Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2020; 30(02): 64-65
DOI: 10.1055/a-1147-7402
Aktuelles
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Physiotherapie bei erwachsenen Patienten mit Verdacht oder Nachweis von COVID-19 an der Charité Universitätsmedizin Berlin

Anett Reißhauer
1   Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation
,
Angelika Baack
1   Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation
,
Max Emanuel Liebl
1   Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation
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Weitere Informationen

Korrespondenzadresse

Dr. med. Anett Reißhauer
Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation
Charité Universitätsmedizin Berlin
Charitéplatz 1
10117 Berlin

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. April 2020 (online)

 

Einleitung

Die physikalisch-therapeutische Versorgung von Patienten im Rahmen der aktuellen Corona-Pandemie ist auch für die Physikalische Medizin eine neue Erfahrung.([Tab. 1])


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Tab. 1 Hinweise zur Indikationsstellung Physiotherapie bei COVID-19 [3] [4] [5].

Therapiemethode

COVID-19 (Verdacht oder gesichert)

Indikation und Therapieinhalte

Atemtherapie (AT)

Milder Verlauf

  • ohne radiologische Zeichen

  • trockener Husten

Anleitung zur Eigenübung

Pneumonie, Patient mobil auf Zimmerebene

  • mit trockenem (nicht-produktivem) Husten

Anleitung zur Eigenübung

Milder Verlauf und/oder Pneumonie

  • mit neuromuskulärer Komorbidität (abgeschwächter Atemmuskulatur)

  • ODER

  • exsudative Phase

Atemtherapie Sekretmanagement Anleitung zur Eigenübung

Schwere Pneumonie

  • bei abgeschwächtem Hustenstoß, produktivem Husten, bildmorphologischen Korrelaten für Pneumonie und Sekretverhalt

AT, mehrfach täglich
Passives Atemtraining
* Dehnlagerung
* Drainagelagerung
* Bauchlagerung
* 130° Lagerung
Sekretmobilisation,
Distale Atemreize
Passive Atemreize
Thermische Reize
Hustentraining mit aktiven Hustenübungen, Lippenbremse Reflektorische Atemtherapie Wenn möglich Sitz an der Bettkante, Füße mit Bodenkontakt oder Herzbett

Frühmobilisation, Frührehabilitation

Risikopatienten für relevante Funktionsstörungen

  • Frailty

  • Multimorbidität

  • Dekonditionierung durch Immobilität (z. B. ICU-AW)

Komplexbehandlung
z. B.: Prophylaxen
Therapeutisch-funktionelle Lagerung
Aktives Atemtraining im Sitz
Neurophysiologische KG
Anbahnung Transfers/ Vertikalisierung
RL>SL>Stand>Gang
Submax. Isometrie
Koordinations-/GGW-Training
ADL, Physikalische Therapie

Insbesondere die Rasanz der Entwicklung und die fehlende Erfahrung diesbezüglich führen zu Unsicherheiten. Daher war es ein Anliegen, möglichst schnell eine Handlungsempfehlung zur Physiotherapie zunächst im stationären Bereich zu erstellen. Im Ambulanten Sektor spielen aktuell eher Hygieneaspekte im Rahmen der Therapie eine Rolle. Hier sind die Verbände bereits aktiv und erarbeiten ihrerseits unterstützendendes Material [1]. Um eine erste Hilfestellung für den Bereich der stationären Versorgung möglich zu machen, stellt die Arbeitsgruppe der Charité ihr erstes Arbeitspapier gern zur Verfügung. Wir werden mit Erfahrung und später auch Daten diesbezüglich fortlaufend berichten.

Zusammenfassung

Von besonderer Bedeutung für die physiotherapeutische Behandlung von COVID-19-Patienten sind:

  • Atemtherapie (CAVE: mögliche Aerosol-Entstehung durch AT)

  • Prophylaxe und Behandlung der Dekonditionierung durch Immobilität (z. B. „ICU-acquired weakness“) durch Krankengymnastik, Aktivierung und physikalisch-rehabilitative Therapien

  • Interprofessionelle Unterstützung der Lagerung, insbes. Bauchlagerung beatmeter Patienten

  • Bei unklarer Indikation physiotherapeutischer Maßnahmen sollte der ärztliche Konsildienst der Physikalischen Medizin involviert werden

  • Frühmobilisation und Frührehabilitation

  • Umgang mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA): hohe Wichtigkeit, siehe Anleitungen und Hinweise des RKI [2], Teilnahme an Schulung


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Evidenz

Evidenz zur Physiotherapie bei COVID-19 besteht derzeit nur auf niedrigem Level, daher sind fallbezogene Therapieentscheidungen notwendig. Diese Hinweise sind daher vorläufig und werden fortlaufend angepasst. Thomas et al. bieten ein laufend überarbeitetes Clinical Best Practice zu Ressourcenallokation von Physiotherapie in Krankenhäusern und zur Indikationsstellung von Atemtherapie an [3]. Diese Empfehlungen sind z. T. Grundlage der nachfolgenden Hinweise zur Indikationsstellung.


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Hinweise zur Indikationsstellung für Physiotherapie bei COVID-19

  • Zur Minimierung von unnötigen Expositionen und zur Vermeidung unnötigen Ressourcenverbrauches sollte die Indikation für Physiotherapie überlegt gestellt werden.

  • Atemtherapie kann indiziert sein z. B. bei exsudativem Husten, bei Hypersekretion oder eingeschränkter Sekretclearance, bei abgeschwächter Atemmuskulatur, bildmorphologischen Korrelaten für Sekretverhalt, allgemeiner Schwäche.

  • Atemtherapeutisches Sekretmanagement ist nicht indiziert bei mildem Verlauf oder Pneumonie mit trockenem Husten

  • Atemtherapie sollte ohne Hilfsmittel wie Triflow, Flutter usw. erfolgen

  • Persönliche Schutzausrüstung (PSA): Bei atemtherapeutischen Maßnahmen werden ggf. Aerosole generiert. Die PSA ist entsprechend anzupassen. Wenn möglich, und Patient nicht beatmet, sollte zusätzlich zur PSA der Physiotherapeuten auch der Patient, bei guter Toleranz, einen Mund-Nase-Schutz tragen.


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Therapeutisch-funktionelle Lagerung

Interprofessionelle Zusammenarbeit bei der Lagerung, insbesondere bei Bauchlagerung [4] [5].

Voraussetzung: Teilnahme an interner Schulung.


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Frühmobilisation und Frührehabilitation

Prophylaxe und Behandlung der Dekonditionierung durch Immobilität (z. B. „ICU-AW“) und bei Frailty sowie Multimorbidität durch Krankengymnastik, Mobilisation und physikalisch-rehabilitative Therapien.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Anett Reißhauer
Arbeitsbereich Physikalische Medizin und Rehabilitation
Charité Universitätsmedizin Berlin
Charitéplatz 1
10117 Berlin