [Tab. 1]) bevorzugt werden, alternativ sind Kurzinfusionen intravenös, ggf. auch als subkutane Gabe möglich.

Tab. 1

Perfusortabelle (beispielhafte Dosierung nach Handlungsempfehlung DGP).

Indikation

Medikation

Verdünnung

Start-Laufrate

 = Startdosis

Dyspnoe (opioid-nativ)

50 mg Morphin
 + NaCl 0,9 % auf 50 ml

1 mg / ml

0,4 ml / h

0,4 mg / h

Angst / Unruhe

10 mg Midazolam
 + NaCl 0,9 % auf 50 ml

0,2 mg / ml

2 ml / h

0,4 mg / h

Delir (Halluzination)

5 mg Haloperidol
 + NaCl 0,9 % auf 50 ml

0,1 mg / ml

2 ml / h

0,2 mg / h


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Medikation nach Symptomatik (bei bestehender Therapielimitierung „keine Intubation/keine Beatmung/keine Reanimation“):

Dyspnoe

Bei Dyspnoe ist ein frühzeitiger Beginn mit parenteralen Opioiden empfohlen. Dabei sollte eine bestehende orale/transdermale Opioidtherapie pausiert werden. Häufig sind bei stärkster Dyspnoe deutlich höhere Dosen nötig – und eine rasche Titration ist erforderlich! Bei Beginn der Therapie und bei Symptomexazerbation sind je 10 % der Tagesdosis als Bolus zu erwägen.

  • Morphin (opioid-nativer Patient): (5 – )10 mg /24 h i. v./s. c. und rasche Titration nach Symptomatik

  • Morphin (opioid-vorbehandelter Patient): Umstellung auf i. v. Äquivalenzdosis ([Tab. 2]), und rasche Titration nach Symptomatik

Tab. 2

Umrechnungstabelle Opioide [2].

Substanz

Äquivalenzfaktor zu Morphin i. v.

Tilidin/Naloxon p. o.

0,03

100

300

600

Piritramid

0,7

5

15

30

45

60

75

90

150

225

300

450

Morphin p. o./rektal

0,3

10

30

60

90

120

150

180

300

450

600

900

Morphin s. c./i. v.

1

3,3

10

20

30

40

50

60

100

150

200

300

Hydromorphon p. o.

1,7

2

6

12

18

24

30

36

60

90

120

180

Hydromorphon s. c./i. v.

5

0,7

2

4

6

8

10

12

20

30

40

60

Bei einem Opioidwechsel (Rotation) immer Reduktion der hier angegebenen Dosierungen um 30 – 50 %!

(Terminale) Rasselatmung

Tritt häufig im Rahmen der Sterbephase bei Patienten mit COVID-19 auf. Eine frühzeitige antisekretorische Therapie ist hilfreich, um Rasselatmung zu vermindern. Wiederholtes Absaugen und auch parenterale Flüssigkeitszufuhr verstärkt die Sekretion in der Sterbephase.

  • Butylscopolamin 40 – 80 mg/24 h kontinuierlich i. v./s. c., bei Bedarf bis zu stündlich 20 mg oder

  • Glycopyrronium 0,6 – 1,2 mg/24 h kontinuierlich i. v./s. c., bei Bedarf bis zu zwei-stündlich 0,2 mg

Unruhe/Angst

Benötigt eine schnellstmögliche Behandlung bei bestehender Dyspnoe, in Ergänzung zur Opioidtherapie. Initiale Bolusgaben erfolgen nach Bedarf, bei bestehender therapierefraktärer Angst/Unruhe kontinuierlich.

  • Midazolam 2,5 – 5 mg i. v./s. c. bei Bedarf bis zu halbstündlich oder (Eskalation)

  • Midazolam 10 mg/24 h kontinuierlich i. v. (ggf. s. c.) und rasche Titration nach Bedarf

Akute Agitation/Delir

Wird oft durch Isolationsmaßnahmen, Hypoxie und Infekt verstärkt. Nicht-pharmakologische Maßnahmen sind vorziehen: Gespräch/Kommunikation, wenn möglich Ruhe, Orientierung.

Bei motorischer Unruhe: Midazolam nach o. g. Dosierung.

Bei Halluzination und Verwirrtheit: Haloperidol.

  • Haloperidol 1 – 2 mg s. c. bei Bedarf bis zu halbstündlich oder

  • Haloperidol 2 – 5 mg / 24 h kontinuierlich s. c.

Palliative Sedierung

Falls die Maßnahmen zur Linderung der Atemnot, Unruhe, Angst, Delir nicht ausreichen ist eine palliative Sedierung (mit guter Dokumentation und nach Rücksprache mit der Palliativmedizin) zu erwägen.

  • Midazolam 10 – 20 mg / 24 h s. c. / i. v., initial Bolus 1 – 5 mg; Erhaltungsdosis üblich 20 – 60 mg / 24 h


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. univ. Martin Fandler
Interdisziplinäre Notaufnahme und Aufnahmestation
Sozialstiftung Bamberg
Buger Str. 80
96049 Bamberg

Publication History

Article published online:
16 July 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


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Abb. 1 Flowchart der Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie. Vereinfacht nach DIVI „Entscheidungsfindung bei nicht ausreichenden Intensiv-Ressourcen im Kontext der COVID-19 Pandemie“ [1] (Im Internet: https://www.divi.de/empfehlungen/publikationen/covid-19, Stand: 15.5.2020).